Bastian Schweinsteiger: Ab durch die goldene Mitte

Ist Schweinsteiger so souverän geworden, weil er endlich auf der Position spielen darf, die ihm schon immer am besten liegt? Oder kann er die neue Position nur deshalb so gut spielen, weil er sich als Mensch entwickelt hat? Die Frage, ob die Persönlichkeit die Position oder die Position die Persönlichkeit geprägt hat, ist wie die Frage nach der Henne und dem Ei. Sie ist nicht zu beantworten. Die Wahrheit ist, dass das eine mit dem anderen untrennbar zusammenhängt.

Es besteht jedenfalls kein Zweifel, dass Schweinsteiger auch abseits des grünen Rasens die Position gewechselt hat. Er ist nicht mehr der Schweini, der Hallodri aus dem Sommermärchen, der nicht ohne den Poldi zu haben ist, den anderen Hallodri aus dem Sommermärchen. Bastian Schweinsteiger hat begriffen, dass er in der Sommermärchen-Falle festsaß, und dass nur er selbst sich daraus befreien kann. „Ich wurde nach der WM 2006 hochgehoben, als wäre ich der beste Fußballer auf der Welt“, sagt er im Rückblick, „mir war das nie recht, aber ich konnte nichts dagegen tun.“

Er konnte noch so ernsthafte Interviews über Fußball geben, am Ende kam er doch wieder nur als der Popstar rüber, dem die Mädels hinterherkreischen. „Irgendwann hatte ich das Gefühl, ich werde gar nicht mehr als Sportler betrachtet, und dann wird man irgendwann auch nicht mehr fachlich beurteilt.“ Dann hieß es bei jedem Ball, der ihm verrutschte: Der verdient so viel Geld und kann nicht mal richtig flanken!

Konzentration auf Fußball

Schweinsteiger begann, sich zurückzuziehen, es war eine Art Notwehr. „Ich spreche ohnehin nicht so oft mit Journalisten, und um den ganzen Hype zu bremsen, hab ich mich eben noch mehr rar gemacht“, sagt er. Er hat kaum mehr große Interviews gegeben, und wenn, dann nur ausgewählte – und ausdrücklich in einem Umfeld, das mit Sport zu tun hat. Auch heute noch erreichen Schweinsteiger Anfragen aus der Popstar-Abteilung, aber er bekommt sie gar nicht mehr zu Gesicht. Wenn ein buntes Medium sich mit ihm über gefärbte Fingernägel unterhalten will, wird die Anfrage in Schweinsteigers Agentur direkt in den Papierkorb umgeleitet. „Solche Dinge werden gnadenlos gestrichen“, sagt Schweinsteiger, „ich kann mich ganz auf Fußball konzentrieren.“

Heute weiß Schweinsteiger, dass er erst sein altes Image los werden musste, damit die Öffentlichkeit sein neues Image, das des gereiften Führungsspielers, akzeptiert. Wie belastend es sein kann, eine Kultfigur zu sein, hat Schweinsteiger nie so deutlich erfahren wie im November 2009. Auf der turbulenten Mitgliederversammlung des FC Bayern haben ihn die Mitglieder damals in Mithaftung genommen für all das, was ihnen nicht passte am FC Bayern. Der neue Trainer van Gaal erhielt Beifall, der langjährige Bayer Schweinsteiger wurde ausgepfiffen.

Schweinsteiger fühlte sich zum Universalschuldigen gemacht für den holprigen Saisonstart, er erklärt sich das „mit dem Bild, das die Medien von mir gezeichnet haben“. Die Leute dachten nicht: Das ist der Schweini, unser FC Bayern-Eigengewächs. Sie dachten: Der hat ein teures Auto, ein Model als Freundin, und wo ist seine Gegenleistung? „Zu dieser Zeit war ja auch noch Franck Ribéry relativ neu in München“, sagt Schweinsteiger, „und natürlich ist unser Spiel dann erstmal über seine linke Seite gelaufen.“ Und rechts draußen stand der Schweinsteiger, war viel seltener am Ball, und das Publikum sah nicht oder wollte nicht sehen, wenn er wenigstens gut nach hinten arbeitete. „Die Pfiffe haben sehr weh getan“, sagt er.

Ein Jahr später, bei der Mitgliederversammlung 2010, haben ihm die Leute zugejubelt. Sie dachten: Hey, das ist der Weltklasse-Schweini, unser FC Bayern-Eigenwächs! Dass er ein teures Auto fährt? Dass er immer noch dasselbe Model zur Freundin hat? Dass sein neuer Vertrag bis 2016 hoch dotiert ist? Egal. Der Weltklasse-Schweinsteiger darf das.



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2010 war das Jahr des Bastian Schweinsteiger. Auf seiner neuen Position im zentralen Mittelfeld hat er den FC Bayern zum Double und ins Champions-League-Finale geführt - und die deutsche Nationalmannschaft bei der WM in Südafrika auf den dritten Platz. Aus dem umschwärmten Teenie-Star vergangener Tage ist längst ein gefragter Führungsspieler geworden. Aus dem Hallodri von einst ein zielstrebiger Profi, der die ganz großen Titel gewinnen will. Christof Kneer von der „Süddeutschen Zeitung“ über eine bemerkenswerte Wandlung zum Weltstar und den Doppelpass zwischen Position und Persönlichkeit.

Normalerweise verschwindet Louis van Gaal nach dem Spiel schnell. In der Pressekonferenz hat er alles gesagt, was es zu sagen gibt, er hat den Journalisten mitgeteilt, dass sie das falsche Spiel gesehen haben und er hat ihnen erklärt, warum das Spiel so war, wie er es gesehen hat. Dann steht er auf und freut sich, dass die Architekten der Münchner Arena so eine praktische Tür rechts neben das Pressepodium gebaut haben. Van Gaal öffnet sie, schiebt seinen mächtigen Körper hindurch und entkommt ohne weitere Fragen.

Am vorletzten Samstag vor Weihnachten zog van Gaal es vor, seinen Rollkoffer quer durch den Saal bis hoch in die letzte Reihe zu ziehen. Dort oben saß eine hübsche blonde junge Frau, die sich von van Gaal freundlich übers Haar streichen ließ. Der vorletzte Samstag vor Weihnachten war ein besonderer Tag. Es war der Tag, als die Fußballnation erfuhr, dass Sarah Brandner in München bleibt. Und Bas­tian Schweinsteiger, ihr Freund, natürlich auch.

Rationale Entscheidung - emotionale Verkündung

Es war eine hochprofessionelle Performance: Sehr rational hat die Schweinsteiger-Partei die Optionen geprüft, abgewogen und entschieden; sehr emotional hat sie die Entscheidung verkündet. Direkt nach einem ansonsten nicht sehr emotionalen 3:0 gegen St. Pauli hat sich Schweinsteiger noch auf dem Spielfeld ein Mikrofon bringen lassen und 69.000 Menschen seine Adventsbotschaft zugerufen: „Ich wollte es Euch zuallererst mitteilen: Ich bin jetzt zwölf Jahre bei Bayern“ – Pause – „und habe meinen Vertrag um fünf Jahre verlängert! Für Euch! Hoch lebe Bayern!“ Jubel. Beifall. Begeisterung.

Es war die letzte Pointe in einem Jahr, das als Schweinsteiger-Jahr in die Geschichte des deutschen Fußballs eingehen wird. Am Ende des Jahres 2009 ahnte die breite Öffentlichkeit erstmals, dass dieser Schweinsteiger das Versprechen, das er seit Jahren gegeben hat, tatsächlich einlösen könnte. Da hatte ihn der Trainer van Gaal gerade auf eine neue Position gestellt, in die Spielfeldmitte, und da war schon erkennbar, dass der Leichtfuß dort besser aufgehoben sein könnte als draußen am Flügel.

Am Ende des Jahres 2010 hat Schweinsteiger das Versprechen deutlich übererfüllt. Dass er so gut, so reif, so prägend spielen würde im zentralen Mittelfeld, hatte keiner für möglich gehalten, außer Bastian Schweinsteiger. „Ich hatte immer das Gefühl, dass ich auf dieses hohe Niveau komme, wenn ich mal im Zentrum spielen darf“, sagt er und ergänzt, er habe „natürlich auch davon profitiert, dass es bei Bayern und in der Nationalmannschaft so gut lief und die Trainer Louis van Gaal und Jogi Löw meine Qualität im Zentrum erkannt haben“.

Neue Position, starke Persönlichkeit

Ist Schweinsteiger so souverän geworden, weil er endlich auf der Position spielen darf, die ihm schon immer am besten liegt? Oder kann er die neue Position nur deshalb so gut spielen, weil er sich als Mensch entwickelt hat? Die Frage, ob die Persönlichkeit die Position oder die Position die Persönlichkeit geprägt hat, ist wie die Frage nach der Henne und dem Ei. Sie ist nicht zu beantworten. Die Wahrheit ist, dass das eine mit dem anderen untrennbar zusammenhängt.

Es besteht jedenfalls kein Zweifel, dass Schweinsteiger auch abseits des grünen Rasens die Position gewechselt hat. Er ist nicht mehr der Schweini, der Hallodri aus dem Sommermärchen, der nicht ohne den Poldi zu haben ist, den anderen Hallodri aus dem Sommermärchen. Bastian Schweinsteiger hat begriffen, dass er in der Sommermärchen-Falle festsaß, und dass nur er selbst sich daraus befreien kann. „Ich wurde nach der WM 2006 hochgehoben, als wäre ich der beste Fußballer auf der Welt“, sagt er im Rückblick, „mir war das nie recht, aber ich konnte nichts dagegen tun.“

Er konnte noch so ernsthafte Interviews über Fußball geben, am Ende kam er doch wieder nur als der Popstar rüber, dem die Mädels hinterherkreischen. „Irgendwann hatte ich das Gefühl, ich werde gar nicht mehr als Sportler betrachtet, und dann wird man irgendwann auch nicht mehr fachlich beurteilt.“ Dann hieß es bei jedem Ball, der ihm verrutschte: Der verdient so viel Geld und kann nicht mal richtig flanken!

Konzentration auf Fußball

Schweinsteiger begann, sich zurückzuziehen, es war eine Art Notwehr. „Ich spreche ohnehin nicht so oft mit Journalisten, und um den ganzen Hype zu bremsen, hab ich mich eben noch mehr rar gemacht“, sagt er. Er hat kaum mehr große Interviews gegeben, und wenn, dann nur ausgewählte – und ausdrücklich in einem Umfeld, das mit Sport zu tun hat. Auch heute noch erreichen Schweinsteiger Anfragen aus der Popstar-Abteilung, aber er bekommt sie gar nicht mehr zu Gesicht. Wenn ein buntes Medium sich mit ihm über gefärbte Fingernägel unterhalten will, wird die Anfrage in Schweinsteigers Agentur direkt in den Papierkorb umgeleitet. „Solche Dinge werden gnadenlos gestrichen“, sagt Schweinsteiger, „ich kann mich ganz auf Fußball konzentrieren.“

Heute weiß Schweinsteiger, dass er erst sein altes Image los werden musste, damit die Öffentlichkeit sein neues Image, das des gereiften Führungsspielers, akzeptiert. Wie belastend es sein kann, eine Kultfigur zu sein, hat Schweinsteiger nie so deutlich erfahren wie im November 2009. Auf der turbulenten Mitgliederversammlung des FC Bayern haben ihn die Mitglieder damals in Mithaftung genommen für all das, was ihnen nicht passte am FC Bayern. Der neue Trainer van Gaal erhielt Beifall, der langjährige Bayer Schweinsteiger wurde ausgepfiffen.

Schweinsteiger fühlte sich zum Universalschuldigen gemacht für den holprigen Saisonstart, er erklärt sich das „mit dem Bild, das die Medien von mir gezeichnet haben“. Die Leute dachten nicht: Das ist der Schweini, unser FC Bayern-Eigengewächs. Sie dachten: Der hat ein teures Auto, ein Model als Freundin, und wo ist seine Gegenleistung? „Zu dieser Zeit war ja auch noch Franck Ribéry relativ neu in München“, sagt Schweinsteiger, „und natürlich ist unser Spiel dann erstmal über seine linke Seite gelaufen.“ Und rechts draußen stand der Schweinsteiger, war viel seltener am Ball, und das Publikum sah nicht oder wollte nicht sehen, wenn er wenigstens gut nach hinten arbeitete. „Die Pfiffe haben sehr weh getan“, sagt er.

Ein Jahr später, bei der Mitgliederversammlung 2010, haben ihm die Leute zugejubelt. Sie dachten: Hey, das ist der Weltklasse-Schweini, unser FC Bayern-Eigenwächs! Dass er ein teures Auto fährt? Dass er immer noch dasselbe Model zur Freundin hat? Dass sein neuer Vertrag bis 2016 hoch dotiert ist? Egal. Der Weltklasse-Schweinsteiger darf das.

Schweinsteiger die zentrale Figur im DFB-Team

Bastian Schweinsteiger hat seine Mitte gefunden, im wahrsten Sinne des Wortes. Er und der ein Jahr ältere Philipp Lahm werden den deutschen Fußball in den kommenden Jahren verantworten, und anders als der Außenverteidiger Lahm tut Schweinsteiger dies aus der Zentrale heraus. Anfang des Jahres stellte sich noch die Frage, ob Schweinsteiger es wohl schaffen kann, im Mittelfeld des DFB ein passabler Partner für den großen Michael Ballack zu werden. Kein Jahr später ist es so, dass Bundestrainer Joachim Löw sein Deutschland um Schweinsteiger herum baut.

Neben ihm kann Sami Khedira spielen wie bei der WM, auch die Rückkehrer Simon Rolfes und Thomas Hitzlsperger kommen in Frage, Toni Kroos oder Christian Träsch hatten ebenfalls schon die Ehre, neben ihm ran zu dürfen, dahinter lauern schon die Bender-Zwillinge. Und Michael Ballack arbeitet auch an seiner Rückkehr.

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Bastian Schweinsteiger spielt anders als Ballack, er ist keiner, der aus den Tiefen des Raumes kommt und seinen athletischen Körper in die Flugbahn des Balles wirft und ein Kopfballtor erzielt. Aber Schweinsteiger ist Ballack näher als man denkt. Anders als Lahm, ist er die Verlängerung des großen Alten in die Moderne. Lahm ist in jeder Hinsicht ein radikal moderner Spieler, er hält den Führungsspieler für überschätzt bis überflüssig, er glaubt an flache Hierarchien. Schweinsteiger findet schon, dass Führungsspieler wichtig sind. Er verkörpert noch ein paar der guten, alten Tugenden.

Schweinsteiger ist auch der Meinung, dass es irgendwann gut sein muss mit Friede, Freude, Eierkuchen. Er will sich nicht mehr über einen dritten Platz bei der WM freuen. „Ich bin kein ganz Junger mehr, für den sowas am Karriereanfang ein Riesenerfolg ist“, sagt er, „ich will endlich einen internationalen Titel gewinnen.“

Ob das gelingt, wird auch von ihm abhängen. Sein Spiel prägt die Bayern und den DFB, und die Konkurrenten beider Teams – ob Chelsea, Barcelona und Inter Mailand oder Spanien, Holland und Brasilien – dürfen es ruhig als Warnung begreifen, wenn Schweinsteiger sagt: „Ich habe schon das Gefühl, dass ich noch besser spielen kann. Es wäre doch schlimm, wenn ich als 26-Jähriger schon am Ende wäre.“