Baggio 1994: Italiens tragischer Held

19 Weltmeisterschaften, 19 Stars: Vor der Jubiläumsauflage im Sommer erinnert DFB.de in einer Serie an prominente und weniger bekannte Spieler, die den bisherigen WM-Turnieren ihren Stempel aufdrückten. Heute: Roberto Baggio, mit Italien Vizeweltmeister bei der WM 1994.

Er war noch ein Teenager, da hatte er schon drei Knie-Operationen hinter sich. Die erste, am Meniskus, mit 15, die letzte mit 19. Keine optimalen Bedingungen für eine Profikarriere, aber die Ärzte machten einen guten Job und Roberto Baggio seinen Weg in der große Welt des Fußballs.

Von dem kleinen Verein, für den einst schon Paolo Rossi spielte, Lanerossi Vicenza, wechselte er 1985 zum AC Florenz, den er bei seinem Comeback nach der dritten Knie-OP prompt mit einem Tor vor dem Abstieg rettete. Der zierliche Bursche (1,74 Meter bei 72 Kilogramm) mit dem großen Ballgefühl - seine Freistöße waren weltweit gefürchtet - fiel bald auch dem Nationaltrainer auf und mit 21 trug Baggio bereits den dunkelblauen Dress der "Squadra Azzurra".

Debüt bei der Heim-WM 1990

Bei der Heim-WM 1990 blieb er noch im Schatten Toto Schillacis, schoss aber seine ersten beiden Tore auf der Weltbühne. Der große Michel Platini sah in ihm einen neuen Spielertypus. "Er ist keine Neun wie Rossi und keine Zehn wie Enzo Scifo, er ist eine 9,5."

Zu seiner zweiten WM reiste Baggio 1994 schon als Weltstar an. Mittlerweile spielte Baggio für Juventus Turin, das umgerechnet 26 Millionen Mark für ihn gezahlt hatte. Er zahlte es zurück, vornehmlich mit Toren. 1993 wurde Juventus UEFA-Pokalsieger, Roberto schoss beim vorentscheidenden 3:1 im Finalhinspiel in Dortmund zwei Tore.

Am Ende des Jahres wählte man den Mann mit dem Zopf, den der gläubige Buddhist zu seinem Markenzeichen werden ließ, zu Europas Fußballer des Jahres, danach gar zum Weltfußballer. Seine Vorgänger Diego Maradona und Lothar Matthäus spielten noch, beide fuhren auch zur WM in die USA, aber die Italiener konnten damals behaupten: "Der Beste spielt bei uns."

Baggio-Tore verhindern Sensationsaus gegen Nigeria

In der Vorrunde war davon wenig zu sehen. Wie 1982 Paolo Rossi ging auch Baggio leer aus, jedenfalls Roberto, während sein Namensvetter Dino das umjubelte 1:0 gegen Norwegen gelang. In dieser Partie schied Roberto schon nach 21 Minuten aus; Trainer Arrigo Sacchi opferte ihn, weil er nach dem Platzverweis gegen Torwart Bennarivo einen Ersatzkeeper einwechseln musste. Baggios Gestik zeugte von Fassungslosigkeit, wütend stapfte er vom Platz. Franz Beckenbauer kommentierte in einer Kolumne: "Er ist von seinem Trainer öffentlich demontiert worden - schlimmer geht’s nimmer."

Eine Aussprache reinigte die Luft, und Baggio stand beim 1:1 gegen Mexiko wieder 90 Minuten auf dem Feld. Auf unnachahmliche Weise erreichte Italien mit 2:2-Toren das Achtelfinale als Dritter einer Gruppe, in der alle Mannschaften vier Punkte hatten. Und Baggio war leer ausgegangen. All das erinnerte an Italien und Paolo Rossi auf dem Weg zum WM-Triumph 1982.

Am 5. Juli 1994 hatte Baggio einen weiteren schwachen Tag und mit ihm die "Squadra Azzurra", die bis zur 88. Minute gegen Nigeria 0:1 zurücklag. Die WM 1994 stand vor ihrer bis dahin größten Sensation, "dann schoss Roberto Baggio, der Weltstar bis dahin ein einziger Flop, Italien in die erste Verlängerung der WM", schrieb die Bild. In der gab es nach 102 Minuten einen Elfmeter, den Baggio eiskalt verwandelte. Fertig war der Viertelfinaleinzug, und Italien hatte seinen Helden wieder.

Sacchi: "Baggio kommt wie eine Perle aus der Muschel"

"Ich wusste immer, dass Baggio wie eine Perle aus der Muschel kommt", schwärmte Trainer Sacchi, während der Star selbst zugab: "Mir ist nach den Toren eine schwere Last von den Schultern gefallen." Man merkte es ihm an, nun schien alles leichter zu gehen. Im Viertelfinale tanzte er drei Minuten vor Schluss Spaniens Torwart Zubizarreta aus und traf aus spitzem Winkel zum 2:1 - wieder der Sieg.

"Mit oder ohne Zopf, Baggio trifft immer", titelte Bild am Sonntag, denn das erste Tor hatte Dino Baggio, der ohne Zopf, erzielt. Roberto Baggio wählte einen seltsamen Begriff, um seine Gefühle zu beschreiben: "Ich bin sterbensglücklich." Und wieder erzählte er davon, er habe wirklich davon geträumt, im Finale das entscheidende Tor zu erzielen. Allmählich wurde es seine WM.

Auch gegen Bulgarien Siegtorschütze

Nach dem nächsten Spiel gegen Deutschland-Bezwinger Bulgarien (2:1) sah man ihn weinen. Er hatte das Halbfinale entschieden, nun mit zwei Toren, wie einst Rossi. Zum dritten Mal hatte er in Folge für Italiens Sieg gesorgt. Aber unter Schmerzen musste er ausgewechselt werden, und so bangte ganz Italien um das "teuflische Zöpfchen".

Baggio hatte sich eine leichte Zerrung zugezogen und konnte natürlich im Finale gegen Brasilien auflaufen. Zu seiner Genesung trugen die euphorischen Kritiken bei. "Mit zwei fantastischen Kunststücken bestätigt sich Roby als der große König der WM", schrieb Tuttosport. Nach seiner Auswechslung gegen Norwegen hatte ihn Fiat-Boss Agnelli, der Patron von Juventus, noch "ein nasses Kaninchen" gescholten. Welch' eine Wandlung.

Mit 27 auf dem Höhepunkt

Mit 27 Jahren stand Baggio auf dem Höhepunkt seiner Karriere, nun konnte der Weltfußballer auch Weltmeister werden. Aber das Schicksal ist launisch. Als am Montag nach dem Finale die Zeitungen erschienen, musste er wieder Schmähungen über sich lesen. "Weil Baggio versagte - Brasilien ist Weltmeister", schrieb die Hamburger Morgenpost. Dabei hatte Italiens Superstar nicht schlecht gespielt, sich nur dem Niveau des ersten torlosen WM-Finales überhaupt angepasst.

Aber dann, im grausamen Nachspiel vom Elfmeterpunkt, war ausgerechnet er es, der den entscheidenden Elfmeter vergab. Wie vor ihm schon die Kollegen Franco Baresi und Daniele Massaro - aber den Letzten beißen die Hunde. Baggio war der fünfte und letzte Schütze, und er musste treffen. Dem Druck war er nicht gewachsen, unmittelbar nach dem Fehlschuss über das Tor sackte der tragische WM-Held in sich zusammen. Damit endeten die Parallelen zu Paolo Rossi, Weltmeister wurde Roberto Baggio nur in seinen Träumen.

Roberto Baggio

Geburtsdatum: 18. Februar 1967 in Caldogno bei Venedig
Länderspiele/Tore:56 Spiele/27 Tore
WM-Spiele/Tore: 16/9
Vereine als Spieler: Lanerossi Vicenza (1982 bis 1985), AC Florenz (1985 bis 1990), Juventus Turin (1990 bis 1995), AC Mailand (1995 bis 1997), AC Bologna (1997/98), Inter Mailand (1998 bis 2000), AC Brescia (2000 bis 2004)
Größte Erfolge im Verein: UEFA-Pokalsieger 1993; Italienischer Meister 1995, 1996; Italienischer Pokalsieger 1995
Auszeichnungen: Weltfußballer des Jahres 1993; Europas Fußballer des Jahres 1993; Italiens Fußballer des Jahres 2001

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19 Weltmeisterschaften, 19 Stars: Vor der Jubiläumsauflage im Sommer erinnert DFB.de in einer Serie an prominente und weniger bekannte Spieler, die den bisherigen WM-Turnieren ihren Stempel aufdrückten. Heute: Roberto Baggio, mit Italien Vizeweltmeister bei der WM 1994.

Er war noch ein Teenager, da hatte er schon drei Knie-Operationen hinter sich. Die erste, am Meniskus, mit 15, die letzte mit 19. Keine optimalen Bedingungen für eine Profikarriere, aber die Ärzte machten einen guten Job und Roberto Baggio seinen Weg in der große Welt des Fußballs.

Von dem kleinen Verein, für den einst schon Paolo Rossi spielte, Lanerossi Vicenza, wechselte er 1985 zum AC Florenz, den er bei seinem Comeback nach der dritten Knie-OP prompt mit einem Tor vor dem Abstieg rettete. Der zierliche Bursche (1,74 Meter bei 72 Kilogramm) mit dem großen Ballgefühl - seine Freistöße waren weltweit gefürchtet - fiel bald auch dem Nationaltrainer auf und mit 21 trug Baggio bereits den dunkelblauen Dress der "Squadra Azzurra".

Debüt bei der Heim-WM 1990

Bei der Heim-WM 1990 blieb er noch im Schatten Toto Schillacis, schoss aber seine ersten beiden Tore auf der Weltbühne. Der große Michel Platini sah in ihm einen neuen Spielertypus. "Er ist keine Neun wie Rossi und keine Zehn wie Enzo Scifo, er ist eine 9,5."

Zu seiner zweiten WM reiste Baggio 1994 schon als Weltstar an. Mittlerweile spielte Baggio für Juventus Turin, das umgerechnet 26 Millionen Mark für ihn gezahlt hatte. Er zahlte es zurück, vornehmlich mit Toren. 1993 wurde Juventus UEFA-Pokalsieger, Roberto schoss beim vorentscheidenden 3:1 im Finalhinspiel in Dortmund zwei Tore.

Am Ende des Jahres wählte man den Mann mit dem Zopf, den der gläubige Buddhist zu seinem Markenzeichen werden ließ, zu Europas Fußballer des Jahres, danach gar zum Weltfußballer. Seine Vorgänger Diego Maradona und Lothar Matthäus spielten noch, beide fuhren auch zur WM in die USA, aber die Italiener konnten damals behaupten: "Der Beste spielt bei uns."

Baggio-Tore verhindern Sensationsaus gegen Nigeria

In der Vorrunde war davon wenig zu sehen. Wie 1982 Paolo Rossi ging auch Baggio leer aus, jedenfalls Roberto, während sein Namensvetter Dino das umjubelte 1:0 gegen Norwegen gelang. In dieser Partie schied Roberto schon nach 21 Minuten aus; Trainer Arrigo Sacchi opferte ihn, weil er nach dem Platzverweis gegen Torwart Bennarivo einen Ersatzkeeper einwechseln musste. Baggios Gestik zeugte von Fassungslosigkeit, wütend stapfte er vom Platz. Franz Beckenbauer kommentierte in einer Kolumne: "Er ist von seinem Trainer öffentlich demontiert worden - schlimmer geht’s nimmer."

Eine Aussprache reinigte die Luft, und Baggio stand beim 1:1 gegen Mexiko wieder 90 Minuten auf dem Feld. Auf unnachahmliche Weise erreichte Italien mit 2:2-Toren das Achtelfinale als Dritter einer Gruppe, in der alle Mannschaften vier Punkte hatten. Und Baggio war leer ausgegangen. All das erinnerte an Italien und Paolo Rossi auf dem Weg zum WM-Triumph 1982.

Am 5. Juli 1994 hatte Baggio einen weiteren schwachen Tag und mit ihm die "Squadra Azzurra", die bis zur 88. Minute gegen Nigeria 0:1 zurücklag. Die WM 1994 stand vor ihrer bis dahin größten Sensation, "dann schoss Roberto Baggio, der Weltstar bis dahin ein einziger Flop, Italien in die erste Verlängerung der WM", schrieb die Bild. In der gab es nach 102 Minuten einen Elfmeter, den Baggio eiskalt verwandelte. Fertig war der Viertelfinaleinzug, und Italien hatte seinen Helden wieder.

Sacchi: "Baggio kommt wie eine Perle aus der Muschel"

"Ich wusste immer, dass Baggio wie eine Perle aus der Muschel kommt", schwärmte Trainer Sacchi, während der Star selbst zugab: "Mir ist nach den Toren eine schwere Last von den Schultern gefallen." Man merkte es ihm an, nun schien alles leichter zu gehen. Im Viertelfinale tanzte er drei Minuten vor Schluss Spaniens Torwart Zubizarreta aus und traf aus spitzem Winkel zum 2:1 - wieder der Sieg.

"Mit oder ohne Zopf, Baggio trifft immer", titelte Bild am Sonntag, denn das erste Tor hatte Dino Baggio, der ohne Zopf, erzielt. Roberto Baggio wählte einen seltsamen Begriff, um seine Gefühle zu beschreiben: "Ich bin sterbensglücklich." Und wieder erzählte er davon, er habe wirklich davon geträumt, im Finale das entscheidende Tor zu erzielen. Allmählich wurde es seine WM.

Auch gegen Bulgarien Siegtorschütze

Nach dem nächsten Spiel gegen Deutschland-Bezwinger Bulgarien (2:1) sah man ihn weinen. Er hatte das Halbfinale entschieden, nun mit zwei Toren, wie einst Rossi. Zum dritten Mal hatte er in Folge für Italiens Sieg gesorgt. Aber unter Schmerzen musste er ausgewechselt werden, und so bangte ganz Italien um das "teuflische Zöpfchen".

Baggio hatte sich eine leichte Zerrung zugezogen und konnte natürlich im Finale gegen Brasilien auflaufen. Zu seiner Genesung trugen die euphorischen Kritiken bei. "Mit zwei fantastischen Kunststücken bestätigt sich Roby als der große König der WM", schrieb Tuttosport. Nach seiner Auswechslung gegen Norwegen hatte ihn Fiat-Boss Agnelli, der Patron von Juventus, noch "ein nasses Kaninchen" gescholten. Welch' eine Wandlung.

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Mit 27 auf dem Höhepunkt

Mit 27 Jahren stand Baggio auf dem Höhepunkt seiner Karriere, nun konnte der Weltfußballer auch Weltmeister werden. Aber das Schicksal ist launisch. Als am Montag nach dem Finale die Zeitungen erschienen, musste er wieder Schmähungen über sich lesen. "Weil Baggio versagte - Brasilien ist Weltmeister", schrieb die Hamburger Morgenpost. Dabei hatte Italiens Superstar nicht schlecht gespielt, sich nur dem Niveau des ersten torlosen WM-Finales überhaupt angepasst.

Aber dann, im grausamen Nachspiel vom Elfmeterpunkt, war ausgerechnet er es, der den entscheidenden Elfmeter vergab. Wie vor ihm schon die Kollegen Franco Baresi und Daniele Massaro - aber den Letzten beißen die Hunde. Baggio war der fünfte und letzte Schütze, und er musste treffen. Dem Druck war er nicht gewachsen, unmittelbar nach dem Fehlschuss über das Tor sackte der tragische WM-Held in sich zusammen. Damit endeten die Parallelen zu Paolo Rossi, Weltmeister wurde Roberto Baggio nur in seinen Träumen.

Roberto Baggio

Geburtsdatum: 18. Februar 1967 in Caldogno bei Venedig
Länderspiele/Tore:56 Spiele/27 Tore
WM-Spiele/Tore: 16/9
Vereine als Spieler: Lanerossi Vicenza (1982 bis 1985), AC Florenz (1985 bis 1990), Juventus Turin (1990 bis 1995), AC Mailand (1995 bis 1997), AC Bologna (1997/98), Inter Mailand (1998 bis 2000), AC Brescia (2000 bis 2004)
Größte Erfolge im Verein: UEFA-Pokalsieger 1993; Italienischer Meister 1995, 1996; Italienischer Pokalsieger 1995
Auszeichnungen: Weltfußballer des Jahres 1993; Europas Fußballer des Jahres 1993; Italiens Fußballer des Jahres 2001