Aus Hamburger Dern wird Hamburger Jung

95 Prozent. So hoch ist der Anteil jener, die angaben, dass der Sport ein Problem mit Homo- und Transphobie hat. 81 Prozent haben das Gefühl, dass homo- und transphobe Sprache nach wie vor im Sport präsent sind. Das sind die Erkenntnisse einer Studie in Deutschland im Rahmen des europaweiten Projekts Outsport. Wie der Fußball einen Beitrag leisten kann, um Vorurteile abzubauen, vielleicht sogar Hass einzudämmen, und wie man im Ernstfall als Zeug*in eines transfeindlichen Angriffs reagieren sollte - darum ging es beim DFB-Fachaustausch "Geschlechtliche Vielfalt I: trans*, inter*, divers" vor wenigen Tagen.

Luca Erhardt ist 25 Jahre alt. Seine Eltern wanderten aus Palästina nach Deutschland ein. Ihre Tochter Nagat kam in Hamburg zur Welt. Bereits im Teenie-Alter wurde ihm jedoch bewusst, dass die Zuordnung als Frau sich nicht stimmig anfühlt, denn das "Hamburger Dern" ist ein "Hamburger Jung". Seit vier Jahren hat Luca den Personenstand "Mann". Der Erzieher, der pädagogisch in einer stationären Wohngruppe arbeitet, war eine*r von 60 Teilnehmer*innen des DFB-Fachaustauschs. "Ich war erstmal geplättet, wie viele Expert*innen an dem Thema geschlechtliche Vielfalt dran sind. Das ist alles sehr supportend."

Luca Erhardt hatte vor der Transition in Hamburg Fußball in einer Landesliga gespielt. Durch seinen neuen Personenstand war er dort nicht mehr spielberechtigt. Zweimal versuchte er anschließend in einer Männermannschaft aktiv zu werden. "'Spiel den Ball nicht wie 'ne Pussy', so Sprüche fielen da. Man steckt noch in der Transition, man muss erstmal emotional klarkommen. Da haut einen so ein Spruch total um. Ich habe mich dann zurückgezogen", erzählt er.

Verdopplung der Geschlechtsangleichungen

Die Zahl der Geschlechtsangleichungen in Deutschland hat sich laut eines Berichts der Süddeutschen Zeitung in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt, von rund 800 auf mehr als 2000 pro Jahr. Das Trans*sexuellengesetz (TSG) regelt, dass eine Person seit mindestens drei Jahren im angeglichenen Geschlecht gelebt haben muss, bevor eine Änderung des Personenstands vorgenommen wird. Ein Prozess, der nicht nur emotional, sondern auch finanziell nicht einfach ist. Die Kosten können sich auf weit über 1000 Euro belaufen. Doch nicht nur trans* Personen haben es im Sport schwer. Auch intersexuelle Menschen finden kaum Beachtung. Prominentes Beispiel: Caster Semanya, die gerade vor den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen ist, um für ihre Rechte als inter* Athletin einzutreten. Intersexualität bezeichnet Menschen, deren körperliche Merkmale sich nicht eindeutig als "männlich" oder "weiblich" zuordnen lassen. Der Gesetzgeber hat hierfür 2018 die Kategorie "divers" geschaffen.

Von den Fußballverbänden wird daher verstärkt eine Liberalisierung des Spielrechts eingefordert. Trans*- und intergeschlechtlichen Personen soll ermöglicht werden, entsprechend ihrer Geschlechtsidentität zu entscheiden, ob sie im Frauen- oder Männerspielbetrieb antreten möchten. Vorreiter bei diesen Bemühungen ist der Berliner Fußballverband. Eine durch Präsidiumsbeschluss aufgegleiste Arbeitsgruppe unter dem Dach des DFB soll die Frage nach dem Spielrecht nun rasch weiterentwickeln.

"Mein Traum wäre es, dass in Hamburg eine LBGTIQ*+-Liga aufmacht", sagt Luca Erhardt. "Es würde sicher viele diverse Menschen geben, die ein Angebot des Hamburger Fußball-Verbandes annehmen würden." Wie es gehen kann, zeigt aktuell der Deutsche Hockey-Bund, der sich an den Richtlinien des Berliner Fußball-Verbandes orientiert hat und sich für trans*, inter*, divers geöffnet hat. Johannes Anzeneder aus dem Bundesjugendvorstand des Deutschen Hockey-Bund stellte beim Fachaustausch die neue Spielordnung vor.

"Ich hatte keine Vorbilder"

Dabei widerspricht Luca Erhardt dem Verdacht, dass zuviel Zeitgeist im Thema steckt und manche Jugendliche einen Prozess beginnen, den sie später bereuen. Dass sich die Zahl der Geschlechtsangleichungen binnen zehn Jahren verdoppelt hat, erklärt er sich durch die "Chancen, die man heute hat, über das Thema zu sprechen, das nicht wegzudrücken. Ich stand damals jahrelang allein, da war keiner an meiner Seite, mit dem ich mich hätte austauschen können. So komisch das klingt, aber ich hatte keine Vorbilder." Luca Erhardt lobt die Arbeit des Magnus-Hirschfeld-Centrums in Hamburg: "Die haben hier viel geleistet, auch mit ihrer Kritik am TSG."

Es ist Bewegung erkennbar. Zuletzt widmeten sich der Kicker und 11Freunde den Missständen durch Homophobie und Transphobie im Fußball. Die NDR-Doku "Testosterongesteuert" berichtete über die Fußballlaufbahn zweier Hamburger trans* Männer. Und im Januar nahm die vom DFB finanzierte nationale Kompetenz- und Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ihre Arbeit auf.

Luca Erhardt blickt dennoch nur verhalten optimistisch in die Zukunft. "Das darf kein Alibivorgehen sein. Ich habe die Sorge, dass alles nur für eine kurzfristige Außenwirkung gemacht wird." Die Regelung des Spielrechts wäre eine langfristige Maßnahme.

[th]

95 Prozent. So hoch ist der Anteil jener, die angaben, dass der Sport ein Problem mit Homo- und Transphobie hat. 81 Prozent haben das Gefühl, dass homo- und transphobe Sprache nach wie vor im Sport präsent sind. Das sind die Erkenntnisse einer Studie in Deutschland im Rahmen des europaweiten Projekts Outsport. Wie der Fußball einen Beitrag leisten kann, um Vorurteile abzubauen, vielleicht sogar Hass einzudämmen, und wie man im Ernstfall als Zeug*in eines transfeindlichen Angriffs reagieren sollte - darum ging es beim DFB-Fachaustausch "Geschlechtliche Vielfalt I: trans*, inter*, divers" vor wenigen Tagen.

Luca Erhardt ist 25 Jahre alt. Seine Eltern wanderten aus Palästina nach Deutschland ein. Ihre Tochter Nagat kam in Hamburg zur Welt. Bereits im Teenie-Alter wurde ihm jedoch bewusst, dass die Zuordnung als Frau sich nicht stimmig anfühlt, denn das "Hamburger Dern" ist ein "Hamburger Jung". Seit vier Jahren hat Luca den Personenstand "Mann". Der Erzieher, der pädagogisch in einer stationären Wohngruppe arbeitet, war eine*r von 60 Teilnehmer*innen des DFB-Fachaustauschs. "Ich war erstmal geplättet, wie viele Expert*innen an dem Thema geschlechtliche Vielfalt dran sind. Das ist alles sehr supportend."

Luca Erhardt hatte vor der Transition in Hamburg Fußball in einer Landesliga gespielt. Durch seinen neuen Personenstand war er dort nicht mehr spielberechtigt. Zweimal versuchte er anschließend in einer Männermannschaft aktiv zu werden. "'Spiel den Ball nicht wie 'ne Pussy', so Sprüche fielen da. Man steckt noch in der Transition, man muss erstmal emotional klarkommen. Da haut einen so ein Spruch total um. Ich habe mich dann zurückgezogen", erzählt er.

Verdopplung der Geschlechtsangleichungen

Die Zahl der Geschlechtsangleichungen in Deutschland hat sich laut eines Berichts der Süddeutschen Zeitung in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt, von rund 800 auf mehr als 2000 pro Jahr. Das Trans*sexuellengesetz (TSG) regelt, dass eine Person seit mindestens drei Jahren im angeglichenen Geschlecht gelebt haben muss, bevor eine Änderung des Personenstands vorgenommen wird. Ein Prozess, der nicht nur emotional, sondern auch finanziell nicht einfach ist. Die Kosten können sich auf weit über 1000 Euro belaufen. Doch nicht nur trans* Personen haben es im Sport schwer. Auch intersexuelle Menschen finden kaum Beachtung. Prominentes Beispiel: Caster Semanya, die gerade vor den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen ist, um für ihre Rechte als inter* Athletin einzutreten. Intersexualität bezeichnet Menschen, deren körperliche Merkmale sich nicht eindeutig als "männlich" oder "weiblich" zuordnen lassen. Der Gesetzgeber hat hierfür 2018 die Kategorie "divers" geschaffen.

Von den Fußballverbänden wird daher verstärkt eine Liberalisierung des Spielrechts eingefordert. Trans*- und intergeschlechtlichen Personen soll ermöglicht werden, entsprechend ihrer Geschlechtsidentität zu entscheiden, ob sie im Frauen- oder Männerspielbetrieb antreten möchten. Vorreiter bei diesen Bemühungen ist der Berliner Fußballverband. Eine durch Präsidiumsbeschluss aufgegleiste Arbeitsgruppe unter dem Dach des DFB soll die Frage nach dem Spielrecht nun rasch weiterentwickeln.

"Mein Traum wäre es, dass in Hamburg eine LBGTIQ*+-Liga aufmacht", sagt Luca Erhardt. "Es würde sicher viele diverse Menschen geben, die ein Angebot des Hamburger Fußball-Verbandes annehmen würden." Wie es gehen kann, zeigt aktuell der Deutsche Hockey-Bund, der sich an den Richtlinien des Berliner Fußball-Verbandes orientiert hat und sich für trans*, inter*, divers geöffnet hat. Johannes Anzeneder aus dem Bundesjugendvorstand des Deutschen Hockey-Bund stellte beim Fachaustausch die neue Spielordnung vor.

"Ich hatte keine Vorbilder"

Dabei widerspricht Luca Erhardt dem Verdacht, dass zuviel Zeitgeist im Thema steckt und manche Jugendliche einen Prozess beginnen, den sie später bereuen. Dass sich die Zahl der Geschlechtsangleichungen binnen zehn Jahren verdoppelt hat, erklärt er sich durch die "Chancen, die man heute hat, über das Thema zu sprechen, das nicht wegzudrücken. Ich stand damals jahrelang allein, da war keiner an meiner Seite, mit dem ich mich hätte austauschen können. So komisch das klingt, aber ich hatte keine Vorbilder." Luca Erhardt lobt die Arbeit des Magnus-Hirschfeld-Centrums in Hamburg: "Die haben hier viel geleistet, auch mit ihrer Kritik am TSG."

Es ist Bewegung erkennbar. Zuletzt widmeten sich der Kicker und 11Freunde den Missständen durch Homophobie und Transphobie im Fußball. Die NDR-Doku "Testosterongesteuert" berichtete über die Fußballlaufbahn zweier Hamburger trans* Männer. Und im Januar nahm die vom DFB finanzierte nationale Kompetenz- und Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ihre Arbeit auf.

Luca Erhardt blickt dennoch nur verhalten optimistisch in die Zukunft. "Das darf kein Alibivorgehen sein. Ich habe die Sorge, dass alles nur für eine kurzfristige Außenwirkung gemacht wird." Die Regelung des Spielrechts wäre eine langfristige Maßnahme.

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