"Am besten schicken wir die Punkte gleich mit der Post"

Es sind Duelle, die sich ins kollektive Gedächtnis der Fußballfans eingebrannt haben. Spiele für die ganz großen Emotionen - Begeisterung und Entsetzen, Siegestaumel und tiefe Trauer. Begegnungen, die Millionen von Menschen in ihren Bann ziehen, jedes Mal aufs Neue. Unvergessene Momente der Bundesligahistorie, 90 Minuten für die Ewigkeit, die normale Partien zu Klassikern gemacht haben.

Ein Spiel und seine Geschichte: In einer neuen Serie schaut der DFB.de-Autor und Historiker Udo Muras immer donnerstags während der Saison in die Chronik von ganz besonderen Bundesligaduellen, die aktuell anstehen. Heute: FC Bayern gegen Kaiserslautern.

Die Angst vor dem Betzenberg

Auf dem Papier ist es eine klare Angelegenheit: Meister gegen Aufsteiger, das ist in der Sprache der Tototipper eine glatte Eins. Doch die Paarung Bayern München gegen 1. FC Kaiserslautern bezieht ihren besonderen Reiz aus der Vergangenheit und den Erinnerungen, die sie weckt. Traditionell brisant sozusagen.

Es gab sogar mal eine Zeit, da hatten die Bayern vor keinem anderen Klub mehr Angst als vor dem FCK. „Am besten schicken wir die Punkte gleich mit der Post“, hatte Paul Breitner 1982 nach einer der schon obligatorischen Niederlagen am Betzenberg gesagt. Und auch im Hinspiel dieser Saison erlebten die Bayern wieder ihren Reinfall in der Pfalz - sie verloren mit 0:2. Fast wie früher.

Gerd Müller, der Lautern-Schreck

Die Premiere ging an die Bayern, die schon als Aufsteiger eine Macht waren und am 20. 11. 1965 in München 3:0 gewannen. Kein Geringerer als Gerd Müller eröffnete den Torreigen, das erste von mittlerweile 148 Bayern-Toren gegen Kaiserslautern war ein strammer Drehschuss unter die Latte. Der kommende Bomber der Nation entdeckte eine neue Leidenschaft an diesem Herbsttag: Insgesamt 18 Bundesligatore erzielte er gegen die Pfälzer, das hat kein anderer Spieler mehr geschafft.

Gerd Müller, der Lautern-Schreck. Schon beim nächsten Heimspiel (5:0) traf er viermal, ehe er sich im Mai 1973 (6:0) mit fünf Toren selbst übertraf. Es war zugleich der höchste von 32 Bayern-Heimsiegen gegen den FCK, der in München nur vier Mal gewinnen konnte und vier Remis holte. Anders ausgedrückt: Bayern gewann 80 Prozent der Heimspiele.

Aber auch Kaiserslautern hatte seinen Heimvorteil, zwischen 1975 und 1982 holte Bayern dort nur zwei Punkte und noch immer ist die Bilanz des Rekordmeisters am „Betze“ eindeutig negativ (12-11-18). Nur in Bremen (19-mal) haben sie noch öfter verloren.

Rekord schon im ersten Bayern-Gastspiel

Kennzeichnend waren beinahe schon regelmäßige Turbulenzen auf dem Betzenberg. Gleich beim ersten Bayern-Gastspiel in Kaiserslautern am 23. April 1966 (1:2) gab es einen fast 30 Jahre währenden Rekord: Schiedsrichter Horst Herden aus Hamburg stellte vier Spieler vom Platz.

Weil drei vom FCK waren und er diesem zudem einen Handelfmeter in vorletzter Minute versagte, brauchte Herr Herden „den stärksten Polizeischutz, den man in Kaiserslautern jemals erlebte“ (Sport Magazin). Lauterns Trainer Gyula Lorant regte an „ob nicht auch Schiedsrichter vor einem Spiel auf ihren Gesundheitszustand zu untersuchen sind“.

Drei Jahre nach ihm brauchte auch Kollege Regely aus Berlin Polizeischutz. Er hatte es gewagt, gleich drei Lauterer Tore abzuerkennen, so dass dem feststehenden Meister im Mai 1969 ein Punkt (0:0) blieb. Gyula Lorant war immer noch Trainer, diesmal aber sagte er nichts gegen den Unparteiischen. Denn er hatte sich während der Partie heiser gebrüllt und ließ sich auf der Pressekonferenz vertreten.

Das legendäre 7:4 - drei Tore von Seppl Pirrung

Besonders hoch her ging es am 20. Oktober 1973. Da kam es am Betzenberg zum denkwürdigsten Spiel dieses Duells, das von der Sportbild dieser Tage erst zum „geilsten Spiel aller Zeiten“ gekürt wurde. Bayern-Fans dürften nach dem 4:7 wohl anderer Meinung sein.

Souverän führte der Meister damals nach 58 Minuten 4:1 - das Spiel schien entschieden. War es aber nicht. In 31 Minuten schlug der Ball sechsmal im Tor von Sepp Maier ein - auch das war Bundesligarekord -, und Bayern verlor noch 4:7. Der Name Seppl Pirrung ist mit diesem Oktober-Samstag untrennbar verbunden, der kleine Dribbler erzielte drei Tore im größten Spiel seiner Karriere.

Oft verschwiegen wird, dass die Gäste nach dem Platzverweis für den zweimaligen Torschützen Bernd Gersdorff die letzte Viertelstunde in Unterzahl bestreiten mussten. Da stand es noch 4:4, dann schossen Verteidiger Ernst Diehl und Stürmer Herbert Laumen (2) noch drei Treffer in den Kasten von Nationaltorwart Sepp Maier, der auf der Rückfahrt sinnierte, künftig sein Tor „mit Brettern zu vernageln“.

Freudentränen hier, Fassungslosigkeit dort

Auf der Bank vergoss der junge FCK-Trainer Freudentränen, Erich Ribbeck sprach vom „größten Tag meiner Laufbahn“. FCB-Kollege Udo Lattek musste sich zurückhalten, war aber „nahe daran, heute einige Spieler öffentlich anzugreifen.“ Nur das bevorstehende Europacupspiel gegen Dynamo Dresden hielt ihn davon ab. Franz Beckenbauer war die Ratlosigkeit in Person: „Ich habe keine Erklärung dafür, ich stehe vor einem Rätsel.“

Bayern-Manager Robert Schwan sprach von einer „Tragödie“ und betonte: „Man kann auch nicht sagen, irgendeiner anderen Mannschaft passiert das auch einmal. Wir sind nicht irgendeine Mannschaft.“

In der Tat, am Ende der Saison wurden fünf der Verlierer von Kaiserslautern Weltmeister, Europacupsieger und Deutscher Meister, nur dem verletzten Paul Breitner blieb die Schmach erspart. Nie hat der FC Bayern in einem Bundesligaspiel mehr Tore kassiert als damals in der Pfalz, zweimal wurde der Minuswert noch eingestellt.

Rote Teufel werden zum Angstgegner

Überhaupt gelten die Siebziger als das torreichste Jahrzehnt der Bundesliga - daran hatte das pfälzisch-bajuwarische Duell großen Anteil. Am 9. November 1974 etwa gab es den nächsten Rekord. Erstmals schoss eine Gastmannschaft fünf Tore im 1972 erbauten Münchner Olympiastadion: Kaiserslautern siegte 5:2, übrigens ganz in blau.

Am 10. April 1976 beim 3:4 wurde der FCK endgültig zu Bayerns Angstgegner. 3:1 stand es nach 54 Minuten für die Münchner, doch nach zwei Toren von Klaus Toppmöller und einem von Hannes Riedl lachten am Ende wieder die Lauterer. Bayern-Trainer Dettmar Cramer grollte: „So etwas sieht man bei keiner Schülermannschaft.“

In den 70er-Jahren gab es auch die höchste Bayern-Pleite überhaupt gegen die Roten Teufel: ein 0:5 am 29. April 1978. Der Respekt vor dem Betzenberg wurde in jenen Jahren so groß, dass selbst Breitner und Rummenigge immer die Augen schlossen, wenn der Bus am Bronze-Teufel vor dem Stadion vorbeifuhr. Die Bayern mussten sich also etwas einfallen lassen gegen ihren Betze-Komplex.

FCB: In blau-gelben Trikots klappt´s

Als Udo Lattek 1983 zu seiner zweiten Amtszeit antrat, nahm er sich des Problems an. Sein Griff in die Klamottenkiste war zugleich einer in die Psycho-Trickkiste. Die Zuschauer wunderten sich jedenfalls sehr. Waren das überhaupt die Bayern, die da am 26. November 1983 auf dem Kaiserslauterer Betzenberg aufliefen? Ja, sie waren es, aber gut getarnt. Trieben sie doch mit ihren Vereinsfarben Schindluder und erschienen im gelb-blauen "Brasilien-Jersey".

Prompt riss die unheimliche Serie. Jean-Marie Pfaff hielt einen Elfmeter von Andreas Brehme, Klaus Augenthaler schoss das einzige Tor des Tages. Es folgten zwei weitere Siege in Kaiserslautern, nicht mehr ganz im Brasilien-Dress, aber immerhin noch mit der hellblauen Hose.

Um ihre Angst zu besiegen, brachen die Bayern also sogar mit einem Tabu und trugen die Farben des Lokalrivalen 1860 München. Latteks Trikottrick bannte den Fluch ein Weilchen, bis 1990 gab es dort nur eine Niederlage. Dann gewann der Berg seinen Schrecken zurück.

Erst Bayern besiegt, dann die Schale gewonnen

Wie am 23. März 1991 beim 2:1 für die Pfäzer. Vom unbesonnenen Jung-Star Stefan Effenberg aufgeheizt („Kaiserslautern Meister? Da kann ich nur drüber lachen“), brodelte es im Stadion wie in einer Hexenküche. Diesmal war es auch noch ein Spitzenspiel - Zweiter gegen Erster.

Und was für eins: Nachdem Bayerns Manfred Bender Rot gesehen hatte, gab es köstliche Szenen: Der Bayern-Masseur griff sich FCK-Stürmer Stefan Kuntz, dem Roland Grahammer dann in den Hintern trat. Ein Zuschauer zog Bayerns Jürgen Kohler an den Haaren, selbst sein Trainer Jupp Heynckes wurde mittels Kniecheck gegen einen Ordner tätlich.

Und wieder war ein Schiedsrichter auf der Flucht: Nicht vor den Fans diesmal, aber vor den Journalisten. Referee Assenmacher wollte den Platzverweis für Bender und den verweigerten Bayern-Elfmeter öffentlich nicht begründen und verließ das Stadion über die Hintertür der FCK-Geschäftsstelle. Am Ende wurde Lautern tatsächlich Meister.

Theater und Titelträume

Auch das nächste echte Spitzenspiel ging an die Pfälzer. An einem Donnerstag im April 1994 wurde der kommende Meister unter Trainer Franz Beckenbauer mit 0:4 am Betzenberg gerupft und die Titelfrage vertagt. Alle Tore fielen nach der Pause, Martin Wagner, Pavel Kuka (2) und Ciriaco Sforza trafen im ersten Bundesligaduell dieser Klubs, das live übertragen wurde. Bayerns heutiger Sportdirektor Christian Nerlinger stand selbst auf dem Platz, nach 18 Minuten bereits wurde er für Christian Ziege eingewechselt.

Nach dem Spiel war die Meisterschaft wieder spannend, der FCK lag nur zwei Punkte zurück, seine Fans sangen Meisterlieder und Trainer Friedel Rausch hatte Oberwasser: „Ich hoffe, dass durch das 0:4 bei Bayern Unruhe reinkommt, Franz Theater macht, ein paar Leute rausschmeißt und wir davon profitieren.“ Theater gab es, aber Meister wurde Bayern. Wie so oft.

Auswärtssieg im Meisterjahr des Aufsteigers

1998 nicht - und das lag nicht unwesentlich am Start. Bis heute unvergesslich ist für die FCK-Fans der 2. August 1997, als Trainer Otto Rehhagel mit dem Aufsteiger 1:0 beim Meister gewann. Michael Schjönberg-Christensen erzielte das einzige Tor, und Rehhagel tanzte vor Glück auf dem Rasen des Olympiastadions. Es war seine größte Genugtuung, weil die Bayern ihn 1996 nach nur neun Monaten entlassen hatten.

Und es war das Startsignal für eine der größten Bundesligasensationen: Kaiserslautern wurde Meister, das hatte bis dahin noch kein Neuling geschafft - und seitdem auch nicht. Danach allerdings hat der FCK in München nur noch einen Zähler geholt und zuletzt dort sechsmal in Serie verloren.

Knapp war es trotzdem zuweilen, wie bei der letzten Aufführung am 11. Dezember 2005. Zwar spielte der Erste gegen den Letzten, aber hätte Oliver Kahn nicht den Elfmeter von Ervin Skela gehalten, dann… So reichte es für Bayern zu einem 2:1 und zur Herbstmeisterschaft mit einem Rekordergebnis von 41 Punkten nach 16 Spieltagen.

Krönung auf dem Betzenberg

Im Rückspiel wurden die Bayern dann ausgerechnet in dem Stadion, dass sie fürchten wie die Roten Teufel das Weihwasser, zum zweiten Mal in Folge Deutscher Meister. Waren sie 2005 durch ein müheloses 4:0 bereits Ende April am Ziel angelangt, war es im Mai 2006 knapper. Das wichtigste Tor in der Karriere des Andreas Ottl zum 1:1-Endstand machte den Titelgewinn perfekt.

In ihrer Freude waren sie diesmal aber etwas zurückhaltender. Denn für den FCK war das Remis fast gleichbedeutend mit dem Abstieg. FCB-Manager Uli Hoeneß hatte schon vorher darauf hingewiesen, man möge auf die Gefühle der Lauterer Anhänger Rücksicht nehmen und keine ausgelassenen Feiern auf dem Rasen zelebrieren.

Eine Geste mit Stil

Bemerkenswert bei der Vorgeschichte - noch im März 2002 hatte Hoeneß nach einem hitzigen 0:0-Fight festgestellt: „Die Zuschauer führen sich auf wilde Tiere.“ Trotzdem war der Meister zu dieser Geste fähig. Das hatte Stil.

Ewigen Dank durften die Bayern dafür aber nicht erwarten, und als der FCK nach vier langen Jahren aus der 2. Bundesliga zurückkehrte, knüpfte er im ersten Heimspiel am zweiten Spieltag der laufenden Saison gleich wieder an die guten alten Zeiten an: Meister Bayern wurde trotz Feldüberlegenheit mit 2:0 geschlagen. Gästetrainer Louis van Gaal fand es „unglaublich“. Er kannte die Geschichte dieses Spiels eben noch nicht.

[um]

[bild1]

Es sind Duelle, die sich ins kollektive Gedächtnis der Fußballfans eingebrannt haben. Spiele für die ganz großen Emotionen - Begeisterung und Entsetzen, Siegestaumel und tiefe Trauer. Begegnungen, die Millionen von Menschen in ihren Bann ziehen, jedes Mal aufs Neue. Unvergessene Momente der Bundesligahistorie, 90 Minuten für die Ewigkeit, die normale Partien zu Klassikern gemacht haben.

Ein Spiel und seine Geschichte: In einer neuen Serie schaut der DFB.de-Autor und Historiker Udo Muras immer donnerstags während der Saison in die Chronik von ganz besonderen Bundesligaduellen, die aktuell anstehen. Heute: FC Bayern gegen Kaiserslautern.

Die Angst vor dem Betzenberg

Auf dem Papier ist es eine klare Angelegenheit: Meister gegen Aufsteiger, das ist in der Sprache der Tototipper eine glatte Eins. Doch die Paarung Bayern München gegen 1. FC Kaiserslautern bezieht ihren besonderen Reiz aus der Vergangenheit und den Erinnerungen, die sie weckt. Traditionell brisant sozusagen.

Es gab sogar mal eine Zeit, da hatten die Bayern vor keinem anderen Klub mehr Angst als vor dem FCK. „Am besten schicken wir die Punkte gleich mit der Post“, hatte Paul Breitner 1982 nach einer der schon obligatorischen Niederlagen am Betzenberg gesagt. Und auch im Hinspiel dieser Saison erlebten die Bayern wieder ihren Reinfall in der Pfalz - sie verloren mit 0:2. Fast wie früher.

Gerd Müller, der Lautern-Schreck

Die Premiere ging an die Bayern, die schon als Aufsteiger eine Macht waren und am 20. 11. 1965 in München 3:0 gewannen. Kein Geringerer als Gerd Müller eröffnete den Torreigen, das erste von mittlerweile 148 Bayern-Toren gegen Kaiserslautern war ein strammer Drehschuss unter die Latte. Der kommende Bomber der Nation entdeckte eine neue Leidenschaft an diesem Herbsttag: Insgesamt 18 Bundesligatore erzielte er gegen die Pfälzer, das hat kein anderer Spieler mehr geschafft.

Gerd Müller, der Lautern-Schreck. Schon beim nächsten Heimspiel (5:0) traf er viermal, ehe er sich im Mai 1973 (6:0) mit fünf Toren selbst übertraf. Es war zugleich der höchste von 32 Bayern-Heimsiegen gegen den FCK, der in München nur vier Mal gewinnen konnte und vier Remis holte. Anders ausgedrückt: Bayern gewann 80 Prozent der Heimspiele.

Aber auch Kaiserslautern hatte seinen Heimvorteil, zwischen 1975 und 1982 holte Bayern dort nur zwei Punkte und noch immer ist die Bilanz des Rekordmeisters am „Betze“ eindeutig negativ (12-11-18). Nur in Bremen (19-mal) haben sie noch öfter verloren.

Rekord schon im ersten Bayern-Gastspiel

Kennzeichnend waren beinahe schon regelmäßige Turbulenzen auf dem Betzenberg. Gleich beim ersten Bayern-Gastspiel in Kaiserslautern am 23. April 1966 (1:2) gab es einen fast 30 Jahre währenden Rekord: Schiedsrichter Horst Herden aus Hamburg stellte vier Spieler vom Platz.

Weil drei vom FCK waren und er diesem zudem einen Handelfmeter in vorletzter Minute versagte, brauchte Herr Herden „den stärksten Polizeischutz, den man in Kaiserslautern jemals erlebte“ (Sport Magazin). Lauterns Trainer Gyula Lorant regte an „ob nicht auch Schiedsrichter vor einem Spiel auf ihren Gesundheitszustand zu untersuchen sind“.

Drei Jahre nach ihm brauchte auch Kollege Regely aus Berlin Polizeischutz. Er hatte es gewagt, gleich drei Lauterer Tore abzuerkennen, so dass dem feststehenden Meister im Mai 1969 ein Punkt (0:0) blieb. Gyula Lorant war immer noch Trainer, diesmal aber sagte er nichts gegen den Unparteiischen. Denn er hatte sich während der Partie heiser gebrüllt und ließ sich auf der Pressekonferenz vertreten.

Das legendäre 7:4 - drei Tore von Seppl Pirrung

Besonders hoch her ging es am 20. Oktober 1973. Da kam es am Betzenberg zum denkwürdigsten Spiel dieses Duells, das von der Sportbild dieser Tage erst zum „geilsten Spiel aller Zeiten“ gekürt wurde. Bayern-Fans dürften nach dem 4:7 wohl anderer Meinung sein.

Souverän führte der Meister damals nach 58 Minuten 4:1 - das Spiel schien entschieden. War es aber nicht. In 31 Minuten schlug der Ball sechsmal im Tor von Sepp Maier ein - auch das war Bundesligarekord -, und Bayern verlor noch 4:7. Der Name Seppl Pirrung ist mit diesem Oktober-Samstag untrennbar verbunden, der kleine Dribbler erzielte drei Tore im größten Spiel seiner Karriere.

Oft verschwiegen wird, dass die Gäste nach dem Platzverweis für den zweimaligen Torschützen Bernd Gersdorff die letzte Viertelstunde in Unterzahl bestreiten mussten. Da stand es noch 4:4, dann schossen Verteidiger Ernst Diehl und Stürmer Herbert Laumen (2) noch drei Treffer in den Kasten von Nationaltorwart Sepp Maier, der auf der Rückfahrt sinnierte, künftig sein Tor „mit Brettern zu vernageln“.

Freudentränen hier, Fassungslosigkeit dort

Auf der Bank vergoss der junge FCK-Trainer Freudentränen, Erich Ribbeck sprach vom „größten Tag meiner Laufbahn“. FCB-Kollege Udo Lattek musste sich zurückhalten, war aber „nahe daran, heute einige Spieler öffentlich anzugreifen.“ Nur das bevorstehende Europacupspiel gegen Dynamo Dresden hielt ihn davon ab. Franz Beckenbauer war die Ratlosigkeit in Person: „Ich habe keine Erklärung dafür, ich stehe vor einem Rätsel.“

Bayern-Manager Robert Schwan sprach von einer „Tragödie“ und betonte: „Man kann auch nicht sagen, irgendeiner anderen Mannschaft passiert das auch einmal. Wir sind nicht irgendeine Mannschaft.“

In der Tat, am Ende der Saison wurden fünf der Verlierer von Kaiserslautern Weltmeister, Europacupsieger und Deutscher Meister, nur dem verletzten Paul Breitner blieb die Schmach erspart. Nie hat der FC Bayern in einem Bundesligaspiel mehr Tore kassiert als damals in der Pfalz, zweimal wurde der Minuswert noch eingestellt.

Rote Teufel werden zum Angstgegner

Überhaupt gelten die Siebziger als das torreichste Jahrzehnt der Bundesliga - daran hatte das pfälzisch-bajuwarische Duell großen Anteil. Am 9. November 1974 etwa gab es den nächsten Rekord. Erstmals schoss eine Gastmannschaft fünf Tore im 1972 erbauten Münchner Olympiastadion: Kaiserslautern siegte 5:2, übrigens ganz in blau.

Am 10. April 1976 beim 3:4 wurde der FCK endgültig zu Bayerns Angstgegner. 3:1 stand es nach 54 Minuten für die Münchner, doch nach zwei Toren von Klaus Toppmöller und einem von Hannes Riedl lachten am Ende wieder die Lauterer. Bayern-Trainer Dettmar Cramer grollte: „So etwas sieht man bei keiner Schülermannschaft.“

In den 70er-Jahren gab es auch die höchste Bayern-Pleite überhaupt gegen die Roten Teufel: ein 0:5 am 29. April 1978. Der Respekt vor dem Betzenberg wurde in jenen Jahren so groß, dass selbst Breitner und Rummenigge immer die Augen schlossen, wenn der Bus am Bronze-Teufel vor dem Stadion vorbeifuhr. Die Bayern mussten sich also etwas einfallen lassen gegen ihren Betze-Komplex.

FCB: In blau-gelben Trikots klappt´s

Als Udo Lattek 1983 zu seiner zweiten Amtszeit antrat, nahm er sich des Problems an. Sein Griff in die Klamottenkiste war zugleich einer in die Psycho-Trickkiste. Die Zuschauer wunderten sich jedenfalls sehr. Waren das überhaupt die Bayern, die da am 26. November 1983 auf dem Kaiserslauterer Betzenberg aufliefen? Ja, sie waren es, aber gut getarnt. Trieben sie doch mit ihren Vereinsfarben Schindluder und erschienen im gelb-blauen "Brasilien-Jersey".

Prompt riss die unheimliche Serie. Jean-Marie Pfaff hielt einen Elfmeter von Andreas Brehme, Klaus Augenthaler schoss das einzige Tor des Tages. Es folgten zwei weitere Siege in Kaiserslautern, nicht mehr ganz im Brasilien-Dress, aber immerhin noch mit der hellblauen Hose.

Um ihre Angst zu besiegen, brachen die Bayern also sogar mit einem Tabu und trugen die Farben des Lokalrivalen 1860 München. Latteks Trikottrick bannte den Fluch ein Weilchen, bis 1990 gab es dort nur eine Niederlage. Dann gewann der Berg seinen Schrecken zurück.

Erst Bayern besiegt, dann die Schale gewonnen

Wie am 23. März 1991 beim 2:1 für die Pfäzer. Vom unbesonnenen Jung-Star Stefan Effenberg aufgeheizt („Kaiserslautern Meister? Da kann ich nur drüber lachen“), brodelte es im Stadion wie in einer Hexenküche. Diesmal war es auch noch ein Spitzenspiel - Zweiter gegen Erster.

Und was für eins: Nachdem Bayerns Manfred Bender Rot gesehen hatte, gab es köstliche Szenen: Der Bayern-Masseur griff sich FCK-Stürmer Stefan Kuntz, dem Roland Grahammer dann in den Hintern trat. Ein Zuschauer zog Bayerns Jürgen Kohler an den Haaren, selbst sein Trainer Jupp Heynckes wurde mittels Kniecheck gegen einen Ordner tätlich.

Und wieder war ein Schiedsrichter auf der Flucht: Nicht vor den Fans diesmal, aber vor den Journalisten. Referee Assenmacher wollte den Platzverweis für Bender und den verweigerten Bayern-Elfmeter öffentlich nicht begründen und verließ das Stadion über die Hintertür der FCK-Geschäftsstelle. Am Ende wurde Lautern tatsächlich Meister.

Theater und Titelträume

Auch das nächste echte Spitzenspiel ging an die Pfälzer. An einem Donnerstag im April 1994 wurde der kommende Meister unter Trainer Franz Beckenbauer mit 0:4 am Betzenberg gerupft und die Titelfrage vertagt. Alle Tore fielen nach der Pause, Martin Wagner, Pavel Kuka (2) und Ciriaco Sforza trafen im ersten Bundesligaduell dieser Klubs, das live übertragen wurde. Bayerns heutiger Sportdirektor Christian Nerlinger stand selbst auf dem Platz, nach 18 Minuten bereits wurde er für Christian Ziege eingewechselt.

Nach dem Spiel war die Meisterschaft wieder spannend, der FCK lag nur zwei Punkte zurück, seine Fans sangen Meisterlieder und Trainer Friedel Rausch hatte Oberwasser: „Ich hoffe, dass durch das 0:4 bei Bayern Unruhe reinkommt, Franz Theater macht, ein paar Leute rausschmeißt und wir davon profitieren.“ Theater gab es, aber Meister wurde Bayern. Wie so oft.

[bild2]

Auswärtssieg im Meisterjahr des Aufsteigers

1998 nicht - und das lag nicht unwesentlich am Start. Bis heute unvergesslich ist für die FCK-Fans der 2. August 1997, als Trainer Otto Rehhagel mit dem Aufsteiger 1:0 beim Meister gewann. Michael Schjönberg-Christensen erzielte das einzige Tor, und Rehhagel tanzte vor Glück auf dem Rasen des Olympiastadions. Es war seine größte Genugtuung, weil die Bayern ihn 1996 nach nur neun Monaten entlassen hatten.

Und es war das Startsignal für eine der größten Bundesligasensationen: Kaiserslautern wurde Meister, das hatte bis dahin noch kein Neuling geschafft - und seitdem auch nicht. Danach allerdings hat der FCK in München nur noch einen Zähler geholt und zuletzt dort sechsmal in Serie verloren.

Knapp war es trotzdem zuweilen, wie bei der letzten Aufführung am 11. Dezember 2005. Zwar spielte der Erste gegen den Letzten, aber hätte Oliver Kahn nicht den Elfmeter von Ervin Skela gehalten, dann… So reichte es für Bayern zu einem 2:1 und zur Herbstmeisterschaft mit einem Rekordergebnis von 41 Punkten nach 16 Spieltagen.

Krönung auf dem Betzenberg

Im Rückspiel wurden die Bayern dann ausgerechnet in dem Stadion, dass sie fürchten wie die Roten Teufel das Weihwasser, zum zweiten Mal in Folge Deutscher Meister. Waren sie 2005 durch ein müheloses 4:0 bereits Ende April am Ziel angelangt, war es im Mai 2006 knapper. Das wichtigste Tor in der Karriere des Andreas Ottl zum 1:1-Endstand machte den Titelgewinn perfekt.

In ihrer Freude waren sie diesmal aber etwas zurückhaltender. Denn für den FCK war das Remis fast gleichbedeutend mit dem Abstieg. FCB-Manager Uli Hoeneß hatte schon vorher darauf hingewiesen, man möge auf die Gefühle der Lauterer Anhänger Rücksicht nehmen und keine ausgelassenen Feiern auf dem Rasen zelebrieren.

Eine Geste mit Stil

Bemerkenswert bei der Vorgeschichte - noch im März 2002 hatte Hoeneß nach einem hitzigen 0:0-Fight festgestellt: „Die Zuschauer führen sich auf wilde Tiere.“ Trotzdem war der Meister zu dieser Geste fähig. Das hatte Stil.

Ewigen Dank durften die Bayern dafür aber nicht erwarten, und als der FCK nach vier langen Jahren aus der 2. Bundesliga zurückkehrte, knüpfte er im ersten Heimspiel am zweiten Spieltag der laufenden Saison gleich wieder an die guten alten Zeiten an: Meister Bayern wurde trotz Feldüberlegenheit mit 2:0 geschlagen. Gästetrainer Louis van Gaal fand es „unglaublich“. Er kannte die Geschichte dieses Spiels eben noch nicht.