Aachen als erster Zweitligist im Pokalfinale

Noch nie hatte ein zweitklassiger Verein das DFB-Pokalendspiel erreicht - bis zu jenem Tag heute vor 55 Jahren. Der erste Störenfried im elitären Kreis der Finalisten kam erst 30 Jahre nach der Premiere 1935: Alemannia Aachen, das 1965 als Regionalligist - damals zweitklassig - alle Hürden überwand und am Tivoli die Bundesligisten Hannover 96 und Schalke 04 eliminierte.

Insbesondere das Halbfinale enthielt alles, was zu einem echten Pokalfight gehört und die Faszination des Duells Klein gegen Groß ausmacht. Mit den eigenen Fans im Rücken wuchs der Kleine über sich hinaus, der Große wurde Opfer seines Leichtsinns und nach dramatischer Wende stand eine Überraschung. Von Sensation wollte man nicht reden, denn allzu große Leistungsunterschiede waren von vorneherein nicht zu erwarten. Während Schalke in der Bundesliga auf dem vorletzten Platz stand, ging Alemannia als beachtlicher Zweiter der Regionalliga West in die Partie. Am Tivoli träumte man in jenen Tagen gleich zwei Träume: den vom ersten Aufstieg in die Bundesliga und den vom zweiten Pokalfinale nach 1953.

1:3 nach 60 Minuten - war's das?

Letzterer wurde am 17. April 1965, einem regnerischen Ostersamstag, wahr. Lange hatte es freilich nicht danach ausgesehen. Nach einer Stunde führte das von Fritz Langner trainierte Schalke am Tivoli mit 3:1, profitierte auch von Aachens Anfangsnervosität, die in einer Vielzahl von Fehlpässen ihren Ausdruck fand. Das Fehlen von Verteidiger Branko Zebec, ein ehemaliger jugoslawischer WM-Spieler und kommender Meistertrainer (Bayern München/Hamburger SV), machte sich zunächst bemerkbar.

Zur Halbzeit stand es 1:1 durch einen Gästetreffer von Waldemar Gerhardt, den der überragende Christian Breuer mit einem nicht unhaltbaren Freistoß nach 28 Minuten ausglich. Der Pausenstand schmeichelte den Alemannen etwas. Dann setzten die Schalker alsbald nach und kamen durch Willi Koslowski (47.) und den späteren Aachener Karl-Heinz Bechmann (53.) zu weiteren Toren. 1:3 nach 60 Minuten - war's das? "Einen 3:1-Vorsprung hätte jede gute Mannschaft halten müssen", sagte Langner. "Dass wir es nicht vermochten, beweist dass irgendetwas nicht im Lot ist."

"Plötzlich erhob sich der Sturm zum Orkan"

Der Bazillus Leichtsinn schlich sich ein, den Langner vergeblich zu bekämpfen suchte, indem er mit dem Team schon drei Tage zuvor ins Trainingslager gegangen war. Aber vielleicht hatten die Spieler auch seinen Satz im Ohr, ihm seien "zwei Punkte in der Bundesliga mehr wert als ein Sieg in Aachen." Der Klassenverbleib hatte Priorität für die Schalker, aber umso fataler war es da, dass das Pokalspiel verlängert wurde. "Alemannia, fast schon k.o., erhob sich wieder. Die Aachener merkten, wie Schalke den Griff lockerte. Plötzlich erhob sich der Sturm zum Orkan", hieß es im kickerFranz-Josef Nacken (60.) und der kurz zuvor noch humpelnde Jupp Martinelli (66.) erzwangen binnen sechs Minuten eine Verlängerung.

Das Momentum lag nun wieder beim Regionalligisten. "Die Verlängerung ließ ahnen, wer dieses Spiel nur gewinnen würde. Eine sich vor Eifer fast zerreißende Aachener Elf, gegen eine müde, ausgepumpte, energielos gewordene Schalker Mannschaft. Die Uhr lief nun für Aachen. Die Zuschauer aber spürten kaum, dass sie bis auf die Haut durchnäßt waren", lesen wir im kicker, dessen Reporter sich von der Faszination dieses Pokalspiels hatte anstecken lassen.

"Dann gehen die Zuschauer demnächst nur noch zum Pokal"

Es half den Schalkern auch wenig, dass sie mit Willi Schulz den Abwehrchef der Nationalmannschaft auf dem Feld hatten, denn "um alle Schnitzer der Abwehr auszubügeln, hätte es noch eines Spielers vom Range eines Schulz bedurft." Stattdessen hatten sie mit Gyula Toth einen unsicheren Torhüter, auf den sich hinterher der Zorn der Verlierer konzentrierte. In der Verlängerung traf dann Breuer (100.) per Hechtkopfball nach Martinelli-Flanke zum entscheidenden 4:3 und brachte das Stadion zum Rasen. Polizisten mussten jubelnde Fans mit Regenschirmen vom Feld holen. Der Tivoli erlebte eine Sternstunde, 32.000 abzüglich der Schalke-Getreuen feierten nach Abpfiff den Finaleinzug. Aus der Schalker Kabine hallten derbe Schimpfworte, die Spieler machten sich gegenseitig Vorwürfe. Und der verletzt zuschauende Günter Karnhof tadelte Toth: "Zwei, drei Treffer waren doch zu halten. Er hat nicht nur dieses Spiel auf dem Gewissen, sondern unseren ganzen Abstieg." Blamierte Verlierer sind oft besonders schlechte.

Alemannia aber feierte, und Trainer Oswald Pfau sang ein Loblied auf den DFB-Pokal: "David hat Goliath geschlagen! Wenn alle Pokalspiele mit so viel Dramatik über die Runden gehen, dann gehen die Zuschauer demnächst nur noch zum Pokal. Ich glaube, das Spiel war ausgesprochen werbend für den Pokal."

Was dennoch mancher bedauerte: Das 4:3 im Halbfinale gegen die Königsblauen verhinderte ein Revierderby im Finale, denn das erreichte Schalkes Erzrivale Borussia Dortmund. Gegen den BVB war aber auch Alemannia nicht gut genug und unterlag in Hannover mit 0:2.

[um]

Noch nie hatte ein zweitklassiger Verein das DFB-Pokalendspiel erreicht - bis zu jenem Tag heute vor 55 Jahren. Der erste Störenfried im elitären Kreis der Finalisten kam erst 30 Jahre nach der Premiere 1935: Alemannia Aachen, das 1965 als Regionalligist - damals zweitklassig - alle Hürden überwand und am Tivoli die Bundesligisten Hannover 96 und Schalke 04 eliminierte.

Insbesondere das Halbfinale enthielt alles, was zu einem echten Pokalfight gehört und die Faszination des Duells Klein gegen Groß ausmacht. Mit den eigenen Fans im Rücken wuchs der Kleine über sich hinaus, der Große wurde Opfer seines Leichtsinns und nach dramatischer Wende stand eine Überraschung. Von Sensation wollte man nicht reden, denn allzu große Leistungsunterschiede waren von vorneherein nicht zu erwarten. Während Schalke in der Bundesliga auf dem vorletzten Platz stand, ging Alemannia als beachtlicher Zweiter der Regionalliga West in die Partie. Am Tivoli träumte man in jenen Tagen gleich zwei Träume: den vom ersten Aufstieg in die Bundesliga und den vom zweiten Pokalfinale nach 1953.

1:3 nach 60 Minuten - war's das?

Letzterer wurde am 17. April 1965, einem regnerischen Ostersamstag, wahr. Lange hatte es freilich nicht danach ausgesehen. Nach einer Stunde führte das von Fritz Langner trainierte Schalke am Tivoli mit 3:1, profitierte auch von Aachens Anfangsnervosität, die in einer Vielzahl von Fehlpässen ihren Ausdruck fand. Das Fehlen von Verteidiger Branko Zebec, ein ehemaliger jugoslawischer WM-Spieler und kommender Meistertrainer (Bayern München/Hamburger SV), machte sich zunächst bemerkbar.

Zur Halbzeit stand es 1:1 durch einen Gästetreffer von Waldemar Gerhardt, den der überragende Christian Breuer mit einem nicht unhaltbaren Freistoß nach 28 Minuten ausglich. Der Pausenstand schmeichelte den Alemannen etwas. Dann setzten die Schalker alsbald nach und kamen durch Willi Koslowski (47.) und den späteren Aachener Karl-Heinz Bechmann (53.) zu weiteren Toren. 1:3 nach 60 Minuten - war's das? "Einen 3:1-Vorsprung hätte jede gute Mannschaft halten müssen", sagte Langner. "Dass wir es nicht vermochten, beweist dass irgendetwas nicht im Lot ist."

"Plötzlich erhob sich der Sturm zum Orkan"

Der Bazillus Leichtsinn schlich sich ein, den Langner vergeblich zu bekämpfen suchte, indem er mit dem Team schon drei Tage zuvor ins Trainingslager gegangen war. Aber vielleicht hatten die Spieler auch seinen Satz im Ohr, ihm seien "zwei Punkte in der Bundesliga mehr wert als ein Sieg in Aachen." Der Klassenverbleib hatte Priorität für die Schalker, aber umso fataler war es da, dass das Pokalspiel verlängert wurde. "Alemannia, fast schon k.o., erhob sich wieder. Die Aachener merkten, wie Schalke den Griff lockerte. Plötzlich erhob sich der Sturm zum Orkan", hieß es im kickerFranz-Josef Nacken (60.) und der kurz zuvor noch humpelnde Jupp Martinelli (66.) erzwangen binnen sechs Minuten eine Verlängerung.

Das Momentum lag nun wieder beim Regionalligisten. "Die Verlängerung ließ ahnen, wer dieses Spiel nur gewinnen würde. Eine sich vor Eifer fast zerreißende Aachener Elf, gegen eine müde, ausgepumpte, energielos gewordene Schalker Mannschaft. Die Uhr lief nun für Aachen. Die Zuschauer aber spürten kaum, dass sie bis auf die Haut durchnäßt waren", lesen wir im kicker, dessen Reporter sich von der Faszination dieses Pokalspiels hatte anstecken lassen.

"Dann gehen die Zuschauer demnächst nur noch zum Pokal"

Es half den Schalkern auch wenig, dass sie mit Willi Schulz den Abwehrchef der Nationalmannschaft auf dem Feld hatten, denn "um alle Schnitzer der Abwehr auszubügeln, hätte es noch eines Spielers vom Range eines Schulz bedurft." Stattdessen hatten sie mit Gyula Toth einen unsicheren Torhüter, auf den sich hinterher der Zorn der Verlierer konzentrierte. In der Verlängerung traf dann Breuer (100.) per Hechtkopfball nach Martinelli-Flanke zum entscheidenden 4:3 und brachte das Stadion zum Rasen. Polizisten mussten jubelnde Fans mit Regenschirmen vom Feld holen. Der Tivoli erlebte eine Sternstunde, 32.000 abzüglich der Schalke-Getreuen feierten nach Abpfiff den Finaleinzug. Aus der Schalker Kabine hallten derbe Schimpfworte, die Spieler machten sich gegenseitig Vorwürfe. Und der verletzt zuschauende Günter Karnhof tadelte Toth: "Zwei, drei Treffer waren doch zu halten. Er hat nicht nur dieses Spiel auf dem Gewissen, sondern unseren ganzen Abstieg." Blamierte Verlierer sind oft besonders schlechte.

Alemannia aber feierte, und Trainer Oswald Pfau sang ein Loblied auf den DFB-Pokal: "David hat Goliath geschlagen! Wenn alle Pokalspiele mit so viel Dramatik über die Runden gehen, dann gehen die Zuschauer demnächst nur noch zum Pokal. Ich glaube, das Spiel war ausgesprochen werbend für den Pokal."

Was dennoch mancher bedauerte: Das 4:3 im Halbfinale gegen die Königsblauen verhinderte ein Revierderby im Finale, denn das erreichte Schalkes Erzrivale Borussia Dortmund. Gegen den BVB war aber auch Alemannia nicht gut genug und unterlag in Hannover mit 0:2.

###more###