5:4 vs. Frankreich: Der "Thriller von Sevilla"

Es ist das Spiel des alten Weltmeisters gegen den neuen: Vor dem Duell mit Frankreich am Donnerstag (ab 20.45 Uhr, live im ZDF) in München wirft DFB.de noch mal einen Blick auf die vier WM-Begegnungen der deutschen Nationalmannschaft mit der Équipe Tricolore. Heute: das WM-Halbfinale 1982.

8. Juli 1982 in Sevilla - Halbfinale: Deutschland - Frankreich 5:4 i.E.

Vor dem Spiel:

Die Spanier hatten Wort gehalten und England am 5. Juli ein 0:0 abgetrotzt. Dadurch erreichte Deutschland sozusagen auf dem Sofa das Halbfinale gegen die überraschend starken Franzosen. "Ich kann mir jetzt erst richtig vorstellen, wie den Algeriern zumute war", sagte Briegel, der wie fast alle Spieler vor dem Fernseher gesessen hatte. Die Förster-Brüder Karlheinz und Bernd und Karl-Heinz Rummenigge gingen ins Stadion, Toni Schumacher ging spazieren und beobachtete eine Ameisenstraße, "die war 15 Meter lang. Toll!" Aber er war der erste, der nach Champagner rief: "Das ist Silvester im Sommer!" Danach warf er zusammen mit Rummenigge und Uwe Reinders einen Agenturjournalisten in den Pool, in den Paul Breitner und Wolfgang Dremmler vor Freude schon hineingehüpft waren - in voller Montur.

Sie waren wieder unter den letzten Vier, aber noch war nicht alles gut. Sechs Tage hatten nicht gereicht, um Rummenigge wieder herzustellen, der angeschlagene Kapitän setzte sich auf die Bank. Überraschend holte Bundestrainer Jupp Derwall für ihn Felix Magath, in der Zwischenrunde nicht eingesetzt, in die Startelf zurück. Hans-Peter Briegel war im Bad auf einer nassen Fliese ausgerutscht und konnte nur unter Schmerzen spielen. Zudem hatte er leichtes Fieber und Schüttelfrost, da er sich wie Karlheinz Förster, Manfred Kaltz, Klaus Fischer, Wolfgang Franke und Wilfried Hannes einen Darmvirus eingefangen hatte. Den robusten Pfälzer hatte es am schlimmsten erwischt,a uch daher lobte Derwall Briegels Opfergang in seiner Biographie: "So reagiert nur einer, der weiß, was er seinen Freunden schuldig ist, denn auch sie hatten gehofft und gebangt." Auch Reinders war angeschlagen, schaffte es diesmal nicht in den 16er-Kader, in den Hansi Müller zurückkehrte. Dremmler erhielt den Spezialauftrag, Franzosen-Star Michel Platini auszuschalten.

Auch die Franzosen waren durch ein Wellenbad der Gefühle gegangen, allerdings ging die Kurve steil nach oben. In der Vorrunde kassierten sie schon nach 30 Sekunden ein Tor gegen England und verloren, kamen mit nur einem Sieg weiter. In der Zwischenrunde hatten sie mit Nordirland und Österreich die leichtesten Gegner aller Halbfinalisten, gewannen beide Spiele und deuteten beim 4:1 gegen die Briten ihre gestiegene spielerische Klasse an. Kein Vergleich mehr zu 1978, wo nach der Vorrunde Schluss gewesen war. Superstar Platini tönte: "Wenn unser Spiel erst mal ins Rollen kommt, sind wir nicht zu stoppen. Jetzt ist alles möglich." Aber das, was dann kam, hatte wohl niemand für möglich gehalten.



Es ist das Spiel des alten Weltmeisters gegen den neuen: Vor dem Duell mit Frankreich am Donnerstag (ab 20.45 Uhr, live im ZDF) in München wirft DFB.de noch mal einen Blick auf die vier WM-Begegnungen der deutschen Nationalmannschaft mit der Équipe Tricolore. Heute: das WM-Halbfinale 1982.

8. Juli 1982 in Sevilla - Halbfinale: Deutschland - Frankreich 5:4 i.E.

Vor dem Spiel:

Die Spanier hatten Wort gehalten und England am 5. Juli ein 0:0 abgetrotzt. Dadurch erreichte Deutschland sozusagen auf dem Sofa das Halbfinale gegen die überraschend starken Franzosen. "Ich kann mir jetzt erst richtig vorstellen, wie den Algeriern zumute war", sagte Briegel, der wie fast alle Spieler vor dem Fernseher gesessen hatte. Die Förster-Brüder Karlheinz und Bernd und Karl-Heinz Rummenigge gingen ins Stadion, Toni Schumacher ging spazieren und beobachtete eine Ameisenstraße, "die war 15 Meter lang. Toll!" Aber er war der erste, der nach Champagner rief: "Das ist Silvester im Sommer!" Danach warf er zusammen mit Rummenigge und Uwe Reinders einen Agenturjournalisten in den Pool, in den Paul Breitner und Wolfgang Dremmler vor Freude schon hineingehüpft waren - in voller Montur.

Sie waren wieder unter den letzten Vier, aber noch war nicht alles gut. Sechs Tage hatten nicht gereicht, um Rummenigge wieder herzustellen, der angeschlagene Kapitän setzte sich auf die Bank. Überraschend holte Bundestrainer Jupp Derwall für ihn Felix Magath, in der Zwischenrunde nicht eingesetzt, in die Startelf zurück. Hans-Peter Briegel war im Bad auf einer nassen Fliese ausgerutscht und konnte nur unter Schmerzen spielen. Zudem hatte er leichtes Fieber und Schüttelfrost, da er sich wie Karlheinz Förster, Manfred Kaltz, Klaus Fischer, Wolfgang Franke und Wilfried Hannes einen Darmvirus eingefangen hatte. Den robusten Pfälzer hatte es am schlimmsten erwischt,a uch daher lobte Derwall Briegels Opfergang in seiner Biographie: "So reagiert nur einer, der weiß, was er seinen Freunden schuldig ist, denn auch sie hatten gehofft und gebangt." Auch Reinders war angeschlagen, schaffte es diesmal nicht in den 16er-Kader, in den Hansi Müller zurückkehrte. Dremmler erhielt den Spezialauftrag, Franzosen-Star Michel Platini auszuschalten.

Auch die Franzosen waren durch ein Wellenbad der Gefühle gegangen, allerdings ging die Kurve steil nach oben. In der Vorrunde kassierten sie schon nach 30 Sekunden ein Tor gegen England und verloren, kamen mit nur einem Sieg weiter. In der Zwischenrunde hatten sie mit Nordirland und Österreich die leichtesten Gegner aller Halbfinalisten, gewannen beide Spiele und deuteten beim 4:1 gegen die Briten ihre gestiegene spielerische Klasse an. Kein Vergleich mehr zu 1978, wo nach der Vorrunde Schluss gewesen war. Superstar Platini tönte: "Wenn unser Spiel erst mal ins Rollen kommt, sind wir nicht zu stoppen. Jetzt ist alles möglich." Aber das, was dann kam, hatte wohl niemand für möglich gehalten.

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Episches Giganten-Duell

Spielbericht:

Je wichtiger es wird bei dieser WM, desto heißer wird es. Das Thermometer an diesem denkwürdigen Donnerstagabend zeigt 35 Grad, und diesmal geht kein Lüftchen. Das Stadion ist ausverkauft, obwohl die Party für die Spanier ja schon vorbei ist. Unter den 63.000 Zuschauern sind rund 5000 Deutsche. Wer kommt, wird es weder bereuen noch je vergessen. Die Zuschauer sehen das Spiel der WM 1982, für manchen ist es das Spiel des Lebens. Es hat Höhen und Tiefen und spitzt sich dramatisch dermaßen zu, dass kein Bericht in den WM-Büchern von vorne anfängt. Auch dieser Bericht nicht.

Freilich würde heute wohl kein Mensch mehr über den sportlichen Unterhaltungswert dieses Halbfinales reden, wenn der 21 Jahre alte französische Verteidiger Manuel Amoros nach exakt 90 Minuten nur ein paar Zentimeter niedriger geschossen hätte. Aber er trifft aus rund 30 Metern nur die Latte des deutschen Tores, das seit der 57. Spielminute jenes Abends einer der in jenen Tagen unbeliebtesten Menschen des Kontinents hütet: Harald Schumacher aus Köln, den alle Toni rufen. Man hätte dann wohl nur noch von ihm gesprochen und davon, dass die Deutschen ihre gerechte Strafe bekommen hätten, damals in Sevilla.

Doch so muss es Verlängerung geben im Stadion Sanchéz Pizjuán, und die Untat des Toni Schumacher gerät für eine unvergessliche Stunde zur Nebensache. Heute fällt sie einem sehr schnell wieder ein, wenn von Sevilla die Rede ist: sein Foul an Patrick Battiston, dem er beim Herauslaufen in Rettungsabsicht mit dem Hüftknochen voraus mit voller Wucht ins Gesicht gesprungen ist. Es gibt weder einen Elfmeter noch eine Gelbe Karte. Battiston ist zu Boden gegangen, aber der Ball neben das Tor. Battiston ist besinnungslos, aber Deutschland hält das 1:1 in dem schon da gigantischen Ringen.

Schumacher scheint der Spielstand wichtiger als der Zustand des Mittelfeldspielers von AS St. Etienne, der vom Platz getragen werden muss, dessen Halswirbel angeknackst ist, dem zwei Schneidezähne fehlen. Kaugummikauend steht der Keeper vor lauter Verlegenheit am Torpfosten, reglos und scheinbar auch sorglos. In seiner Biographie wird er 1987 schreiben: "Das war Feigheit. Vielleicht war ich da zum ersten Mal in meinem Leben wirklich feige." Frankreichs Mannschaftsarzt Maurive Vrillacc ist sofort bei Battiston und sagt den Reportern später: "Ich habe gedacht, er ist tot. Zwei Minuten lang habe ich keinen Puls gespürt." Noch ist die Dimension der Tat nicht klar. "Der rechte Arm hängt schlaff herab, es sind Bewegungen da", diagnostiziert von der Reportertribüne ZDF-Kommentator Rolf Kramer, dem es in diesem Moment aber nicht am Verständnis für den Torwart fehlt: "Toni Schumacher musste alles wagen. Das ist halt ab und zu drin, wenn beide Mannschaften in die Vollen gehen."

Die Freundin von Battiston bricht auf der Tribüne besinnungslos zusammen, als noch nicht abzusehen ist, wie es um ihren künftigen Ehemann steht. Schumacher wird sich eine Woche später bei Battiston vor über 50 Journalisten in Metz entschuldigen und mit ihm aussöhnen. Er wird einsehen, dass er viel zerstört hat an diesem Juli-Abend und er ein wundervolles, ja episches Fußballspiel überschattet hat mit Worten und Taten, die nicht auf den Platz gehören.

Und doch ist es ein glücklicher Abend für Deutschland. Es musste von jener 57. Minute an schon viel geschehen, damit die Nation auf ihre Mannschaft doch noch stolz sein darf und die Spieler ihre Trikots in die Fankurve werfen können. Und es geschieht viel, sehr viel. Der Reihe nach: In der hin und her wogenden Partie kommen die Deutschen besser aus den Startlöchern und durch Pierre Littbarski, der zuvor schon die Latte trifft, zum 1:0. Nach Breitners Zuspiel auf Fischer scheitert der Mittelstürmer an Torwart Jean-Luc Ettori, Littbarski profitiert von dem Abpraller. Doch Platini gleicht mit einem umstrittenen Elfmeter noch vor der Pause aus, Bernd Förster soll Dominique Rocheteau umgerissen haben. In der regulären Spielzeit sind die Franzosen, technisch brillant, leichtfüßig und zuweilen verwirrend kombinierend mit dem genialen Dreigestirn Platini, Jean Tigana und Alain Giresse, dem Sieg näher - besonders bei Amoros' erwähntem Lattenschuss. Aber dem steht der schon mythische deutsche Kampfgeist entgegen, der diese Mannschaft trotz aller Rivalitäten eint.

Von hinten treibt Uli Stielike die Mannschaft an, und Paul Breitner steht ihm in Sevilla nichts nach. Doch fehlt dem Regisseur sein kongenialer Sturmpartner bei Bayern München, Karl-Heinz Rummenigge. Der soll nur bei einem Rückstand hineinkommen. So fiebert der beste deutsche Torjäger bei dieser WM von außen mit. Seinen gezerrten Oberschenkel kühlt er sich mit Eiswürfeln, die er in einen Handschuh von Ersatztorwart Eike Immel gepackt hat.

Drei Minuten sind in der Verlängerung gespielt, als Frankreichs Libero Marius Trésor nach einem Freistoß unbedrängt per Volleyschuss ein Traumtor erzielte. Das Signal für Rummenigge. Europas Fußballer des Jahres 1981 ruft Derwall zu: "Jetzt geh ich rein, jetzt will ich rein!" Er springt von der Bank auf und läuft sich warm. Kaum für Briegel auf dem Platz, fällt das 1:3 durch Alain Giresse. Der kleine Mann mit Schuhgröße 38 schießt die Equipe tricolore in den siebten Fußballhimmel. Vom Innenpfosten springt sein Schuss ins Netz. Ist es der Todesstoß für den amtierenden Europameister?

Ein 1:3-Rückstand 20 Minuten vor Ablauf der Verlängerung, bei noch immer über 30 Grad. "Normalerweise ist man da geneigt zu sagen, da ist nichts mehr drin. Aber wir sollten dennoch die Daumen drücken", mahnt Kramer die TV-Zuschauer in der Heimat. Und als Fischer schon im Gegenzug ein Abseitstor gelingt, sieht man, dass die Moral, diese vielleicht deutscheste Tugend, noch intakt ist. "In der Zeit waren die Deutschen bekannt dafür, dass sie nie aufgeben", sagte Karlheinz Förster Jahrzehnte nach dem Drama, an dem der Stuttgarter in ungewohnter Rolle teilnahm. Eigentlich ein geborener Vorstopper, muss er an diesem Tag zunächst Linksaußen Didier Six markieren und sich nach der Pause schließlich erstmals in seiner Karriere im Mittelfeld als Bewacher des zuvor von Dremmler nicht zu bremsenden Platini bewähren. Dremmler erbt dafür Giresse von Kaltz, der sich um Six kümmern muss. "Wir haben gemerkt, dass die richtigen Leute nicht bei den richtigen Gegnern gestanden haben", gesteht Derwall ein.

Aber es ist ohnehin alles egal, je später der Abend wird. Kaum einer hält noch seine Position. Rechtsverteidiger Kaltz kommt plötzlich über links, und Libero Stielike stürmt ohne Unterlass. Sein Pass auf Littbarski leitet die Wende ein, Rummenigge springt artistisch in die Flugbahn des Balles - und dieser vom Innenpfosten ins Netz. 2:3! Dass in einer solchen Situation, in der der Ball bloß irgendwie über die Linie muss, die Spieler beider Teams in der Lage sind, auch noch ausnehmend schöne Tore zu erzielen - nur Platinis Elfmeter ist gewöhnlicher Natur -, ist ein weiteres Charakteristikum dieses Fußball-Epos.

Die Franzosen stehen sichtlich unter Schock, nutzen die Pause in der Verlängerung, die der großzügige Schiedsrichter Charles Corver aus den Niederlanden gewährt, voll aus. Während sie noch am Boden liegen, tänzeln die Deutschen schon am Anstoßkreis. Und liegen sich drei Minuten später in den Armen. Littbarski hat von links vors Tor geflankt und Klaus Fischer nach Kopfballvorlage des zweiten Jokers Horst Hrubesch per Fallrückzieher ausgeglichen - das vielleicht schönste Tor der WM ist auch sein wichtigstes. Und der 174 Zentimeter kleine Torwart Ettori, in der Qualifikation nie eingesetzt und eigentlich nur als Nummer drei nach Spanien gefahren, ist mit den Nerven am Ende. Zweimal schießt er Abschläge ins Aus, Gérard Janvion, Tigana und Giresse tun es ihm gleich. Frankreich, im Vorgefühl des sicheren Sieges, taumelt ins Elfmeterschießen, dem ersten in der WM-Geschichte.

Dieses Drama enthält zwölf Akte. Auch hier wähnten sich Les Bleues als Sieger, liegen in Führung nach dem ersten Fehlschuss von Stielike, dem dritten Schützen nach Kaltz und Breitner, aber wieder wird es nicht reichen. Schumacher hält den nächsten Ball von Six, denn Hansi Müller hat ihm dessen Ecke verraten: "Er schießt auf deine rechte Hand." Man kennt sich vom VfB Stuttgart. Six hat gar nicht schießen wollen und Platini gebeten, mit ihm zu tauschen. Vergebens. Lauter kleine Dramen.

Reservist Müller versucht die Aufregung auf seine Weise zu verarbeiten und spielt es live mit kleinen Plastikfiguren nach, auf die er die Rückennummern der Schützen geschrieben hat. Es ist ja auch nicht mehr ganz leicht, den Überblick zu bewahren. Littbarski trifft auch, aber selbst nach dem zehnten Schuss von Rummenigge steht kein Sieger fest, und neue Schützen müssen bestimmt werden. Die Förster-Brüder verdrücken sich schnell, so mutig sie sich auch sonst in jeden Zweikampf stürzen. Die Franzosen, die vorher keine Schützen bestimmt haben, nominieren derweil Maxime Bossis.

Der ist schon auf Freizeit eingestellt und schießt mit heruntergerollten Stutzen, die Schienbeinschoner lugen weit hervor. Und er schießt schlecht, Schumacher hält fast mühelos, wie er es Rummenigge auf dessen Rückweg zum Mittelkreis versprochen hat. Nun kommt Horst Hrubesch an die Reihe - beziehungsweise: Er drängelt sich vor. Eigentlich ist Karlheinz Förster dran, doch Hrubesch, der gegen Ettori schon mal im Europapokal einen Elfmeter verwandelt hat, ruft dem Stuttgarter zu: "Bleib sitzen, ich mach ihn rein." Der Hamburger, der aus Verärgerung über seine Verbannung auf die Tribüne beim England-Spiel seinen Rücktritt angekündigt hat, erweist seinen Kameraden einen letzten Dienst. Als einziger Spieler lässt er den Ball auf dem Punkt liegen, alle anderen haben ihn sich noch mal zurechtgerückt. Hrubesch hat die innere Ruhe und so etwas wie Gottvertrauen. Vor dem Spiel findet sich nämlich ausgerechnet in seinem Spind ein aufgeklebtes Jesus-Bild, was ihn sicher sein lässt: "Ich glaube, jetzt kann nichts mehr schiefgehen."

So trifft er zum 8:7-Endstand, zum Finale gegen Italien nach Madrid. In Deutschland brechen kurz vor Mitternacht - es ist 23.41 Uhr - spontane Feiern aus. Die ZDF-Quote beträgt 62 Prozent Marktanteil und schlägt alle Rekorde, der "Thriller von Sevilla" entthront sogar die Peter-Alexander-Show. Und eine Ente wird nach dem Endergebnis von 8:7 benannt. Ein Land im Freudentaumel.

Die Franzosen vergießen in der Kabine viele Tränen. "Aber nicht, weil wir verloren hatten, sondern weil die Spannung abfiel, und weil wir so überwältigt waren von unseren Gefühlen", gesteht ihr Kapitän Michel Platini. "Ich habe nie mehr so viele Männer zugleich weinen sehen." Und die Welt staunt wieder einmal über die deutsche Stehaufmentalität. Am besten bringt es die englische Zeitung Daily Mirror auf den Punkt: "Merke: Die Deutschen sind erst geschlagen, wenn der Sarg zugenagelt und ein Grabstein darüber errichtet ist."

Aufstellung: Schumacher – Kaltz, Stielike, Karlheinz Förster, Bernd Förster – Dremmler, Breitner, Magath (73. Hrubesch), Briegel (96. Rummenigge) – Fischer, Littbarski.

Tore: 1:0 Littbarski (17.), 1:1 Platini (26., Foulelfmeter), 1:2 Trésor (92.), 1:3 Giresse (98.), 2:3 Rummenigge (102.), 3:3 Fischer (108.).

Zuschauer: 63.000 in Sevilla.

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"Das Spiel war kolossal und wird für immer in Erinnerung bleiben"

Stimmen zum Spiel:

Jupp Derwall: "Wir erlebten eine glänzende französische Elf, die so stark aufspielte wie nie zuvor. Alle mit einer hervorragenden Ballbehandlung ausgestattet und taktisch exzellent ausgerichtet. Dass sich meine Mannschaft noch so steigerte, als alles schon verloren schien, war eine typisch deutsche Fähigkeit: eine Mentalität des Herzens, nie aufzustecken, nie Dinge verloren zu geben."

Karl-Heinz Rummenigge: "Das verrückteste Spiel, das ich je mitgemacht habe. Auch der Paule sagte in der Nacht zu mir: 'Da brauchst du zwölf Jahre in dem Geschäft, um so ein Spiel zu erleben.' Solche Spiele machen eine WM gut."

Uli Stielike: "Ich dachte, jetzt ist alles aus. Ich dachte, jetzt bist du der große Sündenbock, ich dachte, jetzt kannst du dich in Deutschland nicht mehr sehen lassen."

Toni Schumacher übers Foul an Patrick Battiston: "Absicht war nicht im Spiel. Der Franzose kam allein auf mich zu. Ich bin in der Situation aus dem Tor gelaufen, sah, dass ich den Ball nicht mehr erreichen konnte, aber in Luft auflösen konnte ich mich auch nicht."

Michel Hidalgo (Trainer Frankreichs): "Das Wort Enttäuschung ist zu schwach, um zu erklären, was wir fühlen. Es ist einfach ungerecht. Wie ich die Spieler jetzt noch einmal aufrichten soll, weiß ich wirklich nicht. Das ist viel mehr als eine Niederlage."

Michel Platini (Frankreichs Kapitän): "Entschuldigung, ich kann noch keinen klaren Gedanken fassen zu dem, was geschehen ist. Ich bin nur grenzenlos wütend."

Marius Trésor (Frankreich): "Das Anschlusstor von Rummenigge zum 2:3 hat uns den Hals gebrochen."

Patrick Battiston (Frankreich) über den Zusammenprall mit Schumacher: "Sicher, es war ein WM-Halbfinale, aber das darf ein Profi nicht nötig haben. Zu seinen Sprüchen sage ich lieber nichts. Viel Grips kann er jedenfalls nicht im Kopf haben. Schade, ich habe ihn immer bewundert. Jetzt ist er für mich menschlich gleich null, auch wenn er ein guter Torwart bleibt."

Alain Giresse (Frankreich, im Jahr 2009): "Uns fehlte das Berechnende, das man braucht, um ein Ergebnis zu halten. Das ist alles, was man uns vorwerfen kann. Mit dem Ergebnis kann man nicht zurechtkommen. Man kann nicht auf diese Art und Weise verlieren und dann seinen Frieden damit machen. Man lebt damit, aber es ist so, als würde man einen Angehörigen verlieren und sagen: 'Ich habe ihn vergessen.' Das ist unmöglich. Selbst der EM-Titel von 1984 hat den Schmerz nicht gelindert."

François Mitterand (Frankreichs Staatspräsident): "Die Glücksgöttin Fortuna hat eine Münze geworfen, und die Münze fiel auf die Seite der Deutschen." (Telegramm an Bundeskanzler Helmut Schmidt vom 9. Juli 1982)

Bobby Charlton (Weltmeister mit England 1966): "Unglaublich, diese Deutschen. Sie sind tot und stehen wieder auf."

"Wohl selten hat der oft so gedankenlos dahingesagte Satz, der Glücklichere habe gewonnen, so tief getroffen. Die Franzosen konnten es kaum fassen, daß sie, die sich als die besseren Fußballspieler fühlen durften und den Sieg schon dicht vor Augen hatten, am Ende doch verloren waren. Gibt es im Fußball denn keine Gerechtigkeit? Die Deutschen können die Gegenrechnung aufmachen. Wer nicht die Kraft hat, einen Vorsprung zu verteidigen, kann auch nicht darauf pochen, ihn verdient zu haben." (FAZ)

"Die irrste Fußballnacht!" (Bild)

"Frankreich hätte das Finale genauso verdient wie Deutschland, vielleicht sogar ein bisschen mehr. Die Franzosen haben das Stadion von Sevilla schrecklich enttäuscht verlassen, aber sicher der Bewunderung aller, die das hervorragende Spiel gesehen haben (...) Das Schicksal ist grausam, das sich so viel Spielkunst, so viel Hingabe und so viel Siegeswillen entgegenstellt. Wenn die furchtbare Enttäuschung erst mal vorüber ist, wird man erst das Wichtige sehen, das heißt dieses erstaunliche Spiel, das in zwei Stunden alles geboten hat, was Fußball bieten kann." (L'Equipe/Paris)

"Der Fußballzauber der Franzosen war ihr Untergang. Die Deutschen sind die Könige des Betrugs, sie hätten nicht mehr als einen verregneten Urlaub in Oberbayern verdient gehabt." (El Correo Catalan/Barcelona)

"Das Spiel war kolossal und wird für immer in Erinnerung bleiben." (ABC/Spanien)

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