50 Jahre alt: Schalkes Rekord im Pokalfinale

Im Sommer 1972 träumten die Schalker Fans vom zweiten Double der Vereinsgeschichte. Was den Cracks um Ernst Kuzorra und Fritz Szepan 1937 gelungen war, wollten die Kremers-Zwillinge Erwin und Helmut, Klaus Fischer und Stan Libuda mit ihren Kameraden wiederholen. Am 28. Juni aber platzte im inoffiziellen Finale um die Meisterschaft in München der Traum, die Schale ging an die 5:1 siegreichen Bayern. Blieb noch der DFB-Pokal, den die Königsblauen drei Tage später in Hannover erringen wollten. Das immerhin gelang - mit einem Ergebnis, das die bisherigen Siege in den Schatten stellte und noch 2022 Rekord ist. DFB.de blickt zurück.

Über dem Pokalfinale 1972 zwischen Schalke 04 und dem 1. FC Kaiserslautern hingen dunkle Wolken. Noch drei Tage zuvor musste sich das DFB-Sportgericht mit einem Antrag des 1. FC Köln befassen, der das Spiel mittels Einstweiliger Verfügung absetzen lassen wollte. Köln war im turbulenten Halbfinale den Schalkern im Elfmeterschießen unterlegen, während es in der Glückauf-Kampfbahn zu Zuschauerausschreitungen gekommen war. Für den FC ein Protestgrund, für den DFB nicht. Aber die Berufsverhandlung war für die Woche nach dem Finale angesetzt, so dass der Sieger schon vorher wusste, dass er nur unter Vorbehalt würde jubeln können, auch wenn dem Protest keine großen Chancen mehr eingeräumt wurden. So kam es dann auch.

Gravierender war das andere Problem, das jene Tage überschattete. Der Bundesligaskandal von 1971 zog immer weitere Kreise, Schalkes Verwicklung war kaum noch zu leugnen. Jürgen Sobieray wurde vom DFB mit einer Vorsperre belegt, die das Landgericht Frankfurt aufhob. Trotzdem traute sich Schalke nicht, den später als Geldboten im Dienste Arminia Bielefelds tatsächlich überführten Mittelfeldspieler einzusetzen, denn "wir haben uns den Gesetzen des DFB verpflichtet", wie Präsident Günter Siebert sagte. Da der Verband die Sperre nicht aufhob, musste Schalke also ohne Sobieray spielen.

Libuda: "Boss, heute ist Zahltag!"

Aber der Rest des Kaders, der monatelang die Tabelle angeführt hatte und fast Deutscher Meister geworden wäre, war stark genug um die Favoritenrolle anzunehmen. Das glaubten die Spieler auch selbst, und so hörte man Kapitän Libuda seinem Präsidenten vor dem Spiel zurufen: "Boss, heute ist Zahltag!" 10.000 Mark Prämie winkten jedem Spieler. Die Lauterer, in der Liga Siebter, hatten zwar auch eine Prämie ausgehandelt, doch mehr freuten sie sich über den Besuch von Klubidol Fritz Walter im Teamhotel. Der Weltmeisterkapitän von 1954 erzählte wieder vom "Wunder von Bern" und was möglich sei, wenn eine Mannschaft nur an sich glaube.

Doch dieser Mannschaft, vom erst 37-jährigen Dietrich Weise trainiert, war am 1. Juli 1972 nicht zu helfen. Sie kassierte im 29. deutschen Pokalendspiel die höchste Niederlage eines Finalisten. Am Ende stand auf der Anzeigetafel des Niedersachsenstadions ein 5:0. Mehr als die Hälfte der Finals zuvor gingen denkbar knapp aus, 15 Sieger hatten nur ein Tor Vorsprung, sechsmal gab es eine Verlängerung. Bei diesem Duell zweier Bundesligisten aus der oberen Tabellenhälfte jedoch war die Luft schnell raus. Dass Schalke derart groß aufspielen würde - die WAZ schrieb: "Schalke blamierte den Endspielpartner am laufenden Band" - stand nicht zu erwarten. Im Umfeld des Vereins hatten sie gefürchtet, dass das 1:5 von München drei Tage zuvor zu tiefe Wunden gerissen haben könnte, und Trainer Ivica Horvath sagte beinahe flehentlich: "Keiner von uns darf jetzt noch an die verpasste Meisterschaft denken, wir müssen nach vorne blicken. Das einzige, was jetzt noch zählt, ist der Pokalsieg."

Fans feiern schon zur Halbzeit

Den feierten die 30.000 Schalker unter den 61.000 im Niedersachsenstadion schon zur Halbzeit, als es nach Toren von Linksverteidiger Helmut Kremers (14.) und Stürmer Klaus Scheer (32.) 2:0 stand. Beim zweiten Treffer leistete Josef Elting, der Ex-Schalker im FCK-Tor, unfreiwillige Hilfe, als er eine Flanke falsch berechnete - und sich zu allem Übel beim Landen auch noch die Schulter prellte. Der FCK spürte seine Unterlegenheit, die mancher Beobachter auch der zu defensiven Taktik Weises zuschrieb, und griff zu unfairen Mitteln. "Statt mitzuspielen wurden die Pfälzer beim körperlichen Einsatz immer ruppiger", monierte die WAZ. Verteidiger Günter Reinders sah die erste Gelbe Karte des einseitigen Spiels. Entschieden war es nach 57 Minuten, als Herbert Lütkebohmert einen satten 30-Meter-Schuss im FCK-Kasten unterbrachte.

Der Rest war Schaulaufen. Mittelstürmer Klaus Fischer erhöhte nach einem herrlichen Solo von Stan Libuda, der drei Lauterer narrte, auf 4:0 (66.). Die Abseitsproteste der Pfälzer fanden bei Schiedsrichter Aldinger kein Gehör. Nun war Bayern Münchens 1967 aufgestellter Rekordsieg gegen den HSV bereits eingestellt, aber die Schalker hatten immer noch Torhunger. In der 82. Minute gab es einen Freistoß, den Helmut Kremers, der an diesem Tage bessere Zwillingsbruder, mit etwas Glück zum 5:0 verwandelte, ein Lauterer fälschte den Ball noch ab. Helmut und Erwin Kremers gewannen übrigens schon zum zweiten Mal in Hannover den Pokal, 1970 noch mit Kickers Offenbach.

Für den Spielausgang war das Kremers-Tor längst unerheblich, nicht aber für die Pokalhistorie. Kein anderer Verein gewann jemals wieder in dieser Höhe ein Pokalfinale - bis auf Schalke 04 selbst. Denn die Nachfolger der Helden von 1972 aus dem Jahre 2011 eiferten ihnen nach und stellten im letzten S04-Spiel von Torwart Manuel Neuer den Rekord ein, als sie den Zweitligisten MSV Duisburg mit 5:0 aus dem Berliner Olympiastadion schossen. Schützenfeste in Pokalfinals sind also vorwiegend ein Schalker Privileg.

Vertrag für einen Tag: Sondergenehmigung für Libuda

Die Helden von 1972 wurden trotz der Skandalgerüchte am nächsten Tag von rund 100.000 Menschen in Gelsenkirchen empfangen. "Wer holt den Pokal? Schalke hat ihn wieder mal", wurde auf dem Schalker Markt noch bis in die tiefe Nacht gesungen. Wehmut kam auch auf, nahm man doch Abschied von Kultkicker Stan Libuda, der zusammen mit Heinz van Haaren nach Straßburg ging. Da ihre Verträge zum 30. Juni endeten, spielten sie übrigens mit einer Sondergenehmigung des DFB, sie bekamen noch einen Vertrag für einen Tag.

Es waren die letzten glücklichen Tage für die vielleicht beste Schalker Bundesligamannschaft, deren meiste Spieler alsbald in den Sog der Ermittlungen gezogen wurden. Einige schworen Meineide, alle Sünder wurden gesperrt, erst 1977 wurde das letzte Urteil gesprochen. Es sollte auch deshalb 25 Jahre dauern, bis auf Schalke wieder ein Titel gewonnen wurde. 1997 holten die Euro-Fighter den UEFA-Pokal.

À propos: Verlierer Kaiserslautern durfte nach damaliger Regelung am UEFA-Pokal 1972/1973 teilnehmen. Ein kleiner Trost für die höchste Finalniederlage aller Zeiten, die Trainer Weise noch ein bisschen im Magen lag: "Ich bin nicht über das Spiel oder die Niederlage gegen Schalke enttäuscht, sondern nur über die Höhe des Ergebnisses."

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Im Sommer 1972 träumten die Schalker Fans vom zweiten Double der Vereinsgeschichte. Was den Cracks um Ernst Kuzorra und Fritz Szepan 1937 gelungen war, wollten die Kremers-Zwillinge Erwin und Helmut, Klaus Fischer und Stan Libuda mit ihren Kameraden wiederholen. Am 28. Juni aber platzte im inoffiziellen Finale um die Meisterschaft in München der Traum, die Schale ging an die 5:1 siegreichen Bayern. Blieb noch der DFB-Pokal, den die Königsblauen drei Tage später in Hannover erringen wollten. Das immerhin gelang - mit einem Ergebnis, das die bisherigen Siege in den Schatten stellte und noch 2022 Rekord ist. DFB.de blickt zurück.

Über dem Pokalfinale 1972 zwischen Schalke 04 und dem 1. FC Kaiserslautern hingen dunkle Wolken. Noch drei Tage zuvor musste sich das DFB-Sportgericht mit einem Antrag des 1. FC Köln befassen, der das Spiel mittels Einstweiliger Verfügung absetzen lassen wollte. Köln war im turbulenten Halbfinale den Schalkern im Elfmeterschießen unterlegen, während es in der Glückauf-Kampfbahn zu Zuschauerausschreitungen gekommen war. Für den FC ein Protestgrund, für den DFB nicht. Aber die Berufsverhandlung war für die Woche nach dem Finale angesetzt, so dass der Sieger schon vorher wusste, dass er nur unter Vorbehalt würde jubeln können, auch wenn dem Protest keine großen Chancen mehr eingeräumt wurden. So kam es dann auch.

Gravierender war das andere Problem, das jene Tage überschattete. Der Bundesligaskandal von 1971 zog immer weitere Kreise, Schalkes Verwicklung war kaum noch zu leugnen. Jürgen Sobieray wurde vom DFB mit einer Vorsperre belegt, die das Landgericht Frankfurt aufhob. Trotzdem traute sich Schalke nicht, den später als Geldboten im Dienste Arminia Bielefelds tatsächlich überführten Mittelfeldspieler einzusetzen, denn "wir haben uns den Gesetzen des DFB verpflichtet", wie Präsident Günter Siebert sagte. Da der Verband die Sperre nicht aufhob, musste Schalke also ohne Sobieray spielen.

Libuda: "Boss, heute ist Zahltag!"

Aber der Rest des Kaders, der monatelang die Tabelle angeführt hatte und fast Deutscher Meister geworden wäre, war stark genug um die Favoritenrolle anzunehmen. Das glaubten die Spieler auch selbst, und so hörte man Kapitän Libuda seinem Präsidenten vor dem Spiel zurufen: "Boss, heute ist Zahltag!" 10.000 Mark Prämie winkten jedem Spieler. Die Lauterer, in der Liga Siebter, hatten zwar auch eine Prämie ausgehandelt, doch mehr freuten sie sich über den Besuch von Klubidol Fritz Walter im Teamhotel. Der Weltmeisterkapitän von 1954 erzählte wieder vom "Wunder von Bern" und was möglich sei, wenn eine Mannschaft nur an sich glaube.

Doch dieser Mannschaft, vom erst 37-jährigen Dietrich Weise trainiert, war am 1. Juli 1972 nicht zu helfen. Sie kassierte im 29. deutschen Pokalendspiel die höchste Niederlage eines Finalisten. Am Ende stand auf der Anzeigetafel des Niedersachsenstadions ein 5:0. Mehr als die Hälfte der Finals zuvor gingen denkbar knapp aus, 15 Sieger hatten nur ein Tor Vorsprung, sechsmal gab es eine Verlängerung. Bei diesem Duell zweier Bundesligisten aus der oberen Tabellenhälfte jedoch war die Luft schnell raus. Dass Schalke derart groß aufspielen würde - die WAZ schrieb: "Schalke blamierte den Endspielpartner am laufenden Band" - stand nicht zu erwarten. Im Umfeld des Vereins hatten sie gefürchtet, dass das 1:5 von München drei Tage zuvor zu tiefe Wunden gerissen haben könnte, und Trainer Ivica Horvath sagte beinahe flehentlich: "Keiner von uns darf jetzt noch an die verpasste Meisterschaft denken, wir müssen nach vorne blicken. Das einzige, was jetzt noch zählt, ist der Pokalsieg."

Fans feiern schon zur Halbzeit

Den feierten die 30.000 Schalker unter den 61.000 im Niedersachsenstadion schon zur Halbzeit, als es nach Toren von Linksverteidiger Helmut Kremers (14.) und Stürmer Klaus Scheer (32.) 2:0 stand. Beim zweiten Treffer leistete Josef Elting, der Ex-Schalker im FCK-Tor, unfreiwillige Hilfe, als er eine Flanke falsch berechnete - und sich zu allem Übel beim Landen auch noch die Schulter prellte. Der FCK spürte seine Unterlegenheit, die mancher Beobachter auch der zu defensiven Taktik Weises zuschrieb, und griff zu unfairen Mitteln. "Statt mitzuspielen wurden die Pfälzer beim körperlichen Einsatz immer ruppiger", monierte die WAZ. Verteidiger Günter Reinders sah die erste Gelbe Karte des einseitigen Spiels. Entschieden war es nach 57 Minuten, als Herbert Lütkebohmert einen satten 30-Meter-Schuss im FCK-Kasten unterbrachte.

Der Rest war Schaulaufen. Mittelstürmer Klaus Fischer erhöhte nach einem herrlichen Solo von Stan Libuda, der drei Lauterer narrte, auf 4:0 (66.). Die Abseitsproteste der Pfälzer fanden bei Schiedsrichter Aldinger kein Gehör. Nun war Bayern Münchens 1967 aufgestellter Rekordsieg gegen den HSV bereits eingestellt, aber die Schalker hatten immer noch Torhunger. In der 82. Minute gab es einen Freistoß, den Helmut Kremers, der an diesem Tage bessere Zwillingsbruder, mit etwas Glück zum 5:0 verwandelte, ein Lauterer fälschte den Ball noch ab. Helmut und Erwin Kremers gewannen übrigens schon zum zweiten Mal in Hannover den Pokal, 1970 noch mit Kickers Offenbach.

Für den Spielausgang war das Kremers-Tor längst unerheblich, nicht aber für die Pokalhistorie. Kein anderer Verein gewann jemals wieder in dieser Höhe ein Pokalfinale - bis auf Schalke 04 selbst. Denn die Nachfolger der Helden von 1972 aus dem Jahre 2011 eiferten ihnen nach und stellten im letzten S04-Spiel von Torwart Manuel Neuer den Rekord ein, als sie den Zweitligisten MSV Duisburg mit 5:0 aus dem Berliner Olympiastadion schossen. Schützenfeste in Pokalfinals sind also vorwiegend ein Schalker Privileg.

Vertrag für einen Tag: Sondergenehmigung für Libuda

Die Helden von 1972 wurden trotz der Skandalgerüchte am nächsten Tag von rund 100.000 Menschen in Gelsenkirchen empfangen. "Wer holt den Pokal? Schalke hat ihn wieder mal", wurde auf dem Schalker Markt noch bis in die tiefe Nacht gesungen. Wehmut kam auch auf, nahm man doch Abschied von Kultkicker Stan Libuda, der zusammen mit Heinz van Haaren nach Straßburg ging. Da ihre Verträge zum 30. Juni endeten, spielten sie übrigens mit einer Sondergenehmigung des DFB, sie bekamen noch einen Vertrag für einen Tag.

Es waren die letzten glücklichen Tage für die vielleicht beste Schalker Bundesligamannschaft, deren meiste Spieler alsbald in den Sog der Ermittlungen gezogen wurden. Einige schworen Meineide, alle Sünder wurden gesperrt, erst 1977 wurde das letzte Urteil gesprochen. Es sollte auch deshalb 25 Jahre dauern, bis auf Schalke wieder ein Titel gewonnen wurde. 1997 holten die Euro-Fighter den UEFA-Pokal.

À propos: Verlierer Kaiserslautern durfte nach damaliger Regelung am UEFA-Pokal 1972/1973 teilnehmen. Ein kleiner Trost für die höchste Finalniederlage aller Zeiten, die Trainer Weise noch ein bisschen im Magen lag: "Ich bin nicht über das Spiel oder die Niederlage gegen Schalke enttäuscht, sondern nur über die Höhe des Ergebnisses."

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