2:2 gegen Niederlande: Viertes Unentschieden im fünften Spiel

Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

18. Juni 1978 in Cordoba - zweites Zweitrundenspiel: Deutschland - Niederlande 2:2

Vor dem Spiel:

Heinz Flohes Verletzung war so schwer, dass er am Morgen des Holland-Spiels abreiste, um sich zu Hause behandeln zu lassen. Bundestrainer Helmut Schön brauchte einen neuen Spielmacher und holte den seit dem Eröffnungsspiel nicht in der Startelf stehenden Berliner Erich Beer zurück. Der zweite Verletzte, Herbert Zimmermann, landete wieder auf der Tribüne. Seinen Posten im Mittelfeld bekam Bernd Hölzenbein, der eins nach hinten rückte. Versprochen war er eigentlich Hansi Müller, der sich prompt beklagte: "Ich hasse Ungerechtigkeiten."

Linksaußen spielte nun Karl-Heinz Rummenigge, der die Seite wechselte. Rüdiger Abramczik bekam dafür nach drei Spielen Pause auf rechts eine Bewährungschance, doch sollte er nicht etwa Klubkamerad Klaus Fischer mit Flanken bedienen, was auf Schalke vorzüglich klappte, sondern Dieter Müller. Fischer war am Vortag mit einem steifen Hals aufgewacht, Kopfbälle waren undenkbar. So gab es im fünften Spiel bereits die vierte Sturmvariante. Die Bild-Zeitung hatte zwei Tage vor dem Spiel auf Seite 1 zwar mit dem Duisburger Ronny Worm spekuliert, doch Schön ließ sich davon nicht leiten.

Im Vorfeld wurde bei den Holländern viel von der Revanche für München gesprochen, fünf Finalisten von 1974 liefen in Cordoba auf. Acht wären es gewesen, wenn sich nicht Johan Neeskens, Wim Suurbier und Wim Rijsbergen gegen Schottland alle verletzt hätten. Johan Cruyff aber fehlte in Argentinien ganz, aus Protest über die politischen Zustände im Land, wo eine Militärjunta an der Macht war. Der Oranje-Trainer war neu, Rinus Michels wurde vom Wiener Ernst Happel abgelöst. Die Holländer hatten nach dem 5:1, ausgerechnet über Happels Landsleute aus Österreich, beste Aussichten aufs Finale. Noch mal sollte Deutschland ihnen nicht in die Quere kommen.



Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

18. Juni 1978 in Cordoba - zweites Zweitrundenspiel: Deutschland - Niederlande 2:2

Vor dem Spiel:

Heinz Flohes Verletzung war so schwer, dass er am Morgen des Holland-Spiels abreiste, um sich zu Hause behandeln zu lassen. Bundestrainer Helmut Schön brauchte einen neuen Spielmacher und holte den seit dem Eröffnungsspiel nicht in der Startelf stehenden Berliner Erich Beer zurück. Der zweite Verletzte, Herbert Zimmermann, landete wieder auf der Tribüne. Seinen Posten im Mittelfeld bekam Bernd Hölzenbein, der eins nach hinten rückte. Versprochen war er eigentlich Hansi Müller, der sich prompt beklagte: "Ich hasse Ungerechtigkeiten."

Linksaußen spielte nun Karl-Heinz Rummenigge, der die Seite wechselte. Rüdiger Abramczik bekam dafür nach drei Spielen Pause auf rechts eine Bewährungschance, doch sollte er nicht etwa Klubkamerad Klaus Fischer mit Flanken bedienen, was auf Schalke vorzüglich klappte, sondern Dieter Müller. Fischer war am Vortag mit einem steifen Hals aufgewacht, Kopfbälle waren undenkbar. So gab es im fünften Spiel bereits die vierte Sturmvariante. Die Bild-Zeitung hatte zwei Tage vor dem Spiel auf Seite 1 zwar mit dem Duisburger Ronny Worm spekuliert, doch Schön ließ sich davon nicht leiten.

Im Vorfeld wurde bei den Holländern viel von der Revanche für München gesprochen, fünf Finalisten von 1974 liefen in Cordoba auf. Acht wären es gewesen, wenn sich nicht Johan Neeskens, Wim Suurbier und Wim Rijsbergen gegen Schottland alle verletzt hätten. Johan Cruyff aber fehlte in Argentinien ganz, aus Protest über die politischen Zustände im Land, wo eine Militärjunta an der Macht war. Der Oranje-Trainer war neu, Rinus Michels wurde vom Wiener Ernst Happel abgelöst. Die Holländer hatten nach dem 5:1, ausgerechnet über Happels Landsleute aus Österreich, beste Aussichten aufs Finale. Noch mal sollte Deutschland ihnen nicht in die Quere kommen.

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Remis bei der Revanche fürs WM-Finale 1974

Spielbericht:

Die Sonne lacht über Cordoba, Winter fühlt sich anders an. Allerdings fegt ein scharfer Wind durchs ausverkaufte Stadion. Für die ARD kommentiert Ernst Huberty das Sonntagabendspiel (20.45 Uhr MEZ). "Die Stunde der Wahrheit ist da, ein weiteres 0:0 wäre witzlos", beginnt er seinen Kommentar.

Bernd Hölzenbein ist der glücklichste Mann im Stadion, ist er doch am Morgen Vater eines Sohnes geworden, wie er per Telefon erfährt. Und das Glück bleibt vorerst im deutschen Lager. In der dritten Minute erkämpft sich Dieter Müller einen Freistoß an der Strafraumgrenze, den Rainer Bonhof gewohnt hart aufs Tor drischt. Piet Schrijvers faustet nach vorne halbhoch weg und Abramczik, wahrlich kein Kopfballungeheuer, hechtet in den Ball und drückt ihn mit der Stirn über die Linie. "Ein Auftakt, wie man ihn sich besser nicht wünschen kann", jauchzt Huberty.

Die Holländer sind ebenso verärgert wie überrascht. Willy van de Kerkhof holt Abramczik von den Beinen und sieht früh Gelb. Dann wehren sie sich auch sportlich, Rob Rensenbrinks Kopfballaufsetzer lenkt Sepp Maier zur Ecke. Im Strafraum setzen sie sich nur selten durch, da findet Arie Haan einen anderen Weg. Gerade belehrt Huberty die Zuschauer, "Haan, er schießt gefährlich", da schießt Haan gefährlich - aus rund 30 Metern schlägt der Ball im Winkel ein.

Der konsternierte Maier reagiert gar nicht erst, was man ihm vorhalten wird. Nach 476 WM-Minuten kassiert er wieder ein Tor, das die längste Serie der WM-Historie beendet. Nun legen die Holländer nach, Jan Poortvliet wird von einem Mitspieler behindert und verzieht aus fünf Metern. Zweimal prüft noch Bonhof mit seinen Freistößen Schrijvers, auch Hölzenbein feuert aus der zweiten Reihe, dann endet die erste Halbzeit - mit einem falschen Einwurf von Manfred Kaltz. "Es läuft längst noch nicht alles so, wie man sich das vorstellt, aber doch viel besser als zuletzt", bilanziert Huberty.

Als die Mannschaften wieder aufs Feld kommen, berichtet der ARD-Mann von besorgten Anrufern in der Sendezentrale, die sich nach Helmut Schön erkundigt hätten. Er ist im Gegensatz zu Jupp Derwall nicht zu sehen gewesen, weil er zwecks besserer Sicht einen Tribünenplatz vorgezogen hat. Huberty weiß das nicht so genau, versichert aber, Schön sei noch da, und gibt seiner Rührung über die allgemeine Besorgnis Ausdruck: "Er hat ja schwer in der Kritik gestanden in den letzten Tagen." Dann widmet er sich wieder den Sorgen, die die deutsche Nationalmannschaft ihren Anhängern macht.

Die wachsen minütlich, denn die Niederländer übernehmen das Kommando. Mittelstürmer Johnny Rep, der Rolf Rüssmann stark beschäftigt, und Rechtsaußen René van de Kerkhof machen viel Wirbel, flanken und schießen gefährlich. Entlastung gibt es kaum noch. Die Fehlpässe im deutschen Spiel häufen sich, auf einem holprigen Platz und gegen den Wind kombiniert es sich nicht leicht. Es ist wie gegen Italien: Der gute Eindruck der ersten Hälfte schwindet allmählich, und beinahe flehentlich wünscht sich Huberty "den einen Ruck, der jetzt irgendwann mal durch die Mannschaft gehen muss".

Als ob sie ihn gehört hätten: In der 70. Minute tankt sich Erich Beer auf links durch und flankt in den Strafraum. Zwei Holländer stehen bei Dieter Müller, und das ist der Fehler. Keiner attackiert ihn entschlossen, Müller steigt zum Kopfball hoch und platziert seinen Aufsetzer neben dem von ihm ausgesehen linken Pfosten. Schrijvers wirft sich vergeblich - 2:1. Plötzlich ist das Finale ganz nahe, einen Sieg gegen Österreich haben alle natürlich schon einkalkuliert.

Wütend reagieren die Holländer, Johnny Rep feuert mit links von der Strafraumgrenze ab, trifft die Latte. Die Deutschen bekommen nun Räume und nutzen sie. Abramczik wird nach einem Konter frei gespielt, verzieht überhastet. Ein abgewehrter Bonhof-Freistoß landet bei Beer, der volley mit links abzieht, Schrijvers pariert im Stile eines Handballtorhüters mit einer Faust. "Die deutsche Mannschaft ist dabei, sich ihren Vorsprung zu verdienen", sagt Huberty und zählt die Minuten hinunter. Noch 19, noch 13, noch elf...

Während Schön, ab Wiederanpfiff doch auf seinem angestammten Bankplatz, seinen Reservisten nur Auslauf am Spielfeldrand verordnet, wechselt Ernst Happel Sturmkante Dick Nanninga ein, Verteidiger Piet Wildschut geht. Das Signal ist klar, die Niederländer gehen volles Risiko. Trotzdem hat die DFB-Auswahl die nächste Chance, die der Wind gebiert. Beers Flanke rutscht ab und landet auf der Latte. Es ist jetzt ein packendes Spiel. Nanninga macht gleich auf sich aufmerksam, schießt freistehend genau auf Maier. Huberty hat "ihn schon drin gesehen". Dabei scheint er nur zu ahnen, was kommt.

In der 84. Minute steht René van de Kerkhof am linken Strafraumeck sträflich frei, macht noch einen Schlenker um Kaltz und schlenzt den Ball an Maier vorbei. Rüssmann hechtet in die Schussbahn, geht mit der Hand zum Ball, kann aber das Tor nicht verhindern - 2:2. Die Deutschen sind geschockt und haben nicht mehr die Kraft zu reagieren, die Niederländer wollen noch mehr. Die Hälfte der verbleibenden Spielzeit geht jedoch für eine chaotische Situation drauf. Schiedsrichter Ramon Barreto aus Uruguay zückt plötzlich Rot. Keiner weiß warum, geschweige denn für wen.

Offenkundig trifft es einen Niederländer. Huberty tippt auf Rensenbrink, dann geht René van de Kerkhof vom Platz, kommt aber wieder, Joker Nanninga hat es erwischt. In Unterzahl beenden die Niederländer die Partie, aber doch weit zufriedener als die Deutschen. Das vierte Unentschieden im fünften Spiel, "es wird wahrscheinlich nicht genug sein, das Endspiel zu erreichen", nimmt Huberty der Heimat alle Illusionen von der Titelverteidigung. Das scheint berechtigt zu sein, denn "die Klasse der Mannschaft von vor vier Jahren ist nicht mehr erreicht". Und das nach dem bisher besten Spiel in Argentinien. Zurück in Ascochinga, wird Helmut Schön ein Anrufer aus Wiesbaden durchgestellt. Der enttäuschte Nachbar will aus berufenem Munde erfahren, warum Schön eigentlich wieder nicht ausgewechselt habe. Das fragen sich viele.

Aufstellung: Maier - Vogts, Kaltz, Rüssmann, Dietz - Bonhof, Beer, Hölzenbein - Abramczik, Dieter Müller, Rummenigge.

Tore: 1:0 Abramczik (3.), 1:1 Haan (27.), 2:1 Dieter Müller (70.), 2:2 René van de Kerkhof (84.).

Platzverweis: Nanninga (88.).

Zuschauer: 40.750 in Cordoba.

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"Der Weltmeister ist noch nicht gestürzt"

Stimmen zum Spiel: 

Helmut Schön: "Es war hochklassiger Fußball in Perioden, wo die eine oder andere Mannschaft mal tonangebend war und manchmal gleichzeitig. Ich habe mich gefreut, dass beide Mannschaften den europäischen Fußball so gut repräsentiert haben. Der schönste Moment war für mich das 2:1 und der schlimmste das 2:2. Mit einem Bonhof in der Form, in der wir ihn schätzen, hätten wir besser abgeschnitten. Leider ist er hier in Argentinien nicht der Alte."

Sepp Maier: "Nach unserem Führungstor zum 2:1 hätte unbedingt ausgewechselt werden müssen. Ich verstehe nicht, dass Schwarzenbeck und Cullmann nicht eingewechselt wurden. Wir standen sechs Minuten vor dem Finale!"

Bernd Cullmann: "Wenn der Bundestrainer beim Stand von 0:0 gegen Italien einen zusätzlichen Verteidiger brachte, dann musste er das gegen Holland beim 2:1 auch tun."

Berti Vogts: "Ich habe mich bereits im Finale gefühlt, und dann dieses blöde Tor."

Dieter Müller: "Nach unserer Führung hätte die Deckung verstärkt werden müssen. Dafür hätte ich sogar freiwillig meinen Platz geräumt."

Hermann Neuberger (DFB-Präsident): "Wir haben noch kein Spiel verloren und sind immer noch ein Anwärter auf einen der ersten vier Plätze. Das ist das Wunschziel, das wir gehabt haben. Der Weltmeister ist noch nicht gestürzt."

Ernst Happel (Trainer der Niederlande): "Dies war eines der besten Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft. Holland und Deutschland haben den europäischen Fußball würdig vertreten. Zum Platzverweis habe ich bisher nur so viel gehört, dass Nanninga seinen Gegenspieler an die Nase gepackt hat und dafür die Gelbe Karte erhielt. Er lachte daraufhin den Schiedsrichter aus und bekam die Rote."

Ruud Krol (Kapitän der Niederlande): "Wenn Dick Nanninga nicht vom Platz gestellt worden wäre, hätten wir auch noch gewonnen. Die Deutschen waren konditionell am Ende."

"In einem bis in die Schlußsekunden hochdramatischem und von der deutschen Mannschaft bisher stärksten Spiel gab es anstelle des erhofften Sieges zum Schluß erneut eine Punkteteilung (...) Die nach den Verletzungen von Flohe, Zimmermann und Fischer neu formierte Mannschaft steigerte ihre Leistungen gegenüber den vorangegangenen Spielen ganz beträchtlich. So schnell, so fließend, so raumgreifend liefen noch in keinem Spiel die Kombinationen." (Kicker)

"Der Fußball-Thriller zwischen Westdeutschland und Holland hat die Zuschauer an den Rand des Herzinfarkts gebracht. Was für eine Spannung, was für eine Sensation, was für ein Spektakel." (De Telegraaf/Amsterdam)

"Was für ein Superspiel. Die Hereinnahme von Beer und Abramczik hat den Deutschen den bisher so vermißten Punch verliehen. (France Soir/Paris)

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