17 Jahre Präsident: Zum 100. Geburtstag von Hermann Neuberger

Sänger hätte Dr. h. c. Hermann Neuberger werden können. Oder Theaterregisseur. Die Neigung dazu verspürte er. Oder Journalist. Die Befähigung hatte er, nachgewiesen in jungen Jahren, als er aus dem Krieg zurückkam und für zwei Sportzeitungen gleichzeitig arbeitete. Oder vielleicht sogar Politiker. Nicht umsonst nannten sie ihn den heimlichen Ministerpräsidenten des Saarlands, weil er zeitweise gleichzeitig Direktor des Saar-Totos, Präsident des Landessportbundes und des Fußballverbands des kleinsten Bundeslandes in der alten BRD war.

"Ich wusste gar nicht, dass man in fünf Lebensjahrzehnten so viel erreichen kann", staunte der saarländische Ministerpräsident Franz-Josef Röder in seiner Rede zu Neubergers 50. Geburtstag. Und im Grunde war er ja auch ein Politiker auf dem Spielfeld, das er im Alter von 55 für sein restliches Leben wählte: ehrenamtlicher DFB-Präsident. Darin ging Hermann Neuberger, der heute vor 100 Jahren zur Welt kam, regelrecht auf.

17 Jahre währte seine Amtszeit (25. Oktober 1975 bis 17. September 1992), länger als jede andere Präsidentschaft beim anno 1900 gegründeten DFB nach dem Krieg, und wohl keiner hat sich stärker mit dem Amt identifiziert als Neuberger. Denn eine Steigerung war kaum möglich. Albert "Ali" Wagner (87), sein Nachfolger im Saarländischen Fußballverband, sagt im Gespräch mit dem DFB-Journal: "DFB-Präsident - das war sein Leben. Er hing mit allen Fasern seines Daseins an diesem Posten."

Organisationstalent und Innovator

Neuberger war ein Workaholic, als es das Wort noch gar nicht gab. In den Schwarzwald-Urlaub ließ er sich Akten nachschicken, in der 1993 nach ihm benannten Frankfurter DFB-Zentrale in der Otto-Fleck-Schneise hatte der Saarbrücker ein Appartement, für den Fall, dass eine Sitzung mal wieder länger dauerte und die nächste schon anstand. In keine dieser Sitzungen, so heißt es, ging er je unvorbereitet. Er wollte alles wissen und wusste auch alles, was im deutschen Fußball geschah. Und nicht nur dort. Seit 1969 DFB-Vizepräsident, hatte er die Aufgabe, die WM 1974 im eigenen Land als OK-Chef zu organisieren. Sie war sportlich, wirtschaftlich und imagemäßig ein großer Erfolg.

Der neue FIFA-Präsident Joao Havelange aus Brasilien war dermaßen beeindruckt, dass er gestand: "In die FIFA gewählt, war mein erster Gedanke, mit Neuberger zusammenzuarbeiten." Der fühlte sich geschmeichelt und schlug ein. So kam es, dass Neuberger als Vizepräsident auch OK-Chef der nächsten vier WM-Endrunden wurde, denn "Hermann the German", da gab es keine Zweifel in der Fußballwelt, konnte das. Havelange wird in der 1993 im Jahr nach Neubergers Tod vom DFB herausgegebenen Biographie so zitiert: "Wenn sich die Fußball-Weltmeisterschaften zum größten Sport-Spektakel unserer Zeit entwickelt haben, ist dies nicht zuletzt auch sein Verdienst."

Nicht sein einziger, wahrlich nicht. Kaum im Amt, begann Neuberger die Verwaltung des DFB umzustrukturieren und sie auf breitere Füße zu stellen. Direktorenposten wurden gebildet, um den mit der zunehmenden Bedeutung des Fußballs sich ergebenden Herausforderungen gewachsen zu sein. Es brauchte Juristen, Steuerexperten und Verwaltungsfachleute. Auch äußerlich wuchs der DFB, auf Neuberger ging der Ausbau der Verbandszentrale zurück.

"In der Wiedervereinigung hatte keiner Zeit"

Was noch? Die organisatorisch anspruchsvolle Wiedervereinigung der beiden deutschen Fußballverbände 1990, die auch für ihn schneller als erwartet kam, verdient natürlich an hervorragender Stelle Erwähnung. Der damalige DFV-Präsident Hans-Georg Moldenhauer erinnert sich: "Ich wollte gleich, er noch zwei Jahre warten, aber in der Wiedervereinigung hatte keiner Zeit." Neuberger hatte sich auf Kanzler Helmut Kohl verlassen, der ihm versicherte, dass es ein geeintes Deutschland nicht vor Ende 1991 geben werde. Nun ja. Es kam dann doch ein Jahr früher, und Moldenhauer und Neuberger reichten sich im November 1990 in Leipzig über einem Trabi-Dach symbolträchtig die Hände.

Danach setzten sie sich in den Westbürgern gänzlich fremden Wagentypen "und Neuberger und Egidius Braun bekamen die Tür nicht zu.", weiß Moldenhauer noch amüsiert zu berichten. Man musste sich eben noch aneinander gewöhnen, in vielerlei Hinsicht. Aber es fiel den beiden Präsidenten leicht, sie mochten aneinander nach einem zehnstündigen Kennenlernen in einem Hotel auf Malta und "der geschichtliche Moment hat uns verbunden". Moldenhauer rechnet Neuberger hoch an, dass er sich bei der UEFA und der FIFA dafür einsetzte, dass die international pfeifenden DDR-Schiedsrichter ihre Lizenzen behielten und vier DDR-Klubs auch nach dem formalen Ende des Staats 1991/1992 noch im Europapokal spielen durften. Warum auch nicht?

Neuberger kümmerte sich um die großen und die kleinen Dinge, auch bei der A-Nationalmannschaft, der seine große Liebe gehörte. Bis ins Detail. Ali Wagner stand daneben, als der junge Teamchef Franz Beckenbauer 1984 in Neubergers Saarbrücker Büro anrief und vom Chef die Order empfing, er möge seinen Spielern gefälligst den Text der Nationalhymne aushändigen, damit sie endlich mitsingen könnten. So geschah es, und sie sangen. Wäre das auch geklärt.

"Im Ausland anerkannter und angesehener, als in Deutschland"

Hermann Neuberger trennte nicht zwischen Stars und Amateuren, er fühlte sich für alle verantwortlich. Dazu weiß Ex-Bundestrainer Berti Vogts eine Geschichte zu erzählen. Er war noch als Assistent Franz Beckenbauers beauftragt worden, vor der WM 1990 ein Quartier bei Mailand zu suchen und fand ein geeignetes Hotel. Dumm nur, dass die FIFA es schon für ihre Schiedsrichter gebucht hatte. Vogts hatte den Hotelier schon so weit, zu glauben, dass es für sein Ansehen doch viel besser wäre, die deutsche Mannschaft zu beherbergen als ein paar unbekannte Schiedsrichter, nun brauchte er nur noch das Okay von Neuberger. Der würde mit seinen Verbindungen das Problem sicher lösen. Vogts: "Da fuhr der mich am Telefon an und sagte: 'Die Schiedsrichter sind das Wichtigste überhaupt im Fußball. Die bleiben. Suchen Sie was anderes.'"

So kamen die Deutschen zum berühmten Castello di Casiglia, das einem Bruder des Hoteliers gehörte. Da fehlte allerdings ein Swimmingpool, aber den ließ Neuberger auf Drängen Beckenbauers kurzerhand bauen. "So war Hermann Neuberger", sagt Vogts voller Dankbarkeit für "den besten Präsidenten, den ich je hatte und den man sich nur vorstellen kann."

Zu seinen Verdiensten zählt auch, dass Berlin das DFB-Pokalfinale bekam - als Entschädigung für entgangene Spiele bei der EM 1988 - oder dass die Trainerausbildung an der Kölner Sporthochschule gegen anfängliche Widerstände der Kultusministerien allein DFB-Sache wurde. Er vergrößerte den Trainerstab des DFB für dessen Auswahlmannschaften, und er gilt als Vater der 2. Liga, die noch in seiner Zeit als Vizepräsident 1974 gegründet wurde. Die Liste muss unvollständig bleiben, man wird immer etwas vergessen bei der Würdigung einer so langen Amtszeit. Neuberger selbst fühlte sich nicht immer genug gewürdigt und klagte einmal: "Ich bin im Ausland anerkannter und angesehener, als in Deutschland."



Sänger hätte Dr. h. c. Hermann Neuberger werden können. Oder Theaterregisseur. Die Neigung dazu verspürte er. Oder Journalist. Die Befähigung hatte er, nachgewiesen in jungen Jahren, als er aus dem Krieg zurückkam und für zwei Sportzeitungen gleichzeitig arbeitete. Oder vielleicht sogar Politiker. Nicht umsonst nannten sie ihn den heimlichen Ministerpräsidenten des Saarlands, weil er zeitweise gleichzeitig Direktor des Saar-Totos, Präsident des Landessportbundes und des Fußballverbands des kleinsten Bundeslandes in der alten BRD war.

"Ich wusste gar nicht, dass man in fünf Lebensjahrzehnten so viel erreichen kann", staunte der saarländische Ministerpräsident Franz-Josef Röder in seiner Rede zu Neubergers 50. Geburtstag. Und im Grunde war er ja auch ein Politiker auf dem Spielfeld, das er im Alter von 55 für sein restliches Leben wählte: ehrenamtlicher DFB-Präsident. Darin ging Hermann Neuberger, der heute vor 100 Jahren zur Welt kam, regelrecht auf.

17 Jahre währte seine Amtszeit (25. Oktober 1975 bis 17. September 1992), länger als jede andere Präsidentschaft beim anno 1900 gegründeten DFB nach dem Krieg, und wohl keiner hat sich stärker mit dem Amt identifiziert als Neuberger. Denn eine Steigerung war kaum möglich. Albert "Ali" Wagner (87), sein Nachfolger im Saarländischen Fußballverband, sagt im Gespräch mit dem DFB-Journal: "DFB-Präsident - das war sein Leben. Er hing mit allen Fasern seines Daseins an diesem Posten."

Organisationstalent und Innovator

Neuberger war ein Workaholic, als es das Wort noch gar nicht gab. In den Schwarzwald-Urlaub ließ er sich Akten nachschicken, in der 1993 nach ihm benannten Frankfurter DFB-Zentrale in der Otto-Fleck-Schneise hatte der Saarbrücker ein Appartement, für den Fall, dass eine Sitzung mal wieder länger dauerte und die nächste schon anstand. In keine dieser Sitzungen, so heißt es, ging er je unvorbereitet. Er wollte alles wissen und wusste auch alles, was im deutschen Fußball geschah. Und nicht nur dort. Seit 1969 DFB-Vizepräsident, hatte er die Aufgabe, die WM 1974 im eigenen Land als OK-Chef zu organisieren. Sie war sportlich, wirtschaftlich und imagemäßig ein großer Erfolg.

Der neue FIFA-Präsident Joao Havelange aus Brasilien war dermaßen beeindruckt, dass er gestand: "In die FIFA gewählt, war mein erster Gedanke, mit Neuberger zusammenzuarbeiten." Der fühlte sich geschmeichelt und schlug ein. So kam es, dass Neuberger als Vizepräsident auch OK-Chef der nächsten vier WM-Endrunden wurde, denn "Hermann the German", da gab es keine Zweifel in der Fußballwelt, konnte das. Havelange wird in der 1993 im Jahr nach Neubergers Tod vom DFB herausgegebenen Biographie so zitiert: "Wenn sich die Fußball-Weltmeisterschaften zum größten Sport-Spektakel unserer Zeit entwickelt haben, ist dies nicht zuletzt auch sein Verdienst."

Nicht sein einziger, wahrlich nicht. Kaum im Amt, begann Neuberger die Verwaltung des DFB umzustrukturieren und sie auf breitere Füße zu stellen. Direktorenposten wurden gebildet, um den mit der zunehmenden Bedeutung des Fußballs sich ergebenden Herausforderungen gewachsen zu sein. Es brauchte Juristen, Steuerexperten und Verwaltungsfachleute. Auch äußerlich wuchs der DFB, auf Neuberger ging der Ausbau der Verbandszentrale zurück.

"In der Wiedervereinigung hatte keiner Zeit"

Was noch? Die organisatorisch anspruchsvolle Wiedervereinigung der beiden deutschen Fußballverbände 1990, die auch für ihn schneller als erwartet kam, verdient natürlich an hervorragender Stelle Erwähnung. Der damalige DFV-Präsident Hans-Georg Moldenhauer erinnert sich: "Ich wollte gleich, er noch zwei Jahre warten, aber in der Wiedervereinigung hatte keiner Zeit." Neuberger hatte sich auf Kanzler Helmut Kohl verlassen, der ihm versicherte, dass es ein geeintes Deutschland nicht vor Ende 1991 geben werde. Nun ja. Es kam dann doch ein Jahr früher, und Moldenhauer und Neuberger reichten sich im November 1990 in Leipzig über einem Trabi-Dach symbolträchtig die Hände.

Danach setzten sie sich in den Westbürgern gänzlich fremden Wagentypen "und Neuberger und Egidius Braun bekamen die Tür nicht zu.", weiß Moldenhauer noch amüsiert zu berichten. Man musste sich eben noch aneinander gewöhnen, in vielerlei Hinsicht. Aber es fiel den beiden Präsidenten leicht, sie mochten aneinander nach einem zehnstündigen Kennenlernen in einem Hotel auf Malta und "der geschichtliche Moment hat uns verbunden". Moldenhauer rechnet Neuberger hoch an, dass er sich bei der UEFA und der FIFA dafür einsetzte, dass die international pfeifenden DDR-Schiedsrichter ihre Lizenzen behielten und vier DDR-Klubs auch nach dem formalen Ende des Staats 1991/1992 noch im Europapokal spielen durften. Warum auch nicht?

Neuberger kümmerte sich um die großen und die kleinen Dinge, auch bei der A-Nationalmannschaft, der seine große Liebe gehörte. Bis ins Detail. Ali Wagner stand daneben, als der junge Teamchef Franz Beckenbauer 1984 in Neubergers Saarbrücker Büro anrief und vom Chef die Order empfing, er möge seinen Spielern gefälligst den Text der Nationalhymne aushändigen, damit sie endlich mitsingen könnten. So geschah es, und sie sangen. Wäre das auch geklärt.

"Im Ausland anerkannter und angesehener, als in Deutschland"

Hermann Neuberger trennte nicht zwischen Stars und Amateuren, er fühlte sich für alle verantwortlich. Dazu weiß Ex-Bundestrainer Berti Vogts eine Geschichte zu erzählen. Er war noch als Assistent Franz Beckenbauers beauftragt worden, vor der WM 1990 ein Quartier bei Mailand zu suchen und fand ein geeignetes Hotel. Dumm nur, dass die FIFA es schon für ihre Schiedsrichter gebucht hatte. Vogts hatte den Hotelier schon so weit, zu glauben, dass es für sein Ansehen doch viel besser wäre, die deutsche Mannschaft zu beherbergen als ein paar unbekannte Schiedsrichter, nun brauchte er nur noch das Okay von Neuberger. Der würde mit seinen Verbindungen das Problem sicher lösen. Vogts: "Da fuhr der mich am Telefon an und sagte: 'Die Schiedsrichter sind das Wichtigste überhaupt im Fußball. Die bleiben. Suchen Sie was anderes.'"

So kamen die Deutschen zum berühmten Castello di Casiglia, das einem Bruder des Hoteliers gehörte. Da fehlte allerdings ein Swimmingpool, aber den ließ Neuberger auf Drängen Beckenbauers kurzerhand bauen. "So war Hermann Neuberger", sagt Vogts voller Dankbarkeit für "den besten Präsidenten, den ich je hatte und den man sich nur vorstellen kann."

Zu seinen Verdiensten zählt auch, dass Berlin das DFB-Pokalfinale bekam - als Entschädigung für entgangene Spiele bei der EM 1988 - oder dass die Trainerausbildung an der Kölner Sporthochschule gegen anfängliche Widerstände der Kultusministerien allein DFB-Sache wurde. Er vergrößerte den Trainerstab des DFB für dessen Auswahlmannschaften, und er gilt als Vater der 2. Liga, die noch in seiner Zeit als Vizepräsident 1974 gegründet wurde. Die Liste muss unvollständig bleiben, man wird immer etwas vergessen bei der Würdigung einer so langen Amtszeit. Neuberger selbst fühlte sich nicht immer genug gewürdigt und klagte einmal: "Ich bin im Ausland anerkannter und angesehener, als in Deutschland."

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"Wenige Möglichkeiten, die äußere, harte Hülle zu durchdringen"

Was mit seinem Wirken auf andere zu tun hat: Es gibt eine deutliche Diskrepanz zwischen der internen und der öffentlichen Wahrnehmung der Person Neuberger. Mitarbeiter kannten ihn auch gesellig und humorvoll. Doch er teilte das Los vieler Menschen in Führungspositionen, denen man schnell Machtstreben, Rechthaberei, in seinem Fall auch Humorlosigkeit und Starrsinn vorwarf. Er war keiner, dem die Sympathien sofort zuflogen, "weil er nicht auf Kommando lächeln kann", wie der Fernsehmacher Hans Beierlein einmal sagte.

Sein langjähriger Vize Otto Andres dazu 1993: "Persönliche, enge Freunde hatte er nicht viele, weil er sich mit einem Mantel umgab und die Leute nur wenige Möglichkeiten hatten, die äußere, harte Hülle zu durchdringen." Auf viele wirkte er misstrauisch und dazu hatte er auch allen Grund. Es gab täglich Herausforderungen in seinem Job, mancherlei Bewährungsproben, zuweilen auch Krisen und mindestens einmal eine echte Kampagne. Im Nachklang zur unseligen WM 1978 in Argentinien "versuchte ein Teil der Presse, ihn regelrecht fertigzumachen", wie der Historiker Nils Havemann in seinem Buch "Samstags um halb 4" noch 2013 schrieb.

Es ging um die Rudel-Affäre, fraglos ein düsterer Punkt in Neubergers Amtszeit. Düster auch deshalb, weil er nicht genug ausgeleuchtet wurde. Der Besuch des einstigen Nazi-Fliegergenerals Hans-Ulrich Rudel, ein Mann mit auch damals noch unveränderter stramm-rechter Gesinnung im deutschen WM-Quartier von Ascochinga, wurde medial verzerrt dargestellt und hallt scheinbar auf ewig nach. Noch Anfang November war in der FAZ über Neuberger zu lesen: "Außerdem lud er den ehemaligen Schlachtflieger und Wehrmachtsoffizier Hans-Ulrich Rudel in die Ehrenloge des DFB und ins Mannschaftsquartier ein."

Nichts davon ist belegt, vermutlich beides falsch. Neuberger war zum Zeitpunkt des Besuchs in seiner OK-Funktion im 800 Kilometer entfernten Buenos Aires und kannte Rudel gar nicht. Wahr ist, dass Rudel vor der WM schriftlichen Kontakt zu Bundestrainer Helmut Schön aufgenommen und diesen um Eintrittskarten für die deutschen Spiele bei der WM gebeten hatte. Als alter Bekannter von Schöns Vorgänger Sepp Herberger hatte er die Mannschaft schon bei der WM 1958 in Schweden besucht, damals übrigens ohne jeden Pressewirbel.

Kritik aus den Medien

Wie Neuberger in einem Schreiben vom 28. November 1978 an den Vorsitzenden des Direktoriums des Zentralrats der Juden, Werner Nachmann, erwähnte, habe der DFB die Anfrage Rudels nach Ehrenkarten abgelehnt: "Ich selbst traf gegenüber der zuständigen Verwaltungsstelle in Frankfurt diese Entscheidung." Ferner beteuerte er: "Im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Besuch darf ich noch einmal betonen: Ein solcher kam für uns völlig überraschend. Er war weder angekündigt noch abgesprochen." Das Hausrecht hatte die argentinische Luftwaffe, und das Wachpersonal ließ Rudel ein, nachdem der erzählte, der argentinische Kommandant habe ihn zum Essen eingeladen.

Neubergers noch bis in die 80er Jahre in mehreren Briefen, auch an hochrangige Medienvertreter, adressierten Ausführungen zum tatsächlichen Ablauf der Ereignisse konnten da schon nicht mehr die verheerende Wirkung eindämmen, die er mit seinen öffentlichen und mehr als ungeschickten Aussagen zum "Fall Rudel" selbst entfacht hatte. So wurde Neuberger, einst Soldat in Rommels Afrika-Corps, mit den Worten über Rudel zitiert: "Ich hoffe doch nicht, dass man ihm seine Kampffliegertätigkeit aus dem Zweiten Weltkrieg vorwerfen will."

Da sich der DFB vor der WM auch nicht, wie öffentlich gewünscht, klar von der Militär-Junta distanzierte, die seit 1976 in Argentinien an der Macht war und Oppositionelle folterte und umbrachte, oder gar einen Boykott erwog, geriet Neuberger in ein immer schlechteres Licht. Und auch in diesem Fall nicht zuletzt durch eigene öffentliche Äußerungen wie die, nach der "die Wende zum Besseren mit der Übernahme der Macht durch die Militärs ein(trat)". Dabei hatte er dem Nachrichtenmagazin Spiegel im April 1978 gesagt: "Die Spieler sollen durchaus die Bemühungen von Amnesty International unterstützen und ebenfalls von der Bundesregierung die Schaffung von 500 Plätzen für Flüchtlinge aus Argentinien erbitten und sich gezielt für den einen oder anderen Verfolgten einsetzen."

Das Echo war nicht das erwünschte, vom Auswärtigen Amt bekam er gar zu hören, dass die Bundesregierung "keineswegs" beabsichtige, "die Mitglieder unserer Elf oder die Schlachtenbummler in Argentinien zu Initiativen oder Erklärungen über die innerargentinische Situation zu ermuntern." Das Thema Argentinien war ein Pulverfass mit vielen Lunten, es nicht zu entzünden, damit war Neuberger - vielleicht zum ersten Mal in seinem Amt - überfordert.

"Das hat mir gar nicht gefallen, Herr Vogts"

Im Jahr 2014, weit nach seinem Tod, wurden ihm und dem DFB zudem in einer ARD-Dokumentation Vorwürfe zum Fall der am 24. Mai 1977 von der Junta ermordeten Deutschen Elisabeth Käsemann gemacht. Der Vorwurf: Der DFB habe aufgrund Neubergers guter Kontakte nach Argentinien im Zusammenhang mit der WM-Planung die Gelegenheit versäumt, sich für die Freilassung der jungen Frau einzusetzen. Auch hätte man wenigstens nicht zum Länderspiel am 5. Juni 1977 antreten dürfen, als der DFB/Neuberger von deren Ermordung erfahren habe.

Der DFB dazu in seiner Erklärung 2014: "Die Auswertung der uns verfügbaren Quellen, insbesondere der Akten des Auswärtigen Amtes, hat keine Belege dafür erbracht, dass der DFB oder dessen Entscheidungsträger von der Verhaftung (8.3.1977) und der sich anschließenden Folterhaft bis zu ihrem Tod am 24.5.1977 überhaupt detailliert Kenntnis hatte." Außerdem habe das Auswärtige Amt von einer Spielabsage abgeraten.

Neuberger überstand die Rudel-Affäre und auch die Angriffe wegen des deutschen Auftretens bei der WM 1982, als selbst er die "Schande von Gijon" kleinredete ("Das ist morgen schon Schnee von gestern"). Was der Sohn eines Lehrerehepaars glaubte tun zu müssen, weil es sein Prinzip war, sich immer vor seine Leute zu stellen. Als Berti Vogts einmal einen Journalisten auf verletzende Art beleidigte, kam es zur Aussprache in Neubergers Gegenwart. Der Präsident gab dem Journalisten teilweise Recht, hielt aber zu Vogts. Als sie alleine waren, sagte er ihm jedoch: "Das hat mir gar nicht gefallen, Herr Vogts. Das will ich kein zweites Mal mit Ihnen erleben." Vogts war von der Loyalität des Präsidenten mehr beeindruckt als von der Schelte.

Krebstod verhindert Wiederwahl

Eine schwere Zeit hatte der Bundesverdienstkreuzträger Neuberger 1984/1985, als der DFB bei den Planungen für die EM 1988 die Inselstadt West-Berlin nicht berücksichtigte - jedenfalls nicht mit Nachdruck. Im Wissen darum, dass man sie wegen des Vetos der Osteuropäer dann nicht bekommen würde. Das interessierte die Presse weniger, und die Westfälische Rundschau fragte: "Der Deutsche Fußball-Bund sollte wirklich mal darüber reden, wie lange er sich diesen Herrn Neuberger noch leisten will." Diese Debatte führte der DFB nie.

Auch die EM 1988 wurde ein großer Erfolg, und nichts sprach gegen Neubergers Wiederwahl im Oktober 1992. Dachten alle. Aber das Schicksal hatte andere Pläne. Der tückische Krebs beendete vier Wochen vor dem Bundestag, an dem er zur Not auf der Tragbahre hatte teilnehmen wollen, in der Homburger Universitätsklinik sein Leben, das ein steter Kampf war. Er hinterließ fünf Frauen, seine Irmgard und vier Töchter - und den größten Sportverband der Welt. Rudi Michel, der große Fernsehkommentator der ARD, schrieb in der Neuberger-Biographie: "Dieses Engagement für den Fußball hätte kein anderer hinbringen können."

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