100 Jahre unser Fritz: "Dann wird er auf einmal wieder lebendig"

Fritz Walter (1920 – 2002) ist Ehrenspielführer, Weltmeister, eine deutsche Fußball-Legende. Sein 100. Geburtstag hat natürlich auch die Fans des heutigen Drittligisten 1. FC Kaiserslautern bewegt, Walters Heimatklub, den er als Spieler zu zwei Deutschen Meisterschaften führte und dessen Trikot er mehr als drei Jahrzehnte trug. Fanreporter Carsten Germann hat zwei FCK-Insider zum Vermächtnis von Fritz Walter interviewt - mit überraschenden Details zur Wahrnehmung der Figur Fritz Walter im Alltag.

Die Gesprächspartner: Hagen Leopold, 53, gelernter Augenoptiker, ist nebenbei Fußballhistoriker. Vor zehn Jahren hätte er beinahe das Hobby zum Beruf gemacht. Er ist der Kurator der Ausstellung 100 Jahre unser Fritz. Im Oktober hat er in Kaiserslautern in der Fruchthalle für einen Tag den Nachlass von Fritz Walter mit 70 ausgewählten Exponaten ausgestellt.

Hans Walter, 72, ist der Vorsitzende des Fördervereins FCK Museum. Der gebürtige Lauterer ist Fachleiter am Studienseminar im Ruhestand und seit der ersten Stunde dabei, seit sich der Förderverein vor zwölf Jahren konstituiert hat. Er trat später als Vorsitzender die Nachfolge des legendären FCK-Präsidenten Norbert Thines (80) an, der 2013 aus gesundheitlichen Gründen kürzertreten musste.

DFB.de: Hagen Leopold, wie kam es zu der ungewöhnlichen Ausstellung "100 Jahre unser Fritz"?

Hagen Leopold: Es war eine Geschichte, die Harald Layenberger (Sponsor des FCK, Anm. d. Red.) in den Raum gestellt hat. Die Exponate gehören Layenberger, der das Erbe von Fritz Walter quasi gerettet hat. Es drohte die Zerschlagung des Nachlasses in Auktion. Diese Veranstaltung war vom Verein "Unser Fritz" organisiert. Die Auswahl der Exponate lag hingegen allein bei mir.

DFB.de: Herr Walter, der 1.FC Kaiserslautern hat anlässlich des 100. Geburtstags in Kooperation mit dem Förderverein Initiative Leidenschaft und der Stadt Kaiserslautern, die Sonderausstellung "Das Wunder von Kaiserslautern – Fritz Walter zum 100. Geburtstag" ins Leben gerufen. Welche Exponate haben Sie besonders beeindruckt?

Hans Walter: (lacht) Ein Exponat, auf das wir besonders stolz sind, das ist ein Gully!

DFB.de: Das müssen Sie erklären!

Walter: Die Öffnung dieses Gullys war das erste Tor, auf das Fritz Walter und seine Brüder Ludwig und Ottmar mit Freunden geschossen haben, als sie Kinder waren. Bei diesen Gullys kann nur Flüssigkeit abfließen, das Bällchen konnte also immer wieder herausgeholt werden, das hat Fritz Walter schon mit fünf oder sechs Jahren praktiziert. Dieses perfekte Jonglieren und Fintieren mit dem Ball, das hat er sich dort angewöhnt – lange bevor er zum FV Kaiserslautern kam, dem späteren 1. FC Kaiserslautern.

Leopold: Den Gully habe ich übrigens 2009 von der Stadt Kaiserslautern ausbauen lassen!

DFB.de: Da schließt sich der Kreis! Welche Exponate beeindruckten Sie am meisten, Herr Leopold?

Leopold: Die Ehrenspielführer-Urkunde, die wahrscheinlich das teuerste Exponat war. Sie ruft Ehrfurcht hervor. Das Papier ist auf den 4. Juli 1954 datiert. Am 6. Juli wurde der Titel "Ehrenspielführer" erst erfunden. Fritz Walter bekam ihn als einziger während seiner aktiven Laufbahn.

DFB.de: Der goldene Mercedes von Fritz Walter ist sicherlich ein Hingucker unter den Exponaten. Wie haben Sie ihn in die Ausstellung geschafft?

Leopold: Die Museumsangestellten und Herr Seibel vom Dr. Carl-Benz-Museum in Ladenburg waren sehr kooperativ. Sie haben das Auto auf eigene Kosten nach Kaiserslautern transportiert, weil es nicht mehr fahrtüchtig ist. Es war eine Herausforderung, dieses Auto in die Nische in die Halle zu bekommen. Der Wendekreis alter Fahrzeuge ist ziemlich groß.

DFB.de: Herr Walter, was hat Sie im Rahmen Ihrer Ausstellung am meisten berührt?

Walter: Ich darf erwähnen, dass es für mich immer wieder berührend ist, wenn ältere Gäste in unser Museum kommen und erzählen wollen. Wir hören gern zu. Wenn Leute von ihren Begegnungen mit Fritz Walter erzählen, dann ist das immer wieder bewegend. Wenn man diese Geschichten hört, wird der Fritz auf einmal wieder lebendig.

DFB.de: Welches ist Ihre Lieblingsanekdote über Fritz Walter?

Walter: Es sind so viele Episoden! Seine Kriegserlebnisse zum Beispiel. Es grenzt fast schon an ein Wunder, dass er den Krieg unbeschadet überstanden hat. Das war auch für die Geschichte des 1. FC Kaiserslautern sehr wichtig, dass Fritz Walter den Krieg unverletzt überlebte. Er hatte einige Erlebnisse, die schrecklich waren. Auf dem Weg nach Rennes nach der Invasion der Alliierten 1944 wurde die JU-52-Maschine mit ihm an Bord von den Engländern beschossen. Ein Motor fing Feuer. Die Tür, an der Fritz Walter stand zum Ausstieg, flog weg, ein Kamerad zog ihn an der Koppel zurück und rettete ihm wohl das Leben. Aus diesem Erlebnis hat sich die Flugangst von Fritz Walter gespeist. Er flog nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel nach Chile zur Weltmeisterschaft 1962.

Leopold: Er ist damals mit einer Presse-Akkreditierung nach Chile geflogen. Er hatte Zugang zu allen Stadien. Den besagten Presseausweis habe ich in meiner Fritz-Walter-Sammlung. 1957, bei der USA-Reise des 1. FC Kaiserslautern, ist er mit dem Schiff nach New York gefahren. Die Rückreise hat er mit dem Flugzeug gemacht.

Leopold: Ich habe mehrere Ordner mit seinem privaten Briefverkehr. Darin finden sich auch Schreiben von prominenten Persönlichkeiten. Kinderbriefe an ihn, Bilder, die Kinder für ihn gemalt haben. Das hat ihn, wie man heute sagen würde, "geflashed"! Auch, dass er mit 75 Jahren noch so hoch gehandelt wurde, hat Fritz Walter berührt. Diese Briefe, Korrespondenzen mit Sportgrößen wie Hans Günter Winkler, Ulrike Meyfarth, Rosi Mittermaier, die er alle persönlich kannte, zeugen von einer tiefen Verbundenheit. Auch mit Prominenten, die nicht aus dem Sport kamen wie den Bundeskanzlern Dr. Helmut Kohl, Anneliese Rothenberger, Gerhard Schröder, Günter Strack oder Walter Scholz war er lange Jahre befreundet. Diese Briefe habe ich be- und erhalten. Was ans Herz geht, sind die Kondolenzschreiben für seine Ehefrau Italia, die ein halbes Jahr vor ihm starb. Dieser Schriftverkehr wurde mir zur Verfügung gestellt. Ein immenser Fundus an Briefen. Es war ein sehr großer Vertrauensvorschuss, mir diese Briefe anzuvertrauen.

DFB.de: Wie sehr ist Fritz Walter im Fan-Alltag des 1. FC Kaiserslautern bis heute noch verwurzelt?

Walter: Er ist immer noch stark verwurzelt, auch wenn durch den Generationswechsel vieles verblasst. Das ist unsere Aufgabe im Museum: Die Erinnerung an ihn lebendig zu halten. Er war ein Mensch mit einer großen Ausstrahlung mit einer starken Anziehungskraft.

DFB.de: Wie sehen Sie die Präsenz von Fritz Walter in Kaiserslautern, Herr Leopold?

Leopold: Es sind punktuelle Zeichen in der Stadt. Die Beschilderung, die das Stadion ausweist, ist in der Stadt überall zu lesen. An "seinem" Stadion ist auch eine Statue errichtet worden. Nicht zu vergessen das Fritz-Walter-Kino in der Karl-Marx-Straße oder der Elf-Freunde-Kreisel am Fuße des Betzenbergs und das Grabmal von Fritz Walter auf dem Hauptfriedhof von Kaiserslautern.

Walter: Exakt. Das Ehrengrab ist in diesen Tagen rund um den 100. Geburtstag stärker besucht worden als sonst. Da sind Kränze und Blumen niederlegt worden. Das zeigt die Anteilnahme. Dieser Ehrenbürger der Stadt und des Landes Rheinland-Pfalz hat es verdient, dass man über ihn spricht und man sich an ihn erinnert.

DFB.de: Erinnerung ist das Stichwort! Wie manifestiert sich diese?

Leopold: Das Stadion ist der Hauptpunkt, den der Zuschauer am Spieltag wahrnimmt. Aus dem Sprachgebrauch muss man zwei Schritte zurückgehen. Der Betzenberg, wo das nach ihm benannte Stadion steht, war ursprünglich ein Steinbruch. Deswegen wird dieser Ort seit vielen Jahren im Lauterer Volksmund und im Pfälzer Dialekt als "Betze" bezeichnet. Das "Mir gehen uff de Betze", das kriegst du aus den Lauterer Fans nicht raus. Das ist im Sprachgebrauch drin. Ebenso wie "Wie hatten de Betze gespielt?" Das ist der Pfälzer Sprachgebrauch. Man sagt nicht: "Mir gehen ins Fritz-Walter-Stadion."

DFB.de: Und wie war es früher, zu Fritz Walters Lebzeiten?

Leopold: Das zieht sich über die Jahrzehnte in Kaiserslautern. Die Selbstverständlichkeit, mit der er sich als quasi Superstar in der Stadt bewegte, das machte ihn aus. Er gehörte zum Stadtbild wie der Martinsplatz. "Er war halt do", sagen viele ältere Fans bis heute. Bei den Retro-Trikots der FCK-Anhänger sieht man häufig die Nummer 8, die Rückkennummer von Fritz Walter. Das lässt ihn ebenfalls bis heute sehr präsent wirken.

DFB.de: "Vorbild für Millionen", "Gewissen des Fußballs" – wie wichtig sind die Werte, für die Fritz Walter stand, heute noch?

Walter: Das Weitergeben unserer Erinnerungen und Erfahrungen und das alles erlebbar zu machen, ist unser Auftrag. Die Bedeutung von Fritz Walter in seiner Menschlichkeit zu bewahren und deutlich zu machen, dass er uns mit seinen Werten und Idealen immer noch was zu sagen hat. Wir wollen das aufrecht erhalten und tradieren.

Leopold: Die Werte Fritz Walters werden oft zitiert, aber wenig gelebt. Das ist für mich entscheidend. Axel Roos hat in seiner Fußballschule sechs Punkte hängen, die erklären, wie man ein Spiel gewinnt. Diese Punkte beruhen auf Vorgaben von Fritz Walter. Axel lässt das weiterleben. Aber im Alltag des FCK sind diese Werte kaum noch verfolgbar. Die meisten Menschen, die jetzt am Betzenberg im Sportlichen aktiv sind, sind von außen hereingeschneit. Das ist meine persönliche Meinung, zu der ich stehe.  

DFB.de: Wenn man Fritz Walter als Figur beleuchtet: Was sind überhaupt seine Werte?

Leopold: Es sind Tugenden. Fleiß gehört dazu. Er hatte unendlichen Trainingsfleiß, er hat mit unendlicher Geduld Autogramme geschrieben und mit viel Akribie alle fußballerischen Details notiert, 1962 als eine Art Scout für Sepp Herberger bei der WM in Chile und danach als Teammanager in Alsenborn. Dazu kam seine Disziplin, auf dem Platz und außerhalb. Oder Pünktlichkeit, das war für ihn wichtig. Wenn er mal zwei Minuten zu spät kam, weil der Bundeskanzler in Kaiserslautern war und er deswegen im Stau stand, war ihm das peinlich. Die Leute haben zu ihm aufgeschaut und die Dinge ein Stück weit verinnerlicht. Er hat das zeitlebens getan, ohne darüber nachzudenken.

Walter: Wichtige Aspekte sind auch seine Heimatverbundenheit und seine Authentizität. Wenn man über ihn sagt, dass er nie vergessen hat, wo er hergekommen ist, dann trifft das 100-prozentig zu.

DFB.de: Was zeichnete ihn noch aus?

Leopold: Seine Offenheit! Seine WM-Tagebücher von 1958, das sind drei kleine Bücher, die eine unheimliche Selbstreflexion darstellen. Selbstzweifel, Gedanken über verletzte Mitspieler – bis hin zur Sorge um die Fans. "Es sind noch keine Karten für die deutschen Fans. Sie setzen uns auseinander", steht da. Er hat das gemacht, was heute viele andere Leute rund um ein Länderspiel machen. Er hat sich gekümmert, dass die deutschen Anhänger ihre Karten bekommen. Diese Hilfsbereitschaft, auch die Kasse für die Angehörigen von gefallenen Kameraden bei den Roten Jägern, die Sicherung von Werbegeldern und Rechte-Einnahmen der "Berner Helden", das alles hat Fritz nach dem Tod von Sepp Herberger 1977 verwaltet und an die Angehörigen verteilt. Fitz Walter hat niemanden vergessen.

Walter: Andere Markenzeichen von Fritz Walter waren seine sprichwörtliche Bescheidenheit, Bodenständigkeit und Natürlichkeit. Er hat sich nie geschämt, in den Interviews von gestelztem Hochdeutsch auf Pfälzisch umzuschalten. Er hat "Hochpfälzisch" gesprochen.

DFB.de: Fritz Walters Weisheiten wie "Dehäm is dehäm" oder "Männer, die Dore sin geschoss" – wie sehr gehören sie zur Fansprache des FCK?

Leopold: Rund ums Spiel fallen solche Sprüche von Fritz Walter eigentlich selten. Im Tagesgeschäft Fußball gibt es eigentlich keinen Bezug. Es geht eher darum: Ist ein Spieler vereinstreu oder nicht? Das kann man alles nicht mit Fritz Walter vergleichen. "Dehäm is dehäm", das galt zuletzt für FCK-Spieler wie Axel Roos, Olaf Marschall und Andy Buck. Das ist die letzte Generation an Spielern, die ihre Verträge erfüllt hat und ihren Wohnort hier behalten hat.

Walter: Vor allem das Fritz-Walter-Wetter hat sich im Sprachgebrauch niedergeschlagen! Das geht natürlich bis heute bei den Zuschauern um. Wenn es leicht regnet, im Sommer oder im Frühling, dann hört man oft den Spruch: "Fritz soi Wetter – jetzt kann nichts mehr schief gehen." Diese Wendung hört man bis heute unter den Fans. Die anderen Sprüche kennen nur diejenigen noch, die seine Vita besonders gut kennen.

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Fritz Walter (1920 – 2002) ist Ehrenspielführer, Weltmeister, eine deutsche Fußball-Legende. Sein 100. Geburtstag hat natürlich auch die Fans des heutigen Drittligisten 1. FC Kaiserslautern bewegt, Walters Heimatklub, den er als Spieler zu zwei Deutschen Meisterschaften führte und dessen Trikot er mehr als drei Jahrzehnte trug. Fanreporter Carsten Germann hat zwei FCK-Insider zum Vermächtnis von Fritz Walter interviewt - mit überraschenden Details zur Wahrnehmung der Figur Fritz Walter im Alltag.

Die Gesprächspartner: Hagen Leopold, 53, gelernter Augenoptiker, ist nebenbei Fußballhistoriker. Vor zehn Jahren hätte er beinahe das Hobby zum Beruf gemacht. Er ist der Kurator der Ausstellung 100 Jahre unser Fritz. Im Oktober hat er in Kaiserslautern in der Fruchthalle für einen Tag den Nachlass von Fritz Walter mit 70 ausgewählten Exponaten ausgestellt.

Hans Walter, 72, ist der Vorsitzende des Fördervereins FCK Museum. Der gebürtige Lauterer ist Fachleiter am Studienseminar im Ruhestand und seit der ersten Stunde dabei, seit sich der Förderverein vor zwölf Jahren konstituiert hat. Er trat später als Vorsitzender die Nachfolge des legendären FCK-Präsidenten Norbert Thines (80) an, der 2013 aus gesundheitlichen Gründen kürzertreten musste.

DFB.de: Hagen Leopold, wie kam es zu der ungewöhnlichen Ausstellung "100 Jahre unser Fritz"?

Hagen Leopold: Es war eine Geschichte, die Harald Layenberger (Sponsor des FCK, Anm. d. Red.) in den Raum gestellt hat. Die Exponate gehören Layenberger, der das Erbe von Fritz Walter quasi gerettet hat. Es drohte die Zerschlagung des Nachlasses in Auktion. Diese Veranstaltung war vom Verein "Unser Fritz" organisiert. Die Auswahl der Exponate lag hingegen allein bei mir.

DFB.de: Herr Walter, der 1.FC Kaiserslautern hat anlässlich des 100. Geburtstags in Kooperation mit dem Förderverein Initiative Leidenschaft und der Stadt Kaiserslautern, die Sonderausstellung "Das Wunder von Kaiserslautern – Fritz Walter zum 100. Geburtstag" ins Leben gerufen. Welche Exponate haben Sie besonders beeindruckt?

Hans Walter: (lacht) Ein Exponat, auf das wir besonders stolz sind, das ist ein Gully!

DFB.de: Das müssen Sie erklären!

Walter: Die Öffnung dieses Gullys war das erste Tor, auf das Fritz Walter und seine Brüder Ludwig und Ottmar mit Freunden geschossen haben, als sie Kinder waren. Bei diesen Gullys kann nur Flüssigkeit abfließen, das Bällchen konnte also immer wieder herausgeholt werden, das hat Fritz Walter schon mit fünf oder sechs Jahren praktiziert. Dieses perfekte Jonglieren und Fintieren mit dem Ball, das hat er sich dort angewöhnt – lange bevor er zum FV Kaiserslautern kam, dem späteren 1. FC Kaiserslautern.

Leopold: Den Gully habe ich übrigens 2009 von der Stadt Kaiserslautern ausbauen lassen!

DFB.de: Da schließt sich der Kreis! Welche Exponate beeindruckten Sie am meisten, Herr Leopold?

Leopold: Die Ehrenspielführer-Urkunde, die wahrscheinlich das teuerste Exponat war. Sie ruft Ehrfurcht hervor. Das Papier ist auf den 4. Juli 1954 datiert. Am 6. Juli wurde der Titel "Ehrenspielführer" erst erfunden. Fritz Walter bekam ihn als einziger während seiner aktiven Laufbahn.

DFB.de: Der goldene Mercedes von Fritz Walter ist sicherlich ein Hingucker unter den Exponaten. Wie haben Sie ihn in die Ausstellung geschafft?

Leopold: Die Museumsangestellten und Herr Seibel vom Dr. Carl-Benz-Museum in Ladenburg waren sehr kooperativ. Sie haben das Auto auf eigene Kosten nach Kaiserslautern transportiert, weil es nicht mehr fahrtüchtig ist. Es war eine Herausforderung, dieses Auto in die Nische in die Halle zu bekommen. Der Wendekreis alter Fahrzeuge ist ziemlich groß.

DFB.de: Herr Walter, was hat Sie im Rahmen Ihrer Ausstellung am meisten berührt?

Walter: Ich darf erwähnen, dass es für mich immer wieder berührend ist, wenn ältere Gäste in unser Museum kommen und erzählen wollen. Wir hören gern zu. Wenn Leute von ihren Begegnungen mit Fritz Walter erzählen, dann ist das immer wieder bewegend. Wenn man diese Geschichten hört, wird der Fritz auf einmal wieder lebendig.

DFB.de: Welches ist Ihre Lieblingsanekdote über Fritz Walter?

Walter: Es sind so viele Episoden! Seine Kriegserlebnisse zum Beispiel. Es grenzt fast schon an ein Wunder, dass er den Krieg unbeschadet überstanden hat. Das war auch für die Geschichte des 1. FC Kaiserslautern sehr wichtig, dass Fritz Walter den Krieg unverletzt überlebte. Er hatte einige Erlebnisse, die schrecklich waren. Auf dem Weg nach Rennes nach der Invasion der Alliierten 1944 wurde die JU-52-Maschine mit ihm an Bord von den Engländern beschossen. Ein Motor fing Feuer. Die Tür, an der Fritz Walter stand zum Ausstieg, flog weg, ein Kamerad zog ihn an der Koppel zurück und rettete ihm wohl das Leben. Aus diesem Erlebnis hat sich die Flugangst von Fritz Walter gespeist. Er flog nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel nach Chile zur Weltmeisterschaft 1962.

Leopold: Er ist damals mit einer Presse-Akkreditierung nach Chile geflogen. Er hatte Zugang zu allen Stadien. Den besagten Presseausweis habe ich in meiner Fritz-Walter-Sammlung. 1957, bei der USA-Reise des 1. FC Kaiserslautern, ist er mit dem Schiff nach New York gefahren. Die Rückreise hat er mit dem Flugzeug gemacht.

Leopold: Ich habe mehrere Ordner mit seinem privaten Briefverkehr. Darin finden sich auch Schreiben von prominenten Persönlichkeiten. Kinderbriefe an ihn, Bilder, die Kinder für ihn gemalt haben. Das hat ihn, wie man heute sagen würde, "geflashed"! Auch, dass er mit 75 Jahren noch so hoch gehandelt wurde, hat Fritz Walter berührt. Diese Briefe, Korrespondenzen mit Sportgrößen wie Hans Günter Winkler, Ulrike Meyfarth, Rosi Mittermaier, die er alle persönlich kannte, zeugen von einer tiefen Verbundenheit. Auch mit Prominenten, die nicht aus dem Sport kamen wie den Bundeskanzlern Dr. Helmut Kohl, Anneliese Rothenberger, Gerhard Schröder, Günter Strack oder Walter Scholz war er lange Jahre befreundet. Diese Briefe habe ich be- und erhalten. Was ans Herz geht, sind die Kondolenzschreiben für seine Ehefrau Italia, die ein halbes Jahr vor ihm starb. Dieser Schriftverkehr wurde mir zur Verfügung gestellt. Ein immenser Fundus an Briefen. Es war ein sehr großer Vertrauensvorschuss, mir diese Briefe anzuvertrauen.

DFB.de: Wie sehr ist Fritz Walter im Fan-Alltag des 1. FC Kaiserslautern bis heute noch verwurzelt?

Walter: Er ist immer noch stark verwurzelt, auch wenn durch den Generationswechsel vieles verblasst. Das ist unsere Aufgabe im Museum: Die Erinnerung an ihn lebendig zu halten. Er war ein Mensch mit einer großen Ausstrahlung mit einer starken Anziehungskraft.

DFB.de: Wie sehen Sie die Präsenz von Fritz Walter in Kaiserslautern, Herr Leopold?

Leopold: Es sind punktuelle Zeichen in der Stadt. Die Beschilderung, die das Stadion ausweist, ist in der Stadt überall zu lesen. An "seinem" Stadion ist auch eine Statue errichtet worden. Nicht zu vergessen das Fritz-Walter-Kino in der Karl-Marx-Straße oder der Elf-Freunde-Kreisel am Fuße des Betzenbergs und das Grabmal von Fritz Walter auf dem Hauptfriedhof von Kaiserslautern.

Walter: Exakt. Das Ehrengrab ist in diesen Tagen rund um den 100. Geburtstag stärker besucht worden als sonst. Da sind Kränze und Blumen niederlegt worden. Das zeigt die Anteilnahme. Dieser Ehrenbürger der Stadt und des Landes Rheinland-Pfalz hat es verdient, dass man über ihn spricht und man sich an ihn erinnert.

DFB.de: Erinnerung ist das Stichwort! Wie manifestiert sich diese?

Leopold: Das Stadion ist der Hauptpunkt, den der Zuschauer am Spieltag wahrnimmt. Aus dem Sprachgebrauch muss man zwei Schritte zurückgehen. Der Betzenberg, wo das nach ihm benannte Stadion steht, war ursprünglich ein Steinbruch. Deswegen wird dieser Ort seit vielen Jahren im Lauterer Volksmund und im Pfälzer Dialekt als "Betze" bezeichnet. Das "Mir gehen uff de Betze", das kriegst du aus den Lauterer Fans nicht raus. Das ist im Sprachgebrauch drin. Ebenso wie "Wie hatten de Betze gespielt?" Das ist der Pfälzer Sprachgebrauch. Man sagt nicht: "Mir gehen ins Fritz-Walter-Stadion."

DFB.de: Und wie war es früher, zu Fritz Walters Lebzeiten?

Leopold: Das zieht sich über die Jahrzehnte in Kaiserslautern. Die Selbstverständlichkeit, mit der er sich als quasi Superstar in der Stadt bewegte, das machte ihn aus. Er gehörte zum Stadtbild wie der Martinsplatz. "Er war halt do", sagen viele ältere Fans bis heute. Bei den Retro-Trikots der FCK-Anhänger sieht man häufig die Nummer 8, die Rückkennummer von Fritz Walter. Das lässt ihn ebenfalls bis heute sehr präsent wirken.

DFB.de: "Vorbild für Millionen", "Gewissen des Fußballs" – wie wichtig sind die Werte, für die Fritz Walter stand, heute noch?

Walter: Das Weitergeben unserer Erinnerungen und Erfahrungen und das alles erlebbar zu machen, ist unser Auftrag. Die Bedeutung von Fritz Walter in seiner Menschlichkeit zu bewahren und deutlich zu machen, dass er uns mit seinen Werten und Idealen immer noch was zu sagen hat. Wir wollen das aufrecht erhalten und tradieren.

Leopold: Die Werte Fritz Walters werden oft zitiert, aber wenig gelebt. Das ist für mich entscheidend. Axel Roos hat in seiner Fußballschule sechs Punkte hängen, die erklären, wie man ein Spiel gewinnt. Diese Punkte beruhen auf Vorgaben von Fritz Walter. Axel lässt das weiterleben. Aber im Alltag des FCK sind diese Werte kaum noch verfolgbar. Die meisten Menschen, die jetzt am Betzenberg im Sportlichen aktiv sind, sind von außen hereingeschneit. Das ist meine persönliche Meinung, zu der ich stehe.  

DFB.de: Wenn man Fritz Walter als Figur beleuchtet: Was sind überhaupt seine Werte?

Leopold: Es sind Tugenden. Fleiß gehört dazu. Er hatte unendlichen Trainingsfleiß, er hat mit unendlicher Geduld Autogramme geschrieben und mit viel Akribie alle fußballerischen Details notiert, 1962 als eine Art Scout für Sepp Herberger bei der WM in Chile und danach als Teammanager in Alsenborn. Dazu kam seine Disziplin, auf dem Platz und außerhalb. Oder Pünktlichkeit, das war für ihn wichtig. Wenn er mal zwei Minuten zu spät kam, weil der Bundeskanzler in Kaiserslautern war und er deswegen im Stau stand, war ihm das peinlich. Die Leute haben zu ihm aufgeschaut und die Dinge ein Stück weit verinnerlicht. Er hat das zeitlebens getan, ohne darüber nachzudenken.

Walter: Wichtige Aspekte sind auch seine Heimatverbundenheit und seine Authentizität. Wenn man über ihn sagt, dass er nie vergessen hat, wo er hergekommen ist, dann trifft das 100-prozentig zu.

DFB.de: Was zeichnete ihn noch aus?

Leopold: Seine Offenheit! Seine WM-Tagebücher von 1958, das sind drei kleine Bücher, die eine unheimliche Selbstreflexion darstellen. Selbstzweifel, Gedanken über verletzte Mitspieler – bis hin zur Sorge um die Fans. "Es sind noch keine Karten für die deutschen Fans. Sie setzen uns auseinander", steht da. Er hat das gemacht, was heute viele andere Leute rund um ein Länderspiel machen. Er hat sich gekümmert, dass die deutschen Anhänger ihre Karten bekommen. Diese Hilfsbereitschaft, auch die Kasse für die Angehörigen von gefallenen Kameraden bei den Roten Jägern, die Sicherung von Werbegeldern und Rechte-Einnahmen der "Berner Helden", das alles hat Fritz nach dem Tod von Sepp Herberger 1977 verwaltet und an die Angehörigen verteilt. Fitz Walter hat niemanden vergessen.

Walter: Andere Markenzeichen von Fritz Walter waren seine sprichwörtliche Bescheidenheit, Bodenständigkeit und Natürlichkeit. Er hat sich nie geschämt, in den Interviews von gestelztem Hochdeutsch auf Pfälzisch umzuschalten. Er hat "Hochpfälzisch" gesprochen.

DFB.de: Fritz Walters Weisheiten wie "Dehäm is dehäm" oder "Männer, die Dore sin geschoss" – wie sehr gehören sie zur Fansprache des FCK?

Leopold: Rund ums Spiel fallen solche Sprüche von Fritz Walter eigentlich selten. Im Tagesgeschäft Fußball gibt es eigentlich keinen Bezug. Es geht eher darum: Ist ein Spieler vereinstreu oder nicht? Das kann man alles nicht mit Fritz Walter vergleichen. "Dehäm is dehäm", das galt zuletzt für FCK-Spieler wie Axel Roos, Olaf Marschall und Andy Buck. Das ist die letzte Generation an Spielern, die ihre Verträge erfüllt hat und ihren Wohnort hier behalten hat.

Walter: Vor allem das Fritz-Walter-Wetter hat sich im Sprachgebrauch niedergeschlagen! Das geht natürlich bis heute bei den Zuschauern um. Wenn es leicht regnet, im Sommer oder im Frühling, dann hört man oft den Spruch: "Fritz soi Wetter – jetzt kann nichts mehr schief gehen." Diese Wendung hört man bis heute unter den Fans. Die anderen Sprüche kennen nur diejenigen noch, die seine Vita besonders gut kennen.

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