1:0 gegen Paraguay: Neuvilles erster großer WM-Moment

Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

15. Juni 2002 in Seogwipo - Achtelfinale: Deutschland - Paraguay 1:0

Vor dem Spiel:

Nach der Vorrunde hieß es Abschied nehmen von Japan. Die Erleichterung darüber, nicht als erstes DFB-Team in der Vorrunde gescheitert zu sein, war groß. Nun aber wollten alle mehr. Teamchef Rudi Völler: "Wir haben Blut geleckt. Jetzt wollen wir auch noch ein bisschen bleiben." Weshalb sie die Koffer packen mussten. Die K.o.-Spiele, so viel stand fest, würden die Deutschen in Südkorea bestreiten, wie viele auch immer. Und so bezogen sie auf der Halbinsel Cheju, einem beliebten Touristenziel, im Hotel "Paradise" Quartier. Nur einer war nicht mehr dabei: Für Reservist Jörg Böhme war die WM beendet, er reiste verletzt ab - es passierte beim Warmlaufen vor dem Kamerun-Spiel.

Neue Ziele, neues Hotel, neue Mannschaft. Plötzlich standen vier andere Namen in der Startelf, die in der Vorrunde noch stets identisch gewesen war. Die Sperren machten drei Änderungen möglich: Abwehrchef Carsten Ramelow wurde durch Berlins Marko Rehmer ersetzt, wenn auch Thomas Linke den Liberoposten übernahm. Jens Jeremies und Marco Bode (für Dietmar Hamann und Christian Ziege) liefen im Mittelfeld auf. Aus rein sportlichen Gründen löste im Sturm Oliver Neuville Carsten Jancker ab, diese Entscheidung fiel erst zwei Stunden vor Anpfiff. Michael Ballack wurde Tag und Nacht behandelt, am Freitag hätte er nicht spielen können, am Samstag war die Wade wieder in Schuss.

Zu Gegner Paraguay war Deutschland auf äußerst kuriose Weise gekommen. Die Mittelamerikaner waren bei Punktgleichheit mit Südafrika und gleicher Tordifferenz nur dank der mehr erzielten Tore (6:6 gegenüber 5:5) weitergekommen - und auch nur, weil Südafrika über den Spielstand bei Paraguays Sieg über Slowenien (3:1) nicht informiert war und im Glauben, sich seine Niederlage gegen Spanien leisten zu können. In Zeiten modernster Kommunikationsmittel ein echtes Kuriosum. Paraguay verleitete das nicht zur Demut, der exzentrische Torwart José Luis Chilavert, der auch die Freistöße schoss und nach der Karriere Staatspräsident werden wollte, tönte: "Wir wollen ins Finale." Für das Achtelfinale kündigte er an: "Wir können die Deutschen schlagen, weil wir physisch enorm stark sind und bis zum Tod kämpfen werden." Außerdem wollte er als erster Torhüter der WM-Historie ein Tor erzielen, am liebsten schon gegen Oliver Kahn.

Das Spiel fand um 15.30 Uhr Ortszeit ab, in Deutschland war es 8.30 Uhr in der Frühe. Weshalb die Bild-Zeitung titelte: "Die vernaschen wir zum Frühstück." Für Europa war es die WM der seltsamen Anstoßzeiten, auch vor Ort kam kein echtes WM-Fieber auf. Das Stadion blieb fast zur Hälfte leer. So bekam der DFB noch mühelos 1000 Karten, die er an spontan angereiste deutsche Fans weiterreichen konnte. Um eine einigermaßen WM-würdige Kulisse herzustellen, ließen die Veranstalter noch ganze Schulklassen gratis ins Stadion. Gegen Paraguay hatte Deutschland zuvor nie gespielt, aus der Bundesliga kannten sie immerhin Bayern-Stürmer Roque Santa Cruz, der auf drei Mitspieler traf. Den Trainer kannten sie alle: Cesare Maldini hatte zuvor sein Heimatland Italien gecoacht und stand für Defensivfußball reinster Sorte.



Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

15. Juni 2002 in Seogwipo - Achtelfinale: Deutschland - Paraguay 1:0

Vor dem Spiel:

Nach der Vorrunde hieß es Abschied nehmen von Japan. Die Erleichterung darüber, nicht als erstes DFB-Team in der Vorrunde gescheitert zu sein, war groß. Nun aber wollten alle mehr. Teamchef Rudi Völler: "Wir haben Blut geleckt. Jetzt wollen wir auch noch ein bisschen bleiben." Weshalb sie die Koffer packen mussten. Die K.o.-Spiele, so viel stand fest, würden die Deutschen in Südkorea bestreiten, wie viele auch immer. Und so bezogen sie auf der Halbinsel Cheju, einem beliebten Touristenziel, im Hotel "Paradise" Quartier. Nur einer war nicht mehr dabei: Für Reservist Jörg Böhme war die WM beendet, er reiste verletzt ab - es passierte beim Warmlaufen vor dem Kamerun-Spiel.

Neue Ziele, neues Hotel, neue Mannschaft. Plötzlich standen vier andere Namen in der Startelf, die in der Vorrunde noch stets identisch gewesen war. Die Sperren machten drei Änderungen möglich: Abwehrchef Carsten Ramelow wurde durch Berlins Marko Rehmer ersetzt, wenn auch Thomas Linke den Liberoposten übernahm. Jens Jeremies und Marco Bode (für Dietmar Hamann und Christian Ziege) liefen im Mittelfeld auf. Aus rein sportlichen Gründen löste im Sturm Oliver Neuville Carsten Jancker ab, diese Entscheidung fiel erst zwei Stunden vor Anpfiff. Michael Ballack wurde Tag und Nacht behandelt, am Freitag hätte er nicht spielen können, am Samstag war die Wade wieder in Schuss.

Zu Gegner Paraguay war Deutschland auf äußerst kuriose Weise gekommen. Die Mittelamerikaner waren bei Punktgleichheit mit Südafrika und gleicher Tordifferenz nur dank der mehr erzielten Tore (6:6 gegenüber 5:5) weitergekommen - und auch nur, weil Südafrika über den Spielstand bei Paraguays Sieg über Slowenien (3:1) nicht informiert war und im Glauben, sich seine Niederlage gegen Spanien leisten zu können. In Zeiten modernster Kommunikationsmittel ein echtes Kuriosum. Paraguay verleitete das nicht zur Demut, der exzentrische Torwart José Luis Chilavert, der auch die Freistöße schoss und nach der Karriere Staatspräsident werden wollte, tönte: "Wir wollen ins Finale." Für das Achtelfinale kündigte er an: "Wir können die Deutschen schlagen, weil wir physisch enorm stark sind und bis zum Tod kämpfen werden." Außerdem wollte er als erster Torhüter der WM-Historie ein Tor erzielen, am liebsten schon gegen Oliver Kahn.

Das Spiel fand um 15.30 Uhr Ortszeit ab, in Deutschland war es 8.30 Uhr in der Frühe. Weshalb die Bild-Zeitung titelte: "Die vernaschen wir zum Frühstück." Für Europa war es die WM der seltsamen Anstoßzeiten, auch vor Ort kam kein echtes WM-Fieber auf. Das Stadion blieb fast zur Hälfte leer. So bekam der DFB noch mühelos 1000 Karten, die er an spontan angereiste deutsche Fans weiterreichen konnte. Um eine einigermaßen WM-würdige Kulisse herzustellen, ließen die Veranstalter noch ganze Schulklassen gratis ins Stadion. Gegen Paraguay hatte Deutschland zuvor nie gespielt, aus der Bundesliga kannten sie immerhin Bayern-Stürmer Roque Santa Cruz, der auf drei Mitspieler traf. Den Trainer kannten sie alle: Cesare Maldini hatte zuvor sein Heimatland Italien gecoacht und stand für Defensivfußball reinster Sorte.

###more###

"Leverkusener Produktion": Vorlage Schneider, Tor Neuville

Spielbericht:

Wenig erinnert an ein WM-Spiel an diesem Samstagmittag. Das Stadion ist nur halb voll, und einige deutsche Fans singen Geburtstagskind Oliver Kahn - er wird 33 - ein Ständchen. "Das war schön, aber ich habe mich gefragt: Wo bin ich denn hier?", sagt der Torhüter später, "das ist doch eine WM, ein Achtelfinale. Das ist mental ganz schwierig, wie bei einem Freundschaftsspiel in Giesing. Man hat Probleme, die Spannung aufzubauen." Die Fernsehzuschauer - die ARD (21,05 Millionen Zuschaue) und Premiere übertragen - hören, was sich die Spieler zurufen. Gewöhnungsbedürftig.

Der Wunsch der deutschen Mannschaft erfüllt sich: Völler lässt hinten, wie am Ende gegen Kamerun, mit einer Viererkette spielen. Hat die Dreierkette ausgedient? "Es gibt keine endgültige Entscheidung für eine taktische Variante, das hängt vom Gegner ab", erklärt der Teamchef. Die Mannschaften kommen nur schwer auf Touren, einige Beobachter werden hinterher vom "schlechtesten Spiel der WM" sprechen. Michael Ballack versucht, eine Ecke von Oliver Neuville ins Tor zu verlängern, hat aber Pech. In der 27. Minute wagt Marco Bode einen Schuss aus der zweiten Reihe, der im Ballfang landet. Der nach dreimonatiger Zwangspause indisponierte Rehmer bringt Kahn mit einer zu kurzen Rückgabe in Schwierigkeiten, doch an seinem Geburtstag löst er alle Aufgaben - in dieser Szene per Fuß. Bei einem Scharfschuss von Jorge Campos verdient er sich für seine Flugparade Szenenbeifall. "Weltklasse", findet die Bild am Sonntag diese Aktion.

Viel mehr zu loben gibt es nicht, ohne Applaus geht es in die Kabinen. In der Halbzeit erinnert Völler seine Spieler daran, dass sie bei einer WM seien "und nicht bei einem Freundschaftsspiel". Er wechselt den angeschlagenen Rehmer aus und bringt erstmals bei dieser WM den Dortmunder Sebastian Kehl, der auch verteidigen, aber etwas mehr für den Spielaufbau tun soll. Überhaupt wollen sie jetzt endlich zeigen, was sie können. Kahn berichtet, worauf man sich in der Pause geeinigt habe: "Jetzt spielen wir mal Fußball, lassen den Ball laufen und hauen die Kugel nicht kreuz und quer über den Platz."

Sie lassen den Worten Taten folgen. Plötzlich klappen die Kombinationen auch im vorderen Drittel, Neuville und Schneider kommen zu richtig guten Chancen, das Netz zappelt - auch wenn es nur das Außennetz ist (53.). Völler muss den nächsten Debütanten bringen, Christoph Metzelder ist verletzt und weicht dem Bremer Frank Baumann. Die Abwehr kommt einfach nicht zur Ruhe bei diesem Spiel, nach zwei personellen kommt auch ein taktischer Wechsel, die Dreierkette feiert ihr Comeback. In ihr stehen Linke, Baumann und Kehl - zusammen gespielt haben sie nie. In dieser Partie ist das folgenlos, denn Paraguay baut spürbar ab und kommt kaum noch vors Tor. Das merkt auch Oliver Kahn, der deshalb seine Kollegen anfeuert: "Geht nach vorne, die sind kaputt!" 

Wenn etwas geht, dann über Bernd Schneider, der den angeschlagenen Michael Ballack deutlich übertrifft. In der 68. Minute bedient "Schnix" den Kollegen Torsten Frings, der freistehend übers Tor schlenzt. Etwas zu hoch angesetzt ist auch der Freistoß von Jose Luis Chilavert, der tatsächlich versucht, seinem Pendant Kahn einen einzuschenken (74.). "Wenn er getroffen hätte, hätte ich aufgehört mit Fußball", sagt Kahn hinterher. So wie er schaut, muss er es ernst gemeint haben.

"Noch 14 Minuten", sagt ARD-Reporter Heribert Faßbender nach dieser Szene. Er hat einen besonders schlechten Tag, das Zuschauertelefon der ARD läuft heiß. Faßbender verrechnet sich nicht nur zuweilen, er verwechselt auch blonde mit dunkelhaarigen Spielern und sieht Tore, wo keine sind. Aber dann fällt eines, das niemand bestreiten kann. In der 88. Minute macht sich der überragende Schneider wieder mal auf dem rechten Flügel auf den Weg und flankt aus vollem Lauf nach innen. Oliver Neuville weiß aus vielen gemeinsamen Trainingseinheiten und Spielen, wohin der Ball kommen wird, versichert er hinterher treuherzig. Es ist kein leicht zu nehmender Ball, denn er setzt noch einmal auf. Aber Neuville trifft ihn aus sieben Metern voll. Das 1:0 ist "eine einstudierte Leverkusener Tor-Produktion" (Schneider) - und es ist der Sieg. Faßbender meldet zwar die 118. Minute, das zähe Spiel ist nicht nur ihm wohl allzu lang vorgekommen.

Paraguay rafft sich noch einmal auf, landet aber nur noch einen unsportlichen Treffer. Für einen Ellbogencheck gegen Michael Ballack handelt sich Roberto Acuna Rot ein. Dann ist es vorüber, Deutschland steht im Viertelfinale und Völler erlaubt seinen Spielern eine Siegesfeier: "Ein, zwei Bierchen sind völlig in Ordnung."

Aufstellung: Kahn – Rehmer (46. Kehl), Linke, Metzelder (60. Baumann) – Frings, Jeremies, Schneider, Ballack, Bode – Klose, Neuville (90. Asamoah)

Tore: 1:0 Neuville (88.).

Platzverweis: Acuna (90.).

Zuschauer: 25.176 in Seogwipo.

###more###

Kahn: "Jetzt ist alles möglich"

Stimmen zum Spiel:

Rudi Völler: "In der ersten Halbzeit haben wir nicht nur keinen guten, sondern überhaupt nicht Fußball gespielt. Wir haben wie Paraguay die Bälle nur nach vorne gehauen. Die Umstellungen in der Pause waren sehr wichtig, wir wussten dass Paraguay müde werden würde. Das haben wir genutzt. Wir können mit dem Resultat umgehen und wissen, dass wir nicht jeden Gegner an die Wand spielen können."

Oliver Kahn: "Jetzt ist alles möglich. Wenn es einmal rollt, kann man durchlaufen bis ins Finale. Ich rede das nicht so in den Wind. Ich bin überzeugt davon, dass man mit dieser Mannschaft auch ins Endspiel kommen kann."

Oliver Neuville: "Als Schneider zur Grundlinie ging und flankte, wusste ich genau, wohin der Ball kommt. Nach Absprache mit Klose, der lieber am zweiten Pfosten lauert, bin ich kurz gegangen. Ich dachte nur: 'Hoffentlich erwische ich den Ball präzise.' Er war nicht leicht zu nehmen, aber ich habe ihn voll erwischt."

Sebastian Kehl: "Ein typisch deutscher Sieg. Hauptsache, wir sind weiter."

Michael Ballack: "Wir waren die bessere Mannschaft und hatten die besseren Chancen. Wir haben unsere Kräfte über die 90 Minuten sehr gut eingeteilt."

Cesare Maldini (Trainer Paraguays, anschließend zurückgetreten): "Es war ein sehr ausgeglichenes Spiel. Beide Teams hatten nur wenige Chancen. Das Tor war gut vorbereitet und schön vollendet. Es war ein typisch deutsches Spiel. Technisch vielleicht nicht so brillant, aber körperlich sehr präsent."

Jose Luis Chilavert (Paraguay): "Die Deutschen haben nicht besser gespielt, sie hatten einfach mehr Glück. Der Schiedsrichter war eine Katastrophe. Er hat uns zwei klare Elfmeter nicht gegeben und damit das Spiel gestohlen."

Gerhard Mayer-Vorfelder (DFB-Präsident): "Die erste Halbzeit war schlecht, aus dem Mittelfeld kamen keine Impulse, der Sturm hing in der Luft. Man hatte den Eindruck, die Mannschaft hatte Angst vor der eigenen Courage. Erst als die Paraguayer konditionell erheblich nachließen, wurde besser kombiniert. Am Ende war es ein verdienter Sieg."

"Verrückte WM - Jetzt ist für uns alles möglich" (Bild am Sonntag)

"Das schönste Frühstücks-Tor der WM. Jetzt haben wir Appetit aufs Finale." (BZ Berlin)

"Die Parallelen zur WM 1986 werden immer deutlicher. Mit einer spielerisch und personell limitierten Mannschaft hat Deutschland zum 14. Mal das Viertelfinale einer Fußball-Weltmeisterschaft erreicht. In einer über weite Strecken schwachen WM-Partie, in der beide Teams das große Risiko scheuten, entschied eine starke Szene über das Weiterkommen." (dpa)

"88 Minuten benötigte Deutschland, um die schwach auftretenden Paraguayer in echte Not zu bringen, 88 fast quälende Minuten fehlte ein Tor, um der schwächsten aller bisherigen 49 WM-Partien so etwas wie Würze zu verleihen (...) So verdient dieser Sieg auch war: Deutschland muss sich erheblich steigern, will das Team die restlichen zwei Wochen im Turnier bleiben. (kicker)

"Neuville schockt Paraguay in einer blamablen Vorstellung der deutschen Elf." (Sunday Times/England)

"Hartnäckigkeit und Charakter machen die Völler-Elf zum heißen Titelfavoriten." (Gazetta dello Sport/Italien)

"Diese Begegnung gehört zu den größten Nullnummern unter den Achtelfinalspielen der WM-Geschichte." (L'Equipe/Frankreich)

###more###