Serdal Celebi: "Nicht nur Freude und Stolz"

Serdal Celebi vom FC St. Pauli hat im August 2018 erstmals als blinder Fußballer ein Tor des Monats erzielt. Sein Treffer zum 1:2 im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft in der Blindenfußball-Bundesliga, die von der DFB-Stiftung Sepp Herberger organisiert wird, gegen den MTV Stuttgart war ein sehenswerter Fernschuss genau in den Winkel. Im DFB.de-Interview erinnert sich der deutsche Nationalspieler an diesen ganz besonderen Tag, an Interviews und Auftritte in Fernsehstudios. Aber der 36-Jährige spricht auch über Blindenfußball in Zeiten der Corona-Pandemie.

DFB.de: Serdal, wie denken Sie heute über Ihr Tor, das nun schon fast drei Jahre zurückliegt?

Serdal Celebi: Alleine dadurch, dass wir heute telefonieren, um darüber zu sprechen, zeigt ja, dass ich mit meinem Tor offenbar etwas Historisches erreicht habe. Ich bin natürlich noch immer stolz darauf und werde oft deswegen angesprochen. Das war ein sehr schönes Erlebnis, das mich mein Leben lang begleiten wird. Ich werde noch heute manchmal darauf angesprochen, selbst von fremden Menschen auf der Straße.

DFB.de: Was bedeutet Ihnen dieser Treffer ganz persönlich?

Celebi: Das Tor hat mich bekannt gemacht. Ich habe in den ersten Tagen und Wochen danach viele Interviews gegeben. Ich war auch in den Sendungen von Günther Jauch, Kai Pflaume und Steffen Hallaschka. Das waren großartige Erfahrungen, die ich unter normalen Umständen wahrscheinlich niemals gemacht hätte. Aber viel wichtiger ist mir, dass ich so die Gelegenheit nutzen konnte, um Werbung für den Blindenfußball zu machen. Es ist wichtig, dass wir unsere Sportart bekannter machen und mehr in den Fokus rücken. Den Blindenfußball gibt es seit 2006. Ich glaube, dass das Tor des Monats das Ereignis war, das seitdem die größte Aufmerksamkeit erzeugt hat. Aber ich ganz persönlich verbinde nicht nur Freude und Stolz mit diesem Tor.

DFB.de: Warum nicht?

Celebi: Weil es der Treffer zum 1:2 im Endspiel um die deutsche Meisterschaft im Blindenfußball gegen den MTV Stuttgart war und wir das Spiel trotzdem nicht mehr drehen konnten. Es ist wie ein Fluch, dass wir jetzt drei Mal hintereinander nur den zweiten Platz belegt haben. Eines ist für mich ganz klar: In diesem Jahr holen wir den Titel. Und dann beende ich vielleicht meine Karriere.

DFB.de: Welchen Stellenwert hat der Fußball in Ihrem Leben?

Celebi: Blindenfußball hat mir sehr viel gegeben. Ich habe 2011 angefangen. Ich war glücklich, weil ich mich auf dem Platz endlich wieder frei bewegen konnte, ohne Hilfsmittel. Ich liebe Fußball und bin Fan dieses Sports. Fußball hat mich sehr selbstbewusst gemacht. Ich verbinde den Sport mit Mobilität. Ich brauche diese Aktivität. Außerdem ist der Sport aus meiner Sicht hervorragend geeignet, um Freundschaften zu knüpfen. Ich bin durch den Fußball viel rumgekommen. Ich war in ganz Deutschland unterwegs, durfte als Nationalspieler nach Tokio reisen. Das ist einfach Wahnsinn. All das ist auf keinen Fall eine Selbstverständlichkeit für mich.

DFB.de: Wie sind Sie zum Fußball gekommen?

Celebi: Ich komme aus der Türkei und da haben wir früher als Kinder einfach auf der Straße gespielt. Wir haben uns vier Steine gesucht und damit zwei Tore gemacht und dann ging es los. Leider kam dann meine Augenkrankheit, die mich blind gemacht hat. Danach konnte ich nicht mehr spielen. Während meiner Ausbildung in Nürnberg habe ich dann gehört, dass in Deutschland Blindenfußball angeboten wird. Da habe ich mich sofort informiert und mitgemacht.

DFB.de: Haben Sie noch Erinnerungen daran, wie Fußball als Sehender ist?

Celebi: Ja, schon. Aber ich merke, dass diese Bilder, die noch in meinem Kopf sind, schwächer werden. Ich bin dankbar dafür, dass ich das erleben durfte. Ich bin glücklich, dass ich weiß, wie Farben aussehen. Das sind schöne Erinnerungen. Ich merke allerdings wirklich, dass die nach und nach verblassen. Aber jetzt bin ich blind und versuche an jedem Tag, das Beste daraus zu machen. Das Leben geht weiter. Und ich bin glücklich. Ich habe eine tolle Familie, zwei kleine Kinder. Und auch Fußball spielen kann ich noch. Was will ich mehr? Sogar das Tor des Monats durfte ich schießen. Großartig!

DFB.de: Haben Sie eigentlich ein Gefühl dafür, wie der Ball bei Ihrem Tor des Monats in den Winkel geflogen ist?

Celebi: Ja, schon. Ich kann es mir ganz gut vorstellen. Ich bin ja vom rechten Flügel in die Mitte gezogen und habe mit links genau in den Winkel getroffen. Im Training habe ich genau diesen Spielzug häufiger geübt.

DFB.de: Es war also kein Zufallstreffer?

Celebi: Nein, überhaupt nicht. Na gut, ein bisschen Glück war es vielleicht (lacht). Aber ich habe im Training häufig versucht, das Lattenkreuz zu treffen. Das ist mir auch manchmal gelungen. Ich liebe das Geräusch, wenn der Ball auf das Aluminium trifft. Das hört sich geil an. In diesem Fall ist der Ball zum Glück nicht ans Lattenkreuz gegangen, sondern kurz darunter ins Tor. Auch wenn sich das in meinem Fall vielleicht komisch anhört, aber – um in der Fußballersprache zu bleiben - ich habe nicht blind geschossen (schmunzelt). Meine Idee war, von der rechten Seite in die linke Ecke zu schießen. Dass es dann genau der Winkel geworden ist, sehe ich als Bonus an.

DFB.de: Wäre so ein Tor auch mit dem rechten Fuß möglich gewesen?

Celebi: Auf gar keinen Fall. Fußballerisch ist mein rechter Fuß unbrauchbar. Den kann ich nur zum Stehen und Laufen verwenden, sonst nicht.

DFB.de: Sie haben sich unter anderem gegen einen Treffer des deutschen Nationalspielers Marvin Plattenhardt durchgesetzt. Haben Sie sich mal Ihre Konkurrenztreffer beschreiben lassen?

Celebi: Damals schon, heute weiß ich nicht mehr, wie das Tor von Marvin Plattenhardt war. Damals war es für mich als blinder Fußballer auf jeden Fall ein unbeschreibliches Gefühl, dass ich mich gegen echte Profis durchsetzen konnte. Hier möchte ich mich auch nochmal bei den Fans des FC St. Pauli bedanken, die mich unfassbar unterstützt und zum Sieg gevotet haben.

DFB.de: Zum Tor des Jahres hat es nicht gereicht. Da haben Sie den dritten Platz belegt.

Celebi: Ja, darüber war ich damals traurig. Ich hätte mir gewünscht, dass ich auch da gewinne um dem Blindenfußball noch mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Hat aber leider nicht geklappt. Vielleicht hätten wir noch mehr Werbung machen müssen. Platz drei hat die Medien nicht mehr so interessiert, wie mein Sieg im August 2018. Aber ich schaue lieber nach vorne, als zurück. Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt.

DFB.de: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind durch Corona geprägt. Wie belastet Sie die Pandemie und wie sehr fehlt deshalb auch der Fußball?

Celebi: Mir geht es wie allen anderen Menschen auch. Es ist eine schwere Zeit, die wir gemeinsam durchstehen müssen. Der Fußball fehlt mir sehr. Der Verein bemüht sich um uns und bietet 1:1-Training an, wenn dies die Bestimmungen zulassen. Aber das ersetzt natürlich kein Mannschaftstraining mit den Kollegen. Ich hoffe sehr, dass wir uns bald alle auf dem Rasen wiedersehen können.

[sw]

Serdal Celebi vom FC St. Pauli hat im August 2018 erstmals als blinder Fußballer ein Tor des Monats erzielt. Sein Treffer zum 1:2 im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft in der Blindenfußball-Bundesliga, die von der DFB-Stiftung Sepp Herberger organisiert wird, gegen den MTV Stuttgart war ein sehenswerter Fernschuss genau in den Winkel. Im DFB.de-Interview erinnert sich der deutsche Nationalspieler an diesen ganz besonderen Tag, an Interviews und Auftritte in Fernsehstudios. Aber der 36-Jährige spricht auch über Blindenfußball in Zeiten der Corona-Pandemie.

DFB.de: Serdal, wie denken Sie heute über Ihr Tor, das nun schon fast drei Jahre zurückliegt?

Serdal Celebi: Alleine dadurch, dass wir heute telefonieren, um darüber zu sprechen, zeigt ja, dass ich mit meinem Tor offenbar etwas Historisches erreicht habe. Ich bin natürlich noch immer stolz darauf und werde oft deswegen angesprochen. Das war ein sehr schönes Erlebnis, das mich mein Leben lang begleiten wird. Ich werde noch heute manchmal darauf angesprochen, selbst von fremden Menschen auf der Straße.

DFB.de: Was bedeutet Ihnen dieser Treffer ganz persönlich?

Celebi: Das Tor hat mich bekannt gemacht. Ich habe in den ersten Tagen und Wochen danach viele Interviews gegeben. Ich war auch in den Sendungen von Günther Jauch, Kai Pflaume und Steffen Hallaschka. Das waren großartige Erfahrungen, die ich unter normalen Umständen wahrscheinlich niemals gemacht hätte. Aber viel wichtiger ist mir, dass ich so die Gelegenheit nutzen konnte, um Werbung für den Blindenfußball zu machen. Es ist wichtig, dass wir unsere Sportart bekannter machen und mehr in den Fokus rücken. Den Blindenfußball gibt es seit 2006. Ich glaube, dass das Tor des Monats das Ereignis war, das seitdem die größte Aufmerksamkeit erzeugt hat. Aber ich ganz persönlich verbinde nicht nur Freude und Stolz mit diesem Tor.

DFB.de: Warum nicht?

Celebi: Weil es der Treffer zum 1:2 im Endspiel um die deutsche Meisterschaft im Blindenfußball gegen den MTV Stuttgart war und wir das Spiel trotzdem nicht mehr drehen konnten. Es ist wie ein Fluch, dass wir jetzt drei Mal hintereinander nur den zweiten Platz belegt haben. Eines ist für mich ganz klar: In diesem Jahr holen wir den Titel. Und dann beende ich vielleicht meine Karriere.

DFB.de: Welchen Stellenwert hat der Fußball in Ihrem Leben?

Celebi: Blindenfußball hat mir sehr viel gegeben. Ich habe 2011 angefangen. Ich war glücklich, weil ich mich auf dem Platz endlich wieder frei bewegen konnte, ohne Hilfsmittel. Ich liebe Fußball und bin Fan dieses Sports. Fußball hat mich sehr selbstbewusst gemacht. Ich verbinde den Sport mit Mobilität. Ich brauche diese Aktivität. Außerdem ist der Sport aus meiner Sicht hervorragend geeignet, um Freundschaften zu knüpfen. Ich bin durch den Fußball viel rumgekommen. Ich war in ganz Deutschland unterwegs, durfte als Nationalspieler nach Tokio reisen. Das ist einfach Wahnsinn. All das ist auf keinen Fall eine Selbstverständlichkeit für mich.

DFB.de: Wie sind Sie zum Fußball gekommen?

Celebi: Ich komme aus der Türkei und da haben wir früher als Kinder einfach auf der Straße gespielt. Wir haben uns vier Steine gesucht und damit zwei Tore gemacht und dann ging es los. Leider kam dann meine Augenkrankheit, die mich blind gemacht hat. Danach konnte ich nicht mehr spielen. Während meiner Ausbildung in Nürnberg habe ich dann gehört, dass in Deutschland Blindenfußball angeboten wird. Da habe ich mich sofort informiert und mitgemacht.

DFB.de: Haben Sie noch Erinnerungen daran, wie Fußball als Sehender ist?

Celebi: Ja, schon. Aber ich merke, dass diese Bilder, die noch in meinem Kopf sind, schwächer werden. Ich bin dankbar dafür, dass ich das erleben durfte. Ich bin glücklich, dass ich weiß, wie Farben aussehen. Das sind schöne Erinnerungen. Ich merke allerdings wirklich, dass die nach und nach verblassen. Aber jetzt bin ich blind und versuche an jedem Tag, das Beste daraus zu machen. Das Leben geht weiter. Und ich bin glücklich. Ich habe eine tolle Familie, zwei kleine Kinder. Und auch Fußball spielen kann ich noch. Was will ich mehr? Sogar das Tor des Monats durfte ich schießen. Großartig!

DFB.de: Haben Sie eigentlich ein Gefühl dafür, wie der Ball bei Ihrem Tor des Monats in den Winkel geflogen ist?

Celebi: Ja, schon. Ich kann es mir ganz gut vorstellen. Ich bin ja vom rechten Flügel in die Mitte gezogen und habe mit links genau in den Winkel getroffen. Im Training habe ich genau diesen Spielzug häufiger geübt.

DFB.de: Es war also kein Zufallstreffer?

Celebi: Nein, überhaupt nicht. Na gut, ein bisschen Glück war es vielleicht (lacht). Aber ich habe im Training häufig versucht, das Lattenkreuz zu treffen. Das ist mir auch manchmal gelungen. Ich liebe das Geräusch, wenn der Ball auf das Aluminium trifft. Das hört sich geil an. In diesem Fall ist der Ball zum Glück nicht ans Lattenkreuz gegangen, sondern kurz darunter ins Tor. Auch wenn sich das in meinem Fall vielleicht komisch anhört, aber – um in der Fußballersprache zu bleiben - ich habe nicht blind geschossen (schmunzelt). Meine Idee war, von der rechten Seite in die linke Ecke zu schießen. Dass es dann genau der Winkel geworden ist, sehe ich als Bonus an.

DFB.de: Wäre so ein Tor auch mit dem rechten Fuß möglich gewesen?

Celebi: Auf gar keinen Fall. Fußballerisch ist mein rechter Fuß unbrauchbar. Den kann ich nur zum Stehen und Laufen verwenden, sonst nicht.

DFB.de: Sie haben sich unter anderem gegen einen Treffer des deutschen Nationalspielers Marvin Plattenhardt durchgesetzt. Haben Sie sich mal Ihre Konkurrenztreffer beschreiben lassen?

Celebi: Damals schon, heute weiß ich nicht mehr, wie das Tor von Marvin Plattenhardt war. Damals war es für mich als blinder Fußballer auf jeden Fall ein unbeschreibliches Gefühl, dass ich mich gegen echte Profis durchsetzen konnte. Hier möchte ich mich auch nochmal bei den Fans des FC St. Pauli bedanken, die mich unfassbar unterstützt und zum Sieg gevotet haben.

DFB.de: Zum Tor des Jahres hat es nicht gereicht. Da haben Sie den dritten Platz belegt.

Celebi: Ja, darüber war ich damals traurig. Ich hätte mir gewünscht, dass ich auch da gewinne um dem Blindenfußball noch mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Hat aber leider nicht geklappt. Vielleicht hätten wir noch mehr Werbung machen müssen. Platz drei hat die Medien nicht mehr so interessiert, wie mein Sieg im August 2018. Aber ich schaue lieber nach vorne, als zurück. Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt.

DFB.de: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind durch Corona geprägt. Wie belastet Sie die Pandemie und wie sehr fehlt deshalb auch der Fußball?

Celebi: Mir geht es wie allen anderen Menschen auch. Es ist eine schwere Zeit, die wir gemeinsam durchstehen müssen. Der Fußball fehlt mir sehr. Der Verein bemüht sich um uns und bietet 1:1-Training an, wenn dies die Bestimmungen zulassen. Aber das ersetzt natürlich kein Mannschaftstraining mit den Kollegen. Ich hoffe sehr, dass wir uns bald alle auf dem Rasen wiedersehen können.

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