Gehlenborg über DFB-Stiftungsarbeit: "Gemeinsam viel erreicht"

Eugen Gehlenborg stand als DFB-Vizepräsident für Sozial- und Gesellschaftspolitik sechs Jahre lang an der Spitze der DFB-Stiftungen Egidius Braun und Sepp Herberger. Im DFB.de-Interview schaut der 72 Jahre alte Ehrenpräsident des Norddeutschen Fußballverbandes auf seine Amtszeit zurück und erklärt, warum ihm diese Aufgabe so wichtig war.

DFB.de: Herr Gehlenborg, mit dem DFB-Bundestag ist Ihre sechsjährige Amtszeit als Vorsitzender der DFB-Stiftung Sepp Herberger und geschäftsführender Vorsitzender der DFB-Stiftung Egidius Braun zu Ende gegangen. Mit welchem Fazit?

Eugen Gehlenborg: Ich denke, dass wir in diesem Zeitraum mit der DFB-Stiftungsarbeit national aber auch international viel erreicht haben. Es war eine sehr intensive und aufregende Zeit, in der ich als DFB-Vizepräsident für die sozialen und gesellschaftspolitischen Angelegenheiten und damit auch für die Arbeit der beiden genannten Stiftungen verantwortlich war. Aufgrund der Ereignisdichte in diesen sechs Jahren ist die Zeit wie im Flug vergangen. Wir konnten sowohl gemeinsam sportlich großartige Erfolge feiern –  so zum Beispiel den Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien – als auch neue Akzente in der Stiftungsarbeit setzen. Es gab allerdings auch viele Baustellen, die wir bearbeiten mussten.

DFB.de: Zum Beispiel die Flüchtlingsproblematik, die ja auch direkten Bezug auf die DFB-Stiftung Egidius Braun hat.

Gehlenborg: Mit den Initiativen "1:0 für ein Willkommen" beziehungsweise "2:0 für ein Willkommen", die maßgeblich vom vorherigen Geschäftsführer Wolfgang Watzke initiiert wurden, konnten wir bis heute mehr als 3700 Anträge bewilligen und damit Fußballorganisationen finanziell bei der Integration von Flüchtlingen unterstützen. Ich hatte anfangs nicht erwartet, dass die große Fußballfamilie in dem Maße und so schnell und unkompliziert diese soziale Herausforderung annehmen würde. Wir standen in Deutschland plötzlich vor der Situation, dass viele geflüchtete Menschen zu uns kamen, auch weil sie aus ihrer Heimat durch Krieg und Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen vertrieben wurden. Wir als Stiftungsverantwortliche waren uns einig, dass wir helfen wollen und müssen. Ich möchte hier besonders die herausragende Zusammenarbeit mit der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration erwähnen. Gemeinsam war uns klar, dass wir über die Vereine und die Integrationskraft des Fußballs nutzend die Geflüchteten erreichen und auch betreuen können. In vielen Fällen haben die Fußballvereine mit ihren zahlreichen ehrenamtlichen Helfern dafür gesorgt, dass die geflüchteten Menschen vor allem in den ersten Monaten in Deutschland eine Anlaufstation hatten und ganz viele hier auch eine neue Heimat finden konnten. Hier konnten sie während des Fußballspielens zumindest zeitweise ihre Sorgen und Nöte vergessen. Damit haben wir humanitär viel bewirken können.

DFB.de: Der Fußball also als Integrationshelfer?

Gehlenborg: Ja, so kann man es ganz gut auf den Punkt bringen. Der Fußball hat einfach ganz besondere integrative Möglichkeiten. Und es wäre fahrlässig gewesen, diese nicht auch zu nutzen. Ich persönlich bin den auf so großartige Weise engagierten Menschen in den Fußballvereinen für ihr Engagement außerordentlich dankbar. In meiner Zeit als Vorsitzender sind mir viele Persönlichkeiten begegnet, die vorangegangen sind und mit teilweise einfachen Mitteln große Hilfe geleistet haben. Es ist inspirierend mitzuerleben, wie engagiert die Fußballfamilie sein kann, wenn sie wirklich gebraucht wird.

DFB.de: Trotzdem gibt es immer wieder auch kritische Stimmen – gerade, wenn es um den Profifußball und dessen Kommerzialisierung geht.

Gehlenborg: Das ist ja durchaus auch eine Entwicklung, die nicht unproblematisch ist. Aber ich finde, man muss dieses Thema dann auch richtig einordnen. Viele Profiklubs und die Profis selbst engagieren sich auch mit ihren Stiftungen für soziale Zwecke. Auch die DFL Stiftung muss hier erwähnt werden. Auf diesem Wege geben die Klubs und Profis aus der Bundesliga vieles an diejenigen zurück, die Hilfe nötig haben. Sepp Herberger hat das Motto ja wunderbar vorgelebt, dass die Menschen, die unten sind, von den Menschen, die oben sind, nicht vergessen werden dürfen. Im Zuge der Flüchtlingsproblematik und der damit verbundenen Herausforderungen haben wir im Fußball einen Schulterschluss mit der DFL hinbekommen. Das war sehr wichtig und nicht selbstverständlich. Denn leider geht die allgemeine Tendenz in unserer Gesellschaft immer mehr in die Richtung, dass der Zusammenhalt schwindet. Der Fußball ist für viele das letzte Lagerfeuer als Gemeinschaftserlebnis, das wir unbedingt schützen und erhalten müssen.

DFB.de: Über die Flüchtlingsproblematik hinaus ist die DFB-Stiftung Egidius Braun auch sehr stark international ausgerichtet. Wie sehen Sie die Stiftung in diesem Bereich aufgestellt?

Gehlenborg: Wir haben immer versucht, im Rahmen der großen Turniere wie Europa- und Weltmeisterschaften in den ausrichtenden Ländern zu helfen, wenn das nötig und möglich war. Wir hatten dabei immer die Schwächsten in der jeweiligen Gesellschaft im Blick. Zum Beispiel Kinder, die als Waisen aufwachsen oder in ganz schwierigen Verhältnissen leben müssen. Trotz aller Schicksalsschläge haben wir dort ganz viele Kinder angetroffen, die eine riesige Lebensfreude ausgestrahlt haben. Das hat mich regelmäßig beeindruckt. Vor allem in Mexiko, in Brasilien und Osteuropa konnten wir mit unseren Projekten nachhaltig helfen. Bei mir sehr stark in Erinnerung geblieben ist die Dankbarkeit, die uns dort entgegengebracht wurde. Das war wirklich beeindruckend und hat uns immer wieder beglückt und auch mit Stolz erfüllt.

DFB.de: Wo steht die Sepp-Herberger-Stiftung mit den großen Schwerpunkten Resozialisierung und Behindertenfußball?

Gehlenborg: Auch mit dem Blick auf diese beiden zentralen Herausforderungen gehe ich mit einem guten Gefühl und mit großer Dankbarkeit. Dank der großartigen und kompetenten Unterstützung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DFB-Stiftungen und hier vor allem durch den ehemaligen Geschäftsführer Wolfgang Watzke und seinen Nachfolger Tobias Wrzesinski konnten wir sowohl in der Resozialisierung als auch im Behindertenfußball nachhaltige Erfolge verzeichnen. Für unseren "Stiftungsvater" Sepp Herberger war die Resozialisierung von Strafgefangenen schon sehr früh ein wichtiges Anliegen. Er hat selbst mehrfach die Menschen in Gefängnissen besucht. Erstmals im Dezember 1970 in Bruchsal. Auch einige seiner Nationalspieler waren dabei. So hat sich Fritz Walter bis zu seinem Tod auf bemerkenswerte Weise für unsere Stiftungsarbeit engagiert. Herberger hat erkannt, dass es in den Haftanstalten Menschen gibt, die man nicht abschreiben darf. Viel mehr war es ihm wichtig, diesen Menschen eine zweite Chance zu geben und sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren.

DFB.de: Was ist Ihnen aus den JVA-Besuchen besonders in Erinnerung geblieben?

Gehlenborg: Mein erster Besuch in einer Justizvollzugsanstalt. Am Eindrücklichsten waren die unüberwindbar hohen Mauern, die Zäune, die schweren Türen und der riesige Schlüsselbund der Bediensteten. Das ist wirklich so, wie man es aus dem "Tatort" im Fernsehen kennt. Ich war jedes Mal erleichtert, wenn ich wieder draußen war. Aber mir ist auch sehr klar geworden, dass wir in der Verantwortung stehen und helfen müssen.

DFB.de: Auch hier wieder mit der Allzweckwaffe Fußball?

Gehlenborg: Ja, auch hier konnten wir mit dem Fußball Erfolge erzielen. Ich selbst war unter anderem häufiger mit Uwe Seeler und Otto Rehhagel in Haftanstalten. Und wenn diese prägenden Persönlichkeiten des Fußballsports ihre Erfahrungen an die jüngeren Gefangenen weitergaben, dann war das immer sehr hilfreich und zeigte oft ganz unmittelbar Wirkung. Aus der Ansprache der beiden konnten insbesondere die jugendlichen Inhaftierten deutlich entnehmen, dass der Knast nicht zum Daueraufenthaltsort für sie werden darf. Der Fußball gibt ihnen die Chance, in die Gesellschaft zurückzukehren. Mit unserer "Anstoß"-Initiative werden sie auf dem Weg nach draußen vorbereitet und begleitet. Bis zum heutigen Tag gibt es viele Beispiele, dass dieser Projektansatz funktioniert. Im übertragenen Sinne gehen wir mit dem Fußball in die Gefängnisse hinein und setzen dort auf seine sozialintegrative Kraft. Ich habe die Geschichten von vielen jungen Menschen gehört, die durch unser Resozialisierungsprogramm den Schritt zurück in die Gesellschaft geschafft haben. Es ist der verdiente Lohn, dass diese wichtige Resozialisierungsinitiative "Anstoß für ein neues Leben" aktuell durch die UEFA als bestes europäisches Breitenfußball-Projekt des Jahres 2019 ausgezeichnet wurde.

DFB.de: Wie bewerten Sie die Aktivitäten der Sepp-Herberger-Stiftung im Behindertenfußball?

Gehlenborg: Um das wirklich einordnen zu können, empfehle ich jedem, sich die Spiele um die Deutsche Meisterschaft im Blindenfußball anzuschauen. Oder sich einen Eindruck zu verschaffen beim Besuch unserer Fußballturniere, bei denen behinderte und nicht-behinderte junge Menschen wie selbstverständlich zusammen Fußball spielen und dabei riesigen Spaß haben. Das ist einfach nur beeindruckend und zeigt die ganze verbindende Kraft des Fußballs. Die Fußballer mit Handicap vergessen in den Augenblicken, wenn der Ball rollt, ihre Behinderung und sind mit unbändiger Freude im Einsatz.

DFB.de: Profitieren am Ende nicht alle davon? Behinderte und nicht-behinderte Sportler?

Gehlenborg: Ja, definitiv. Es ist für beide Seiten ein Gewinn. Allerdings hat, wer mit behinderten Menschen Fußball spielt oder ihnen diesen Sport als Trainer vermittelt, eine ganz besondere Verantwortung. Hier stehen die erzieherischen und pädagogischen Aspekte noch stärker im Fokus. Wenn man es richtig macht, weicht bei diesen gemischten Mannschaften die Verbissenheit, unbedingt gewinnen zu müssen, ganz oft der Freude am Spiel. Fußball ist eine Lebensschule, wie wir sie in dieser Art und Weise heute kaum noch vorfinden, wenn es darum geht, Menschen zu erreichen und positiv zu beeinflussen. Hier möchte ich gerne noch einmal Egidius Braun zitieren. Sein Credo "Fußball - Mehr als ein 1:0!" trifft meiner Meinung nach absolut ins Schwarze. Damit ist der Wesenskern dieser Sportart umfassend beschrieben und dem gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen.

DFB.de: Werfen wir den Blick zum Schluss noch nach vorne. Sie haben nun Zeit für andere Dinge. Mit welchen Zielen gehen Sie in Ihren nächsten Lebensabschnitt?

Gehlenborg: Es sind drei Dinge, die mich gerade stark beschäftigen. Erstens möchte ich es erreichen, dass das Fußballspielen in den Vereinen auch für ältere Menschen als Hobbysport ermöglicht wird und einen größeren Zuspruch findet. Die Zielgruppe, die ich gerne ansprechen möchte, beginnt bei 45 Jahren und geht bis ins hohe Alter. Konkret möchte ich dazu beitragen, den Fußball für Ältere als Gesundheitssport zu etablieren. Viele Fußballer ziehen sich ab einem bestimmten Alter zurück und gehen lieber ins Fitnessstudio statt auf den Fußballplatz. Das liegt daran, dass der Fußball für viele eine Sportart mit hohem Verletzungsrisiko ist – gerade im Alter. Zudem neigen viele im Alter leider dazu, immer bequemer und inaktiver zu werden. Der Ball als "Bewegungsgeber" kann den Impuls in Richtung Aktivität geben und bewirkt ganz automatisch, sich zu bewegen. Die Älteren sollten deshalb gerne länger im Verein bleiben und Fußball spielen. Nicht im Wettkampf, sondern einfach, um aus gesundheitlichen Motiven und Freude Fußballsport zu betreiben. Ich glaube, dass dies der richtige Weg ist, um körperlich und geistig fit zu bleiben. Dazu wird derzeit gemeinsam mit führenden Fachmedizinern eine regionale Pilotstudie mit dem Titel "FIT und FUN mit FUSSBALL" durchgeführt. Die bisherige Resonanz und die ersten Erkenntnisse zeigen, dass wir mit dieser Pilotstudie ein wichtiges zukunftsorientiertes Thema bearbeiten.

DFB.de: Und zweitens?

Gehlenborg: Ich habe Enkelkinder. Das jüngste ist drei Jahre alt und zu meiner großen Freude sehr fußballaffin. Die Freude am Fußballspiel und seine sportliche Entwicklung möchte ich aktiv unterstützen. Wir spielen schon jetzt häufiger zusammen Fußball bei uns in der Straße mit anderen Kindern im gleichen Alter. Ich habe deshalb unserem lokalen Fußballverein angeboten, die sogenannten "Pamperskids" zu trainieren. Daran hätte ich großen Spaß. Aber bei alldem möchte ich ab sofort auch mehr Zeit für meine Frau und meine Familie haben. Sie alle mussten in den vergangenen Jahren doch sehr zurückstehen. Das soll sich jetzt wieder ändern. Auch darauf freue ich mich.

DFB.de: Und drittens?

Gehlenborg: Werde ich weiterhin Vorsitzender des Vereins Freunde der Nationalmannschaft (FdN) bleiben. Die "FdN" unterstützen mit ihrer jährlichen Spende maßgeblich die Arbeit der Sepp-Herberger-Stiftung. Auf diesem Weg werden pro Jahr Zuwendungen von über 170.000 Euro für die Arbeit der ältesten deutschen Fußballstiftung bereitgestellt. Außerdem ist geplant, dass ich als Kuratoriumsmitglied der DFB-Stiftung Egidius Braun der Stiftungsarbeit noch eine Weile erhalten bleibe, weil sie mir wirklich sehr ans Herz gewachsen ist. Es bleibt auf jeden Fall hinreichend zu tun. Langweilig wird mir auf keinen Fall. (lacht)

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Eugen Gehlenborg stand als DFB-Vizepräsident für Sozial- und Gesellschaftspolitik sechs Jahre lang an der Spitze der DFB-Stiftungen Egidius Braun und Sepp Herberger. Im DFB.de-Interview schaut der 72 Jahre alte Ehrenpräsident des Norddeutschen Fußballverbandes auf seine Amtszeit zurück und erklärt, warum ihm diese Aufgabe so wichtig war.

DFB.de: Herr Gehlenborg, mit dem DFB-Bundestag ist Ihre sechsjährige Amtszeit als Vorsitzender der DFB-Stiftung Sepp Herberger und geschäftsführender Vorsitzender der DFB-Stiftung Egidius Braun zu Ende gegangen. Mit welchem Fazit?

Eugen Gehlenborg: Ich denke, dass wir in diesem Zeitraum mit der DFB-Stiftungsarbeit national aber auch international viel erreicht haben. Es war eine sehr intensive und aufregende Zeit, in der ich als DFB-Vizepräsident für die sozialen und gesellschaftspolitischen Angelegenheiten und damit auch für die Arbeit der beiden genannten Stiftungen verantwortlich war. Aufgrund der Ereignisdichte in diesen sechs Jahren ist die Zeit wie im Flug vergangen. Wir konnten sowohl gemeinsam sportlich großartige Erfolge feiern –  so zum Beispiel den Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien – als auch neue Akzente in der Stiftungsarbeit setzen. Es gab allerdings auch viele Baustellen, die wir bearbeiten mussten.

DFB.de: Zum Beispiel die Flüchtlingsproblematik, die ja auch direkten Bezug auf die DFB-Stiftung Egidius Braun hat.

Gehlenborg: Mit den Initiativen "1:0 für ein Willkommen" beziehungsweise "2:0 für ein Willkommen", die maßgeblich vom vorherigen Geschäftsführer Wolfgang Watzke initiiert wurden, konnten wir bis heute mehr als 3700 Anträge bewilligen und damit Fußballorganisationen finanziell bei der Integration von Flüchtlingen unterstützen. Ich hatte anfangs nicht erwartet, dass die große Fußballfamilie in dem Maße und so schnell und unkompliziert diese soziale Herausforderung annehmen würde. Wir standen in Deutschland plötzlich vor der Situation, dass viele geflüchtete Menschen zu uns kamen, auch weil sie aus ihrer Heimat durch Krieg und Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen vertrieben wurden. Wir als Stiftungsverantwortliche waren uns einig, dass wir helfen wollen und müssen. Ich möchte hier besonders die herausragende Zusammenarbeit mit der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration erwähnen. Gemeinsam war uns klar, dass wir über die Vereine und die Integrationskraft des Fußballs nutzend die Geflüchteten erreichen und auch betreuen können. In vielen Fällen haben die Fußballvereine mit ihren zahlreichen ehrenamtlichen Helfern dafür gesorgt, dass die geflüchteten Menschen vor allem in den ersten Monaten in Deutschland eine Anlaufstation hatten und ganz viele hier auch eine neue Heimat finden konnten. Hier konnten sie während des Fußballspielens zumindest zeitweise ihre Sorgen und Nöte vergessen. Damit haben wir humanitär viel bewirken können.

DFB.de: Der Fußball also als Integrationshelfer?

Gehlenborg: Ja, so kann man es ganz gut auf den Punkt bringen. Der Fußball hat einfach ganz besondere integrative Möglichkeiten. Und es wäre fahrlässig gewesen, diese nicht auch zu nutzen. Ich persönlich bin den auf so großartige Weise engagierten Menschen in den Fußballvereinen für ihr Engagement außerordentlich dankbar. In meiner Zeit als Vorsitzender sind mir viele Persönlichkeiten begegnet, die vorangegangen sind und mit teilweise einfachen Mitteln große Hilfe geleistet haben. Es ist inspirierend mitzuerleben, wie engagiert die Fußballfamilie sein kann, wenn sie wirklich gebraucht wird.

DFB.de: Trotzdem gibt es immer wieder auch kritische Stimmen – gerade, wenn es um den Profifußball und dessen Kommerzialisierung geht.

Gehlenborg: Das ist ja durchaus auch eine Entwicklung, die nicht unproblematisch ist. Aber ich finde, man muss dieses Thema dann auch richtig einordnen. Viele Profiklubs und die Profis selbst engagieren sich auch mit ihren Stiftungen für soziale Zwecke. Auch die DFL Stiftung muss hier erwähnt werden. Auf diesem Wege geben die Klubs und Profis aus der Bundesliga vieles an diejenigen zurück, die Hilfe nötig haben. Sepp Herberger hat das Motto ja wunderbar vorgelebt, dass die Menschen, die unten sind, von den Menschen, die oben sind, nicht vergessen werden dürfen. Im Zuge der Flüchtlingsproblematik und der damit verbundenen Herausforderungen haben wir im Fußball einen Schulterschluss mit der DFL hinbekommen. Das war sehr wichtig und nicht selbstverständlich. Denn leider geht die allgemeine Tendenz in unserer Gesellschaft immer mehr in die Richtung, dass der Zusammenhalt schwindet. Der Fußball ist für viele das letzte Lagerfeuer als Gemeinschaftserlebnis, das wir unbedingt schützen und erhalten müssen.

DFB.de: Über die Flüchtlingsproblematik hinaus ist die DFB-Stiftung Egidius Braun auch sehr stark international ausgerichtet. Wie sehen Sie die Stiftung in diesem Bereich aufgestellt?

Gehlenborg: Wir haben immer versucht, im Rahmen der großen Turniere wie Europa- und Weltmeisterschaften in den ausrichtenden Ländern zu helfen, wenn das nötig und möglich war. Wir hatten dabei immer die Schwächsten in der jeweiligen Gesellschaft im Blick. Zum Beispiel Kinder, die als Waisen aufwachsen oder in ganz schwierigen Verhältnissen leben müssen. Trotz aller Schicksalsschläge haben wir dort ganz viele Kinder angetroffen, die eine riesige Lebensfreude ausgestrahlt haben. Das hat mich regelmäßig beeindruckt. Vor allem in Mexiko, in Brasilien und Osteuropa konnten wir mit unseren Projekten nachhaltig helfen. Bei mir sehr stark in Erinnerung geblieben ist die Dankbarkeit, die uns dort entgegengebracht wurde. Das war wirklich beeindruckend und hat uns immer wieder beglückt und auch mit Stolz erfüllt.

DFB.de: Wo steht die Sepp-Herberger-Stiftung mit den großen Schwerpunkten Resozialisierung und Behindertenfußball?

Gehlenborg: Auch mit dem Blick auf diese beiden zentralen Herausforderungen gehe ich mit einem guten Gefühl und mit großer Dankbarkeit. Dank der großartigen und kompetenten Unterstützung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DFB-Stiftungen und hier vor allem durch den ehemaligen Geschäftsführer Wolfgang Watzke und seinen Nachfolger Tobias Wrzesinski konnten wir sowohl in der Resozialisierung als auch im Behindertenfußball nachhaltige Erfolge verzeichnen. Für unseren "Stiftungsvater" Sepp Herberger war die Resozialisierung von Strafgefangenen schon sehr früh ein wichtiges Anliegen. Er hat selbst mehrfach die Menschen in Gefängnissen besucht. Erstmals im Dezember 1970 in Bruchsal. Auch einige seiner Nationalspieler waren dabei. So hat sich Fritz Walter bis zu seinem Tod auf bemerkenswerte Weise für unsere Stiftungsarbeit engagiert. Herberger hat erkannt, dass es in den Haftanstalten Menschen gibt, die man nicht abschreiben darf. Viel mehr war es ihm wichtig, diesen Menschen eine zweite Chance zu geben und sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren.

DFB.de: Was ist Ihnen aus den JVA-Besuchen besonders in Erinnerung geblieben?

Gehlenborg: Mein erster Besuch in einer Justizvollzugsanstalt. Am Eindrücklichsten waren die unüberwindbar hohen Mauern, die Zäune, die schweren Türen und der riesige Schlüsselbund der Bediensteten. Das ist wirklich so, wie man es aus dem "Tatort" im Fernsehen kennt. Ich war jedes Mal erleichtert, wenn ich wieder draußen war. Aber mir ist auch sehr klar geworden, dass wir in der Verantwortung stehen und helfen müssen.

DFB.de: Auch hier wieder mit der Allzweckwaffe Fußball?

Gehlenborg: Ja, auch hier konnten wir mit dem Fußball Erfolge erzielen. Ich selbst war unter anderem häufiger mit Uwe Seeler und Otto Rehhagel in Haftanstalten. Und wenn diese prägenden Persönlichkeiten des Fußballsports ihre Erfahrungen an die jüngeren Gefangenen weitergaben, dann war das immer sehr hilfreich und zeigte oft ganz unmittelbar Wirkung. Aus der Ansprache der beiden konnten insbesondere die jugendlichen Inhaftierten deutlich entnehmen, dass der Knast nicht zum Daueraufenthaltsort für sie werden darf. Der Fußball gibt ihnen die Chance, in die Gesellschaft zurückzukehren. Mit unserer "Anstoß"-Initiative werden sie auf dem Weg nach draußen vorbereitet und begleitet. Bis zum heutigen Tag gibt es viele Beispiele, dass dieser Projektansatz funktioniert. Im übertragenen Sinne gehen wir mit dem Fußball in die Gefängnisse hinein und setzen dort auf seine sozialintegrative Kraft. Ich habe die Geschichten von vielen jungen Menschen gehört, die durch unser Resozialisierungsprogramm den Schritt zurück in die Gesellschaft geschafft haben. Es ist der verdiente Lohn, dass diese wichtige Resozialisierungsinitiative "Anstoß für ein neues Leben" aktuell durch die UEFA als bestes europäisches Breitenfußball-Projekt des Jahres 2019 ausgezeichnet wurde.

DFB.de: Wie bewerten Sie die Aktivitäten der Sepp-Herberger-Stiftung im Behindertenfußball?

Gehlenborg: Um das wirklich einordnen zu können, empfehle ich jedem, sich die Spiele um die Deutsche Meisterschaft im Blindenfußball anzuschauen. Oder sich einen Eindruck zu verschaffen beim Besuch unserer Fußballturniere, bei denen behinderte und nicht-behinderte junge Menschen wie selbstverständlich zusammen Fußball spielen und dabei riesigen Spaß haben. Das ist einfach nur beeindruckend und zeigt die ganze verbindende Kraft des Fußballs. Die Fußballer mit Handicap vergessen in den Augenblicken, wenn der Ball rollt, ihre Behinderung und sind mit unbändiger Freude im Einsatz.

DFB.de: Profitieren am Ende nicht alle davon? Behinderte und nicht-behinderte Sportler?

Gehlenborg: Ja, definitiv. Es ist für beide Seiten ein Gewinn. Allerdings hat, wer mit behinderten Menschen Fußball spielt oder ihnen diesen Sport als Trainer vermittelt, eine ganz besondere Verantwortung. Hier stehen die erzieherischen und pädagogischen Aspekte noch stärker im Fokus. Wenn man es richtig macht, weicht bei diesen gemischten Mannschaften die Verbissenheit, unbedingt gewinnen zu müssen, ganz oft der Freude am Spiel. Fußball ist eine Lebensschule, wie wir sie in dieser Art und Weise heute kaum noch vorfinden, wenn es darum geht, Menschen zu erreichen und positiv zu beeinflussen. Hier möchte ich gerne noch einmal Egidius Braun zitieren. Sein Credo "Fußball - Mehr als ein 1:0!" trifft meiner Meinung nach absolut ins Schwarze. Damit ist der Wesenskern dieser Sportart umfassend beschrieben und dem gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen.

DFB.de: Werfen wir den Blick zum Schluss noch nach vorne. Sie haben nun Zeit für andere Dinge. Mit welchen Zielen gehen Sie in Ihren nächsten Lebensabschnitt?

Gehlenborg: Es sind drei Dinge, die mich gerade stark beschäftigen. Erstens möchte ich es erreichen, dass das Fußballspielen in den Vereinen auch für ältere Menschen als Hobbysport ermöglicht wird und einen größeren Zuspruch findet. Die Zielgruppe, die ich gerne ansprechen möchte, beginnt bei 45 Jahren und geht bis ins hohe Alter. Konkret möchte ich dazu beitragen, den Fußball für Ältere als Gesundheitssport zu etablieren. Viele Fußballer ziehen sich ab einem bestimmten Alter zurück und gehen lieber ins Fitnessstudio statt auf den Fußballplatz. Das liegt daran, dass der Fußball für viele eine Sportart mit hohem Verletzungsrisiko ist – gerade im Alter. Zudem neigen viele im Alter leider dazu, immer bequemer und inaktiver zu werden. Der Ball als "Bewegungsgeber" kann den Impuls in Richtung Aktivität geben und bewirkt ganz automatisch, sich zu bewegen. Die Älteren sollten deshalb gerne länger im Verein bleiben und Fußball spielen. Nicht im Wettkampf, sondern einfach, um aus gesundheitlichen Motiven und Freude Fußballsport zu betreiben. Ich glaube, dass dies der richtige Weg ist, um körperlich und geistig fit zu bleiben. Dazu wird derzeit gemeinsam mit führenden Fachmedizinern eine regionale Pilotstudie mit dem Titel "FIT und FUN mit FUSSBALL" durchgeführt. Die bisherige Resonanz und die ersten Erkenntnisse zeigen, dass wir mit dieser Pilotstudie ein wichtiges zukunftsorientiertes Thema bearbeiten.

DFB.de: Und zweitens?

Gehlenborg: Ich habe Enkelkinder. Das jüngste ist drei Jahre alt und zu meiner großen Freude sehr fußballaffin. Die Freude am Fußballspiel und seine sportliche Entwicklung möchte ich aktiv unterstützen. Wir spielen schon jetzt häufiger zusammen Fußball bei uns in der Straße mit anderen Kindern im gleichen Alter. Ich habe deshalb unserem lokalen Fußballverein angeboten, die sogenannten "Pamperskids" zu trainieren. Daran hätte ich großen Spaß. Aber bei alldem möchte ich ab sofort auch mehr Zeit für meine Frau und meine Familie haben. Sie alle mussten in den vergangenen Jahren doch sehr zurückstehen. Das soll sich jetzt wieder ändern. Auch darauf freue ich mich.

DFB.de: Und drittens?

Gehlenborg: Werde ich weiterhin Vorsitzender des Vereins Freunde der Nationalmannschaft (FdN) bleiben. Die "FdN" unterstützen mit ihrer jährlichen Spende maßgeblich die Arbeit der Sepp-Herberger-Stiftung. Auf diesem Weg werden pro Jahr Zuwendungen von über 170.000 Euro für die Arbeit der ältesten deutschen Fußballstiftung bereitgestellt. Außerdem ist geplant, dass ich als Kuratoriumsmitglied der DFB-Stiftung Egidius Braun der Stiftungsarbeit noch eine Weile erhalten bleibe, weil sie mir wirklich sehr ans Herz gewachsen ist. Es bleibt auf jeden Fall hinreichend zu tun. Langweilig wird mir auf keinen Fall. (lacht)

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