Prototyp des Ausputzers: "World Cup Willi" Schulz wird 75

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Es ist nicht oft vorgekommen, dass Willi Schulz mal vor etwas weggelaufen wäre. Der Prototyp des Ausputzers, der 66-mal den DFB-Adler trug, war "einer mit Kanten und Ecken - wenn's rund ging, dann fühlte sich Willi am wohlsten." So stand es am 24. April 1973 im Kicker, dessen Chefredakteur Karl-Heinz Heimann würdigte ihn am Tag seines Abschiedsspiels. Damals war Willi Schulz 35 Jahre jung, heute wird er stolze 75 - und nun ist er doch noch weggelaufen. Vor dem Trubel, den so ein runder Geburtstag eben so mit sich bringt.

Schon vor fünf Jahren kreuzte er mit der Familie durchs östliche Mittelmeer, nun weilt er mit seiner Frau in Spanien. Zum Golfen. Am Sonntag kehrt er zurück nach Hamburg, das längst seine Heimat geworden ist. Seit 48 Jahren ist der Junge aus dem Pott nun schon Wahl-Hanseate, der HSV war seine letzte Profistation und dann blieb er einfach da. Er verdiente sein Geld als Versicherungskaufmann, schrieb gefürchtete Fußball-Kolumnen und saß im Aufsichtsrat des HSV - von 2004 bis 2009 als dessen zweiter Vorsitzender.

"Lang aufgeschossener Doppelgänger von Horst Eckel"

Willi Schulz kann gewiss auf eine außergewöhnliche Karriere zurück blicken. Nachdem er bei dem Bochumer Stadtteil-Klub Union 08 Günnigfeld schon als Teenager überragende Leistungen in der Seniorenmannschaft gezeigt hatte, kam er zu vier Amateurländerspielen. Denn Amateure waren sie unterhalb der Oberligen alle, und Union Günnigfeld spielte in der Westfalen-Staffel 2, zuweilen auch auf Asche. Eine harte Schule für harte Kerle, aber gewiss kein Sprungbrett in die Nationalmannschaft - sollte man meinen. Doch Bundestrainer Sepp Herberger brach das Tabu und berief den damals 20 Jahre alten Feinmechanikerlehrling im Dezember 1959 in den Kader gegen Jugoslawien (1:1).

Vier Tage vor Weihnachten erhielt Schulz sein verfrühtes Geschenk; an der Seite eines Helmut Rahn und eines Uwe Seeler durfte der Junge aus dem Verein, den die meisten Zuschauer im Niedersachsenstadion wohl noch nie gehört hatten, überraschend sogar auflaufen. Als rechter Läufer, da er nicht nur Herberger an den Lauterer Horst Eckel erinnerte. Im Sport Magazin las man nach der Partie: "Der lang aufgeschossene Doppelgänger von Horst Eckel bestand jedoch sein Debut mit 'Ausgezeichnet'. In den letzten 20 Minuten vertrat er mit stoischer Ruhe Erhardt auf dessen Stopperposten."

Herbergers Fazit viel von Amts wegen etwas nüchterner aus: "Er hat spieltechnische Fähigkeiten, aber in der taktischen Spielauffassung und im Einsatz bedarf er weiterer Förderung." Nun, die sollte er bekommen.

"Nationalelf zwischen 1959 und 1970 ohne ihn nicht denkbar"

Schon 1960 wechselte Schulz zu Schalke 04, nachdem er noch zwei weitere Länderspiele als Günnigfelder gemacht hatte. Borussia Dortmund wollte ihn übrigens auch haben. Ehe er nach einigem Hin und Her auf Schalke zusagte, handelte er noch die Überlassung eines Grundstücks in Gelsenkirchen aus. Dort errichtete Schulz eine Gaststätte und stand abends noch selbst am Zapfhahn. Als er nach zwei Bundesligajahren 1965 zum HSV ging, boykottierten die blauweißen Stammgäste empört die Kneipe und tranken ihr Bierchen nun am Kiosk gegenüber. Schulz sah es locker, "denn der gehört mir auch."

Doch Willi Schulz zeichnete nicht nur sein Geschäftssinn aus, er war natürlich auch ein besonders guter Fußballer. Hätte er 30 Jahre später Bundesliga gespielt, wäre er fraglos Millionär geworden. "Zwischen 1959 und 1970 war eine Nationalelf ohne ihn nicht denkbar", schrieb Karl-Heinz Heimann in besagter Kicker-Laudatio.

"World Cup Willi": Drei WM-Teilnahmen, 20-mal DFB-Kapitän

Schulz war 20-mal DFB-Spielführer und nahm an drei Weltmeisterschaften teil: 1962 in Chile und 1966 in England verpasste er keine Minute - auch nicht die, als das legendäre Wembley-Tor fiel. Bei der WM 1966 wurde sein legendärer Spitzname "World Cup Willi" geboren. So hieß eigentlich das englische WM-Maskottchen, aber auch die Deutschen hatten bei dieser WM ihren Willi.

Das macht man nicht mit jemandem, den man nicht mag. Doch Willi Schulz war Kult. Da er sich großer Beliebtheit erfreute, riefen die Zuschauer oft seinen Vornamen, wenn er mit langen Schritten nach vorne preschte. Wenn er das Toreschießen auch eher Uwe Seeler überließ, in 263 Bundesligaspielen traf Schulz nur fünfmal. Aber als Ausputzer war er mit seiner Erfahrung und Zweikampfhärte unverzichtbar. Gerade bei der WM 1966: In einer glanzvollen Mannschaft, in der viele kommende Weltstars ihre ersten Gehversuche auf internationalem Parkett machten.

Abschied nach der WM in Mexiko 1970

Mit Wolfgang Overath und Franz Beckenbauer spielte er auch 1970 in Mexiko, wo er erstmals kein Stammspieler war. Aber in den Jahrhundertspielen gegen England (3:2 n.V.) und Italien (3:4 n.V.) war er dabei. Dass das Halbfinaldrama von Mexiko City sein letztes und nicht sein vorletztes Länderspiel war, ist auch wieder so eine Geschichte. Bundestrainer Helmut Schön wollte im Spiel um Platz drei den Reservisten eine Chance geben, und Schulz sollte erst nach der Pause Karl-Heinz Schnellinger ablösen. So der Plan.

Angeblich "vergaß" Schulz damals absichtlich seine Schuhe im Hotel. Helmut Schön soll nicht sonderlich amüsiert gewesen sein, als er erfuhr, dass einer seiner Ersatzspieler keine Schuhe dabei hatte. Schulz hat das 2008 dementiert ("Es war alles mit Schön abgesprochen"), aber erzählt wird die Schote immer noch gern. Jedenfalls kam der Bremer Max Lorenz zu seinem WM-Debüt, Willi Schulz spielte nie mehr für Deutschland. Vor allem, weil er gleich nach der Rückkehr am Meniskus operiert wurde und schon im fortgeschrittenen Fußballeralter war.

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Karriereende ohne großen Titel

Als die Goldenen Siebziger des deutschen Fußballs anbrachen, musste er allmählich ans Aufhören denken. Die Europameister von 1972 und die Weltmeister von 1974 hat er fast alle noch als Mitspieler erlebt - aber bei ihren Triumphen war er nicht mehr dabei. Als Willi Schulz am 24. April 1973 im Volksparkstadion abtrat, endete eine stolze Karriere, die ihn 1968 bis in die Weltauswahl geführt hatte, leider ohne Titel. Denn er hatte nicht nur Wembley Pech, 1968 verlor er mit dem HSV auch das Europacup-Finale gegen AC Mailand, 1967 zog er im DFB-Pokalfinale gegen die Bayern den Kürzeren.

Aber zum Abschied gab es natürlich noch eine echte Schulz-Geschichte. Er organisierte damals ein Spiel zwischen dem HSV und einer Weltauswahl, zu der Leute wie Bobby Charlton, Carlos Alberto, Bobby Moore, aber auch Franz Beckenbauer und Gerd Müller gehörten. Selbst Pelé war eingeladen, und der Hamburger Gastgeber hatte ihm schon ein Flugticket erster Klasse zugesandt. Doch der Weltstar sagte ab. 32.000 Zuschauer kamen dennoch und brachten 130.000 Mark ein. Viel Geld vor 40 Jahren. Sein HSV hatte wenig Geld, und Willi lieh ihm die komplette Einnahme. Er nahm aber Zinsen.

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Es ist nicht oft vorgekommen, dass Willi Schulz mal vor etwas weggelaufen wäre. Der Prototyp des Ausputzers, der 66-mal den DFB-Adler trug, war "einer mit Kanten und Ecken - wenn's rund ging, dann fühlte sich Willi am wohlsten." So stand es am 24. April 1973 im Kicker, dessen Chefredakteur Karl-Heinz Heimann würdigte ihn am Tag seines Abschiedsspiels. Damals war Willi Schulz 35 Jahre jung, heute wird er stolze 75 - und nun ist er doch noch weggelaufen. Vor dem Trubel, den so ein runder Geburtstag eben so mit sich bringt.

Schon vor fünf Jahren kreuzte er mit der Familie durchs östliche Mittelmeer, nun weilt er mit seiner Frau in Spanien. Zum Golfen. Am Sonntag kehrt er zurück nach Hamburg, das längst seine Heimat geworden ist. Seit 48 Jahren ist der Junge aus dem Pott nun schon Wahl-Hanseate, der HSV war seine letzte Profistation und dann blieb er einfach da. Er verdiente sein Geld als Versicherungskaufmann, schrieb gefürchtete Fußball-Kolumnen und saß im Aufsichtsrat des HSV - von 2004 bis 2009 als dessen zweiter Vorsitzender.

"Lang aufgeschossener Doppelgänger von Horst Eckel"

Willi Schulz kann gewiss auf eine außergewöhnliche Karriere zurück blicken. Nachdem er bei dem Bochumer Stadtteil-Klub Union 08 Günnigfeld schon als Teenager überragende Leistungen in der Seniorenmannschaft gezeigt hatte, kam er zu vier Amateurländerspielen. Denn Amateure waren sie unterhalb der Oberligen alle, und Union Günnigfeld spielte in der Westfalen-Staffel 2, zuweilen auch auf Asche. Eine harte Schule für harte Kerle, aber gewiss kein Sprungbrett in die Nationalmannschaft - sollte man meinen. Doch Bundestrainer Sepp Herberger brach das Tabu und berief den damals 20 Jahre alten Feinmechanikerlehrling im Dezember 1959 in den Kader gegen Jugoslawien (1:1).

Vier Tage vor Weihnachten erhielt Schulz sein verfrühtes Geschenk; an der Seite eines Helmut Rahn und eines Uwe Seeler durfte der Junge aus dem Verein, den die meisten Zuschauer im Niedersachsenstadion wohl noch nie gehört hatten, überraschend sogar auflaufen. Als rechter Läufer, da er nicht nur Herberger an den Lauterer Horst Eckel erinnerte. Im Sport Magazin las man nach der Partie: "Der lang aufgeschossene Doppelgänger von Horst Eckel bestand jedoch sein Debut mit 'Ausgezeichnet'. In den letzten 20 Minuten vertrat er mit stoischer Ruhe Erhardt auf dessen Stopperposten."

Herbergers Fazit viel von Amts wegen etwas nüchterner aus: "Er hat spieltechnische Fähigkeiten, aber in der taktischen Spielauffassung und im Einsatz bedarf er weiterer Förderung." Nun, die sollte er bekommen.

"Nationalelf zwischen 1959 und 1970 ohne ihn nicht denkbar"

Schon 1960 wechselte Schulz zu Schalke 04, nachdem er noch zwei weitere Länderspiele als Günnigfelder gemacht hatte. Borussia Dortmund wollte ihn übrigens auch haben. Ehe er nach einigem Hin und Her auf Schalke zusagte, handelte er noch die Überlassung eines Grundstücks in Gelsenkirchen aus. Dort errichtete Schulz eine Gaststätte und stand abends noch selbst am Zapfhahn. Als er nach zwei Bundesligajahren 1965 zum HSV ging, boykottierten die blauweißen Stammgäste empört die Kneipe und tranken ihr Bierchen nun am Kiosk gegenüber. Schulz sah es locker, "denn der gehört mir auch."

Doch Willi Schulz zeichnete nicht nur sein Geschäftssinn aus, er war natürlich auch ein besonders guter Fußballer. Hätte er 30 Jahre später Bundesliga gespielt, wäre er fraglos Millionär geworden. "Zwischen 1959 und 1970 war eine Nationalelf ohne ihn nicht denkbar", schrieb Karl-Heinz Heimann in besagter Kicker-Laudatio.

"World Cup Willi": Drei WM-Teilnahmen, 20-mal DFB-Kapitän

Schulz war 20-mal DFB-Spielführer und nahm an drei Weltmeisterschaften teil: 1962 in Chile und 1966 in England verpasste er keine Minute - auch nicht die, als das legendäre Wembley-Tor fiel. Bei der WM 1966 wurde sein legendärer Spitzname "World Cup Willi" geboren. So hieß eigentlich das englische WM-Maskottchen, aber auch die Deutschen hatten bei dieser WM ihren Willi.

Das macht man nicht mit jemandem, den man nicht mag. Doch Willi Schulz war Kult. Da er sich großer Beliebtheit erfreute, riefen die Zuschauer oft seinen Vornamen, wenn er mit langen Schritten nach vorne preschte. Wenn er das Toreschießen auch eher Uwe Seeler überließ, in 263 Bundesligaspielen traf Schulz nur fünfmal. Aber als Ausputzer war er mit seiner Erfahrung und Zweikampfhärte unverzichtbar. Gerade bei der WM 1966: In einer glanzvollen Mannschaft, in der viele kommende Weltstars ihre ersten Gehversuche auf internationalem Parkett machten.

Abschied nach der WM in Mexiko 1970

Mit Wolfgang Overath und Franz Beckenbauer spielte er auch 1970 in Mexiko, wo er erstmals kein Stammspieler war. Aber in den Jahrhundertspielen gegen England (3:2 n.V.) und Italien (3:4 n.V.) war er dabei. Dass das Halbfinaldrama von Mexiko City sein letztes und nicht sein vorletztes Länderspiel war, ist auch wieder so eine Geschichte. Bundestrainer Helmut Schön wollte im Spiel um Platz drei den Reservisten eine Chance geben, und Schulz sollte erst nach der Pause Karl-Heinz Schnellinger ablösen. So der Plan.

Angeblich "vergaß" Schulz damals absichtlich seine Schuhe im Hotel. Helmut Schön soll nicht sonderlich amüsiert gewesen sein, als er erfuhr, dass einer seiner Ersatzspieler keine Schuhe dabei hatte. Schulz hat das 2008 dementiert ("Es war alles mit Schön abgesprochen"), aber erzählt wird die Schote immer noch gern. Jedenfalls kam der Bremer Max Lorenz zu seinem WM-Debüt, Willi Schulz spielte nie mehr für Deutschland. Vor allem, weil er gleich nach der Rückkehr am Meniskus operiert wurde und schon im fortgeschrittenen Fußballeralter war.

[bild2]

Karriereende ohne großen Titel

Als die Goldenen Siebziger des deutschen Fußballs anbrachen, musste er allmählich ans Aufhören denken. Die Europameister von 1972 und die Weltmeister von 1974 hat er fast alle noch als Mitspieler erlebt - aber bei ihren Triumphen war er nicht mehr dabei. Als Willi Schulz am 24. April 1973 im Volksparkstadion abtrat, endete eine stolze Karriere, die ihn 1968 bis in die Weltauswahl geführt hatte, leider ohne Titel. Denn er hatte nicht nur Wembley Pech, 1968 verlor er mit dem HSV auch das Europacup-Finale gegen AC Mailand, 1967 zog er im DFB-Pokalfinale gegen die Bayern den Kürzeren.

Aber zum Abschied gab es natürlich noch eine echte Schulz-Geschichte. Er organisierte damals ein Spiel zwischen dem HSV und einer Weltauswahl, zu der Leute wie Bobby Charlton, Carlos Alberto, Bobby Moore, aber auch Franz Beckenbauer und Gerd Müller gehörten. Selbst Pelé war eingeladen, und der Hamburger Gastgeber hatte ihm schon ein Flugticket erster Klasse zugesandt. Doch der Weltstar sagte ab. 32.000 Zuschauer kamen dennoch und brachten 130.000 Mark ein. Viel Geld vor 40 Jahren. Sein HSV hatte wenig Geld, und Willi lieh ihm die komplette Einnahme. Er nahm aber Zinsen.