Per Mertesacker: "Wollte unbedingt Arsenal-Spieler werden"

Von Bremen nach London. Per Mertesacker hat den Schritt nach England gewagt. Seit vier Wochen ist der 27-Jährige Spieler von Arsenal, dem Verein, dem er als Kind zugejubelt hat. Im Interview mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke spricht er über seine ersten Eindrücke in der englischen Hauptstadt, den Straßenverkehr in London, Gemeinsamkeiten von Arsene Wenger und Thomas Schaaf und über das Spiel der Nationalmannschaft gegen die Türkei.

DFB.de: Herr Mertesacker, wie fühlt es sich an, wieder bei der Nationalmannschaft zu sein. Anders als früher, weil Sie mittlerweile aus dem Ausland zum Team kommen?

Per Mertesacker: Es ist ein schönes Gefühl, hier zu sein. Unter bekannten Gesichtern, in einer vertrauten Umgebung.

DFB.de: Wie sehr sind Sie denn schon in London angekommen?

Mertesacker: Ich bin ja erst seit einem Monat aus Deutschland weg. Ich kann das alles noch nicht richtig einordnen. Manchmal fühlt es sich wie ein verlängerter Urlaub an. Erst langsam beginne ich, mich daran zu gewöhnen, dass mein Lebensmittelpunkt jetzt tatsächlich London ist.

DFB.de: Der Kopf braucht für diese Umstellung ein bisschen Zeit?

Mertesacker: Ja. Es steckt alles in der Anfangsphase, das merke ich an vielen kleinen Dingen. Ich bin in England zwar seit Mitte September zu Hause, aber noch nicht heimisch. Ich habe noch kein eigenes Haus, noch keine eigene Wohnung. Es fehlen Ankerpunkte, die ich mir in Deutschland bereits geschaffen hatte. Aber das braucht Zeit, das ist normal.

DFB.de: Hätten Sie sich die Umstellung leichter vorgestellt?

Mertesacker: Nein. Das ist es ja, was ich gewollt habe. Ich wollte mich auf ein neues Umfeld einlassen, wollte neue Erfahrungen sammeln. Deswegen genieße ich die Zeit, auch wenn es manchmal schwierig ist und sich vieles ungewohnt anfühlt. Ich habe die Zeit in Bremen sehr genossen, kannte dort jedes Detail, jeden Menschen. Und jetzt muss ich mich eben umstellen. Auf eine neue Kultur, eine andere Sprache, eine andere Mentalität. Ich empfinde das aber als sehr spannend, gerade zu Beginn.

DFB.de: Wie viel von London haben Sie schon mitbekommen. Wie sieht ein normaler Tag im Leben von Per Mertesacker in England aus?

Mertesacker: Normale Tage gibt es nicht. Viel hängt davon ab, wann und wo unsere Spiele sind. Wegen der Champions League sind wir auch auf dem europäischen Festland viel unterwegs. Ganz generell: London ist groß, gigantisch. Aber viel habe ich noch nicht gesehen, dafür fehlt einfach die Zeit. Die Distanzen sind enorm, zum Trainingspatz und zum Stadion benötige ich locker eine und wenn mal alles schief läuft auch eineinhalb Stunden.

DFB.de: Fahren Sie in London schon selber Auto?

Mertesacker: Nein, wegen des Linksverkehrs habe ich derzeit noch einen Fahrer. Ich muss mich an die Verhältnisse dort erst gewöhnen. Einmal bin ich schon selber gefahren, eigentlich hat das ganz gut geklappt. Deswegen will ich so schnell wie möglich ein eigenes Auto haben. Ich habe jetzt lange genug gesehen, wie der Straßenverkehr dort funktioniert. Von Zuhause zum Trainingsplatz und zurück - das wird meine Hauptstrecke sein.

DFB.de: Ihr Ankommen in London ist also noch im Gange, gilt das auch für das Ankommen im Team von Arsenal?

Mertesacker: Ich fühle mich dort gut aufgehoben. In unserer Mannschaft kommen viele Nationalitäten zusammen, wir sind ein bunter Haufen. Trotzdem, oder gerade deswegen, empfinde ich die Atmosphäre als sehr angenehm, als sehr locker. Wir haben viele neue Spieler, doch ich finde, dass wir sehr schnell zueinander gefunden haben. Kommunikationsprobleme habe ich zwar noch, aber dies war angesichts der Umstände nicht anders möglich.

DFB.de: Angesichts welcher Umstände?

Mertesacker: Wegen des späten Wechsels hatte ich mit Arsenal keine Vorbereitung, keine Testspiele, es musste sofort im Ernstfall funktionieren. Insgesamt sind wir auf einem guten Weg, und ich denke, dass wir insbesondere bei den Heimspielen gezeigt haben, dass es gut funktioniert. Auswärts müssen wir noch an Leistung zulegen, das sehe ich auch.

DFB.de: Ihr Wechsel wurde perfekt gemacht, als Sie mit der Nationalmannschaft zur Vorbereitung auf das Spiel gegen Österreich in Düsseldorf waren. Sie flogen am Tag nach dem Spiel in Polen sofort nach London und mussten fünf Tage später gleich für Arsenal spielen. Für Sie ging es in London von Null auf Hundert. Hatte dies auch Vorteile?

Mertesacker: Man hat keine Zeit, sich groß Gedanken zu machen. Es muss einfach gleich passen, aufs Feld und fertig. Manchmal ist es gar nicht so schlecht, wenn man sich keinen großen Kopf macht.

DFB.de: Sie haben für Ihre ersten Leistungen in den englischen Medien nicht nur Lob bekommen.

Mertesacker: Arsenal ist einer der Top-Vereine in der Welt, das Niveau in der Liga ist generell sehr hoch. Aber es ist klar, dass Fehler passieren. Angesichts der Konstellation kommen sie in unserer noch uneingespielten Mannschaft fast zwangsläufig. Und es bringt nichts, wenn ich jetzt nur noch darauf bedacht wäre, keine Fehler zu machen. Ich spiele weiter mein Spiel, will so schnell wie möglich reinkommen. Das kann ich nur schaffen, wenn ich mich traue. Und wenn ich in Kauf nehme, auch mal einen Fehler zu machen. Wichtig ist dann, dass ich daraus lerne.

DFB.de: Trauen können Sie sich nur selbst. Aber trauen Sie sich auch, weil Sie das Vertrauen des Trainers spüren?

Mertesacker: Zu 100 Prozent. Der Trainer ist seit Jahren das Aushängeschild von Arsenal. Arsene Wenger holt keinen Spieler, von dem er nicht absolut überzeugt ist. Dieses Gefühl vermittelt er einem auch in der täglichen Arbeit. Dieses Wissen verleiht mir sehr viel Sicherheit.

DFB.de: Wie ist das Standing von Wenger, der von den Medien zuletzt schon mal kritisiert wurde, im Verein und bei den Anhängern?

Mertesacker: Er hat dort einen Riesen-Ruf und genießt uneingeschränktes Vertrauen. Bei den Heimspielen bekomme ich die Stimmung auf den Rängen und die Gesänge der Fans ungefiltert mit. Die sind absolut positiv. Für die Arsenal-Fans ist Wenger ein Held, diesen Status kann er gar nicht einbüßen. Es gibt niemanden hier, der nicht sicher wäre, dass sich die Erfolge wieder einstellen. Wir haben eine talentierte Mannschaft, in uns schlummert viel Potenzial und es ist nur eine Frage der Zeit, wann dies zur vollen Entfaltung kommt.

DFB.de: In Bremen hatten Sie mit Thomas Schaaf einen Trainer, der lange im Amt war, für Wenger gilt dies nicht minder. Ergeben sich daraus Gemeinsamkeiten?

Mertesacker: Kontinuität über so einen langen Zeitraum ist fast schon ein Wunder. Nur ganz wenige Vereine arbeiten so lange mit demselben Trainer zusammen wie Arsenal und Werder. Gemeinsamkeiten? Gibt es. Beide sind sehr gut darin, Mannschaften und Spielerpersönlichkeiten zusammenzustellen. Er hat über die vielen Erfolge und die vielen Jahre eine gewisse Gelassenheit gewonnen, das haben Schaaf und er gemeinsam. Diese Gelassenheit befähigt sie, frei von den Aufgeregtheiten der Branche, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

DFB.de: Sie waren schon als Kind Arsenal-Fan. Diese Affinität begann mit einem Besuch Ihrer Tante in London.

Mertesacker: Ja, das war im Jahr 1995. Als fußballverrückte Familie hat sich jedes Kind im Kaufhaus ein Trikot aussuchen dürfen. Mein Bruder hat damals das Trikot von Manchester United gegriffen, ich das von Arsenal. Fortan hatte ich eine Beziehung zu diesem Verein.

DFB.de: Also ist die Verbindung zu Arsenal total zufällig. Hätten Sie damals zum Trikot von United gegriffen, wären Sie heute ein Schützling von Alex Ferguson?

Mertesacker: Das lässt sich so nicht sagen. Es ist schon verrückt, wie sich das alles entwickelt hat. Wenn ich heute alte Bilder von mir als Kind im Arsenal-Trikot sehe, dann ist das merkwürdig. Ich habe das Trikot damals mit Stolz getragen - und trage es heute wieder mit Stolz.

DFB.de: 1995 begann eine gute Phase von Arsenal. Wären Sie auch Fan geworden, wenn der Verein zu dieser Zeit noch das alte, “boring, boring“, also das langweilige, Arsenal gewesen wäre?

Mertesacker: Als junger Kerl tendiert man dazu, Fan von dem Verein zu sein, bei dem es sportlich gut läuft. Damals waren Arsenal und Manchester United die besten Teams in England. Für mich war es sehr spannend, diesen Konkurrenzkampf zu beobachten. Wie sich meine Beziehung zu Arsenal entwickelt hätte, wenn der Verein damals weniger erfolgreich gewesen wäre, kann ich nicht sicher sagen. Geschadet hat es bestimmt nicht, dass Arsenal damals so gut war. Ich war wirklich ein großer Fan dieser Mannschaft.

DFB.de: Sie haben in der Schule ein Referat über London gehalten. Ihr Thema war: Arsenal.

Mertesacker: Ja, im Englisch-Unterricht. Ich habe das Referat zusammen mit einem Freund gehalten. Wir haben von der Vergangenheit des Vereins erzählt, von der aktuellen Situation, ein paar Anekdoten. Das war schon deswegen lustig, weil unsere Englisch-Fähigkeiten damals nicht sonderlich ausgeprägt waren. Aber wir haben es geschafft und uns sehr gut präsentiert. Wir hatten die Trikots an und haben sprachliche Mängel mit unserer Begeisterung und mit Detailkenntnis kaschieren können.

DFB.de: Wenn Sie zu Schulzeiten Fan von Arsenal waren, haben Sie damals das Fußballkult-Buch “Fever Pitch“ gelesen?

Mertesacker: Nein, das habe ich bisher versäumt. Aber ich habe das Buch zuhause. Und habe mir fest vorgenommen, es in den nächsten Wochen endlich zu lesen.

DFB.de: Wenn man zu einem Verein wechselt, dessen Fan man war, ist der Verein dem Spieler gegenüber in einer guten Verhandlungsposition. Haben Sie bei Arsenal weniger hart verhandelt, als sie dies bei einem anderen Verein gemacht hätten?

Mertesacker: Ganz von der Hand weisen lässt sich das nicht. Aber es war für alle Beteiligten eine gute Situation. Werder Bremen hat eine ordentliche Ablöse erhalten, Arsenal war froh, mich zu bekommen und ich war froh, dorthin zu wechseln. Im Endeffekt waren alle zufrieden. Für mich war die erste Priorität, dass der Wechsel klappt. Ich wollte unbedingt Spieler von Arsenal London werden. Dieser Wunsch und der Zeitdruck waren größer, als in den Verhandlungen auf jeden Cent zu achten.

DFB.de: Das Spiel in der Premier League ist schneller als der Fußball in Deutschland. Wie groß ist für Sie die Umstellung?

Mertesacker: Es ist eine Herausforderung. Das Tempo ist höher, eindeutig. Daran muss ich mich in der nächsten Zeit gewöhnen. Dieser Prozess läuft noch. Das Spiel ist auch physischer, dort wird weniger auf Foul entschieden.

DFB.de: Was ja für Sie nicht unbedingt ein Vorteil ist. Sie kamen schon in der Bundesliga meistens ohne Foul aus.

Mertesacker: Ich werde mich an die Gangart in England anpassen. Aber es ist für mich in der Premier League wie es in der Bundesliga war: Ich versuche, die Zweikämpfe, die ich führe, zu gewinnen. Mit fairen Mitteln.

DFB.de: Zurück zur Nationalmannschaft. Die EM-Qualifikation ist geschafft. Sehen Sie die Auftritte gegen die Türkei und Belgien nur noch als Kür? Besteht die Gefahr, dass das Team in den abschließenden Qualifikationsspielen nicht mehr 100 Prozent gibt?

Mertesacker: Wir sind eine sehr gute Mannschaft, deren Kader immer ausgeglichener wird. Wir sind auf jeder Position mehrfach mit hoher Qualität besetzt. Deswegen schließt es sich aus, dass es bei uns Spieler gibt, die nicht alles geben. Alle sind motiviert, alle wollen sich dem Bundestrainer anbieten. Wir haben bis zur EM nicht mehr sehr viele Spiele, jedes einzelne davon ist für uns wichtig. Da kann es kein Nachlassen geben.

DFB.de: Im Spiel am Freitag erwartet das Team in Istanbul ein Hexenkessel. Haben Sie Respekt davor?

Mertesacker: Ich freue ich mich darauf. Das Stadion ist neu, die Türken sind dafür bekannt, das eigene Team mit großer Begeisterung und lautstark anzufeuern. Solche Spiele sind Highlights. Es ist für uns eine tolle Aufgabe, in dieser Atmosphäre zu bestehen. Und ich bin sicher, dass wir dem gewachsen sind.

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Von Bremen nach London. Per Mertesacker hat den Schritt nach England gewagt. Seit vier Wochen ist der 27-Jährige Spieler von Arsenal, dem Verein, dem er als Kind zugejubelt hat. Im Interview mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke spricht er über seine ersten Eindrücke in der englischen Hauptstadt, den Straßenverkehr in London, Gemeinsamkeiten von Arsene Wenger und Thomas Schaaf und über das Spiel der Nationalmannschaft gegen die Türkei.

DFB.de: Herr Mertesacker, wie fühlt es sich an, wieder bei der Nationalmannschaft zu sein. Anders als früher, weil Sie mittlerweile aus dem Ausland zum Team kommen?

Per Mertesacker: Es ist ein schönes Gefühl, hier zu sein. Unter bekannten Gesichtern, in einer vertrauten Umgebung.

DFB.de: Wie sehr sind Sie denn schon in London angekommen?

Mertesacker: Ich bin ja erst seit einem Monat aus Deutschland weg. Ich kann das alles noch nicht richtig einordnen. Manchmal fühlt es sich wie ein verlängerter Urlaub an. Erst langsam beginne ich, mich daran zu gewöhnen, dass mein Lebensmittelpunkt jetzt tatsächlich London ist.

DFB.de: Der Kopf braucht für diese Umstellung ein bisschen Zeit?

Mertesacker: Ja. Es steckt alles in der Anfangsphase, das merke ich an vielen kleinen Dingen. Ich bin in England zwar seit Mitte September zu Hause, aber noch nicht heimisch. Ich habe noch kein eigenes Haus, noch keine eigene Wohnung. Es fehlen Ankerpunkte, die ich mir in Deutschland bereits geschaffen hatte. Aber das braucht Zeit, das ist normal.

DFB.de: Hätten Sie sich die Umstellung leichter vorgestellt?

Mertesacker: Nein. Das ist es ja, was ich gewollt habe. Ich wollte mich auf ein neues Umfeld einlassen, wollte neue Erfahrungen sammeln. Deswegen genieße ich die Zeit, auch wenn es manchmal schwierig ist und sich vieles ungewohnt anfühlt. Ich habe die Zeit in Bremen sehr genossen, kannte dort jedes Detail, jeden Menschen. Und jetzt muss ich mich eben umstellen. Auf eine neue Kultur, eine andere Sprache, eine andere Mentalität. Ich empfinde das aber als sehr spannend, gerade zu Beginn.

DFB.de: Wie viel von London haben Sie schon mitbekommen. Wie sieht ein normaler Tag im Leben von Per Mertesacker in England aus?

Mertesacker: Normale Tage gibt es nicht. Viel hängt davon ab, wann und wo unsere Spiele sind. Wegen der Champions League sind wir auch auf dem europäischen Festland viel unterwegs. Ganz generell: London ist groß, gigantisch. Aber viel habe ich noch nicht gesehen, dafür fehlt einfach die Zeit. Die Distanzen sind enorm, zum Trainingspatz und zum Stadion benötige ich locker eine und wenn mal alles schief läuft auch eineinhalb Stunden.

DFB.de: Fahren Sie in London schon selber Auto?

Mertesacker: Nein, wegen des Linksverkehrs habe ich derzeit noch einen Fahrer. Ich muss mich an die Verhältnisse dort erst gewöhnen. Einmal bin ich schon selber gefahren, eigentlich hat das ganz gut geklappt. Deswegen will ich so schnell wie möglich ein eigenes Auto haben. Ich habe jetzt lange genug gesehen, wie der Straßenverkehr dort funktioniert. Von Zuhause zum Trainingsplatz und zurück - das wird meine Hauptstrecke sein.

DFB.de: Ihr Ankommen in London ist also noch im Gange, gilt das auch für das Ankommen im Team von Arsenal?

Mertesacker: Ich fühle mich dort gut aufgehoben. In unserer Mannschaft kommen viele Nationalitäten zusammen, wir sind ein bunter Haufen. Trotzdem, oder gerade deswegen, empfinde ich die Atmosphäre als sehr angenehm, als sehr locker. Wir haben viele neue Spieler, doch ich finde, dass wir sehr schnell zueinander gefunden haben. Kommunikationsprobleme habe ich zwar noch, aber dies war angesichts der Umstände nicht anders möglich.

DFB.de: Angesichts welcher Umstände?

Mertesacker: Wegen des späten Wechsels hatte ich mit Arsenal keine Vorbereitung, keine Testspiele, es musste sofort im Ernstfall funktionieren. Insgesamt sind wir auf einem guten Weg, und ich denke, dass wir insbesondere bei den Heimspielen gezeigt haben, dass es gut funktioniert. Auswärts müssen wir noch an Leistung zulegen, das sehe ich auch.

DFB.de: Ihr Wechsel wurde perfekt gemacht, als Sie mit der Nationalmannschaft zur Vorbereitung auf das Spiel gegen Österreich in Düsseldorf waren. Sie flogen am Tag nach dem Spiel in Polen sofort nach London und mussten fünf Tage später gleich für Arsenal spielen. Für Sie ging es in London von Null auf Hundert. Hatte dies auch Vorteile?

Mertesacker: Man hat keine Zeit, sich groß Gedanken zu machen. Es muss einfach gleich passen, aufs Feld und fertig. Manchmal ist es gar nicht so schlecht, wenn man sich keinen großen Kopf macht.

DFB.de: Sie haben für Ihre ersten Leistungen in den englischen Medien nicht nur Lob bekommen.

Mertesacker: Arsenal ist einer der Top-Vereine in der Welt, das Niveau in der Liga ist generell sehr hoch. Aber es ist klar, dass Fehler passieren. Angesichts der Konstellation kommen sie in unserer noch uneingespielten Mannschaft fast zwangsläufig. Und es bringt nichts, wenn ich jetzt nur noch darauf bedacht wäre, keine Fehler zu machen. Ich spiele weiter mein Spiel, will so schnell wie möglich reinkommen. Das kann ich nur schaffen, wenn ich mich traue. Und wenn ich in Kauf nehme, auch mal einen Fehler zu machen. Wichtig ist dann, dass ich daraus lerne.

DFB.de: Trauen können Sie sich nur selbst. Aber trauen Sie sich auch, weil Sie das Vertrauen des Trainers spüren?

Mertesacker: Zu 100 Prozent. Der Trainer ist seit Jahren das Aushängeschild von Arsenal. Arsene Wenger holt keinen Spieler, von dem er nicht absolut überzeugt ist. Dieses Gefühl vermittelt er einem auch in der täglichen Arbeit. Dieses Wissen verleiht mir sehr viel Sicherheit.

DFB.de: Wie ist das Standing von Wenger, der von den Medien zuletzt schon mal kritisiert wurde, im Verein und bei den Anhängern?

Mertesacker: Er hat dort einen Riesen-Ruf und genießt uneingeschränktes Vertrauen. Bei den Heimspielen bekomme ich die Stimmung auf den Rängen und die Gesänge der Fans ungefiltert mit. Die sind absolut positiv. Für die Arsenal-Fans ist Wenger ein Held, diesen Status kann er gar nicht einbüßen. Es gibt niemanden hier, der nicht sicher wäre, dass sich die Erfolge wieder einstellen. Wir haben eine talentierte Mannschaft, in uns schlummert viel Potenzial und es ist nur eine Frage der Zeit, wann dies zur vollen Entfaltung kommt.

DFB.de: In Bremen hatten Sie mit Thomas Schaaf einen Trainer, der lange im Amt war, für Wenger gilt dies nicht minder. Ergeben sich daraus Gemeinsamkeiten?

Mertesacker: Kontinuität über so einen langen Zeitraum ist fast schon ein Wunder. Nur ganz wenige Vereine arbeiten so lange mit demselben Trainer zusammen wie Arsenal und Werder. Gemeinsamkeiten? Gibt es. Beide sind sehr gut darin, Mannschaften und Spielerpersönlichkeiten zusammenzustellen. Er hat über die vielen Erfolge und die vielen Jahre eine gewisse Gelassenheit gewonnen, das haben Schaaf und er gemeinsam. Diese Gelassenheit befähigt sie, frei von den Aufgeregtheiten der Branche, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

DFB.de: Sie waren schon als Kind Arsenal-Fan. Diese Affinität begann mit einem Besuch Ihrer Tante in London.

Mertesacker: Ja, das war im Jahr 1995. Als fußballverrückte Familie hat sich jedes Kind im Kaufhaus ein Trikot aussuchen dürfen. Mein Bruder hat damals das Trikot von Manchester United gegriffen, ich das von Arsenal. Fortan hatte ich eine Beziehung zu diesem Verein.

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DFB.de: Also ist die Verbindung zu Arsenal total zufällig. Hätten Sie damals zum Trikot von United gegriffen, wären Sie heute ein Schützling von Alex Ferguson?

Mertesacker: Das lässt sich so nicht sagen. Es ist schon verrückt, wie sich das alles entwickelt hat. Wenn ich heute alte Bilder von mir als Kind im Arsenal-Trikot sehe, dann ist das merkwürdig. Ich habe das Trikot damals mit Stolz getragen - und trage es heute wieder mit Stolz.

DFB.de: 1995 begann eine gute Phase von Arsenal. Wären Sie auch Fan geworden, wenn der Verein zu dieser Zeit noch das alte, “boring, boring“, also das langweilige, Arsenal gewesen wäre?

Mertesacker: Als junger Kerl tendiert man dazu, Fan von dem Verein zu sein, bei dem es sportlich gut läuft. Damals waren Arsenal und Manchester United die besten Teams in England. Für mich war es sehr spannend, diesen Konkurrenzkampf zu beobachten. Wie sich meine Beziehung zu Arsenal entwickelt hätte, wenn der Verein damals weniger erfolgreich gewesen wäre, kann ich nicht sicher sagen. Geschadet hat es bestimmt nicht, dass Arsenal damals so gut war. Ich war wirklich ein großer Fan dieser Mannschaft.

DFB.de: Sie haben in der Schule ein Referat über London gehalten. Ihr Thema war: Arsenal.

Mertesacker: Ja, im Englisch-Unterricht. Ich habe das Referat zusammen mit einem Freund gehalten. Wir haben von der Vergangenheit des Vereins erzählt, von der aktuellen Situation, ein paar Anekdoten. Das war schon deswegen lustig, weil unsere Englisch-Fähigkeiten damals nicht sonderlich ausgeprägt waren. Aber wir haben es geschafft und uns sehr gut präsentiert. Wir hatten die Trikots an und haben sprachliche Mängel mit unserer Begeisterung und mit Detailkenntnis kaschieren können.

DFB.de: Wenn Sie zu Schulzeiten Fan von Arsenal waren, haben Sie damals das Fußballkult-Buch “Fever Pitch“ gelesen?

Mertesacker: Nein, das habe ich bisher versäumt. Aber ich habe das Buch zuhause. Und habe mir fest vorgenommen, es in den nächsten Wochen endlich zu lesen.

DFB.de: Wenn man zu einem Verein wechselt, dessen Fan man war, ist der Verein dem Spieler gegenüber in einer guten Verhandlungsposition. Haben Sie bei Arsenal weniger hart verhandelt, als sie dies bei einem anderen Verein gemacht hätten?

Mertesacker: Ganz von der Hand weisen lässt sich das nicht. Aber es war für alle Beteiligten eine gute Situation. Werder Bremen hat eine ordentliche Ablöse erhalten, Arsenal war froh, mich zu bekommen und ich war froh, dorthin zu wechseln. Im Endeffekt waren alle zufrieden. Für mich war die erste Priorität, dass der Wechsel klappt. Ich wollte unbedingt Spieler von Arsenal London werden. Dieser Wunsch und der Zeitdruck waren größer, als in den Verhandlungen auf jeden Cent zu achten.

DFB.de: Das Spiel in der Premier League ist schneller als der Fußball in Deutschland. Wie groß ist für Sie die Umstellung?

Mertesacker: Es ist eine Herausforderung. Das Tempo ist höher, eindeutig. Daran muss ich mich in der nächsten Zeit gewöhnen. Dieser Prozess läuft noch. Das Spiel ist auch physischer, dort wird weniger auf Foul entschieden.

DFB.de: Was ja für Sie nicht unbedingt ein Vorteil ist. Sie kamen schon in der Bundesliga meistens ohne Foul aus.

Mertesacker: Ich werde mich an die Gangart in England anpassen. Aber es ist für mich in der Premier League wie es in der Bundesliga war: Ich versuche, die Zweikämpfe, die ich führe, zu gewinnen. Mit fairen Mitteln.

DFB.de: Zurück zur Nationalmannschaft. Die EM-Qualifikation ist geschafft. Sehen Sie die Auftritte gegen die Türkei und Belgien nur noch als Kür? Besteht die Gefahr, dass das Team in den abschließenden Qualifikationsspielen nicht mehr 100 Prozent gibt?

Mertesacker: Wir sind eine sehr gute Mannschaft, deren Kader immer ausgeglichener wird. Wir sind auf jeder Position mehrfach mit hoher Qualität besetzt. Deswegen schließt es sich aus, dass es bei uns Spieler gibt, die nicht alles geben. Alle sind motiviert, alle wollen sich dem Bundestrainer anbieten. Wir haben bis zur EM nicht mehr sehr viele Spiele, jedes einzelne davon ist für uns wichtig. Da kann es kein Nachlassen geben.

DFB.de: Im Spiel am Freitag erwartet das Team in Istanbul ein Hexenkessel. Haben Sie Respekt davor?

Mertesacker: Ich freue ich mich darauf. Das Stadion ist neu, die Türken sind dafür bekannt, das eigene Team mit großer Begeisterung und lautstark anzufeuern. Solche Spiele sind Highlights. Es ist für uns eine tolle Aufgabe, in dieser Atmosphäre zu bestehen. Und ich bin sicher, dass wir dem gewachsen sind.