Parreira: "Das ganze Land steht hinter uns"

Carlos Alberto Parreira hat fast alles erlebt im Fußball. Er wurde 1994 mit Brasilien Weltmeister und erreichte als Trainer mit vier verschiedenen Nationen die Endrunde einer WM. Der 67-Jährige hat gelernt, mit hohen Erwartungen umzugehen. Wahrscheinlich wirkt er deshalb so gelassen, wahrscheinlich kann er deshalb bei allen Problemen so souverän mit der größten Herausforderung seiner Karriere umgehen. Er führt Südafrika in das Turnier, ein ganzes Land schaut auf seine Mannschaft. Im Interview mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke spricht Parreira über Erwartungen, Afrikas Fußball und seine Bewunderung für den FC Barcelona.

DFB.de: Herr Parreira, mit welchen Gefühlen gehen Sie in das Turnier? Was überwiegt, die Vorfreude oder der Druck?

Carlos Alberto Parreira: Es ist beides. In Südafrika herr schen große Vorfreude und natürlich auch große Erwartungen. So ähnlich sieht es auch in mir aus. Natürlich spüre ich den Druck, es ist doch klar, wie die Südafrikaner denken. Die Fans wollen ihr Team im Finale sehen, kein Fan will, dass seine Mannschaft in der ersten Runde ausscheidet. Vor allem aber wollen die Südafrikaner, dass wir sie mit Stolz erfüllen. Ich erlebe es immer wieder, dass die Fans auf der Straße auf mich zukommen, mich am Arm packen und sagen: „Trainer, sorgen Sie dafür, dass wir stolz auf unsere Mannschaft sein können.“ Diesen Auftrag will ich erfüllen.

DFB.de: Das geht nur über Resultate.

Parreira: Ja, in erster Linie zumindest. Wenn wir uns nicht für die K.-o.-Spiele qualifizieren, aber gute Spiele gemacht haben, dann würden die Leute auch stolz auf uns sein. Aber ich bevorzuge die andere Art, ich will sie stolz machen – durch Siege.

DFB.de: Zum ersten Mal stehen Sie als Trainer des gastgebenden Landes in der Verantwortung. Inwieweit ist diese WM deswegen für Sie etwas Besonderes?

Parreira: Diesmal ist es auch für mich komplett anders. Natürlich hatte ich auch bei meinen anderen Mannschaften Druck, als Trainer der Brasilianer erst recht. Aber diesmal ist es etwas völlig anderes. Das ganze Land steht hinter uns, das ganze Land erwartet von uns, dass wir es nicht enttäuschen. Das bedeutet eine große Verantwortung für uns, für die Trainer, die Spieler, für alle, die an diesem Projekt beteiligt sind.

DFB.de: Haben Sie keine Angst, dass dieser Druck die Spieler lähmen könnte?

Parreira: Druck kann auch positiv sein, ich jedenfalls bin so motiviert wie niemals zuvor. Aber ich will vor allem eins: Ich will, dass meine Spieler, wenn sie ins erste Spiel gehen, entspannt sind, Freude haben und den Moment genießen. Das ist die erste WM in Südafrika, die erste in Afrika überhaupt, ein historisches Ereignis, und meine Spieler sind in einer ganz besonderen Position daran beteiligt. Das sollen sie aufsaugen und genießen.

DFB.de: Was trauen Sie Ihrer Mannschaft bei der WM zu? Sogar den Titel?

Parreira: Ich habe die Überzeugung, dass wir es schaffen können. Aber natürlich wissen wir, dass andere Mannschaften Favoriten sind. Spanien, Brasilien, Argentinien, Deutschland. Unser Hauptziel ist immer, eine Runde weiter zu kommen. Wenn wir uns für die Runde der letzten 16 qualifizieren sollten, dann folgen die K-.o.-Spiele. Das ist jeweils immer nur ein Spiel. Und in einem Spiel kann alles passieren.

DFB.de: Ist die Zeit reif für einen afrikanischen Weltmeister?

Parreira: Das mit Abstand beste Team in Afrika ist die Mannschaft aus Ägypten. Und sie ist nicht dabei. Das ist für den ganzen Kontinent sehr schade. Ägypten hat dreimal in Folge den Afrika-Cup gewonnen und hätte ohne Frage von allen afrikanischen Mannschaften die größten Chancen gehabt. Kamerun ist nicht mehr so stark wie früher, einige Spieler sind mittlerweile älter geworden. Die Elfenbeinküste hat sehr gute Spieler, Drogba und viele andere. Aber wenn sie für ihr Land spielen, dann bringen sie nicht die Leistung, die die Addition ihrer individuellen Klasse ergeben müsste. Ähnlich ist es mit Nigeria.

DFB.de: Welcher der afrikanischen WM-Teilnehmer hat aus Ihrer Sicht die größten Chancen?

Parreira: Ghana. Es hat hervorragende Individualisten, viele Spieler, die in Europa geschult wurden. Ghana wird für jede Mannschaft gefährlich. Auch die Deutschen sollten nicht den Fehler machen, Ghana zu unterschätzen.

DFB.de: Welchen Anteil haben Sie an der Entwicklung in Ghana?

Parreira: Immerhin haben Sie früher als Nationaltrainer des Landes gearbeitet. Naja. Ich war 1968 als Trainer dort, das ist 42 Jahre her.

DFB.de: Wie sah es denn aus, das Ghana im Jahre 1968?

Parreira: Sie hatten damals gar nichts. Nichts! Auch die Spieler der großen Teams haben barfuß gespielt, es gab keine oder kaum Plätze, die wir heute als Fußballplätze bezeichnen würden. Was sie aber damals schon hatten, war Qualität. Sie hatten Kreativität und großartige Spieler. Ich könnte Ihnen da Geschichten erzählen.

DFB.de: Nur zu…

Parreira: Ich erinnere mich noch besonders an ein Spiel gegen Stoke City. Der ghanaische Champion hieß damals Kotoko, aus Kumasi, der zweitgrößten Stadt. Ich war nicht richtig als Trainer dort, nur zeitweise wurde ich gebeten, das Team zu übernehmen, weil die Mannschaft acht Nationalspieler gestellt hat. Wegen dieser acht Spieler also haben sie mich eingeladen, das Team gegen Stoke City zu coachen. Und Stoke war nicht irgendwer. Die kamen mit Spielern wie Gordon Banks, dazu noch einen zweiten Nationalspieler. Das war also eine richtig gute Mannschaft, die mit der Erwartung ins Spiel ging, dass das eine lockere Übung für sie wird.

DFB.de: Und was ist dann passiert?

Parreira: Im ersten Spiel haben wir sie 4:1 geschlagen. Oseko war der beste Spieler damals, ein kleiner Flügelflitzer, er hat alle ausgedribbelt – Gordon Banks inklusive – und mit denen gemacht, was er wollte. Das zweite Spiel wurde danach abgesagt. Was ich damit sagen will – die Qualität war schon immer da. In Ghana, aber auch in Südafrika.

DFB.de: 1996 war Südafrika Afrika-Meister und Nummer 16 der FIFA-Weltrangliste.

Parreira: Ja, leider ist das Vergangenheit. Wir sind sogar in Afrika nur noch die Nummer 20.

DFB.de: Was wurde falsch gemacht?

Parreira: Es ist nicht meine Aufgabe, das zu beurteilen. Klar ist nur, dass auch in Südafrika schon immer großes Talent und großes Potenzial vorhanden waren. Ich glaube, dass der größte Fehler war, dass sie den Nachwuchs vernachlässigt haben. Warum glauben Sie zum Beispiel, dass Brasilien eine so erfolgreiche Fußballnation ist?

DFB.de: Weil sie ein gewaltiges Potenzial an Talenten haben.

Parreira: Ja. Aber noch wichtiger ist, dass von diesen Talenten keines verloren geht. Die Klubs haben eine sehr gute Nachwuchsarbeit, die jungen Spieler haben dort schon sehr viel früher einen hohen Stellenwert. Ronaldinho war in Brasilien schon mit zehn Jahren ein Star bei Gremio. Als er 14 war, spielte er schon in der brasilianischen U 15. Das ist nur ein Beispiel, ich könnte Tausende Spieler nennen. Wer in Brasilien gut mit dem Ball umgehen kann, der wird auch entdeckt. Das war in Afrika, auch in Südafrika, lange Zeit anders. Das ist der größte Fehler, der nach der Weltmeisterschaft unbedingt korrigiert werden muss. Sie müssen nachhaltige Programme zu Förderung der Talente und des Breitensports implementieren. Südafrika wird durch die WM die beste Struktur in Afrika haben. Wunderschöne neue Stadien, Begeisterung in der Bevölkerung, die Grundlage ist also gelegt für eine große Zukunft.

DFB.de: Sie sind seit mehr als vier Jahrzehnten als Trainer im Geschäft. Können Sie beschreiben, wie sich der Fußball im Lauf der Zeit verändert hat?

Parreira: In einer sehr einfachen Art und Weise. Der große Unterschied zu früher, zu den 60er- und 70er-Jahren, ist das Tempo des Spiels. Wenn man sich heute die Champions League anschaut und sieht, welche Wegstrecken die Spieler in 90 Minuten zurücklegen können, dann ist das unglaublich. Früher sind die Spieler vielleicht drei Kilometer gelaufen. Heute rennt ein Spieler wie Fabregas 13 Kilometer. 13! Auch Ballack und Xavi kommen auf solche Zahlen. Die Spieler haben viel weniger Zeit zu handeln, sie haben viel weniger Platz. Wenn man heute nicht technisch versiert und auch schnell und clever im Kopf ist, dann hat man keine Chance mehr.

DFB.de: Welche taktischen Änderungen waren für Sie in den letzten Jahrzehnten die wichtigsten für den Fußball?

Parreira: Dieses ganze 4-4-2, 4-3-3, 4-2-3-1, das ist alles nicht wichtig. Es ist auch immer die Frage, wie ein Spieler seine Rolle im System interpretiert. Wichtig ist die Philosophie, die eine Mannschaft hat, da spielt es keine Rolle, wie das auf dem Reißbrett taktisch aussieht.

DFB.de: Welche Mannschaft kommt Ihren Vorstellungen vom perfekten Fußball am nähesten?

Parreira: Der FC Barcelona. Die Spanier können spielen, sie können kämpfen, sie sind gut organisiert, sie haben einen Anführer wie Puyol, sie haben einen Spiel macher wie Xavi, sie haben Kreativität mit Messi, sie haben einen Vollstrecker mit Ibrahimovic, sie haben alle Zutaten. Plus eine große Bereitschaft, hart zu arbeiten. Auch nach hinten. Wenn die Leute über Barcelona reden, schwärmen sie immer davon, wenn Barca im Ballbesitz ist. Worüber nicht geredet wird, ist, wie gut sie organisiert sind, um in Ballbesitz zu kommen. Das ist immer das Erste und Wichtigste. Messi kann nicht zaubern, wenn er den Ball nicht hat. Kreativität kann sich nur bei Ballbesitz entfalten, sie beginnt deswegen immer mit einer gut geordneten Defensive. Große Mannschaften zeichnet zudem immer eine eigene Philosophie vom Spiel aus, die Mannschaften müssen einen Wiedererkennungswert haben. So wie Barca.

DFB.de: Brasilien steht für Freude und Leichtigkeit, welche Philosophie wollen Sie der südafrikanischen Nationalmannschaft vermitteln?

Parreira: Südafrika ist eine Mixtur, so viele verschiedene Kulturen sind in diesem Land vertreten. Wir müssen dafür eine Identität schaffen. Klar ist, dass es Teil unserer Spielphilosophie sein muss, schnell und flach zu spielen. Unsere Spieler sind nicht groß und körperlich nicht sehr stark, aber sie haben gute technische Fähigkeiten. Deswegen kann unser Spiel nur darauf basieren, viel Ballbesitz zu haben und unsere Technik einzusetzen. Das ist die größte Stärke, die wir haben. Sie wird uns im Turnier hoffentlich weit bringen. [sl]


[bild1]

Carlos Alberto Parreira hat fast alles erlebt im Fußball. Er wurde 1994 mit Brasilien Weltmeister und erreichte als Trainer mit vier verschiedenen Nationen die Endrunde einer WM. Der 67-Jährige hat gelernt, mit hohen Erwartungen umzugehen. Wahrscheinlich wirkt er deshalb so gelassen, wahrscheinlich kann er deshalb bei allen Problemen so souverän mit der größten Herausforderung seiner Karriere umgehen. Er führt Südafrika in das Turnier, ein ganzes Land schaut auf seine Mannschaft. Im Interview mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke spricht Parreira über Erwartungen, Afrikas Fußball und seine Bewunderung für den FC Barcelona.

DFB.de: Herr Parreira, mit welchen Gefühlen gehen Sie in das Turnier? Was überwiegt, die Vorfreude oder der Druck?

Carlos Alberto Parreira: Es ist beides. In Südafrika herr schen große Vorfreude und natürlich auch große Erwartungen. So ähnlich sieht es auch in mir aus. Natürlich spüre ich den Druck, es ist doch klar, wie die Südafrikaner denken. Die Fans wollen ihr Team im Finale sehen, kein Fan will, dass seine Mannschaft in der ersten Runde ausscheidet. Vor allem aber wollen die Südafrikaner, dass wir sie mit Stolz erfüllen. Ich erlebe es immer wieder, dass die Fans auf der Straße auf mich zukommen, mich am Arm packen und sagen: „Trainer, sorgen Sie dafür, dass wir stolz auf unsere Mannschaft sein können.“ Diesen Auftrag will ich erfüllen.

DFB.de: Das geht nur über Resultate.

Parreira: Ja, in erster Linie zumindest. Wenn wir uns nicht für die K.-o.-Spiele qualifizieren, aber gute Spiele gemacht haben, dann würden die Leute auch stolz auf uns sein. Aber ich bevorzuge die andere Art, ich will sie stolz machen – durch Siege.

DFB.de: Zum ersten Mal stehen Sie als Trainer des gastgebenden Landes in der Verantwortung. Inwieweit ist diese WM deswegen für Sie etwas Besonderes?

Parreira: Diesmal ist es auch für mich komplett anders. Natürlich hatte ich auch bei meinen anderen Mannschaften Druck, als Trainer der Brasilianer erst recht. Aber diesmal ist es etwas völlig anderes. Das ganze Land steht hinter uns, das ganze Land erwartet von uns, dass wir es nicht enttäuschen. Das bedeutet eine große Verantwortung für uns, für die Trainer, die Spieler, für alle, die an diesem Projekt beteiligt sind.

DFB.de: Haben Sie keine Angst, dass dieser Druck die Spieler lähmen könnte?

Parreira: Druck kann auch positiv sein, ich jedenfalls bin so motiviert wie niemals zuvor. Aber ich will vor allem eins: Ich will, dass meine Spieler, wenn sie ins erste Spiel gehen, entspannt sind, Freude haben und den Moment genießen. Das ist die erste WM in Südafrika, die erste in Afrika überhaupt, ein historisches Ereignis, und meine Spieler sind in einer ganz besonderen Position daran beteiligt. Das sollen sie aufsaugen und genießen.

DFB.de: Was trauen Sie Ihrer Mannschaft bei der WM zu? Sogar den Titel?

Parreira: Ich habe die Überzeugung, dass wir es schaffen können. Aber natürlich wissen wir, dass andere Mannschaften Favoriten sind. Spanien, Brasilien, Argentinien, Deutschland. Unser Hauptziel ist immer, eine Runde weiter zu kommen. Wenn wir uns für die Runde der letzten 16 qualifizieren sollten, dann folgen die K-.o.-Spiele. Das ist jeweils immer nur ein Spiel. Und in einem Spiel kann alles passieren.

DFB.de: Ist die Zeit reif für einen afrikanischen Weltmeister?

Parreira: Das mit Abstand beste Team in Afrika ist die Mannschaft aus Ägypten. Und sie ist nicht dabei. Das ist für den ganzen Kontinent sehr schade. Ägypten hat dreimal in Folge den Afrika-Cup gewonnen und hätte ohne Frage von allen afrikanischen Mannschaften die größten Chancen gehabt. Kamerun ist nicht mehr so stark wie früher, einige Spieler sind mittlerweile älter geworden. Die Elfenbeinküste hat sehr gute Spieler, Drogba und viele andere. Aber wenn sie für ihr Land spielen, dann bringen sie nicht die Leistung, die die Addition ihrer individuellen Klasse ergeben müsste. Ähnlich ist es mit Nigeria.

DFB.de: Welcher der afrikanischen WM-Teilnehmer hat aus Ihrer Sicht die größten Chancen?

Parreira: Ghana. Es hat hervorragende Individualisten, viele Spieler, die in Europa geschult wurden. Ghana wird für jede Mannschaft gefährlich. Auch die Deutschen sollten nicht den Fehler machen, Ghana zu unterschätzen.

DFB.de: Welchen Anteil haben Sie an der Entwicklung in Ghana?

Parreira: Immerhin haben Sie früher als Nationaltrainer des Landes gearbeitet. Naja. Ich war 1968 als Trainer dort, das ist 42 Jahre her.

DFB.de: Wie sah es denn aus, das Ghana im Jahre 1968?

Parreira: Sie hatten damals gar nichts. Nichts! Auch die Spieler der großen Teams haben barfuß gespielt, es gab keine oder kaum Plätze, die wir heute als Fußballplätze bezeichnen würden. Was sie aber damals schon hatten, war Qualität. Sie hatten Kreativität und großartige Spieler. Ich könnte Ihnen da Geschichten erzählen.

DFB.de: Nur zu…

Parreira: Ich erinnere mich noch besonders an ein Spiel gegen Stoke City. Der ghanaische Champion hieß damals Kotoko, aus Kumasi, der zweitgrößten Stadt. Ich war nicht richtig als Trainer dort, nur zeitweise wurde ich gebeten, das Team zu übernehmen, weil die Mannschaft acht Nationalspieler gestellt hat. Wegen dieser acht Spieler also haben sie mich eingeladen, das Team gegen Stoke City zu coachen. Und Stoke war nicht irgendwer. Die kamen mit Spielern wie Gordon Banks, dazu noch einen zweiten Nationalspieler. Das war also eine richtig gute Mannschaft, die mit der Erwartung ins Spiel ging, dass das eine lockere Übung für sie wird.

DFB.de: Und was ist dann passiert?

Parreira: Im ersten Spiel haben wir sie 4:1 geschlagen. Oseko war der beste Spieler damals, ein kleiner Flügelflitzer, er hat alle ausgedribbelt – Gordon Banks inklusive – und mit denen gemacht, was er wollte. Das zweite Spiel wurde danach abgesagt. Was ich damit sagen will – die Qualität war schon immer da. In Ghana, aber auch in Südafrika.

DFB.de: 1996 war Südafrika Afrika-Meister und Nummer 16 der FIFA-Weltrangliste.

Parreira: Ja, leider ist das Vergangenheit. Wir sind sogar in Afrika nur noch die Nummer 20.

DFB.de: Was wurde falsch gemacht?

Parreira: Es ist nicht meine Aufgabe, das zu beurteilen. Klar ist nur, dass auch in Südafrika schon immer großes Talent und großes Potenzial vorhanden waren. Ich glaube, dass der größte Fehler war, dass sie den Nachwuchs vernachlässigt haben. Warum glauben Sie zum Beispiel, dass Brasilien eine so erfolgreiche Fußballnation ist?

DFB.de: Weil sie ein gewaltiges Potenzial an Talenten haben.

[bild2]

Parreira: Ja. Aber noch wichtiger ist, dass von diesen Talenten keines verloren geht. Die Klubs haben eine sehr gute Nachwuchsarbeit, die jungen Spieler haben dort schon sehr viel früher einen hohen Stellenwert. Ronaldinho war in Brasilien schon mit zehn Jahren ein Star bei Gremio. Als er 14 war, spielte er schon in der brasilianischen U 15. Das ist nur ein Beispiel, ich könnte Tausende Spieler nennen. Wer in Brasilien gut mit dem Ball umgehen kann, der wird auch entdeckt. Das war in Afrika, auch in Südafrika, lange Zeit anders. Das ist der größte Fehler, der nach der Weltmeisterschaft unbedingt korrigiert werden muss. Sie müssen nachhaltige Programme zu Förderung der Talente und des Breitensports implementieren. Südafrika wird durch die WM die beste Struktur in Afrika haben. Wunderschöne neue Stadien, Begeisterung in der Bevölkerung, die Grundlage ist also gelegt für eine große Zukunft.

DFB.de: Sie sind seit mehr als vier Jahrzehnten als Trainer im Geschäft. Können Sie beschreiben, wie sich der Fußball im Lauf der Zeit verändert hat?

Parreira: In einer sehr einfachen Art und Weise. Der große Unterschied zu früher, zu den 60er- und 70er-Jahren, ist das Tempo des Spiels. Wenn man sich heute die Champions League anschaut und sieht, welche Wegstrecken die Spieler in 90 Minuten zurücklegen können, dann ist das unglaublich. Früher sind die Spieler vielleicht drei Kilometer gelaufen. Heute rennt ein Spieler wie Fabregas 13 Kilometer. 13! Auch Ballack und Xavi kommen auf solche Zahlen. Die Spieler haben viel weniger Zeit zu handeln, sie haben viel weniger Platz. Wenn man heute nicht technisch versiert und auch schnell und clever im Kopf ist, dann hat man keine Chance mehr.

DFB.de: Welche taktischen Änderungen waren für Sie in den letzten Jahrzehnten die wichtigsten für den Fußball?

Parreira: Dieses ganze 4-4-2, 4-3-3, 4-2-3-1, das ist alles nicht wichtig. Es ist auch immer die Frage, wie ein Spieler seine Rolle im System interpretiert. Wichtig ist die Philosophie, die eine Mannschaft hat, da spielt es keine Rolle, wie das auf dem Reißbrett taktisch aussieht.

DFB.de: Welche Mannschaft kommt Ihren Vorstellungen vom perfekten Fußball am nähesten?

Parreira: Der FC Barcelona. Die Spanier können spielen, sie können kämpfen, sie sind gut organisiert, sie haben einen Anführer wie Puyol, sie haben einen Spiel macher wie Xavi, sie haben Kreativität mit Messi, sie haben einen Vollstrecker mit Ibrahimovic, sie haben alle Zutaten. Plus eine große Bereitschaft, hart zu arbeiten. Auch nach hinten. Wenn die Leute über Barcelona reden, schwärmen sie immer davon, wenn Barca im Ballbesitz ist. Worüber nicht geredet wird, ist, wie gut sie organisiert sind, um in Ballbesitz zu kommen. Das ist immer das Erste und Wichtigste. Messi kann nicht zaubern, wenn er den Ball nicht hat. Kreativität kann sich nur bei Ballbesitz entfalten, sie beginnt deswegen immer mit einer gut geordneten Defensive. Große Mannschaften zeichnet zudem immer eine eigene Philosophie vom Spiel aus, die Mannschaften müssen einen Wiedererkennungswert haben. So wie Barca.

DFB.de: Brasilien steht für Freude und Leichtigkeit, welche Philosophie wollen Sie der südafrikanischen Nationalmannschaft vermitteln?

Parreira: Südafrika ist eine Mixtur, so viele verschiedene Kulturen sind in diesem Land vertreten. Wir müssen dafür eine Identität schaffen. Klar ist, dass es Teil unserer Spielphilosophie sein muss, schnell und flach zu spielen. Unsere Spieler sind nicht groß und körperlich nicht sehr stark, aber sie haben gute technische Fähigkeiten. Deswegen kann unser Spiel nur darauf basieren, viel Ballbesitz zu haben und unsere Technik einzusetzen. Das ist die größte Stärke, die wir haben. Sie wird uns im Turnier hoffentlich weit bringen.