"Wenn Brennstoff nicht passt, kann Motor nicht arbeiten"

Wer wäre besser geeignet für ein Interview zum Thema "Fußball und Ernährung" als der Mann, der schon seit über sechs Jahren die besten Spieler Deutschlands bekocht? Wenn Holger Stromberg über das Einkaufen, die Zubereitung und die Auswirkungen guter Ernährung spricht, wird klar: Dieser Mann lebt für das Kochen.

Qualität steht bei dem Sternekoch an erster Stelle. Stromberg hinterfragt Lieferketten, Inhaltsstoffe und typische Ernährungsmythen. Er liebt das Experimentieren, nur am Spieltag nicht. Warum das so ist, welche Lieblingsspeisen Özil, Reus und Co haben und welche Tipps er für den Einkauf im Supermarkt hat, das verrät er im Interview.

MEIN FUßBALL: Was macht eine gute, ausgewogene Ernährung aus?

Holger Stromberg: Ganz klar, die Qualität der Nahrungsmittel. Meine Philosophie ist: Kein Gericht der Welt ist grundsätzlich ungesund. Qualität steht an erster Stelle. Das bedeutet für mich eine Nachvollziehbarkeit und eine Produkttiefe der Herkunft, aber nicht zwingend ein Biosiegel.

MEIN FUßBALL: Es gibt also auch den gesunden Hamburger mit Pommes Frites?

Stromberg: Ja, oder sagen wir, es gibt einen energetisch wertvollen. Eine allgemeine Nahrungs-Empfehlung für Sportler propagiert folgende Bausteine: 50 bis 60 Prozent Kohlenhydrate, 15 bis 20 Prozent Eiweiß und 25 bis 30 Prozent Fett. Wenn wir die Zusammensetzung eines Burgers untersuchen, kommen wir genau auf diese Bestandteile. Per se ist der Burger also erst einmal nicht ungesund. Es kommt auf die verwendeteten Lebensmittel an. Welches Brot, woher stammt das Fleisch und welche weiteren Zutaten nutze ich? In welchem Fett brate ich die Pommes Frites? Nehme ich beispielsweise ein Rapsöl, dann sind die Fritten sehr cholesterinarm, haben einen guten Bräunungsgrad und sind sogar nachhaltig, da Raps hier angebaut wird. Das Gericht ist dann zwar "hochkalorisch", aber das schadet Menschen, die genug Sport treiben, erst einmal nicht. Wichtig ist also primär die Qualität der Lebensmittel und die Weiterverarbeitung.

MEIN FUßBALL: Wie können Sie die Produkttiefe und die Qualität nachverfolgen?

Stromberg: Indem ich mit allen Beteiligten viel kommuniziere, mit Lieferanten, Köchen, Verkäufern und so weiter. Dazu gehört, auch mal unangenehme Fragen zu stellen. Dadurch treibe ich einen Prozess an, denn diese Fragen müssen die Händler dann ihren Lieferanten stellen. Wenn ich merke, derjenige kann mir nicht die gewünschten Informationen zu meinem Fisch, Fleisch oder Gemüse geben, ziehe ich daraus meine Schlüsse.

MEIN FUßBALL: Raten Sie das auch den privaten Supermarktkäufern?

Stromberg: Natürlich. Jeder, der in den Supermarkt geht, sollte beim Einkaufen wählerisch sein und die angebotenen Produkte hinterfragen. Das haben wir in den letzten Jahrzehnten ein bisschen verlernt. Den Spruch: Wer etwas anfasst, muss es auch kaufen, gibt es in anderen Kulturen so nicht. Da gehört es dazu, an Lebensmitteln zu riechen, sie anzufassen oder auch mal zu probieren. Wir sollten viel bewusster einkaufen und hinterfragen: Was steckt in den Lebensmitteln genau drin?

MEIN FUßBALL: Das gilt sicher nicht nur für das Einkaufen der Lebensmittel, sondern dann auch für die Einnahme.

Stromberg: Jeder Mensch ist ein Individuum und muss selbst fühlen und spüren, was ihm gut und was ihm schlecht tut. Man kann immer nur Empfehlungen aufgrund von Durchschnittswerten geben. Die Menge an Kohlenhydraten zu Eiweiß und Fett muss als allgemeine Bedarfsanalyse gesehen werden. Wenn man sich aber individuell gut ernähren will, muss man seinen Körper kennen lernen und die Ernährung dementsprechend anpassen. Einzelsportler wissen das häufig eher als Mannschaftssportler, weil sie früher damit konfrontiert sind und jede Stellschraube optimieren müssen. Dieses Grundwissen sollte sich ein jeder aneignen, um ein "mündiger" Esser zu werden.

MEIN FUßBALL: Trotzdem, bei entsprechenden körperlichen Belastungen ist der Speiseplan vorgegeben, oder?

Stromberg: Natürlich. Radsportler benötigen 6000 bis 8000 Kilokalorien an einem Wettkampftag. Diese Menge an Kalorien allein über Essen zuzuführen, ist für viele Radprofis schlechthin nicht angenehm. Das wären viele Nudeln, sprich viele Kohlenhydrate. Ein Gewichtheber, der nur ein paar Sekunden extreme Belastungen hat, kann dafür zum Beispiel die Kohlenhydrate vernachlässigen. Er braucht insbesondere Eiweiß. So muss die Ernährung an die jeweilige Tätigkeit und Belastung angepasst werden. Das gilt auch außerhalb des Sports, zum Beispiel im Berufsleben. Der Postbote benötigt etwas anderes als der Büromitarbeiter. Dazu muss dann immer noch die individuelle Verträglichkeit mit einbezogen werden.

MEIN FUßBALL: Kommen wir zurück zum Fußball: Wirkt sich die Ernährung direkt auf die fußballerische Leistung aus?

Stromberg: Ich habe mich selbstverständlich zu diesem Thema auch zu Beginn meiner Tätigkeit mit den Fitnesstrainern und dem Mannschaftsarzt der Nationalmannschaft ausgetauscht. Eine zuverlässige Aussage lässt sich nicht treffen. Ich bin aber davon überzeugt, dass 20 bis 30 Prozent der Leistung durch Ernährung optimierbar sind. Genauso wie Trainingsmaßnahmen kann auch die individuelle Ernährung perfektioniert werden. Sie ist Grundlage, um entscheidende Ressourcen zu speichern. Wenn der Brennstoff nicht passt, kann der Motor nicht richtig arbeiten…

MEIN FUßBALL: Wie sollte die Ernährung während der unterschiedlichen Phasen vor, während und nach dem Spiel aussehen?

Stromberg: Zu den Zeitpunkten lässt sich sagen, dass die letzte Mahlzeit vor dem Spiel bei uns dreieinhalb Stunden vorher eingenommen wird. Nach dem Spiel sollten vor allem die Kohlenhydratspeicher so schnell wie möglich aufgefüllt werden. Am besten innerhalb der ersten 30 bis 45 Minuten, zum Beispiel durch Nudeln, aber auch mit einem Snack oder Haferflocken-Bananen-Shakes, die den Bedarf ebenfalls decken. Viele Spieler wissen durch Schulung und ihr Körpergefühl am besten, was ihnen gut tut.

MEIN FUßBALL: Wie kann man solch ein Körpergefühl entwickeln?

Stromberg: Ein Torwart kam beispielsweise einmal zu mir und wollte einen großen Teller Nudeln. Aber nur, weil er dachte, dass Fußballer das nun mal brauchen. Ich fragte: 'Wofür? Du läufst doch viel weniger als die Feldspieler. Versuch es mal mit weniger Kohlenhydraten und einer anderen Zusammensetzung!' Danach kam er nie wieder mit dem Wunsch nach Nudeln zu mir. Es kam aber auch schon vor, dass Feldspieler nur Fisch und Gemüse verlangten, weil sie sich damit unheimlich wohl fühlen. Das ist schlussendlich das Wichtigste. Ich kann nur Empfehlungen geben: 'So ist dein Tagesbedarf und der kann folgendermaßen gedeckt werden.' Die Entscheidungen müssen die Spieler dann selbst fällen.

Lebensmittel und die Energie daraus zu spüren, das ist, was ich mit Körpergefühl in diesem Zusammenhang meine.

MEIN FUßBALL: Wie verträgt sich Fußballspielen und Alkohol?

Stromberg: Alkohol wirkt sich negativ auf die Leistung aus. Das muss jedem, egal ob Hobby- oder Profisportler, klar sein. Dabei reden wir nicht über das eine Bier oder das eine Glas Wein am Abend. Aber alles, was darüber hinaus geht, schadet. Vor oder während dem Spiel ist natürlich auch das eine Glas schon zuviel.

MEIN FUßBALL: Alkoholfreies Bier wird in letzter Zeit immer populärer. Handelt es sich dabei wirklich um ein isotonisches Getränk, das für Sportler geeignet ist?

Stromberg: Definitiv. Alkoholfreies Bier ist durchaus für Sportler geeignet, da es wenige Kalorien hat, dafür aber viele Inhaltsstoffe, die Sportler benötigen. Dazu ist es nicht übermäßig süß. Eigentlich ist Bier sogar der falsche Ausdruck dafür, weil wir mit Bier etwas anderes assoziieren. Ich würde soweit gehen, es Getreidelimonade zu nennen.

MEIN FUßBALL: Was kommt bei der Nationalmannschaft an einem Spieltag auf dem Tisch?

Stromberg: Obwohl wir natürlich sonst sehr abwechslungsreich und "bunt" kochen, am Spieltag werden keine Experimente gemacht. Da verlassen sich die Spieler und auch ich auf routinemäßige Gerichte, mit denen wir gute Erfahrungen gesammelt haben. Zum Beispiel: Vollkornpasta, Kartoffelpüree, Reis, Gemüse, Salat, Filetsteaks und leichter Fisch. Ganz wichtig: keine Lebensmittel verwenden, die Durstgefühle, Sodbrennen oder gar Magenverstimmungen verursachen, wie zum Beispiel Knoblauch, Zwiebellauch, Sardellen oder Paprika. Als Dessert gibt es Grießbrei oder Milchreis. Ihr absolutes "Soulfood", das brauchen sie vor dem Spiel.

MEIN FUßBALL: Nach einem Sieg dürfen sich die Spieler doch auch mal etwas gönnen, oder? Was steht auf dem Tisch, wenn die Nationalmannschaft nach einem gewonnenen Spiel ins Hotel zurück kehrt?

Stromberg: Na klar, dann werden die Lieblingsgerichte ausgepackt: zum Beispiel Schnitzel oder Pizza. Das klingt vermeidlich ungesund; durch die qualitativ hochwertige Herstellung sind die Gerichte allerdings vollkommen geeignet. Für das Gefühl der Spieler ist diese Belohnung aber extrem wichtig. Denn Verzicht bringt keinen auf Dauer ans Ziel.