Wörns über U 18-Israelreise: "Außergewöhnliche Eindrücke"

Experten-Kolumne auf DFB.de: Sportliche Leitung und Trainer vermitteln Hintergründe rund um den DFB-Nachwuchs und die DFB-Teams. Regelmäßig, authentisch und mit aktuellem Bezug. Heute Christian Wörns, Trainer der U 18-Nationalmannschaft, der über seinen Einstieg beim DFB spricht und die Israelreise sportlich und emotional Revue passieren lässt.

Nach meiner Zeit als Nationalspieler hatte ich meine ersten "Wiederberührungspunkte" mit dem DFB als Trainer durch eine Hospitanz im Herbsttrainingslager 2018, in dem Guido Streichsbier die damalige U 19, den Jahrgang 2000, betreute. Nach diversen Gesprächen mit Meikel Schönweitz, dem Cheftrainer der U-Teams, und Joti Chatzialexiou, dem Sportlichen Leiter Nationalmannschaften, im Frühjahr 2019, in denen wir viele Gemeinsamkeiten erkannten, einigten wir uns darauf, dass ich zum 1. Juli 2019 den Jahrgang 2002 und somit die U 18-Nationalmannschaft übernehme.

"Belastung im U 17-Bereich sehr hoch"

Damit ich den Jahrgang kennenlernen und einen ersten Eindruck der Qualität der Einzelspieler gewinnen konnte, habe ich mir als Einstieg die drei EM-Qualifikationsspiele der damaligen U 17 im März gegen Weißrussland, Slowenien und Island vor Ort angeschaut. Darüber hinaus sah ich mir bis zum Saisonende 2018/2019 noch einige U 17-Bundesligapartien sowie die U 17-Halbfinalspiele 1. FC Köln gegen Bayern München und Borussia Dortmund gegen VfL Wolfsburg sowie das Endspiel um die Deutsche B-Junioren-Meisterschaft zwischen Dortmund und Köln an. Abgerundet wurden meine Eindrücke im Mai 2019 durch das Sichtungsturnier des Jahrgangs 2003, in dem der Perspektivkader des Jahrgangs 2002 als 22. Team mitspielte.

Damit ich die besten Spieler des Jahrgangs noch genauer kennenlernen konnte, besuchte ich im Sommer auch die U 17-Europameisterschaft in Irland, bei der unsere Mannschaft unter anderem gegen Italien und Spanien antrat. Diese Gelegenheit nutzte ich selbstverständlich auch, um noch andere Nationen und Turnierspiele zu sichten.

Nach dem Sichtungsturnier in Duisburg hatten wir zwei Lehrgänge in Herzogenaurach und im spanischen Salou. Dort wurden aber nur Spieler eingeladen, die bisher bei den U- Nationalmannschaften nicht so sehr im Fokus standen. Die EM-Fahrer haben wir bis Ende des Jahres 2019 nicht berücksichtigt, weil die Belastung im U 17-Bereich sehr hoch ist und wir in Absprache mit den Vereinen auf weitere Belastungen verzichten. Ausnahme war ein Kurzlehrgang über drei Tage in Krefeld Anfang Oktober, um die Spieler persönlich kennenzulernen.

"Persönlichkeitsbildung bei Israelreise"

Highlight und Abschluss des Jahres war unsere Reise nach Israel. Bei dieser sportpolitischen Reise ging es darum, den Jungs bei ihren ersten Länderspielen - aktuelle Nationalspieler waren nicht dabei - Spielpraxis auf internationalem Niveau zu geben und zu testen, ob sie unseren Vorstellungen mental und fußballerisch entsprechen. Darüber hinaus ging es natürlich auch um Persönlichkeitsbildung, weil wir uns alle mit der gemeinsamen Geschichte Deutschlands und Israels auseinandergesetzt haben.

Nachdem wir alle in Frankfurt eine Einführung in die Geschichte und die aktuelle Situation des Staates Israels und in die deutsch-israelische Fußballgeschichte bekommen hatten, standen in Israel unter anderem ein Zeitzeugengespräch sowie der Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und der Altstadt Jerusalems auf dem Programm. Das waren für jeden von uns außergewöhnliche Eindrücke, und ich schließe mich gerne unserem DFB-Präsidenten Fritz Keller an, der uns auf der Reise begleitete und sagte: "Sobald wir das Trikot mit dem Adler tragen, sind wir alle Botschafter Deutschlands und haben die Aufgabe, uns dafür einzusetzen, dass solche Gräueltaten nie wieder vorkommen."

"Einstellung und Mentalität der Jungs positiv"

Zum Sportlichen: Unser erstes Spiel gegen Serbien ging unglücklich mit 1:2 verloren. Trotz vieler guter Ansätze konnten wir unsere Spielvorteile nicht in genügend Tore ummünzen. Während ich aber mit der Leistung insgesamt zufrieden war, war es zwei Tage später gegen Israel genau umgekehrt. Dort hat mir die Leistung nicht gefallen, wir haben aber 3:2 gewonnen. Positiv in beiden Partien bleibt mir die Einstellung und Mentalität der Jungs in Erinnerung. Mit dem zweiten Platz hat die Reise für uns sowohl vom Ergebnis als auch von der Persönlichkeitsentwicklung ein versöhnliches Ende genommen.

À propos Persönlichkeit. Ich habe bei meinen vergangenen Stationen oftmals mit der Mentalität einiger Spieler gehadert. Dabei ist Mentalität nichts anderes als eine Denk- und eine daraus resultierende Verhaltensweise. Ganz banal ausgedrückt bedeutet es: Gibst du immer alles oder eben nicht? Das sollte für einen Spieler, der Profi werden möchte, eigentlich ein Muss sein. Leider ist oftmals genau das Gegenteil der Fall. Ich glaube, dass das kein ausschließliches Problem der aktuellen Generation ist, aber momentan beobachte ich es häufiger. Ich denke, das ist auch auf das aktuelle "Fußballsystem" und die Gesellschaft im Allgemeinen zurückzuführen. Hier sind wir alle durch das "Projekt Zukunft" gefordert, den nötigen Wandel im System mitzugestalten.

Auf viele Spieler, die bei den vergangenen Lehrgängen dabei waren, trifft dies nicht zu. Das macht mir Mut für die nächsten Aufgaben. Vielleicht ist es auch gerade deshalb der Fall, weil diese Spieler in der Vergangenheit und jetzt mehr investieren mussten und müssen. Wenn wir im Frühjahr 2020 erstmals mit dem besten Kader zusammen sind, wünsche ich mir, dass auch die "altgedienten" U 17-EM-Fahrer diesen Biss zeigen.

[dfb]

Experten-Kolumne auf DFB.de: Sportliche Leitung und Trainer vermitteln Hintergründe rund um den DFB-Nachwuchs und die DFB-Teams. Regelmäßig, authentisch und mit aktuellem Bezug. Heute Christian Wörns, Trainer der U 18-Nationalmannschaft, der über seinen Einstieg beim DFB spricht und die Israelreise sportlich und emotional Revue passieren lässt.

Nach meiner Zeit als Nationalspieler hatte ich meine ersten "Wiederberührungspunkte" mit dem DFB als Trainer durch eine Hospitanz im Herbsttrainingslager 2018, in dem Guido Streichsbier die damalige U 19, den Jahrgang 2000, betreute. Nach diversen Gesprächen mit Meikel Schönweitz, dem Cheftrainer der U-Teams, und Joti Chatzialexiou, dem Sportlichen Leiter Nationalmannschaften, im Frühjahr 2019, in denen wir viele Gemeinsamkeiten erkannten, einigten wir uns darauf, dass ich zum 1. Juli 2019 den Jahrgang 2002 und somit die U 18-Nationalmannschaft übernehme.

"Belastung im U 17-Bereich sehr hoch"

Damit ich den Jahrgang kennenlernen und einen ersten Eindruck der Qualität der Einzelspieler gewinnen konnte, habe ich mir als Einstieg die drei EM-Qualifikationsspiele der damaligen U 17 im März gegen Weißrussland, Slowenien und Island vor Ort angeschaut. Darüber hinaus sah ich mir bis zum Saisonende 2018/2019 noch einige U 17-Bundesligapartien sowie die U 17-Halbfinalspiele 1. FC Köln gegen Bayern München und Borussia Dortmund gegen VfL Wolfsburg sowie das Endspiel um die Deutsche B-Junioren-Meisterschaft zwischen Dortmund und Köln an. Abgerundet wurden meine Eindrücke im Mai 2019 durch das Sichtungsturnier des Jahrgangs 2003, in dem der Perspektivkader des Jahrgangs 2002 als 22. Team mitspielte.

Damit ich die besten Spieler des Jahrgangs noch genauer kennenlernen konnte, besuchte ich im Sommer auch die U 17-Europameisterschaft in Irland, bei der unsere Mannschaft unter anderem gegen Italien und Spanien antrat. Diese Gelegenheit nutzte ich selbstverständlich auch, um noch andere Nationen und Turnierspiele zu sichten.

Nach dem Sichtungsturnier in Duisburg hatten wir zwei Lehrgänge in Herzogenaurach und im spanischen Salou. Dort wurden aber nur Spieler eingeladen, die bisher bei den U- Nationalmannschaften nicht so sehr im Fokus standen. Die EM-Fahrer haben wir bis Ende des Jahres 2019 nicht berücksichtigt, weil die Belastung im U 17-Bereich sehr hoch ist und wir in Absprache mit den Vereinen auf weitere Belastungen verzichten. Ausnahme war ein Kurzlehrgang über drei Tage in Krefeld Anfang Oktober, um die Spieler persönlich kennenzulernen.

"Persönlichkeitsbildung bei Israelreise"

Highlight und Abschluss des Jahres war unsere Reise nach Israel. Bei dieser sportpolitischen Reise ging es darum, den Jungs bei ihren ersten Länderspielen - aktuelle Nationalspieler waren nicht dabei - Spielpraxis auf internationalem Niveau zu geben und zu testen, ob sie unseren Vorstellungen mental und fußballerisch entsprechen. Darüber hinaus ging es natürlich auch um Persönlichkeitsbildung, weil wir uns alle mit der gemeinsamen Geschichte Deutschlands und Israels auseinandergesetzt haben.

Nachdem wir alle in Frankfurt eine Einführung in die Geschichte und die aktuelle Situation des Staates Israels und in die deutsch-israelische Fußballgeschichte bekommen hatten, standen in Israel unter anderem ein Zeitzeugengespräch sowie der Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und der Altstadt Jerusalems auf dem Programm. Das waren für jeden von uns außergewöhnliche Eindrücke, und ich schließe mich gerne unserem DFB-Präsidenten Fritz Keller an, der uns auf der Reise begleitete und sagte: "Sobald wir das Trikot mit dem Adler tragen, sind wir alle Botschafter Deutschlands und haben die Aufgabe, uns dafür einzusetzen, dass solche Gräueltaten nie wieder vorkommen."

"Einstellung und Mentalität der Jungs positiv"

Zum Sportlichen: Unser erstes Spiel gegen Serbien ging unglücklich mit 1:2 verloren. Trotz vieler guter Ansätze konnten wir unsere Spielvorteile nicht in genügend Tore ummünzen. Während ich aber mit der Leistung insgesamt zufrieden war, war es zwei Tage später gegen Israel genau umgekehrt. Dort hat mir die Leistung nicht gefallen, wir haben aber 3:2 gewonnen. Positiv in beiden Partien bleibt mir die Einstellung und Mentalität der Jungs in Erinnerung. Mit dem zweiten Platz hat die Reise für uns sowohl vom Ergebnis als auch von der Persönlichkeitsentwicklung ein versöhnliches Ende genommen.

À propos Persönlichkeit. Ich habe bei meinen vergangenen Stationen oftmals mit der Mentalität einiger Spieler gehadert. Dabei ist Mentalität nichts anderes als eine Denk- und eine daraus resultierende Verhaltensweise. Ganz banal ausgedrückt bedeutet es: Gibst du immer alles oder eben nicht? Das sollte für einen Spieler, der Profi werden möchte, eigentlich ein Muss sein. Leider ist oftmals genau das Gegenteil der Fall. Ich glaube, dass das kein ausschließliches Problem der aktuellen Generation ist, aber momentan beobachte ich es häufiger. Ich denke, das ist auch auf das aktuelle "Fußballsystem" und die Gesellschaft im Allgemeinen zurückzuführen. Hier sind wir alle durch das "Projekt Zukunft" gefordert, den nötigen Wandel im System mitzugestalten.

Auf viele Spieler, die bei den vergangenen Lehrgängen dabei waren, trifft dies nicht zu. Das macht mir Mut für die nächsten Aufgaben. Vielleicht ist es auch gerade deshalb der Fall, weil diese Spieler in der Vergangenheit und jetzt mehr investieren mussten und müssen. Wenn wir im Frühjahr 2020 erstmals mit dem besten Kader zusammen sind, wünsche ich mir, dass auch die "altgedienten" U 17-EM-Fahrer diesen Biss zeigen.

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