Afghanistan-Experte Lali: "Fußball ist größer als die Taliban"

DFB.de: Wie wichtig ist die Liga für den Fußball in Afghanistan?

Askar Lali: Aus mehreren Gründen ist die Bedeutung hoch. Die Liga hat den Menschen einen großen Motivationsschub gegeben. Ich habe das gerade erst bei einem Grassroots-Projekt der FIFA erlebt, bei dem wir Jugendtrainer in Kabul geschult haben. Die Menschen sind durch den Erfolg der Liga euphorisiert, sie sehen, dass sich im Fußball etwas tut. Und langfristig wird sich die Afghan Premier League auch auf die Nationalmannschaft auswirken. Schon diesmal waren zwölf oder 13 Nationalspieler dabei. Wenn das Niveau der Liga steigt, steigt das Niveau der Spieler und damit das Niveau der Nationalmannschaft.

DFB.de: Haben Spiele der Nationalmannschaft Einfluss auf den Einigungsprozess in Afghanistan?

Askar Lali: So ist es ja in jedem Land. Aber gerade in Afghanistan ist nach Jahren des Krieges alles wichtig, was die Einheit des Landes zeigt. Und Fußball ist dafür wunderbar geeignet.

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Positive Schlagzeilen aus Afghanistan sind rar. Bundeswehr und Polizei leisten einen bewundernswerten Beitrag zum Aufbau des Landes, doch immer wieder überschatten Attentate den mühsamen Versuch der internationalen Staatengemeinschaft, den Afghanen ein Leben in Freiheit und ohne Angst vor den Taliban zu ermöglichen. Umso erfreulicher ist, dass der Fußball in Afghanistan eine Vorreiterrolle einnimmt. In diesem Jahr gab es in Afghanistan erstmals eine nationale Liga: die Afghan Premier League.

Im Oktober wurde der Meister gekürt, die Premierensaison fand landesweite Beachtung und wird international als großer Erfolg gefeiert. Einer der Köpfe hinter der Liga ist Ali Askar Lali, der Deutsch-Afghane hat den afghanischen Fußball-Verband bei der Ligagründung beraten. Seit Askar Lali im Jahr 2003 gemeinsam mit dem DFB-Auslandsexperten Holger Obermann ins Land kam, hat sich der Fußball am Hindukusch erfreulich entwickelt. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Steffen Lüdeke hat er darüber gesprochen - und über Wahrheit und Dichtung in den Berichten über die Afghan Premier League.

DFB.de: Herr Askar Lali, wie bewerten Sie die erste Saison der Afghan Premier League?

Ali Askar Lali: Die Liga war ein großer Erfolg. Wir haben sehr viele Afghanen erreicht. Es gibt Erhebungen, dass sich jeder dritte Afghane für die Liga interessiert hat, das sind fast zehn Millionen Menschen. Bei den Spielen waren jeweils 5000 Zuschauer im Stadion, damit war die Kapazität erschöpft - wir hätten viel mehr Karten verkaufen können. Ich muss aber auch sagen, dass wir erst am Anfang stehen, eigentlich ist es noch zu früh, von einer richtigen Liga zu sprechen.

DFB.de: Immerhin haben acht Mannschaften aus acht Provinzen teilgenommen. So etwas gab es vorher in Afghanistan noch nicht.

Askar Lali: Ja, aber die Spiele haben alle im selben Stadion in Kabul stattgefunden. Die Verhältnisse lassen sich mit den Ligen in Europa nicht vergleichen. Die Rahmenbedingungen im Land sind noch nicht so, dass die Teams Spiele in ihrer Provinz austragen können. Schon was die Infrastruktur betrifft, muss noch einiges passieren - aber auch aus Sicherheitsgründen. Realistisch ist wohl, dass wir in Afghanistan erst in fünf Jahren eine Liga haben, die diese Bezeichnung verdient. Was wir jetzt hatten, war eher ein Turnier. Ich will die Liga aber nicht kleinreden, für den Fußball und die Menschen in Afghanistan war es ein großer Schritt.

DFB.de: Stimmen die Geschichten, dass es bei den Spielen mitunter zu kuriosen Ereignissen kam? Die Zuschauer sollen teilweise mit dem Halbzeitpfiff nach Hause gegangen sein, weil sie nicht wussten, dass das Spiel noch eine zweite Halbzeit hat.

Askar Lali: Das ist alles Quatsch. In den westlichen Medien sind ein paar Dinge falsch dargestellt worden. Die Afghanen lieben Fußball, ich behaupte, dass es wenige Nationen gibt, die sich so gut mit Fußball auskennen. Es gibt kaum etwas, was im afghanischen Fernsehen so präsent ist wie dieser Sport. Es kommt vor, dass drei oder vier Spiele gleichzeitig gezeigt werden, man kann in Afghanistan parallel Spiele von Real Madrid, dem FC Barcelona oder Bayern München sehen. Den Afghanen muss niemand beibringen, wie ein Fußballspiel funktioniert.

DFB.de: In dem Stadion, in dem die Spiele der Liga ausgetragen wurden, haben die Taliban früher Exekutionen durchgeführt. Ist es nicht beklemmend, an so einem Ort Fußball zu spielen?

Askar Lali: Das wurde so geschrieben, aber es stimmt nicht. Die Spiele der Liga wurden nicht im großen Stadion ausgetragen, dort haben die Hinrichtungen stattgefunden. Was stimmt, ist, dass dort Fußball gespielt wird. Die Kabuler Stadtliga wird im großen Stadion gespielt. Für die Afghanen ist das aber kein großes Problem.

DFB.de: Warum nicht?

Askar Lali: Weil man in diesem Land nicht leben kann, wenn man nicht gut im Verdrängen ist. An jeder Ecke wurden Menschen getötet, überall haben Anschläge stattgefunden. Wenn man alle Orte meiden würde, an denen Gräueltaten stattgefunden haben, wäre die Bewegungsfreiheit sehr eingeengt.

DFB.de: Die Taliban haben in Afghanistan immer noch großen Einfluss. Gab es Befürchtungen, dass Spieler oder Funktionäre Opfer von Anschlägen werden könnten?

Askar Lali: Nein. In dem Modus, den wir gefunden hatten, gab es keine großen Bedenken. Die Taliban haben sich positiv zur Liga geäußert.

DFB.de: Im Westen herrscht die Auffassung, dass die Taliban alles unterbinden, was den Menschen Freude bereitet.

Askar Lali: Das ist zu einfach gedacht. Fußball ist so stark, Fußball ist größer als die Taliban. In Afghanistan ist Fußball derart populär, dass es für niemanden sinnvoll ist, sich dauerhaft dagegen zu wenden. Anders war es, als ich gemeinsam mit Holger Obermann und Klaus Stärk (beide ebenfalls DFB-Auslandsexperten; Anm. d. Red.) begonnen habe, den Frauenfußball in Afghanistan aufzubauen. Das hat nicht allen gefallen.

DFB.de: Sie haben zwei Anschläge überlebt.

Askar Lali: Ja. Wir haben zwar Drohungen bekommen, ich glaube dennoch nicht, dass diese Anschläge gezielt uns galten.

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DFB.de: Keramudin Karim, der Präsident des Afghanischen Fußball-Verbandes, hat sich auf einer Pressekonferenz nach dem Finale der Liga ausdrücklich bei Ihnen und dem DFB bedankt. Wie viel Know-how aus Deutschland steckt in der Afghan Premier League?

Askar Lali: Es ist immer schwer, die eigene Arbeit zu loben. Herr Karim sagt immer wieder, dass es das alles ohne die Deutschen nicht geben würde. Aber alles, was Holger Obermann, Klaus Stärk und ich dort erreicht haben, wäre nicht möglich gewesen ohne die uneingeschränkte Unterstützung durch den DFB, den Deutschen Olympischen Sportbund und das Auswärtige Amt. Auch mit der deutschen Botschaft hat die Zusammenarbeit immer wunderbar funktioniert.

DFB.de: Wie sahen die Verhältnisse im afghanischen Fußball aus, als sie vor knapp zehn Jahren in das Land gekommen sind?

Askar Lali: Als Holger Obermann und ich vor knapp zehn Jahren nach Afghanistan gekommen sind, war der Fußball dort nicht mehr existent. Wir haben angefangen, den Fußball wieder auf die Straße zu bringen, später dann an die Schulen. So ging es immer weiter. Wir haben die Strukturen des Verbandes verbessert, haben Provinz- und Zonenligen eingerichtet. Ganz wichtig war die Ausbildung von Trainern, Klaus Stärk hat sich auch auf diesem Gebiet sehr engagiert und den "modernen" Fußball nach Afghanistan gebracht. Die Trainer aller acht Mannschaften der Premier League wurden beispielweise von uns ausgebildet. Schon deswegen kann man sagen, dass es die Afghan Premier League ohne den DFB nicht geben würde.

DFB.de: Wie sicher ist, dass es die Liga auch im kommenden Jahr geben wird?

Askar Lali: Der Bestand ist für drei Jahre gesichert. Ich bin sehr optimistisch, dass die Liga im kommenden Jahr noch besser sein wird. Diesmal waren nicht alle Topspieler dabei, weil im Vorfeld bei der Kommunikation nicht alles rund gelaufen ist. Nicht alle haben gewusst, dass es die Liga gibt. Nach dem - auch medial - großen Erfolg wird bei der zweiten Ausgabe jeder gute Fußballer dabei sein wollen. Das Niveau wird noch einmal steigen.

DFB.de: Wie wichtig ist die Liga für den Fußball in Afghanistan?

Askar Lali: Aus mehreren Gründen ist die Bedeutung hoch. Die Liga hat den Menschen einen großen Motivationsschub gegeben. Ich habe das gerade erst bei einem Grassroots-Projekt der FIFA erlebt, bei dem wir Jugendtrainer in Kabul geschult haben. Die Menschen sind durch den Erfolg der Liga euphorisiert, sie sehen, dass sich im Fußball etwas tut. Und langfristig wird sich die Afghan Premier League auch auf die Nationalmannschaft auswirken. Schon diesmal waren zwölf oder 13 Nationalspieler dabei. Wenn das Niveau der Liga steigt, steigt das Niveau der Spieler und damit das Niveau der Nationalmannschaft.

DFB.de: Haben Spiele der Nationalmannschaft Einfluss auf den Einigungsprozess in Afghanistan?

Askar Lali: So ist es ja in jedem Land. Aber gerade in Afghanistan ist nach Jahren des Krieges alles wichtig, was die Einheit des Landes zeigt. Und Fußball ist dafür wunderbar geeignet.