Holocaust-Überlebender Zvi Cohen: "Sport kann Brücken bauen"

Im Rahmen der Israelreise traf die U 18-Nationalmannschaft am Montagabend in einem Zeitzeugengespräch auf Zvi Cohen, 1931 in Berlin als Horst Cohn geboren. Er überlebte mit seinen Eltern das unvorstellbare Grauen des Konzentrationslagers Theresienstadt und sprach mit den Spielern, der Delegation und den Mitgliedern des Funktionsteams über seine Erlebnisse. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Peter Scheffler redet er über diese Begegnung, seine Vergangenheit und seine Wünsche für die Zukunft.

DFB.de: Herr Cohen, in Ihrem Buch berichten Sie, wie Ihnen Ihre Mundharmonika das Leben rettet, weil Sie damit als Elfjähriger die Zeit zur Deportation überbrücken konnten, bis sie zusammen mit Ihren Eltern abgeführt wurden. Spielen Sie das Instrument auch heute noch?

Zvi Cohen: Ja, das tue ich. Allerdings nur noch an Feiertagen und Geburtstagen meiner Kinder und Enkel oder während meiner Vorträge.

DFB.de: So wie am Montagabend vor der deutschen U 18-Nationalmannschaft. Wie wichtig sind Ihnen diese Auftritte?

Cohen: Vorträge im Umfeld des Fußballs sind mir besonders wichtig. Einerseits, weil der Fußball weltweit die Sportart Nummer eins ist und man darüber viele Menschen erreicht. Aber auch, weil es gerade in Fußballstadien leider viele rassistische Vorkommnisse gibt. Umso wichtiger ist es, dass der DFB und andere Institutionen sich so vorbildlich engagieren. Vor drei Wochen durfte ich beim Julius Hirsch Preis auftreten, eine tolle Veranstaltung. Die alljährliche Reise der U 18-Nationalmannschaft wird auch von israelischer Seite sehr positiv gesehen und ist für die gegenseitigen Beziehungen sehr wichtig. Durch solche Aktionen wird das Gedenken aufrechterhalten!

DFB.de: Sie wirken ob Ihrer Vergangenheit nicht frustriert. Auch Ihr Buch enthält wenige Anklagen, obwohl es die dunkelste Zeit der deutschen Geschichte betrifft.

Cohen: Als Kind war ich natürlich extrem frustriert und traurig, da ich nicht nachvollziehen konnte, warum ich von einem auf den anderen Tag auf einmal gehasst wurde, obwohl ich nichts getan hatte. Es gibt zwei Arten, damit umzugehen. Man kann diesen Frust in sich reinfressen und an anderen auslassen, oder man redet darüber und versucht, durch die Verarbeitung der Vergangenheit die Zukunft positiv zu beeinflussen. Ich habe mich für Letzteres entscheiden.

DFB.de: Sind Ihre Vorträge dementsprechend eine Art Verarbeitung oder Therapie für Sie?

Cohen: Das kann man so sagen. Wenn ich meine Geschichte erzähle, durchlebe ich alles noch einmal. Ich bin wieder in Theresienstadt und mache alles noch einmal durch. Das war anfangs sehr schwer für mich, aber auch für andere. Denn als wir 1945 im damaligen Palästina ankamen, war der Empfang der jüdischen Mitmenschen alles andere als freundlich. Man glaubte uns nicht oder stellte Fragen, warum wir überlebten und andere nicht. Das war ein großer Schock für uns. Mittlerweile ist die Geschichte bekannt.

DFB.de: Auch durch Menschen wie Sie, die nicht müde werden, Sie immer wieder zu erzählen.

Cohen: Das Wichtigste ist für mich, dass die Zuhörer und Leser wirklich verstehen, was damals in Deutschland geschehen ist und welche Ausmaße es genommen hat. Wir alle kennen diese unglaubliche Zahl von sechs Millionen ermordeten Juden, die aber viel zu abstrakt ist, um es zu begreifen. Wenn man allerdings ein persönliches Schicksal von Angesicht zu Angesicht erfährt, dann kann man das Ganze besser einordnen. Es geht darum, es nicht nur zu hören, sondern es auch zu fühlen.

DFB.de: Wie ist Ihr Verhältnis heute zu Deutschland?

Cohen: Mit jedem, der jünger ist als ich, was natürlich auf die meisten zutrifft (lacht), habe ich keinerlei Probleme. Bei älteren Personen bin ich vorsichtiger. Davon abgesehen hat sich das Land hervorragend entwickelt und steht international sehr gut da.

DFB.de: Wie oft sind Sie in Deutschland?

Cohen: Normalerweise zweimal im Jahr. Ich habe keine Verwandten mehr, aber viele Bekannte, die ich dann besuche, dazu halte ich meine Vorträge. Die Lage in Deutschland ist meiner Meinung nach gerade gefährlich. Durch die Flüchtlingssituation haben sich Fronten aufgetan. Umso wichtiger ist es für mich, die jungen Menschen über die Vergangenheit aufzuklären. Denn sie werden die Zukunft des Landes gestalten, und sie können dafür sorgen, dass so etwas wie das Dritte Reich nie wieder geschieht.

DFB.de: Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel heute beschreiben?

Cohen: Sehr gut. Das Verhältnis hat sich vor allem nach dem Mauerfall noch einmal stark verbessert. Für mich ist interessant, dass es in der dritten und vierten Generation von Juden in Israel kein Opfergefühl mehr gibt, aber in Deutschland noch viele Menschen, die sich schuldig fühlen. Es gibt viele Juden, die von Israel nach Deutschland reisen oder auch aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten dorthin ziehen.

DFB.de: Hätten Sie solch ein Verhältnis nach Ihrer Flucht jemals für möglich gehalten?

Cohen: Nein. In den ersten Jahren nach der Staatsgründung Israels war das Deutschlandbild sehr negativ, und es gab viele Menschen, die das Wiedergutmachungsabkommen zwischen Konrad Adenauer und David Ben Gurion sehr kritisch sahen. Auch unseren Kibbuz durfte dreißig Jahre lang kein Deutscher betreten. Die ganze Annäherung brauchte viel Zeit und viele kleine Schritte, um bis zum heutigen Verhältnis zu kommen.

DFB.de: Was konnte der Sport, speziell der Fußball, zu dieser Annäherung beitragen?

Cohen: Sport kann Brücken bauen, Grenzen auflösen und viel einfacher Begegnungen schaffen als die Politik oder die Wirtschaft. Deshalb hat der Sport und vor allem der Fußball uns sehr bei der Annäherung geholfen. Fußball wird weltweit geliebt, diese Leidenschaft verbindet und bringt schnell Kontakte, Gespräche und Gemeinsamkeiten zum Vorschein. Was mir Bedenken macht, ist, was teilweise auf den Zuschauerrängen passiert.

DFB.de: Haben Sie Angst davor, was passiert, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt, die ihre Erinnerungen mit den Menschen teilen?

Cohen: Ja. Deutschland fühlt sich Israel gegenüber noch verpflichtet. Ich hoffe, dass das auch so bleibt, wenn es keine Opfer und keine Täter mehr gibt. Denn wenn keine Überlebenden aus dieser Zeit mehr unter uns sind, ist es nur noch ein Kapitel der Menschheitsgeschichte und diese lehrt uns, dass sie im Nachhinein auch manipuliert werden kann. Umso wichtiger ist es, dass die wenigen Zeitzeugen, die es noch gibt, ihre Erinnerungen teilen und die Message "nie wieder" weitergeben und mit Leben füllen.

DFB.de: Was wünschen Sie sich für das zukünftige Verhältnis zwischen Deutschland und Israel?

Cohen: Das es genauso bleibt, wie es gerade ist.

[ps]

Im Rahmen der Israelreise traf die U 18-Nationalmannschaft am Montagabend in einem Zeitzeugengespräch auf Zvi Cohen, 1931 in Berlin als Horst Cohn geboren. Er überlebte mit seinen Eltern das unvorstellbare Grauen des Konzentrationslagers Theresienstadt und sprach mit den Spielern, der Delegation und den Mitgliedern des Funktionsteams über seine Erlebnisse. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Peter Scheffler redet er über diese Begegnung, seine Vergangenheit und seine Wünsche für die Zukunft.

DFB.de: Herr Cohen, in Ihrem Buch berichten Sie, wie Ihnen Ihre Mundharmonika das Leben rettet, weil Sie damit als Elfjähriger die Zeit zur Deportation überbrücken konnten, bis sie zusammen mit Ihren Eltern abgeführt wurden. Spielen Sie das Instrument auch heute noch?

Zvi Cohen: Ja, das tue ich. Allerdings nur noch an Feiertagen und Geburtstagen meiner Kinder und Enkel oder während meiner Vorträge.

DFB.de: So wie am Montagabend vor der deutschen U 18-Nationalmannschaft. Wie wichtig sind Ihnen diese Auftritte?

Cohen: Vorträge im Umfeld des Fußballs sind mir besonders wichtig. Einerseits, weil der Fußball weltweit die Sportart Nummer eins ist und man darüber viele Menschen erreicht. Aber auch, weil es gerade in Fußballstadien leider viele rassistische Vorkommnisse gibt. Umso wichtiger ist es, dass der DFB und andere Institutionen sich so vorbildlich engagieren. Vor drei Wochen durfte ich beim Julius Hirsch Preis auftreten, eine tolle Veranstaltung. Die alljährliche Reise der U 18-Nationalmannschaft wird auch von israelischer Seite sehr positiv gesehen und ist für die gegenseitigen Beziehungen sehr wichtig. Durch solche Aktionen wird das Gedenken aufrechterhalten!

DFB.de: Sie wirken ob Ihrer Vergangenheit nicht frustriert. Auch Ihr Buch enthält wenige Anklagen, obwohl es die dunkelste Zeit der deutschen Geschichte betrifft.

Cohen: Als Kind war ich natürlich extrem frustriert und traurig, da ich nicht nachvollziehen konnte, warum ich von einem auf den anderen Tag auf einmal gehasst wurde, obwohl ich nichts getan hatte. Es gibt zwei Arten, damit umzugehen. Man kann diesen Frust in sich reinfressen und an anderen auslassen, oder man redet darüber und versucht, durch die Verarbeitung der Vergangenheit die Zukunft positiv zu beeinflussen. Ich habe mich für Letzteres entscheiden.

DFB.de: Sind Ihre Vorträge dementsprechend eine Art Verarbeitung oder Therapie für Sie?

Cohen: Das kann man so sagen. Wenn ich meine Geschichte erzähle, durchlebe ich alles noch einmal. Ich bin wieder in Theresienstadt und mache alles noch einmal durch. Das war anfangs sehr schwer für mich, aber auch für andere. Denn als wir 1945 im damaligen Palästina ankamen, war der Empfang der jüdischen Mitmenschen alles andere als freundlich. Man glaubte uns nicht oder stellte Fragen, warum wir überlebten und andere nicht. Das war ein großer Schock für uns. Mittlerweile ist die Geschichte bekannt.

DFB.de: Auch durch Menschen wie Sie, die nicht müde werden, Sie immer wieder zu erzählen.

Cohen: Das Wichtigste ist für mich, dass die Zuhörer und Leser wirklich verstehen, was damals in Deutschland geschehen ist und welche Ausmaße es genommen hat. Wir alle kennen diese unglaubliche Zahl von sechs Millionen ermordeten Juden, die aber viel zu abstrakt ist, um es zu begreifen. Wenn man allerdings ein persönliches Schicksal von Angesicht zu Angesicht erfährt, dann kann man das Ganze besser einordnen. Es geht darum, es nicht nur zu hören, sondern es auch zu fühlen.

DFB.de: Wie ist Ihr Verhältnis heute zu Deutschland?

Cohen: Mit jedem, der jünger ist als ich, was natürlich auf die meisten zutrifft (lacht), habe ich keinerlei Probleme. Bei älteren Personen bin ich vorsichtiger. Davon abgesehen hat sich das Land hervorragend entwickelt und steht international sehr gut da.

DFB.de: Wie oft sind Sie in Deutschland?

Cohen: Normalerweise zweimal im Jahr. Ich habe keine Verwandten mehr, aber viele Bekannte, die ich dann besuche, dazu halte ich meine Vorträge. Die Lage in Deutschland ist meiner Meinung nach gerade gefährlich. Durch die Flüchtlingssituation haben sich Fronten aufgetan. Umso wichtiger ist es für mich, die jungen Menschen über die Vergangenheit aufzuklären. Denn sie werden die Zukunft des Landes gestalten, und sie können dafür sorgen, dass so etwas wie das Dritte Reich nie wieder geschieht.

DFB.de: Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel heute beschreiben?

Cohen: Sehr gut. Das Verhältnis hat sich vor allem nach dem Mauerfall noch einmal stark verbessert. Für mich ist interessant, dass es in der dritten und vierten Generation von Juden in Israel kein Opfergefühl mehr gibt, aber in Deutschland noch viele Menschen, die sich schuldig fühlen. Es gibt viele Juden, die von Israel nach Deutschland reisen oder auch aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten dorthin ziehen.

DFB.de: Hätten Sie solch ein Verhältnis nach Ihrer Flucht jemals für möglich gehalten?

Cohen: Nein. In den ersten Jahren nach der Staatsgründung Israels war das Deutschlandbild sehr negativ, und es gab viele Menschen, die das Wiedergutmachungsabkommen zwischen Konrad Adenauer und David Ben Gurion sehr kritisch sahen. Auch unseren Kibbuz durfte dreißig Jahre lang kein Deutscher betreten. Die ganze Annäherung brauchte viel Zeit und viele kleine Schritte, um bis zum heutigen Verhältnis zu kommen.

DFB.de: Was konnte der Sport, speziell der Fußball, zu dieser Annäherung beitragen?

Cohen: Sport kann Brücken bauen, Grenzen auflösen und viel einfacher Begegnungen schaffen als die Politik oder die Wirtschaft. Deshalb hat der Sport und vor allem der Fußball uns sehr bei der Annäherung geholfen. Fußball wird weltweit geliebt, diese Leidenschaft verbindet und bringt schnell Kontakte, Gespräche und Gemeinsamkeiten zum Vorschein. Was mir Bedenken macht, ist, was teilweise auf den Zuschauerrängen passiert.

DFB.de: Haben Sie Angst davor, was passiert, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt, die ihre Erinnerungen mit den Menschen teilen?

Cohen: Ja. Deutschland fühlt sich Israel gegenüber noch verpflichtet. Ich hoffe, dass das auch so bleibt, wenn es keine Opfer und keine Täter mehr gibt. Denn wenn keine Überlebenden aus dieser Zeit mehr unter uns sind, ist es nur noch ein Kapitel der Menschheitsgeschichte und diese lehrt uns, dass sie im Nachhinein auch manipuliert werden kann. Umso wichtiger ist es, dass die wenigen Zeitzeugen, die es noch gibt, ihre Erinnerungen teilen und die Message "nie wieder" weitergeben und mit Leben füllen.

DFB.de: Was wünschen Sie sich für das zukünftige Verhältnis zwischen Deutschland und Israel?

Cohen: Das es genauso bleibt, wie es gerade ist.

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