Hartmann: "Dieser Fall muss in der 3. Liga einmalig bleiben"

Was bedeutet das vorzeitige Ausscheiden von Türkgücü München für die 3. Liga? Wie konnte es soweit kommen? Was sagt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) zu Vorwürfen der Wettbewerbsverzerrung? Inwiefern muss das Zulassungsverfahren überdacht werden? Manuel Hartmann, als Geschäftsführer Spielbetrieb der DFB GmbH & Co. KG zuständig für die 3. Liga, nimmt auf DFB.de Stellung.

DFB.de: Herr Hartmann, wie kommentiert der DFB das Aus für Türkgücü München?

Manuel Hartmann: Das ist ein trauriger Tag für die 3. Liga. Den größten Schaden haben natürlich Türkgücü München und seine betroffenen Mitarbeiter*innen. Gleichzeitig ist es für die gesamte Liga und den Wettbewerb negativ, wenn ein Klub während der Saison ausscheidet. Ziel muss sein, dass dieser Fall in der 3. Liga einmalig bleibt.

DFB.de: Welche Folgen hat das Ausscheiden?

Hartmann: Die sportlichen Folgen sind durch §55a der DFB-Spielordnung geregelt. Weil der Ausstieg vor den letzten fünf Meisterschaftsspielen von Türkgücü erfolgt, werden alle bisher absolvierten Partien des Klubs aus der Wertung genommen. Die Tabelle der 3. Liga wird mit sofortiger Wirkung korrigiert, Türkgücü München steht als erster Absteiger fest.

DFB.de: Warum bleiben die Wertungen nicht bestehen? Wird hier nicht der Wettbewerb verzerrt?

Hartmann: Der Wettbewerb würde ebenfalls verzerrt, wenn alle Spiele, zu denen der Klub nicht mehr antritt, automatisch für die jeweiligen Gegner gewertet werden würden. Das wären jetzt sieben Spiele, in denen die Gegner kampflos zu Punkten kommen würden. Leider gibt es in einem solchen Fall keine optimale Lösung. Die in der Spielordnung gezogene Grenze vor den letzten fünf Spieltagen versucht, den Einfluss auf den Wettbewerb so gering wie möglich zu halten.

DFB.de: Zum ersten Mal scheidet eine Mannschaft während einer Saison in der 3. Liga aus dem Spielbetrieb aus. Wie konnte es soweit kommen?

Hartmann: Selbstverständlich sind wir selbstkritisch und prüfen, ob Fehler im Rahmen des Zulassungsverfahrens gemacht wurden. Der Sachverhalt im Fall Türkgücü ist allerdings relativ einfach erklärt. Der Klub hat im Rahmen des Zulassungsverfahrens vor der Saison einen Personalaufwand Spielbetrieb von zirka drei Millionen Euro angegeben. Das war eine realistische Größe, die in die Bestätigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eingeflossen ist. Mittlerweile ist der Personalaufwand auf rund fünf Millionen Euro angewachsen. Diese zwei Millionen Euro Differenz sind ziemlich genau die Liquiditätslücke, die dem Klub nun zum Verhängnis geworden ist.

DFB.de: Hätte der DFB da nicht früher eingreifen können oder müssen?

Hartmann: Hier kommt das Zulassungsverfahren an seine Grenzen, da die Klubs natürlich eigenständig Verträge mit Spielern und Trainern abschließen. Wir können nur im Nachgang die Einhaltung der Planwerte überprüfen, diese in künftige Bewertungen einfließen lassen und Fehlverhalten sanktionieren. Das ist konsequent erfolgt.

DFB.de: Was wird im Zulassungsverfahren der 3. Liga geprüft?

Hartmann: Im Zulassungsverfahren wird neben dem technisch-organisatorischen Bereich vor der Saison die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Klubs überprüft. Das vorrangige Kriterium ist dabei die errechnete Liquiditätssituation des Zulassungsbewerbers bis zum Ende der betreffenden Spielzeit. Die Entscheidung über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist unter Auflagen und/oder Bedingungen möglich.

DFB.de: Wann wurde festgestellt, dass es ein gravierendes Problem bei Türkgücü München gibt?

Hartmann: Der Klub konnte die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unter den genannten Kriterien vor der Saison nachweisen, musste dabei Bedingungen erfüllen. Während der Saison wurde dann die beschriebene Liquiditätslücke festgestellt. Aufgefallen ist dies durch die Systematik im Zulassungsverfahren, das unter der Saison für jeden Klub eine weitere Überprüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie der Auflagen vorsieht. Diese Überprüfung erfolgte im November. Gemäß der gültigen Richtlinien im DFB-Statut 3. Liga war es nicht möglich, die Liquiditätssituation zu einem früheren Zeitpunkt erneut zu überprüfen und dahingehend einzugreifen. Die Liquiditätslücken bei Türkgücü waren - ähnlich wie im Vorjahr beim KFC Uerdingen - auf höhere Aufwendungen des Klubs zurückzuführen, die zwischen Juni und Oktober entstanden, insbesondere in der Wechselperiode.

DFB.de: Die Reaktion des DFB darauf?

Hartmann: Nach Feststellung der Liquiditätsunterdeckung wurden Türkgücü München nachträglich weitere Auflagen durch den DFB erteilt. Türkgücü musste innerhalb einer Frist Nachweise zur Schließung der festgestellten Liquiditätslücke vorlegen. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in der laufenden Saison und damit die Finanzierung des Spielbetriebs sollten dadurch wieder sichergestellt werden. Die innerhalb der Saison entstandene Liquiditätslücke konnte jedoch nicht fristgerecht geschlossen werden. Hierfür sprach der DFB statutengemäß den Abzug von zwei Punkten in der laufenden Saison für Türkgücü aus. Hinzu kamen weitere neun Punkte Abzug wegen des Antrags des Klubs auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.

DFB.de: Inwieweit unterscheidet sich der Fall Türkgücü vom KFC Uerdingen, der in der vergangenen Saison einen Insolvenzantrag stellte?

Hartmann: Die Corona-Pandemie hatte nach ihrem Ausbruch im ersten Quartal 2020 schwerwiegende Auswirkungen auf die Planzahlen und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klubs. Diese Auswirkungen machten einen Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch die Bewerber oder eine entsprechende Bestätigung durch den DFB für die folgende Saison 2020/2021 kaum möglich. Wie in der DFL für die Bundesligen wurde auch vom DFB im Zulassungsverfahren zur 3. Liga daher damals keine Prüfung der Liquiditätssituation als maßgebliches Kriterium für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vorgenommen. Hintergrund war, allen Fußballklubs kurzfristig eine Möglichkeit zu eröffnen, die Auswirkungen der Pandemie abzumildern. Dadurch konnten auch keine gesonderte Barreserve oder Bankgarantien für die Saison 2020/2021 von KFC Uerdingen eingefordert werden.

DFB.de: Was ist in dieser Saison anders?

Hartmann: Für die Saison 2021/2022 sind die Erleichterungen im Zulassungsverfahren entfallen und wir sind in der 3. Liga wieder zum gewohnten, vollumfänglichen Verfahren zurückgekehrt. Eineinhalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie war eine andere Planbarkeit gegeben, die Situation war nicht mehr neu, die Klubs konnten sich darauf einstellen. Aufgrund der Rückkehr zum gewohnten Zulassungsverfahren konnten auch die Geschäftstätigkeiten von Türkgücü München sanktioniert werden. Der KFC Uerdingen konnte im Rahmen des Zulassungsverfahrens die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht nachweisen und erhielt folgerichtig keine Zulassung für die aktuell laufende Saison.

DFB.de: Wie lassen sich weitere solcher Fälle ausschließen?

Hartmann: Die Task Force "Wirtschaftliche Stabilität 3. Liga" hat sich dem gesamten Thema intensiv gewidmet und mit dem DFB-Präsidium wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht. Die Eigenkapitalauflage wird deutlich verschärft. Zudem wird das bisherige Financial Fairplay 3. Liga, das derzeit noch als reines Belohnungssystem angelegt ist, modifiziert und fest im Zulassungsverfahren verankert. Beide Beschlüsse greifen ab der Saison 2023/2024 und sollen helfen, die wirtschaftliche Situation der 3. Liga weiter zu stabilisieren. Es ist jedoch keinem Ligaträger möglich, die Geschäftstätigkeiten der Teilnehmer täglich zu kontrollieren.

DFB.de: Das heißt?

Hartmann: Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, das muss jedem klar sein. Verantwortungsvolles Wirtschaften aus eigenem Antrieb bleibt unerlässlich. Die wirtschaftliche Stabilität ist immer eine Kombination aus strenger Überprüfung durch die verpflichtenden Wirtschaftsprüfer und das Zulassungsverfahren des DFB sowie verantwortungsbewusstem Handeln der Klubs. Wir sind auch grundsätzlich der Überzeugung, dass die Klubs und deren Mitglieder kein Interesse daran haben, durch risikovolles Management den Klub in die Gefahr einer Insolvenz zu bringen.

DFB.de: Was steckt hinter den genannten Maßnahmen aus der Task Force?

Hartmann: Durch die Verschärfung der Eigenkapitalauflage wird künftig eine kontinuierliche Verbesserung des Eigenkapitals vorgeschrieben, sofern dieses negativ ist. Darüber hinaus können Auflagenverstöße in diesem Bereich deutlich früher und restriktiver sanktioniert werden, unter anderem durch Punktabzüge. Die Klubs sind hierdurch angehalten, das Eigenkapital als Risikopuffer zu stärken. Das Financial Fairplay 3. Liga, bisher ein reines Belobigungssystem, wird als verbindliche Auflage in das Zulassungsverfahren überführt. Dabei wird die finanzielle Planungsqualität der Klubs auf Basis eines Plan-/Ist-Vergleichs überwacht und darüber hinaus ein "korrigiertes" Finanzergebnis ermittelt. Darin werden nur so genannte relevante Einnahmen und Ausgaben berücksichtigt. Dieses "korrigierte" Finanzergebnis muss positiv ausfallen. Auch hier sind bei Verstößen künftig Sanktionen möglich. Gleichzeitig wird der Belobigungstopf aufgestockt, um verantwortungsvolles Wirtschaften weiter zu stärken.

DFB.de: Türkgücü und Uerdingen sind nicht die ersten Insolvenzfälle in der 3. Liga seit deren Gründung 2008. In der 2. Bundesliga gab es in dieser Zeit keine einzige Insolvenz. Wie ist der Unterschied zu erklären?

Hartmann: Die beiden Lizenzierungs- beziehungsweise Zulassungsverfahren sind nahezu identisch. Das Zulassungsverfahren zur 3. Liga ist derzeit sogar insofern strenger, da der DFB zur Saison 2021/2022 zum vollumfänglichen Verfahren zurückgekehrt ist, während die DFL die pandemisch bedingten Erleichterungen im Lizenzierungsverfahren der Bundesliga und 2. Bundesliga für die Spielzeiten 2021/2022 und 2022/2023 fortgeführt hat. Die grundsätzliche Ausgangslage ist in der 2. Bundesliga natürlich etwas einfacher, da den Klubs deutlich höhere Erlöse, beispielsweise aus den Verträgen der medialen Vermarktung, zur Verfügung stehen. Hinzu kommen zum Teil stärkere Strukturen in den Klubs.

DFB.de: Inwieweit muss der DFB trotzdem das Zulassungsverfahren zur 3. Liga überarbeiten?

Hartmann: Das Zulassungsverfahren wird jedes Jahr überprüft und optimiert, um eine kontinuierliche Weiterentwicklung zu gewährleisten. Wie schon erklärt: Wichtige neue Regelungen, die in der Task Force erarbeitet und vom DFB-Präsidium verabschiedet wurden, greifen in den kommenden beiden Jahren. Dazu zählt wie beschrieben die Verschärfung der Eigenkapitalauflage, aber auch die Reduzierung der Mindestkapazität der Stadien, die bereits zur kommenden Saison in Kraft tritt.

[jb]

Was bedeutet das vorzeitige Ausscheiden von Türkgücü München für die 3. Liga? Wie konnte es soweit kommen? Was sagt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) zu Vorwürfen der Wettbewerbsverzerrung? Inwiefern muss das Zulassungsverfahren überdacht werden? Manuel Hartmann, als Geschäftsführer Spielbetrieb der DFB GmbH & Co. KG zuständig für die 3. Liga, nimmt auf DFB.de Stellung.

DFB.de: Herr Hartmann, wie kommentiert der DFB das Aus für Türkgücü München?

Manuel Hartmann: Das ist ein trauriger Tag für die 3. Liga. Den größten Schaden haben natürlich Türkgücü München und seine betroffenen Mitarbeiter*innen. Gleichzeitig ist es für die gesamte Liga und den Wettbewerb negativ, wenn ein Klub während der Saison ausscheidet. Ziel muss sein, dass dieser Fall in der 3. Liga einmalig bleibt.

DFB.de: Welche Folgen hat das Ausscheiden?

Hartmann: Die sportlichen Folgen sind durch §55a der DFB-Spielordnung geregelt. Weil der Ausstieg vor den letzten fünf Meisterschaftsspielen von Türkgücü erfolgt, werden alle bisher absolvierten Partien des Klubs aus der Wertung genommen. Die Tabelle der 3. Liga wird mit sofortiger Wirkung korrigiert, Türkgücü München steht als erster Absteiger fest.

DFB.de: Warum bleiben die Wertungen nicht bestehen? Wird hier nicht der Wettbewerb verzerrt?

Hartmann: Der Wettbewerb würde ebenfalls verzerrt, wenn alle Spiele, zu denen der Klub nicht mehr antritt, automatisch für die jeweiligen Gegner gewertet werden würden. Das wären jetzt sieben Spiele, in denen die Gegner kampflos zu Punkten kommen würden. Leider gibt es in einem solchen Fall keine optimale Lösung. Die in der Spielordnung gezogene Grenze vor den letzten fünf Spieltagen versucht, den Einfluss auf den Wettbewerb so gering wie möglich zu halten.

DFB.de: Zum ersten Mal scheidet eine Mannschaft während einer Saison in der 3. Liga aus dem Spielbetrieb aus. Wie konnte es soweit kommen?

Hartmann: Selbstverständlich sind wir selbstkritisch und prüfen, ob Fehler im Rahmen des Zulassungsverfahrens gemacht wurden. Der Sachverhalt im Fall Türkgücü ist allerdings relativ einfach erklärt. Der Klub hat im Rahmen des Zulassungsverfahrens vor der Saison einen Personalaufwand Spielbetrieb von zirka drei Millionen Euro angegeben. Das war eine realistische Größe, die in die Bestätigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eingeflossen ist. Mittlerweile ist der Personalaufwand auf rund fünf Millionen Euro angewachsen. Diese zwei Millionen Euro Differenz sind ziemlich genau die Liquiditätslücke, die dem Klub nun zum Verhängnis geworden ist.

DFB.de: Hätte der DFB da nicht früher eingreifen können oder müssen?

Hartmann: Hier kommt das Zulassungsverfahren an seine Grenzen, da die Klubs natürlich eigenständig Verträge mit Spielern und Trainern abschließen. Wir können nur im Nachgang die Einhaltung der Planwerte überprüfen, diese in künftige Bewertungen einfließen lassen und Fehlverhalten sanktionieren. Das ist konsequent erfolgt.

DFB.de: Was wird im Zulassungsverfahren der 3. Liga geprüft?

Hartmann: Im Zulassungsverfahren wird neben dem technisch-organisatorischen Bereich vor der Saison die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Klubs überprüft. Das vorrangige Kriterium ist dabei die errechnete Liquiditätssituation des Zulassungsbewerbers bis zum Ende der betreffenden Spielzeit. Die Entscheidung über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist unter Auflagen und/oder Bedingungen möglich.

DFB.de: Wann wurde festgestellt, dass es ein gravierendes Problem bei Türkgücü München gibt?

Hartmann: Der Klub konnte die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unter den genannten Kriterien vor der Saison nachweisen, musste dabei Bedingungen erfüllen. Während der Saison wurde dann die beschriebene Liquiditätslücke festgestellt. Aufgefallen ist dies durch die Systematik im Zulassungsverfahren, das unter der Saison für jeden Klub eine weitere Überprüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie der Auflagen vorsieht. Diese Überprüfung erfolgte im November. Gemäß der gültigen Richtlinien im DFB-Statut 3. Liga war es nicht möglich, die Liquiditätssituation zu einem früheren Zeitpunkt erneut zu überprüfen und dahingehend einzugreifen. Die Liquiditätslücken bei Türkgücü waren - ähnlich wie im Vorjahr beim KFC Uerdingen - auf höhere Aufwendungen des Klubs zurückzuführen, die zwischen Juni und Oktober entstanden, insbesondere in der Wechselperiode.

DFB.de: Die Reaktion des DFB darauf?

Hartmann: Nach Feststellung der Liquiditätsunterdeckung wurden Türkgücü München nachträglich weitere Auflagen durch den DFB erteilt. Türkgücü musste innerhalb einer Frist Nachweise zur Schließung der festgestellten Liquiditätslücke vorlegen. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in der laufenden Saison und damit die Finanzierung des Spielbetriebs sollten dadurch wieder sichergestellt werden. Die innerhalb der Saison entstandene Liquiditätslücke konnte jedoch nicht fristgerecht geschlossen werden. Hierfür sprach der DFB statutengemäß den Abzug von zwei Punkten in der laufenden Saison für Türkgücü aus. Hinzu kamen weitere neun Punkte Abzug wegen des Antrags des Klubs auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.

DFB.de: Inwieweit unterscheidet sich der Fall Türkgücü vom KFC Uerdingen, der in der vergangenen Saison einen Insolvenzantrag stellte?

Hartmann: Die Corona-Pandemie hatte nach ihrem Ausbruch im ersten Quartal 2020 schwerwiegende Auswirkungen auf die Planzahlen und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klubs. Diese Auswirkungen machten einen Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch die Bewerber oder eine entsprechende Bestätigung durch den DFB für die folgende Saison 2020/2021 kaum möglich. Wie in der DFL für die Bundesligen wurde auch vom DFB im Zulassungsverfahren zur 3. Liga daher damals keine Prüfung der Liquiditätssituation als maßgebliches Kriterium für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vorgenommen. Hintergrund war, allen Fußballklubs kurzfristig eine Möglichkeit zu eröffnen, die Auswirkungen der Pandemie abzumildern. Dadurch konnten auch keine gesonderte Barreserve oder Bankgarantien für die Saison 2020/2021 von KFC Uerdingen eingefordert werden.

DFB.de: Was ist in dieser Saison anders?

Hartmann: Für die Saison 2021/2022 sind die Erleichterungen im Zulassungsverfahren entfallen und wir sind in der 3. Liga wieder zum gewohnten, vollumfänglichen Verfahren zurückgekehrt. Eineinhalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie war eine andere Planbarkeit gegeben, die Situation war nicht mehr neu, die Klubs konnten sich darauf einstellen. Aufgrund der Rückkehr zum gewohnten Zulassungsverfahren konnten auch die Geschäftstätigkeiten von Türkgücü München sanktioniert werden. Der KFC Uerdingen konnte im Rahmen des Zulassungsverfahrens die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht nachweisen und erhielt folgerichtig keine Zulassung für die aktuell laufende Saison.

DFB.de: Wie lassen sich weitere solcher Fälle ausschließen?

Hartmann: Die Task Force "Wirtschaftliche Stabilität 3. Liga" hat sich dem gesamten Thema intensiv gewidmet und mit dem DFB-Präsidium wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht. Die Eigenkapitalauflage wird deutlich verschärft. Zudem wird das bisherige Financial Fairplay 3. Liga, das derzeit noch als reines Belohnungssystem angelegt ist, modifiziert und fest im Zulassungsverfahren verankert. Beide Beschlüsse greifen ab der Saison 2023/2024 und sollen helfen, die wirtschaftliche Situation der 3. Liga weiter zu stabilisieren. Es ist jedoch keinem Ligaträger möglich, die Geschäftstätigkeiten der Teilnehmer täglich zu kontrollieren.

DFB.de: Das heißt?

Hartmann: Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, das muss jedem klar sein. Verantwortungsvolles Wirtschaften aus eigenem Antrieb bleibt unerlässlich. Die wirtschaftliche Stabilität ist immer eine Kombination aus strenger Überprüfung durch die verpflichtenden Wirtschaftsprüfer und das Zulassungsverfahren des DFB sowie verantwortungsbewusstem Handeln der Klubs. Wir sind auch grundsätzlich der Überzeugung, dass die Klubs und deren Mitglieder kein Interesse daran haben, durch risikovolles Management den Klub in die Gefahr einer Insolvenz zu bringen.

DFB.de: Was steckt hinter den genannten Maßnahmen aus der Task Force?

Hartmann: Durch die Verschärfung der Eigenkapitalauflage wird künftig eine kontinuierliche Verbesserung des Eigenkapitals vorgeschrieben, sofern dieses negativ ist. Darüber hinaus können Auflagenverstöße in diesem Bereich deutlich früher und restriktiver sanktioniert werden, unter anderem durch Punktabzüge. Die Klubs sind hierdurch angehalten, das Eigenkapital als Risikopuffer zu stärken. Das Financial Fairplay 3. Liga, bisher ein reines Belobigungssystem, wird als verbindliche Auflage in das Zulassungsverfahren überführt. Dabei wird die finanzielle Planungsqualität der Klubs auf Basis eines Plan-/Ist-Vergleichs überwacht und darüber hinaus ein "korrigiertes" Finanzergebnis ermittelt. Darin werden nur so genannte relevante Einnahmen und Ausgaben berücksichtigt. Dieses "korrigierte" Finanzergebnis muss positiv ausfallen. Auch hier sind bei Verstößen künftig Sanktionen möglich. Gleichzeitig wird der Belobigungstopf aufgestockt, um verantwortungsvolles Wirtschaften weiter zu stärken.

DFB.de: Türkgücü und Uerdingen sind nicht die ersten Insolvenzfälle in der 3. Liga seit deren Gründung 2008. In der 2. Bundesliga gab es in dieser Zeit keine einzige Insolvenz. Wie ist der Unterschied zu erklären?

Hartmann: Die beiden Lizenzierungs- beziehungsweise Zulassungsverfahren sind nahezu identisch. Das Zulassungsverfahren zur 3. Liga ist derzeit sogar insofern strenger, da der DFB zur Saison 2021/2022 zum vollumfänglichen Verfahren zurückgekehrt ist, während die DFL die pandemisch bedingten Erleichterungen im Lizenzierungsverfahren der Bundesliga und 2. Bundesliga für die Spielzeiten 2021/2022 und 2022/2023 fortgeführt hat. Die grundsätzliche Ausgangslage ist in der 2. Bundesliga natürlich etwas einfacher, da den Klubs deutlich höhere Erlöse, beispielsweise aus den Verträgen der medialen Vermarktung, zur Verfügung stehen. Hinzu kommen zum Teil stärkere Strukturen in den Klubs.

DFB.de: Inwieweit muss der DFB trotzdem das Zulassungsverfahren zur 3. Liga überarbeiten?

Hartmann: Das Zulassungsverfahren wird jedes Jahr überprüft und optimiert, um eine kontinuierliche Weiterentwicklung zu gewährleisten. Wie schon erklärt: Wichtige neue Regelungen, die in der Task Force erarbeitet und vom DFB-Präsidium verabschiedet wurden, greifen in den kommenden beiden Jahren. Dazu zählt wie beschrieben die Verschärfung der Eigenkapitalauflage, aber auch die Reduzierung der Mindestkapazität der Stadien, die bereits zur kommenden Saison in Kraft tritt.

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