Grindels Rede zum Holocaust-Gedenktag

Anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktages 2018 hat DFB-Präsident Reinhard Grindel heute im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund in einer Rede an die Opfer des nationalsozialistischen Völkermords erinnert. DFB.de veröffentlicht Grindels Redemanuskript in voller Länge.

Jedes Jahr im Dezember - wenn die Sicherheitslage es zulässt - nimmt unsere U 18-Nationalmannschaft an einem Turnier in Israel teil. Gemeinsam mit Mannschaften aus Serbien, Ungarn oder Japan wird Fußball gespielt, aber die eigentlichen Höhepunkte der Reise finden immer neben dem Platz statt: Gespräche mit Zeitzeugen der Shoah oder ihrer Angehörigen und vor allem der gemeinsame Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.

Unsere Spieler und ihre Kameraden aus den anderen Ländern werden dort nicht nur mit der Unmenschlichkeit der Greueltaten der Nazis konfrontiert, sondern die Mitarbeiter von Yad Vashem verstehen es, sehr eindrucksvoll zu vermitteln, wie Lebensträume gerade auch junger Menschen zerstört wurden. Ich habe erlebt, wie bewegt unsere Spieler nach dem Besuch waren, und zwar Spieler christlichen und muslimischen Glaubens. Jerusalem ist schließlich für sie alle ein besonderer Ort.

Viele denken dann schon einmal darüber nach, welch Glück es ist, als junger Mensch Lebensträume verwirklichen zu können, etwa den, Fußball-Profi zu werden. Und welches Glück es darstellt, in einem Land zu leben, in dem Freiheit herrscht und die Würde des Menschen geachtet wird. Über 200 deutsche Juniorennationalspieler haben in den letzten zehn Jahren bei diesem Turnier gespielt. Sie denken darüber nach, dass das, was ihnen oft so selbstverständlich erscheint, vielleicht doch nicht so selbstverständlich ist. Und, ich wiederhole das ganz bewusst, es sind Spieler christlichen und muslimischen Glaubens, die gemeinsam vereint in unserem Team diese Gedanken und Gefühle teilen.

Der Fußball hat eine große Integrationskraft. Er verbindet Alt und Jung, Reich und Arm, Frauen und Männer, Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte. Daraus erwächst für alle, die im Fußball aktiv sind, die Verantwortung, die Chancen wahrzunehmen, die sich aus dieser Integrationskraft ergeben. Dem Ball ist es egal, wer gegen ihn tritt. Aber Fußball macht nur dann Freude, wenn sich alle an die Regeln halten. Das gilt auf und neben dem Platz.

Und es geht darum, dabei die Prioritäten wieder richtig zu setzen. Wir reden heute so viel über den Videoassistenten. Ich finde wir müssen uns verstärkter mit dem befassen, was wirklich wichtig ist: die Werte des Fußballs überall zu achten und zu leben: Respekt und Toleranz, Fair Play und Teamgeist. Das ist das, was zählt. Darauf kommt es an!

Das klingt selbstverständlich und ist es doch nicht. Spieler und Fans der Maccabi Vereine berichten davon, wie sie bei Begegnungen in den unteren Spielklassen beleidigt und getreten werden. Hinter dem eigenen Stadiontor gibt es mehr Rassismus als wir denken und nicht immer wird mit Null-Toleranz darauf reagiert, auch wenn es positive Beispiele gibt.

Als der AfD-Politiker Gauland seine Demagogie gegen unseren Nationalspieler Jerome Boateng verbreitet hatte, waren es zehntausende, die sich sofort dagegen stellten: klar und deutlich, teilweise mit feiner Ironie, wenn ich an unseren früheren Nationalspieler Gerald Asamoh denke, der postete: "War da was mit Gauland und Boateng? Habe nichts mitbekommen, war den ganzen Tag bei meinen Nachbarn."

Aber: wir müssen uns die Frage gefallen lassen: reagieren wir immer so konsequent, wenn es nicht um die Nationalmannschaft, sondern um ein Spiel in der Kreisliga geht und nicht um einen so prominenten Spieler wie Jerome Boateng? Wir müssen uns vor jeden stellen, der wegen seiner Religion, seiner Herkunft, seiner Ethnie oder seiner sexuellen Orientierung angegriffen wird. Wer gegen die Werte des Fußballs verstößt, dem müssen wir die Rote Karte zeigen!

Genau das geschah nicht, als schon 1933 Vereine des Süddeutschen Fußballverbandes die Entfernung der Juden aus den Sportvereinen beschlossen, darunter der Karlsruher FV, der Heimatverein des Nationalspielers jüdischen Glaubens, Julius Hirsch, dem er seit seinem zehnten Lebensjahr angehörte. Er verstand sofort, was das für ihn bedeutet. Noch am selben Nachmittag schreibt er einen Brief an den KFV und erklärt "bewegten Herzens" seinen Austritt. Seine Erschütterung ist deutlich aus den Zeilen spürbar.



Anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktages 2018 hat DFB-Präsident Reinhard Grindel heute im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund in einer Rede an die Opfer des nationalsozialistischen Völkermords erinnert. DFB.de veröffentlicht Grindels Redemanuskript in voller Länge.

Jedes Jahr im Dezember - wenn die Sicherheitslage es zulässt - nimmt unsere U 18-Nationalmannschaft an einem Turnier in Israel teil. Gemeinsam mit Mannschaften aus Serbien, Ungarn oder Japan wird Fußball gespielt, aber die eigentlichen Höhepunkte der Reise finden immer neben dem Platz statt: Gespräche mit Zeitzeugen der Shoah oder ihrer Angehörigen und vor allem der gemeinsame Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.

Unsere Spieler und ihre Kameraden aus den anderen Ländern werden dort nicht nur mit der Unmenschlichkeit der Greueltaten der Nazis konfrontiert, sondern die Mitarbeiter von Yad Vashem verstehen es, sehr eindrucksvoll zu vermitteln, wie Lebensträume gerade auch junger Menschen zerstört wurden. Ich habe erlebt, wie bewegt unsere Spieler nach dem Besuch waren, und zwar Spieler christlichen und muslimischen Glaubens. Jerusalem ist schließlich für sie alle ein besonderer Ort.

Viele denken dann schon einmal darüber nach, welch Glück es ist, als junger Mensch Lebensträume verwirklichen zu können, etwa den, Fußball-Profi zu werden. Und welches Glück es darstellt, in einem Land zu leben, in dem Freiheit herrscht und die Würde des Menschen geachtet wird. Über 200 deutsche Juniorennationalspieler haben in den letzten zehn Jahren bei diesem Turnier gespielt. Sie denken darüber nach, dass das, was ihnen oft so selbstverständlich erscheint, vielleicht doch nicht so selbstverständlich ist. Und, ich wiederhole das ganz bewusst, es sind Spieler christlichen und muslimischen Glaubens, die gemeinsam vereint in unserem Team diese Gedanken und Gefühle teilen.

Der Fußball hat eine große Integrationskraft. Er verbindet Alt und Jung, Reich und Arm, Frauen und Männer, Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte. Daraus erwächst für alle, die im Fußball aktiv sind, die Verantwortung, die Chancen wahrzunehmen, die sich aus dieser Integrationskraft ergeben. Dem Ball ist es egal, wer gegen ihn tritt. Aber Fußball macht nur dann Freude, wenn sich alle an die Regeln halten. Das gilt auf und neben dem Platz.

Und es geht darum, dabei die Prioritäten wieder richtig zu setzen. Wir reden heute so viel über den Videoassistenten. Ich finde wir müssen uns verstärkter mit dem befassen, was wirklich wichtig ist: die Werte des Fußballs überall zu achten und zu leben: Respekt und Toleranz, Fair Play und Teamgeist. Das ist das, was zählt. Darauf kommt es an!

Das klingt selbstverständlich und ist es doch nicht. Spieler und Fans der Maccabi Vereine berichten davon, wie sie bei Begegnungen in den unteren Spielklassen beleidigt und getreten werden. Hinter dem eigenen Stadiontor gibt es mehr Rassismus als wir denken und nicht immer wird mit Null-Toleranz darauf reagiert, auch wenn es positive Beispiele gibt.

Als der AfD-Politiker Gauland seine Demagogie gegen unseren Nationalspieler Jerome Boateng verbreitet hatte, waren es zehntausende, die sich sofort dagegen stellten: klar und deutlich, teilweise mit feiner Ironie, wenn ich an unseren früheren Nationalspieler Gerald Asamoh denke, der postete: "War da was mit Gauland und Boateng? Habe nichts mitbekommen, war den ganzen Tag bei meinen Nachbarn."

Aber: wir müssen uns die Frage gefallen lassen: reagieren wir immer so konsequent, wenn es nicht um die Nationalmannschaft, sondern um ein Spiel in der Kreisliga geht und nicht um einen so prominenten Spieler wie Jerome Boateng? Wir müssen uns vor jeden stellen, der wegen seiner Religion, seiner Herkunft, seiner Ethnie oder seiner sexuellen Orientierung angegriffen wird. Wer gegen die Werte des Fußballs verstößt, dem müssen wir die Rote Karte zeigen!

Genau das geschah nicht, als schon 1933 Vereine des Süddeutschen Fußballverbandes die Entfernung der Juden aus den Sportvereinen beschlossen, darunter der Karlsruher FV, der Heimatverein des Nationalspielers jüdischen Glaubens, Julius Hirsch, dem er seit seinem zehnten Lebensjahr angehörte. Er verstand sofort, was das für ihn bedeutet. Noch am selben Nachmittag schreibt er einen Brief an den KFV und erklärt "bewegten Herzens" seinen Austritt. Seine Erschütterung ist deutlich aus den Zeilen spürbar.

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Er, der Nationalspieler und Olympiateilnehmer, der zweifache deutsche Meister, Idol einer ganzen Fußballergeneration bis hin zu Sepp Herberger. Er, der angesehene Karlsruher Bürger, Kaufmann, Patriot, Weltkriegssoldat, Ordensträger. Er, der stolze Deutsche, der fest daran glaubte, einer von ihnen zu sein, mit denen er Seite an Seite auf dem Fußballfeld stand und über Tore jubelte, er sollte nicht mehr dazu gehören.

Ähnlich wie Julius Hirsch wurden damals tausende weitere Fußballer jüdischen Glaubens aus ihren Vereinen ausgeschlossen oder zum Vereinsaustritt gezwungen. Erfolge zählten nicht mehr. Die Werte des Fußballs wie Kameradschaft und Zusammenhalt wurden mit Füßen getreten. Der Hass auf die Juden machte nicht halt, auch nicht vor vielen, die sich großartige Verdienste um den deutschen Fußball erworben hatten: wie der Mitbegründer des DFB und des Kicker, Walter Bensemann, der Präsident des FC Bayern München, Kurt Landauer oder eben die beiden Nationalspieler Gottfried Fuchs und Julius Hirsch.

Viele Fußballer jüdischen Glaubens wie Julius Hirsch waren fassungslos. Für sie war der Verein nicht nur eine sportliche, sondern auch eine soziale Heimat. Weder in Karlsruhe noch anderswo rührte sich konzertierter Widerstand. Es gab vereinzelt Menschen, die halfen: Lorenz Huber, der Hirsch unter der Hand Eier und Butter für die Familie zukommen ließ und ihm heimlich die Hintertür zum Stadion aufschloss, weil er seinen KFV immer noch gerne spielen sah.

Der Ausschluss aus den Fußballvereinen war der erste Schritt auf dem langen Weg der Ausgrenzung und Entrechtung der Juden in Deutschland. Der Fußball hatte sein moralisches Rüstzeug in vorauseilendem Gehorsam aufgegeben. Es ist eine traurige Wahrheit: Auch der Fußball hat 1933 versagt, die Vereine, der DFB, sie waren keine Widerstandskämpfer.

Die Geschichte des DFB wird in der Nachkriegszeit durch eine lange Phase des Verdrängens der eigenen NS-Vergangenheit gekennzeichnet. Erst 2001 mit der Studie des Historikers Nils Havemann "Fußball unterm Hakenkreuz" hat eine sorgfältige und engagierte Erinnerungsarbeit über die Rolle des DFB im "Dritten Reich" begonnen.
Die Studie zeigte auf, wie viele Funktionäre des DFB sich nach 1933 für die menschenverachtenden Ziele der Nazis instrumentalisieren ließen. Und es war schnell angesichts dieser Studienergebnisse klar: es muss ein nachhaltiger Moment der Erinnerung geschaffen werden. Dieser Moment ist nun alljährlich die Verleihung des Julius-Hirsch-Preises.

Wir sind der Familie Hirsch dankbar, dass sie so viel Vertrauen in den DFB gesetzt hat, dass wir diesen Preis verleihen dürfen. Angesichts der positiven Entwicklung glaube ich sagen zu können, dass wir mit unseren eindringlichen Veranstaltungen jedes Jahr ein klares Zeichen setzen, gegen Antisemitismus und Rassismus. 85 Jahre nach dem kollektiven Versagen einer ganzen Generation leben wir in einem anderen Land. Und wir stehen für einen anderen Fußball. Einen Fußball, der seine Werte auch lebt. Wir stehen für Vereinsmitglieder, die aktiv in Flüchtlingsunterkünfte gehen und dort junge Menschen einladen, mitzuspielen, die sie auf Behörden begleiten und ihnen helfen, unsere Sprache zu lernen. Sie bieten ihnen eine erste neue Heimat. Mittlerweile haben rund 40.000 Flüchtlinge einen Spielerpass und sind in unseren Vereinen integriert.

Abseits des medialen Scheinwerferlichts der Nationalmannschaft und der Bundesliga sind die Fußballvereine an der Basis zu einem der meist unterschätzten, aber wichtigsten Integrationsorte in unserem Land geworden. Ich bin stolz, dass der DFB heute ein Verband ist, der für Vielfalt steht. Vielfalt ist eine Stärke, wie wir bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien erfahren haben, wo Mats Hummels und Jerome Boateng, Mario Götze und Mesut Özil gemeinsam den Titel errungen haben. Wo unsere Mannschaft gezeigt hat, was man erreichen kann, wenn man zusammenhält, unabhängig von ethnischer Herkunft, Religion oder Hautfarbe.

Trotz der vielfältigen Aktivitäten unserer Vereine sind Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus bis heute nicht aus den Fankurven verschwunden. Bei unserem Länderspiel im September gegen Tschechien, ausgerechnet in Prag also, skandierten Hooligans und Neo-Nazis rassistische und antisemitische Parolen. Weil sie sich direkt neben dem Block mit den deutschen Fans postiert hatten, verzichteten unsere Spieler auf den sonst obligatorischen Gang zur Fankurve. Sie hatten auf dem Platz mitbekommen, was da gerufen wurde, und setzten ein klares Zeichen: mit diesen Leuten wollen wir nichts zu tun haben!

So gelungen diese Aktion war, müssen wir doch ehrlich sein: Der Antisemitismus ist ein gesellschaftliches Problem, der sich gerade auch die Bühne des Fußballs für sein Treiben sucht. Ob wir es wollen oder nicht: die Herausforderungen des Alltags erlauben es nicht, dass der Fußball sich auf die lang geübte Floskel zurückzieht, dass der Sport unpolitisch ist. Im Gegenteil: Er ist nicht unpolitisch und er war es nie. Dazu war seine Popularität zu verführerisch und wird es auch künftig sein. In dieser komplexer werdenden Gemengelage und wachsenden Verantwortung sind es die ureigenen Grundwerte des Fußball selbst, auf die wir uns besinnen müssen, und die unseren Sport in weniger als hundert Jahren zu einer der populärsten Bewegungen weltweit gemacht haben.

Der Fußball ist ein Spiel für alle Menschen: Er steht für Vielfalt, Respekt, Fair Play, Toleranz, Integration und Inklusion. Der DFB hat mehr als sieben Millionen Mitglieder. Jede und jeder von ihnen ist einzigartig. Wir sind verbunden durch den Sport, wir sind uns gegenseitig Mitspieler, Gegenspieler, wir sind uns ganz bestimmt gute Nachbarn, wir teilen Leidenschaften und uns verbinden Freundschaften.

Und doch können wir den Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus nicht allein gewinnen. Aber der Fußball muss dort wachsam sein, wo er in unseren Reihen und auf unseren Rängen auftritt. Hier sind wir gefordert, Haltung zu zeigen, wenn gegen die Werte des Fußballs verstoßen wird und ein klares "Nie wieder" zu sagen. Auf diese Weise können wir einen Beitrag für eine offene und vielfältige Gesellschaft leisten. Dies ist das Vermächtnis, dem wir in Gedenken an Julius Hirsch und allen Opfern des Holocaust nicht nur am Gedenktag, sondern im Alltag unserer Vereine verpflichtet sind.

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