Bewegende "Juller"-Aufführung im Deutschen Fußballmuseum

Mehrere Tage lang zimmerten und bastelten die Techniker im Deutschen Fußballmuseum - dann war sie fertig, die Bühne für ein bewegendes Theaterstück. Vorhang auf für "Juller". Das Auftragswerk von Autor Jörg Menke-Peitzmeyer, das auf Anregung und Förderung der DFB-Kulturstiftung am Theater der Jungen Welt Leipzig unter der Regie von Jürgen Zielinski entstanden ist, feierte am Mittwoch vor der vollbesetzten Tribüne in der Multifunktionsarena des Ausstellungshauses in Dortmund eine beeindruckende Gastspielpremiere.

Bei "Juller" handelt es sich um die Hauptfigur, die während der packenden Aufführung häufig im Rampenlicht steht. So wie der echte "Juller", im wahren Leben, als junger Mann. Denn Julius Hirsch, genannt "Juller", war ein großartiger Fußballspieler, ein besonders erfolgreicher zudem. Fußballanhänger im ganzen Land bewunderten seine Spielkunst. Eine leicht gebückte Körperhaltung bei seinen raffinierten Dribblings war sein Markenzeichen. Hirsch, einer der besten deutschen Stürmer seiner Zeit, wurde 1910 mit dem Karlsruher FV und mit der Spielvereinigung Fürth 1914 Deutscher Meister. Dabei avancierte er wegen seiner herausragenden Leistungen zum Nationalspieler und kam so sieben Mal für sein Land zum Einsatz, für das er auch in den Ersten Weltkrieg zog. Wegen seines Mutes beim Dienst an der Waffe bekam er das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen. Julius Hirsch, Kaufmann, Kriegsheld, Familienvater und ein deutscher Nationalspieler jüdischen Glaubens, wurde im Jahr 1943 im KZ Auschwitz von den Nazis ermordet.

Diese Lebensgeschichte vom bewunderten Sportidol zum entrechteten und gedemütigten Opfer des Holocaust wird in einer der ersten Szenen des Stücks erzählt. Von Juller selbst und seinen beiden langjährigen Weggefährten Gottfried Fuchs und Fritz "Frieder" Förderer. Einst bildeten die drei den legendären Innensturm des Karlsruher FV, nun begegnen sie sich im Paradies wieder. "Frieder, Du hier und nicht in der Hölle? Verdient hättest Du es ja." Ein Hinweis darauf, wie unterschiedlich sich die Biografien nach der gemeinsamen Fußballzeit entwickelten, insbesondere nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933.

Zielinski: "Schwere des Themas mit Leichtigkeit nähern"

Während Förderer sich mit dem Regime arrangiert und Karriere macht, gelingt Fuchs - jüdischen Glaubens wie Hirsch - im Gegensatz zu seinem Freund rechtzeitig die Flucht. Er überlebt im kanadischen Exil. "Was kann ich dafür, dass ich kein Jude war", rechtfertigt Frieder seinen Werdegang. Die Debatte der früheren Mannschaftskameraden hat durchaus komische Momente. "Das ist auch so gewollt", sagt Regisseur Zielinski. "Wir möchten uns der Schwere des Themas mit einer gewissen Leichtigkeit nähern. Auf diese Weise gelingt es uns auch zu zeigen, dass bei den Verfolgten und Ausgegrenzten durchaus auch noch Hoffnung auf Besserung ihrer Lage bestand."

Die Lage wird immer bedrohlicher: Juller, seit 1902 Vereinsmitglied beim KFV, wird nur einen Monat nach der Machtergreifung der Nazis aus seinem Verein ausgeschlossen. Einem Beschluss der süddeutschen Spitzenvereine zufolge, seien Juden "nicht mehr tragbar". Für Hirsch folgen die traumatischen Erlebnisse der Reichspogromnacht, ein Selbstmordversuch, der Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik, die Scheidung von seiner protestantischen Frau, schweren Herzens vollzogen zum Schutz seiner beiden Kinder vor Verfolgung. Und kurz vor seinem Ende stellt der entwürdigte Fußballheld in der Kleidung des Zwangsarbeiters fest: "Blau-grau gestreift, mein letztes Trikot."

Philipp Oehme als Julius Hirsch

Philipp Oehme zeigt in der Figur des Juller eine grandiose Vorstellung. "Für einen Schauspieler bedeutet es natürlich großen Spaß, dieses Panoptikum an verschiedensten Gefühlen und Lebenslagen darzustellen." Seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter in dem Fünf-Personen-Stück – Sven Reese als Gottfried Fuchs, Martin Klemm als Fritz Förderer, Sonia Abril Romero als Jullers Ehefrau Ella und die herausragende Laura Hempel als Musikerin – stehen ihm in nichts nach. Immer wieder schlüpfen sie auch in kleinere Nebenrollen, etwa als Kellner und Chansonette oder Arzt und Krankenschwester. Gemeinsam gelingt ihnen, was Regisseur Zielinski besonders wichtig ist: "Das Publikum zu emotionalisieren und bei der Auseinandersetzung mit dem schwierigen Thema zu flankieren."

Für Manuel Neukirchner, als Museumsdirektor Gastgeber dieses außergewöhnlichen Theaterabends, ist es besonders wichtig, im Rahmen von solchen Events über die Dauerausstellung hinaus über den Tellerrand des Fußballgeschehens zu blicken. "Wir erreichen noch einmal ein anderes Publikum als im klassischen Theatersaal, um gerade auch jüngere Menschen für dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte zu sensibilisieren." Eine Intention, die auch Olliver Tietz, Geschäftsführer der DFB-Kulturstiftung, vor drei Jahren dazu bewegte, die Idee des Stücks an Intendant Zielinski heranzutragen: "Wie auch der vom DFB seit 2005 vergebene Julius Hirsch Preis fordert das Stück mit seinem biografischen Ansatz dazu heraus, auch über sehr gegenwärtige Erfahrungen von Ausgrenzung, Abwertung und Diskriminierung nachzudenken." Die gemeinsam von der DFB-Kulturstiftung, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Stiftung EVZ unterstütze Gastspielreise führt das Stück 2018 in weitere Städte, u. a. nach Karlsruhe, Wolfsburg, Berlin und Dresden. Die nächste Aufführung findet bereits am 13. Oktober, 19:30 Uhr, im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen statt.

Der Abbau der Bühne im Deutschen Fußballmuseum war innerhalb weniger Stunden schnell erledigt. Was bleibt, ist die Aufgabe an uns alle, die Erinnerung an eine Zeit wachzuhalten, die sich niemals wiederholen darf.

[th]

Mehrere Tage lang zimmerten und bastelten die Techniker im Deutschen Fußballmuseum - dann war sie fertig, die Bühne für ein bewegendes Theaterstück. Vorhang auf für "Juller". Das Auftragswerk von Autor Jörg Menke-Peitzmeyer, das auf Anregung und Förderung der DFB-Kulturstiftung am Theater der Jungen Welt Leipzig unter der Regie von Jürgen Zielinski entstanden ist, feierte am Mittwoch vor der vollbesetzten Tribüne in der Multifunktionsarena des Ausstellungshauses in Dortmund eine beeindruckende Gastspielpremiere.

Bei "Juller" handelt es sich um die Hauptfigur, die während der packenden Aufführung häufig im Rampenlicht steht. So wie der echte "Juller", im wahren Leben, als junger Mann. Denn Julius Hirsch, genannt "Juller", war ein großartiger Fußballspieler, ein besonders erfolgreicher zudem. Fußballanhänger im ganzen Land bewunderten seine Spielkunst. Eine leicht gebückte Körperhaltung bei seinen raffinierten Dribblings war sein Markenzeichen. Hirsch, einer der besten deutschen Stürmer seiner Zeit, wurde 1910 mit dem Karlsruher FV und mit der Spielvereinigung Fürth 1914 Deutscher Meister. Dabei avancierte er wegen seiner herausragenden Leistungen zum Nationalspieler und kam so sieben Mal für sein Land zum Einsatz, für das er auch in den Ersten Weltkrieg zog. Wegen seines Mutes beim Dienst an der Waffe bekam er das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen. Julius Hirsch, Kaufmann, Kriegsheld, Familienvater und ein deutscher Nationalspieler jüdischen Glaubens, wurde im Jahr 1943 im KZ Auschwitz von den Nazis ermordet.

Diese Lebensgeschichte vom bewunderten Sportidol zum entrechteten und gedemütigten Opfer des Holocaust wird in einer der ersten Szenen des Stücks erzählt. Von Juller selbst und seinen beiden langjährigen Weggefährten Gottfried Fuchs und Fritz "Frieder" Förderer. Einst bildeten die drei den legendären Innensturm des Karlsruher FV, nun begegnen sie sich im Paradies wieder. "Frieder, Du hier und nicht in der Hölle? Verdient hättest Du es ja." Ein Hinweis darauf, wie unterschiedlich sich die Biografien nach der gemeinsamen Fußballzeit entwickelten, insbesondere nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933.

Zielinski: "Schwere des Themas mit Leichtigkeit nähern"

Während Förderer sich mit dem Regime arrangiert und Karriere macht, gelingt Fuchs - jüdischen Glaubens wie Hirsch - im Gegensatz zu seinem Freund rechtzeitig die Flucht. Er überlebt im kanadischen Exil. "Was kann ich dafür, dass ich kein Jude war", rechtfertigt Frieder seinen Werdegang. Die Debatte der früheren Mannschaftskameraden hat durchaus komische Momente. "Das ist auch so gewollt", sagt Regisseur Zielinski. "Wir möchten uns der Schwere des Themas mit einer gewissen Leichtigkeit nähern. Auf diese Weise gelingt es uns auch zu zeigen, dass bei den Verfolgten und Ausgegrenzten durchaus auch noch Hoffnung auf Besserung ihrer Lage bestand."

Die Lage wird immer bedrohlicher: Juller, seit 1902 Vereinsmitglied beim KFV, wird nur einen Monat nach der Machtergreifung der Nazis aus seinem Verein ausgeschlossen. Einem Beschluss der süddeutschen Spitzenvereine zufolge, seien Juden "nicht mehr tragbar". Für Hirsch folgen die traumatischen Erlebnisse der Reichspogromnacht, ein Selbstmordversuch, der Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik, die Scheidung von seiner protestantischen Frau, schweren Herzens vollzogen zum Schutz seiner beiden Kinder vor Verfolgung. Und kurz vor seinem Ende stellt der entwürdigte Fußballheld in der Kleidung des Zwangsarbeiters fest: "Blau-grau gestreift, mein letztes Trikot."

Philipp Oehme als Julius Hirsch

Philipp Oehme zeigt in der Figur des Juller eine grandiose Vorstellung. "Für einen Schauspieler bedeutet es natürlich großen Spaß, dieses Panoptikum an verschiedensten Gefühlen und Lebenslagen darzustellen." Seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter in dem Fünf-Personen-Stück – Sven Reese als Gottfried Fuchs, Martin Klemm als Fritz Förderer, Sonia Abril Romero als Jullers Ehefrau Ella und die herausragende Laura Hempel als Musikerin – stehen ihm in nichts nach. Immer wieder schlüpfen sie auch in kleinere Nebenrollen, etwa als Kellner und Chansonette oder Arzt und Krankenschwester. Gemeinsam gelingt ihnen, was Regisseur Zielinski besonders wichtig ist: "Das Publikum zu emotionalisieren und bei der Auseinandersetzung mit dem schwierigen Thema zu flankieren."

Für Manuel Neukirchner, als Museumsdirektor Gastgeber dieses außergewöhnlichen Theaterabends, ist es besonders wichtig, im Rahmen von solchen Events über die Dauerausstellung hinaus über den Tellerrand des Fußballgeschehens zu blicken. "Wir erreichen noch einmal ein anderes Publikum als im klassischen Theatersaal, um gerade auch jüngere Menschen für dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte zu sensibilisieren." Eine Intention, die auch Olliver Tietz, Geschäftsführer der DFB-Kulturstiftung, vor drei Jahren dazu bewegte, die Idee des Stücks an Intendant Zielinski heranzutragen: "Wie auch der vom DFB seit 2005 vergebene Julius Hirsch Preis fordert das Stück mit seinem biografischen Ansatz dazu heraus, auch über sehr gegenwärtige Erfahrungen von Ausgrenzung, Abwertung und Diskriminierung nachzudenken." Die gemeinsam von der DFB-Kulturstiftung, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Stiftung EVZ unterstütze Gastspielreise führt das Stück 2018 in weitere Städte, u. a. nach Karlsruhe, Wolfsburg, Berlin und Dresden. Die nächste Aufführung findet bereits am 13. Oktober, 19:30 Uhr, im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen statt.

Der Abbau der Bühne im Deutschen Fußballmuseum war innerhalb weniger Stunden schnell erledigt. Was bleibt, ist die Aufgabe an uns alle, die Erinnerung an eine Zeit wachzuhalten, die sich niemals wiederholen darf.

###more###