SF Hamborn 07: Beim ersten Livespiel der TV-Geschichte dabei

Am 1. September 1935 feierte der deutsche Pokalwettbewerb Premiere. 63 Teams nahmen an der ersten Runde des damals so genannten Tschammer-Pokals teil. In einer Serie stellt DFB.de außergewöhnliche Klubs vor, die als Pioniere an den Start gingen. Heute: die Sportfreunde 1907 Hamborn.

Als der Startschuss im deutschen Pokal fiel, da waren sie mit von der Partie – die Sportfreunde 1907 Hamborn. Am 1. September 1935 empfing der Duisburger Stadtteilklub die Spielvereinigung Herten und ging als Favorit ins Spiel. Doch gleich zur Premiere bewies der Pokal, nicht nur in dieser Begegnung, dass er seine eigenen Gesetze hat. Die Gäste gewannen vor 3000 Zuschauern 2:1, und Hamborns Pokalträume, wie schillernd sie auch gewesen sein mögen, waren nach 90 Minuten bereits ausgeträumt. Danach zog man bis Kriegsende noch zweimal das große Los, kam aber weder gegen den HSV (1939/1:3) noch gegen Schalke 04 (1942/0:2) weiter – was keinen verwunderte. Gegen den HSV kamen nur 4000 Zuschauer, gegen Schalke dagegen meldete der Kassierer ausverkauft (15.000).

Die vierte und letzte Teilnahme am Pokal unter dem Gründernamen SV 1907 war indes erfolgreicher und bleibt Experten unvergessen, war der Klub doch dabei, als Fußballgeschichte geschrieben wurde. Nach einem Sieg gegen Göttingen 05 war Hamborn in der 2. Runde der Saison 1952/1953 auf den FC St. Pauli getroffen und hatte dem klassenhöheren Nord-Oberligisten am 9. November 1952 ein 1:1 abgetrotzt, so dass es ein Wiederholungsspiel am Millerntor geben musste. Und das schrieb Fernsehgeschichte.

NWDR überträgt Wiederholungsspiel vom Millerntor

Das ursprünglich für den 19. November 1952 terminierte Wiederholungsspiel im erstmals seit Kriegsende ausgetragenen DFB-Pokal wurde auserwählt, das noch völlig unbekannte Medium Fernsehen in Deutschland populär zu machen. Erst am Vortag des 2. Weihnachtsfeiertag 1952 wurde in der Bundesrepublik Deutschland der regelmäßige Sendebetrieb eingeführt. Es gab nur einen Sender, den NWDR (Nordwestdeutscher Rundfunk), das Programm lief in den Abendstunden - von 20 bis 22 Uhr. Für das Spiel wurde aber gleich eine Ausnahme gemacht, in Zeiten fehlender Flutlichtanlagen wurde stets nachmittags gespielt.

Warum nun aber ausgerechnet dieses Spiel? Der NWDR hatte drei Sendeanstalten: in Berlin, Köln und Hamburg. Das Hamburger Studio residierte direkt neben dem Millerntor-Stadion in einem imposanten Bunker, der im Krieg errichtet worden war und als Flakturm diente. 1950 sendete der NWDR von hier aus sein erstes Testbild, im September 1952 wurde ein 36 Meter hoher Sendemast installiert, um Übertragungen zu ermöglichen.

"Außenübertragung stellt Herausforderung dar"

"Längst nicht alles, was die Sportfunker wollten, konnte mit der vielfach noch unzulänglichen, wenig ausgereiften und überdies sehr störungsanfälligen Fernsehtechnik auch umgesetzt werden. Eine besondere technische wie organisatorische Herausforderung stellten dabei Außenübertragungen dar. Sie erforderten ausführliche Vorbereitungen und ein nicht unerhebliches Maß an Improvisation. Wie schon im Hörfunk unmittelbar nach dem Krieg, erwies sich auch beim frühen NWDR-Fernsehen die räumliche Nähe zwischen Sportstätten und Rundfunk-Produktionsstätten als Vorteil", schrieb der Gießener Medienwissenschaftler Christoph Hilgert 2005 im am Hamburger Hans-Bredow-Institut für Medienforschung erschienen Buch "Die Geschichte des NWDR".

Die räumliche Nähe bot sich also an. Zuschauer im Kölner Raum hätten übrigens ein anderes Spiel sehen sollen, eigentlich war eine doppelte Premiere geplant. Aber das Testspiel zwischen dem 1. FC Köln und Roter Stern Belgrad fiel den Witterungsbedingungen zum Opfer. So also gingen die 90 Minuten von St. Pauli, die nur im Hamburger und Berliner Senderaum zu sehen waren, als Fußball-TV-Premiere in die Geschichte ein.

2753 Haushalte mit TV-Geräten ausgestattet

Es war freilich noch eine äußerst kleine Öffentlichkeit, die in den Genuss der Premiere kam; bei einer Zählung am 1. Juli 1953 besaßen erst 2753 Haushalte in der BRD Fernsehgeräte. Im kicker vom 29. Dezember 1952 wurde die Übertragung gar nicht erwähnt.

So ist anzunehmen, dass an Weihnachten 1952 mehr Zuschauer im Stadion (6000) waren als vor den Fernsehgeräten. Schließlich spielten ja nicht gerade die populärsten Klubs des Landes. In Hamborn allerdings, erinnerte sich der 1952 gerade 16-jährige Kurt Weithauer Ende 2012, standen rund hundert Menschen auf der Straße vor einem Radiogeschäft, wo der Fernseher lief. "Immer, wenn die Straßenbahn Richtung Dinslaken kam, musste die ganze Meute nach vorn rücken, damit die überhaupt durchkam."

Weithauer: "Wir waren alle sehr stolz"

Immerhin brachte die erste Übertragung eine kleine Sensation: Hamborn 07 gewann beim höherklassigen Gegner mit 4:3 und das Hamburger Abendblatt klagte: "St. Pauli nur noch ein Schatten." Weithauer dagegen wusste 60 Jahre später noch zu berichten: "Wir waren alle sehr stolz."

Das erste Tor, das je im deutschen Fernsehen zu sehen war, schoss der an diesem Tag überragende Helmut Sadlowski (1958 Deutscher Meister mit Schalke) schon nach sieben Minuten. Auf Bollers prompten Ausgleich ließ er das 1:2 (35.) folgen, womit es in die Kabinen ging. Pluswick erhöhte auf 1:3 (69.), Bollers zweites Tor per Elfmeter (80.) machte es wieder spannend und als Hans "Coppy" Beck ausglich (84.), schien die erste Live-Übertragung gleich Überlänge zu haben. Doch zwei Minuten vor Schluss erhielt auch Hamborn einen Handelfmeter, den Sadlowski im Nachschuss zum 3:4-Endstand verwandelte.

Überraschung zur Premiere

So erlebte die auserlesene Schar an den Bildschirmen gleich zur Premiere eine Überraschung bei einem Fußballspiel. Zum Leidwesen der Teilnehmer an dem bedeutsamen Spiel ist die Aufzeichnung verschollen. Nicht nur Hamborns Verteidiger Erwin Frohberg, damals 19 und am Millerntor im Einsatz, hätte das "wirklich gern mal als Video gehabt", wie er der Welt 2012 erzählte.

In der nächsten Runde war dann auch für Hamborn alles vorbei, Alemannia Aachen war eine Nummer zu groß und gewann am Tivoli gegen den zweitklassigen Gast 3:1. Die nächsten Pokalspiele – ab 1961 – machte man, fusionsbedingt, schon unter dem Namen Sportfreunde 07 Hamborn.

St. Pauli nimmt später Revanche

Am 19. Januar 1997 kam es übrigens zur Neuauflage des Spiels – in Hamborn. Auf Initiative des mit einem speziellen Humor gesegneten Polit-Moderators Friedrich Küppersbusch, der dem damaligen Landesligisten bereits eine 40teilige Reportagereihe (in Fünf-Minuten-Clips) im WDR ("Löwen-Report") gewidmet hatte, kam Bundesligist FC St. Pauli nach Hamborn und der WDR übertrug das Freundschaftsspiel live. Küppersbusch: "Das war damals ein Politikum." Denn parallel lief die Qualifikation zum DFB-Hallen-Masters im Privatfernsehen.

Die Hamburger nahmen nach 45 Jahren Revanche und gewannen 7:2, aber der heutige Oberligist (Niederrhein-Staffel) Hamborn freute sich über neue Publicity. Unter den Zuschauern waren Mario Adorf und "Mutter Beimer" aus der "Lindenstraße", auch ARD-Intendant Fritz Pleitgen und der Bundesliga-Trainer Horst Heese (als Co-Kommentator) gaben sich die Ehre. Aus Liebe zum ursprünglichen Fußball.

"Hamborn 07", erklärt Sporthistoriker Ralf Piorr, "spiegelt sehr schön die Geschichte des Ruhrgebiets wider: Es geht auf und ab." Und manchmal ist man sogar dabei, wenn Geschichte gemacht wird.

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Am 1. September 1935 feierte der deutsche Pokalwettbewerb Premiere. 63 Teams nahmen an der ersten Runde des damals so genannten Tschammer-Pokals teil. In einer Serie stellt DFB.de außergewöhnliche Klubs vor, die als Pioniere an den Start gingen. Heute: die Sportfreunde 1907 Hamborn.

Als der Startschuss im deutschen Pokal fiel, da waren sie mit von der Partie – die Sportfreunde 1907 Hamborn. Am 1. September 1935 empfing der Duisburger Stadtteilklub die Spielvereinigung Herten und ging als Favorit ins Spiel. Doch gleich zur Premiere bewies der Pokal, nicht nur in dieser Begegnung, dass er seine eigenen Gesetze hat. Die Gäste gewannen vor 3000 Zuschauern 2:1, und Hamborns Pokalträume, wie schillernd sie auch gewesen sein mögen, waren nach 90 Minuten bereits ausgeträumt. Danach zog man bis Kriegsende noch zweimal das große Los, kam aber weder gegen den HSV (1939/1:3) noch gegen Schalke 04 (1942/0:2) weiter – was keinen verwunderte. Gegen den HSV kamen nur 4000 Zuschauer, gegen Schalke dagegen meldete der Kassierer ausverkauft (15.000).

Die vierte und letzte Teilnahme am Pokal unter dem Gründernamen SV 1907 war indes erfolgreicher und bleibt Experten unvergessen, war der Klub doch dabei, als Fußballgeschichte geschrieben wurde. Nach einem Sieg gegen Göttingen 05 war Hamborn in der 2. Runde der Saison 1952/1953 auf den FC St. Pauli getroffen und hatte dem klassenhöheren Nord-Oberligisten am 9. November 1952 ein 1:1 abgetrotzt, so dass es ein Wiederholungsspiel am Millerntor geben musste. Und das schrieb Fernsehgeschichte.

NWDR überträgt Wiederholungsspiel vom Millerntor

Das ursprünglich für den 19. November 1952 terminierte Wiederholungsspiel im erstmals seit Kriegsende ausgetragenen DFB-Pokal wurde auserwählt, das noch völlig unbekannte Medium Fernsehen in Deutschland populär zu machen. Erst am Vortag des 2. Weihnachtsfeiertag 1952 wurde in der Bundesrepublik Deutschland der regelmäßige Sendebetrieb eingeführt. Es gab nur einen Sender, den NWDR (Nordwestdeutscher Rundfunk), das Programm lief in den Abendstunden - von 20 bis 22 Uhr. Für das Spiel wurde aber gleich eine Ausnahme gemacht, in Zeiten fehlender Flutlichtanlagen wurde stets nachmittags gespielt.

Warum nun aber ausgerechnet dieses Spiel? Der NWDR hatte drei Sendeanstalten: in Berlin, Köln und Hamburg. Das Hamburger Studio residierte direkt neben dem Millerntor-Stadion in einem imposanten Bunker, der im Krieg errichtet worden war und als Flakturm diente. 1950 sendete der NWDR von hier aus sein erstes Testbild, im September 1952 wurde ein 36 Meter hoher Sendemast installiert, um Übertragungen zu ermöglichen.

"Außenübertragung stellt Herausforderung dar"

"Längst nicht alles, was die Sportfunker wollten, konnte mit der vielfach noch unzulänglichen, wenig ausgereiften und überdies sehr störungsanfälligen Fernsehtechnik auch umgesetzt werden. Eine besondere technische wie organisatorische Herausforderung stellten dabei Außenübertragungen dar. Sie erforderten ausführliche Vorbereitungen und ein nicht unerhebliches Maß an Improvisation. Wie schon im Hörfunk unmittelbar nach dem Krieg, erwies sich auch beim frühen NWDR-Fernsehen die räumliche Nähe zwischen Sportstätten und Rundfunk-Produktionsstätten als Vorteil", schrieb der Gießener Medienwissenschaftler Christoph Hilgert 2005 im am Hamburger Hans-Bredow-Institut für Medienforschung erschienen Buch "Die Geschichte des NWDR".

Die räumliche Nähe bot sich also an. Zuschauer im Kölner Raum hätten übrigens ein anderes Spiel sehen sollen, eigentlich war eine doppelte Premiere geplant. Aber das Testspiel zwischen dem 1. FC Köln und Roter Stern Belgrad fiel den Witterungsbedingungen zum Opfer. So also gingen die 90 Minuten von St. Pauli, die nur im Hamburger und Berliner Senderaum zu sehen waren, als Fußball-TV-Premiere in die Geschichte ein.

2753 Haushalte mit TV-Geräten ausgestattet

Es war freilich noch eine äußerst kleine Öffentlichkeit, die in den Genuss der Premiere kam; bei einer Zählung am 1. Juli 1953 besaßen erst 2753 Haushalte in der BRD Fernsehgeräte. Im kicker vom 29. Dezember 1952 wurde die Übertragung gar nicht erwähnt.

So ist anzunehmen, dass an Weihnachten 1952 mehr Zuschauer im Stadion (6000) waren als vor den Fernsehgeräten. Schließlich spielten ja nicht gerade die populärsten Klubs des Landes. In Hamborn allerdings, erinnerte sich der 1952 gerade 16-jährige Kurt Weithauer Ende 2012, standen rund hundert Menschen auf der Straße vor einem Radiogeschäft, wo der Fernseher lief. "Immer, wenn die Straßenbahn Richtung Dinslaken kam, musste die ganze Meute nach vorn rücken, damit die überhaupt durchkam."

Weithauer: "Wir waren alle sehr stolz"

Immerhin brachte die erste Übertragung eine kleine Sensation: Hamborn 07 gewann beim höherklassigen Gegner mit 4:3 und das Hamburger Abendblatt klagte: "St. Pauli nur noch ein Schatten." Weithauer dagegen wusste 60 Jahre später noch zu berichten: "Wir waren alle sehr stolz."

Das erste Tor, das je im deutschen Fernsehen zu sehen war, schoss der an diesem Tag überragende Helmut Sadlowski (1958 Deutscher Meister mit Schalke) schon nach sieben Minuten. Auf Bollers prompten Ausgleich ließ er das 1:2 (35.) folgen, womit es in die Kabinen ging. Pluswick erhöhte auf 1:3 (69.), Bollers zweites Tor per Elfmeter (80.) machte es wieder spannend und als Hans "Coppy" Beck ausglich (84.), schien die erste Live-Übertragung gleich Überlänge zu haben. Doch zwei Minuten vor Schluss erhielt auch Hamborn einen Handelfmeter, den Sadlowski im Nachschuss zum 3:4-Endstand verwandelte.

Überraschung zur Premiere

So erlebte die auserlesene Schar an den Bildschirmen gleich zur Premiere eine Überraschung bei einem Fußballspiel. Zum Leidwesen der Teilnehmer an dem bedeutsamen Spiel ist die Aufzeichnung verschollen. Nicht nur Hamborns Verteidiger Erwin Frohberg, damals 19 und am Millerntor im Einsatz, hätte das "wirklich gern mal als Video gehabt", wie er der Welt 2012 erzählte.

In der nächsten Runde war dann auch für Hamborn alles vorbei, Alemannia Aachen war eine Nummer zu groß und gewann am Tivoli gegen den zweitklassigen Gast 3:1. Die nächsten Pokalspiele – ab 1961 – machte man, fusionsbedingt, schon unter dem Namen Sportfreunde 07 Hamborn.

St. Pauli nimmt später Revanche

Am 19. Januar 1997 kam es übrigens zur Neuauflage des Spiels – in Hamborn. Auf Initiative des mit einem speziellen Humor gesegneten Polit-Moderators Friedrich Küppersbusch, der dem damaligen Landesligisten bereits eine 40teilige Reportagereihe (in Fünf-Minuten-Clips) im WDR ("Löwen-Report") gewidmet hatte, kam Bundesligist FC St. Pauli nach Hamborn und der WDR übertrug das Freundschaftsspiel live. Küppersbusch: "Das war damals ein Politikum." Denn parallel lief die Qualifikation zum DFB-Hallen-Masters im Privatfernsehen.

Die Hamburger nahmen nach 45 Jahren Revanche und gewannen 7:2, aber der heutige Oberligist (Niederrhein-Staffel) Hamborn freute sich über neue Publicity. Unter den Zuschauern waren Mario Adorf und "Mutter Beimer" aus der "Lindenstraße", auch ARD-Intendant Fritz Pleitgen und der Bundesliga-Trainer Horst Heese (als Co-Kommentator) gaben sich die Ehre. Aus Liebe zum ursprünglichen Fußball.

"Hamborn 07", erklärt Sporthistoriker Ralf Piorr, "spiegelt sehr schön die Geschichte des Ruhrgebiets wider: Es geht auf und ab." Und manchmal ist man sogar dabei, wenn Geschichte gemacht wird.

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