"Erfolgsgeschichte": Die deutsch-israelische Fußballfreundschaft

Wenn heute Abend um 18 Uhr im HaMoshava Stadion angestoßen wird, trifft erstmals die deutsche Frauen-Nationalmannschaft auf Israels Frauenteam. Die DFB-Auswahl will im dritten Gruppenspiel den dritten Sieg einfahren – und ist sich dabei der sportpolitischen Bedeutung der Begegnung bewusst.

Martina Voss-Tecklenburg, begleitet von einigen Spielerinnen, wird am Freitag die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besuchen. "Für uns als Deutsche ist es ein besonderer Ort. Mit dem Holocaust in Verbindung zu kommen, Dinge zu erleben, die wir vor allem aus Geschichtsbüchern und Filmen kennen: Das macht dich nochmal wacher und sensibler", sagt die Bundestrainerin. Erst am Samstag reist man zurück, um so genügend Zeit für Begegnungen zu haben.

Das Spiel heute Abend wird also ein neues Kapitel schreiben. Der Anfang dieser langen, erst vorsichtigen, bald sehr herzlichen Annäherung datiert indes lange zurück. 2008 begann der DFB, jedes Jahr im Dezember die U 18-Junioren auf eine Reise nach Israel zu schicken. Besonderer Anlass damals war das 60-jährige Staatsjubiläum Israels. Seitdem trifft man sich in Israel zum Fußballspielen und dem gemeinsamen Besuch in Yad Vashem. Matthias Ginter etwa und Antonio Rüdiger hatten in ihrer Juniorenzeit die Reise mitgemacht. Bereits 1987 hatte in Tel Aviv das erste Länderspiel der Männer beider Länder stattgefunden. Doch auch Tel Aviv 1987 war nicht der Anfang der deutsch-israelischen Fußballfreundschaft. Der liegt noch viel weiter zurück.

"Wie einen Anfang finden?"

Nach Nürnberger Gesetzen, Warschauer Ghetto, nach Dachau und Auschwitz – wie wollten Deutsche und Israelis wieder gemeinsam Fußball spielen? Es braucht Vertrauen, um offen miteinander auf einen freien Platz zu gehen. Leichtigkeit und Lebensfreude, um in kurzen Hosen einem Ball hinterherzurennen. Israel und Deutschland und der Fußball? Wie sollte das gehen? Wie einen Anfang finden?

Es waren dann israelische Fußballer, Holocaustüberlebende, die ihre Fußballleidenschaft 1958 in die Trainerausbildung an die Sporthochschule nach Köln führte. Emanuel Schaffer, Nationalspieler und späterer Trainer des israelischen Nationalteams und sein Kollege Eliyahu Fuchs studierten bei Hennes Weisweiler, dem legendären Trainer der "Fohlen" von Borussia Mönchengladbach. Bis 1965 ließen sich weitere fünf Israelis in Köln zum Trainer ausbilden. 1969 spielte das israelische Nationalteam gegen die von Udo Lattek trainierte deutsche Amateur-Nationalmannschaft in Hennef.

Als Borussia Mönchengladbach im Februar 1970 in Tel Aviv zum Spiel gegen die israelische Nationalmannschaft antrat, schwärmte der deutsche Botschafter in der Halbzeit gegenüber dem damaligen Gladbacher Geschäftsführer Helmut Grashoff: "Also ich versteh' die Welt nicht mehr! Wir mühen uns hier jahrelang in kleinen Schritten um Wiederherstellung des Vertrauens zu uns Deutschen, wohingegen Sie nur 45 Minuten benötigen, um einen Freudentaumel auszulösen."

Erstes Länderspiel 1987

Jürgen Kohler erinnert sich noch gut an das erste Länderspiel einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Israel. "Wir wurden sehr herzlich empfangen, das fing schon auf dem Flughafen an", sagt er. "Natürlich hatten die Medien vorher über die politische Bedeutung berichtet, aber in Israel war es dann eine ganz normale Sache, ein ruhiges Spiel." Kohler hatte drei Jahre zuvor in der Bundesliga debütiert, die großen Erfolge – Weltmeister 1990, Europameister 1996, Champions-League-Sieger 1997 – lagen noch vor ihm. Kohler stand am 25. März 1987 in Tel Aviv auf dem Platz, Buchwald und Matthäus auch, Beckenbauer an der Seitenlinie. Es war kein Turnierjahr: Dass die deutsche Mannschaft 2:0 gewann, war bald vergessen. Aber die historische Bedeutung dieser 90 Minuten war allen bewusst.

In den Bergen von Judäa wachsen 72 Bäume. Sie stehen für die 72 Lebensjahre des früheren DFB-Präsidenten Hermann Neuberger, der 1992 an den Folgen einer Krebserkrankung starb. Der ehemalige Generalsekretär des israelischen Verbandes, Jacob Erel, sagt: "Die 72 Lebensbäume erinnern an einen Mann, der sich für Israel verdient gemacht hat." Neuberger, einer der Väter der Bundesliga und Cheforganisator der WM 1974, hatte sich wie kein anderer für die Aufnahme des im Nahen Osten isolierten und angefeindeten Landes im europäischen Fußballverband starkgemacht. 1994 war es endlich so weit: Israel wurde auf dem UEFA-Kongress in Wien als Vollmitglied aufgenommen, nicht zuletzt dank Neubergers unermüdlichen Wirkens für eine Aufnahme.

"Eine einzigartige Erfolgsgeschichte"

Herzstück und die große Konstante des Austausches zwischen beiden Verbänden ist nun seit vielen Jahren die Reise der U 18-Nationalmannschaft. Das Rahmenprogramm gestaltet die DFB-Kulturstiftung. Der Sporthistoriker Prof. Manfred Lämmer sieht darin "eine wichtige Idee, das reproduzierte Israel-Bild wird bei den Jugendlichen aufgebrochen. Der Fußball ist ein Brückenbauer. Und wie sich die Beziehung zwischen Israel und Deutschland auf dem Fußballplatz entwickelt hat, ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte."

Bei aller Freude über das große Glück, auch im Fußball eine enge Freundschaft zu pflegen, muss sich niemand vormachen, der Antisemitismus sei verschwunden. Weder in anderen Teilen der Welt, noch in Deutschland.

Vor genau einer Woche hatten Unbekannte in der Nacht die Figur von Julius Hirsch, die einen zentralen Bestandteil der momentan im thüringischen Nordhausen gastierenden Wanderausstellung "Zwischen Erfolg und Verfolgung: Jüdische Stars im deutschen Sport bis 1933 und danach" darstellt, schwer beschädigt.

Am Donnerstagmorgen vor einer Woche lag die lebensgroße Plexifigur des Nationalspielers Julius Hirsch zerbrochen in der Nordhausener Innenstadt.

[th]

Wenn heute Abend um 18 Uhr im HaMoshava Stadion angestoßen wird, trifft erstmals die deutsche Frauen-Nationalmannschaft auf Israels Frauenteam. Die DFB-Auswahl will im dritten Gruppenspiel den dritten Sieg einfahren – und ist sich dabei der sportpolitischen Bedeutung der Begegnung bewusst.

Martina Voss-Tecklenburg, begleitet von einigen Spielerinnen, wird am Freitag die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besuchen. "Für uns als Deutsche ist es ein besonderer Ort. Mit dem Holocaust in Verbindung zu kommen, Dinge zu erleben, die wir vor allem aus Geschichtsbüchern und Filmen kennen: Das macht dich nochmal wacher und sensibler", sagt die Bundestrainerin. Erst am Samstag reist man zurück, um so genügend Zeit für Begegnungen zu haben.

Das Spiel heute Abend wird also ein neues Kapitel schreiben. Der Anfang dieser langen, erst vorsichtigen, bald sehr herzlichen Annäherung datiert indes lange zurück. 2008 begann der DFB, jedes Jahr im Dezember die U 18-Junioren auf eine Reise nach Israel zu schicken. Besonderer Anlass damals war das 60-jährige Staatsjubiläum Israels. Seitdem trifft man sich in Israel zum Fußballspielen und dem gemeinsamen Besuch in Yad Vashem. Matthias Ginter etwa und Antonio Rüdiger hatten in ihrer Juniorenzeit die Reise mitgemacht. Bereits 1987 hatte in Tel Aviv das erste Länderspiel der Männer beider Länder stattgefunden. Doch auch Tel Aviv 1987 war nicht der Anfang der deutsch-israelischen Fußballfreundschaft. Der liegt noch viel weiter zurück.

"Wie einen Anfang finden?"

Nach Nürnberger Gesetzen, Warschauer Ghetto, nach Dachau und Auschwitz – wie wollten Deutsche und Israelis wieder gemeinsam Fußball spielen? Es braucht Vertrauen, um offen miteinander auf einen freien Platz zu gehen. Leichtigkeit und Lebensfreude, um in kurzen Hosen einem Ball hinterherzurennen. Israel und Deutschland und der Fußball? Wie sollte das gehen? Wie einen Anfang finden?

Es waren dann israelische Fußballer, Holocaustüberlebende, die ihre Fußballleidenschaft 1958 in die Trainerausbildung an die Sporthochschule nach Köln führte. Emanuel Schaffer, Nationalspieler und späterer Trainer des israelischen Nationalteams und sein Kollege Eliyahu Fuchs studierten bei Hennes Weisweiler, dem legendären Trainer der "Fohlen" von Borussia Mönchengladbach. Bis 1965 ließen sich weitere fünf Israelis in Köln zum Trainer ausbilden. 1969 spielte das israelische Nationalteam gegen die von Udo Lattek trainierte deutsche Amateur-Nationalmannschaft in Hennef.

Als Borussia Mönchengladbach im Februar 1970 in Tel Aviv zum Spiel gegen die israelische Nationalmannschaft antrat, schwärmte der deutsche Botschafter in der Halbzeit gegenüber dem damaligen Gladbacher Geschäftsführer Helmut Grashoff: "Also ich versteh' die Welt nicht mehr! Wir mühen uns hier jahrelang in kleinen Schritten um Wiederherstellung des Vertrauens zu uns Deutschen, wohingegen Sie nur 45 Minuten benötigen, um einen Freudentaumel auszulösen."

Erstes Länderspiel 1987

Jürgen Kohler erinnert sich noch gut an das erste Länderspiel einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Israel. "Wir wurden sehr herzlich empfangen, das fing schon auf dem Flughafen an", sagt er. "Natürlich hatten die Medien vorher über die politische Bedeutung berichtet, aber in Israel war es dann eine ganz normale Sache, ein ruhiges Spiel." Kohler hatte drei Jahre zuvor in der Bundesliga debütiert, die großen Erfolge – Weltmeister 1990, Europameister 1996, Champions-League-Sieger 1997 – lagen noch vor ihm. Kohler stand am 25. März 1987 in Tel Aviv auf dem Platz, Buchwald und Matthäus auch, Beckenbauer an der Seitenlinie. Es war kein Turnierjahr: Dass die deutsche Mannschaft 2:0 gewann, war bald vergessen. Aber die historische Bedeutung dieser 90 Minuten war allen bewusst.

In den Bergen von Judäa wachsen 72 Bäume. Sie stehen für die 72 Lebensjahre des früheren DFB-Präsidenten Hermann Neuberger, der 1992 an den Folgen einer Krebserkrankung starb. Der ehemalige Generalsekretär des israelischen Verbandes, Jacob Erel, sagt: "Die 72 Lebensbäume erinnern an einen Mann, der sich für Israel verdient gemacht hat." Neuberger, einer der Väter der Bundesliga und Cheforganisator der WM 1974, hatte sich wie kein anderer für die Aufnahme des im Nahen Osten isolierten und angefeindeten Landes im europäischen Fußballverband starkgemacht. 1994 war es endlich so weit: Israel wurde auf dem UEFA-Kongress in Wien als Vollmitglied aufgenommen, nicht zuletzt dank Neubergers unermüdlichen Wirkens für eine Aufnahme.

"Eine einzigartige Erfolgsgeschichte"

Herzstück und die große Konstante des Austausches zwischen beiden Verbänden ist nun seit vielen Jahren die Reise der U 18-Nationalmannschaft. Das Rahmenprogramm gestaltet die DFB-Kulturstiftung. Der Sporthistoriker Prof. Manfred Lämmer sieht darin "eine wichtige Idee, das reproduzierte Israel-Bild wird bei den Jugendlichen aufgebrochen. Der Fußball ist ein Brückenbauer. Und wie sich die Beziehung zwischen Israel und Deutschland auf dem Fußballplatz entwickelt hat, ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte."

Bei aller Freude über das große Glück, auch im Fußball eine enge Freundschaft zu pflegen, muss sich niemand vormachen, der Antisemitismus sei verschwunden. Weder in anderen Teilen der Welt, noch in Deutschland.

Vor genau einer Woche hatten Unbekannte in der Nacht die Figur von Julius Hirsch, die einen zentralen Bestandteil der momentan im thüringischen Nordhausen gastierenden Wanderausstellung "Zwischen Erfolg und Verfolgung: Jüdische Stars im deutschen Sport bis 1933 und danach" darstellt, schwer beschädigt.

Am Donnerstagmorgen vor einer Woche lag die lebensgroße Plexifigur des Nationalspielers Julius Hirsch zerbrochen in der Nordhausener Innenstadt.

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