Silvia Neid: Die Einzigartige

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs - er wurde an diesem Datum vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Rund um den Jubiläumstag widmet DFB.de dem Frauen- und Mädchenfußball eine Themenwoche. Mit vielen Geschichten, Interviews, Porträts und interessanten Fakten. Heute: Silvia Neid. Ob als Spielerin, Assistenztrainerin oder Cheftrainerin - sie war an allen Titeln der deutschen Frauen-Nationalmannschaft beteiligt. Eine einzigartige Leistung.

Mit dem Fußball kam Silvia Neid fast zwangsläufig schon im Kindesalter in Berührung. "Ich habe schon gegen den Ball getreten, als ich kaum richtig stehen und gehen konnte. Bei uns lag immer ein Ball herum, im Garten oder im Wohnzimmer", erinnert sie sich. Die meiste Freizeit ihrer Kindheit verbrachte sie auf dem Bolzplatz, wo sie mit ihrem zwei Jahre älteren Bruder und dessen Kumpels kickte. Silvia Neid, Jahrgang 1964 hatte Glück: Erst 1970 hatte der DFB das offizielle Verbot des Frauenfußballs aufgehoben. "Bis ich in den Verein kam, hatten wir das Jahr 1975. Damals gab es nur wenig Vereine, die Frauenfußball angeboten hatten", weiß sie noch. "Zufälligerweise hatte der SV Schlierstadt eine Frauenmannschaft - und das war nur 18 Kilometer von meinem Geburtsort Walldürn entfernt." Dort lebte ein Großteil der Verwandtschaft.

Blumen aus Holland zur Kundschaft gefahren

Einfach war ihre Anfangszeit nicht, denn es gab anfangs wenig Gleichaltrige, die sich für den Fußball begeisterten - und reine Mädchenteams schon einmal gar nicht. Bereits mit elf Jahren spielte sie bei den Frauen mit. "Meine Mitspielerinnen waren teilweise 32 oder 34 Jahre alt." Durchgesetzt hat sie sich trotzdem, denn ihr Talent war offensichtlich. 1983 wechselte sie zum damaligen deutschen Rekordmeister SSG Bergisch Gladbach, 1985 zum TSV Siegen. Insgesamt gewann sie siebenmal die Deutsche Meisterschaft und sechsmal den DFB-Pokal. Anfangs spielte sie unentgeltlich, später für ein kleines Gehalt. Geld verdiente sie im Blumengroßhandel ihres Vereinstrainers Gerd Neuser. "Meine Aufgabe bestand darin, die aus Holland angelieferten Blumen mit dem kleineren Lastwagen zum Kundenstamm zu fahren und dort ein Verkaufsgespräch zu führen."

Auf dem Fußballplatz die volle Akzeptanz zu erlangen, war in den 80er Jahren nicht einfach. An die machohaften Sprüche in den wenigen Fernsehbeiträgen erinnert sich Silvia Neid mit Schaudern. "Ich fand das diskriminierend. Es wurde gelacht, wenn eine Spielerin hinfiel, die vielleicht nicht so gut trainiert war. Und dann dieses ständige Fragen nach dem Trikottausch. Wenn Zuschauer gefragt wurden, warum sie beim Frauenfußball sind: Ja, weil wir einen Trikottausch sehen wollen. Das war schon mehr als unpassend."

"Wir haben uns einfach gefreut, dass unser Titel anerkannt wurde"

Sie sollte eine der prägenden Figuren der deutschen Nationalmannschaft werden, die in 111 Länderspielen 48 Tore schoss, die als Spielerin, Assistenz- und Cheftrainerin an allen Titeln der DFB-Auswahl beteiligt war. Und zudem dreimal zur Welttrainerin gewählt wurde. Eine einzigartige Bilanz, weltweit bislang unerreicht.

Ihr erstes Tor gelang gleich beim Debüt 1982, als der feinen Technikerin eine Minute nach ihrer Einwechslung beim 5:1 gegen die Schweiz ein Treffer glückte, wenig später gelang sogar der zweite. Zuvor hatte sie sich bei einem Sichtungstraining durchgesetzt. "Der DFB hat damals je 30 Spielerinnen im Norden und im Süden zu einer Sichtung eingeladen - danach gehörte ich zu den 18 Fußballerinnen, die ihr erstes Länderspiel bestreiten durften." Als sie später ein Angebot aus Japan hat, verbot ihr übrigens der damalige Bundestrainer Gero Bisanz einen Wechsel nach Fernost - mit der Begründung, dass er sie dann nicht mehr ins Nationalteam berufen könne. Rückblickend schmunzelten die beiden über diese Begebenheit.

Das Erweckungserlebnis schlechthin für den deutschen Frauenfußball ist auch für die 56-Jährige bis heute die Europameisterschaft 1989 im eigenen Land. Das Stadion an der Bremer Brücke in Osnabrück war beim Finale ausverkauft, das Fernsehen übertrug live - nach dem 4:1 gegen Norwegen gab es das berühmte Kaffeeservice, wobei die Spielführerin die Prämie gar nicht als so geringschätzend empfand, wie das heute oft dargestellt wird. Denn: "Wir haben uns einfach gefreut, dass unser Titel anerkannt wurde und wir dafür ein Geschenk bekommen haben. Dieses Kaffeeservice habe ich dann bei meinen Eltern gelassen, und meine Mutter fand es richtig schön."

"Überall begeisterte Menschen, die den Frauenfußball gut fanden"

Nachdem sie 1996 ihre Karriere beendet hatte und die gelernte Großhandelskauffrau zeitweise bei der AOK Siegen arbeitete, sollte ein Anruf von Berti Vogts ihr den Weg in die Trainerinnenkarriere ebnen. In seiner aktiven Zeit hatte sich Vogts noch ziemlich geringschätzend über den "Damenfußball" geäußert, dann aber bei näherer Betrachtung als Bundestrainer seinen Blickwinkel geändert. Vogts war in die Suche eines Nachfolgers für den ersten Bundestrainer Gero Bisanz eingebunden: Tina Theune wurde Bundestrainerin, Silvia Neid die Assistentin, die sich auch um die Juniorinnen-Nationalmannschaft kümmerte.

Fortan prägte sie von der Trainerbank die erfolgreichste Dekade der DFB-Frauen entscheidend mit: als Assistenztrainerin beim WM-Sieg 2003, als Cheftrainerin unter anderem beim WM-Triumph 2007. Dafür gab es später das Bundesverdienstkreuz am Bande und das Silberne Lorbeerblatt, dreimal den Welttrainerinnen-Titel. Meilenstein auf dem Weg nach mehr Akzeptanz. "Unsere Erfolge haben natürlich auch ein sehr großes Medieninteresse ausgelöst. Gerade als wir 2007 aus China zurückgeflogen sind und am Frankfurter Römer empfangen wurde, war das Interesse riesig." Ganz egal, ob sie danach zum Bäcker oder zur Tankstelle gefahren sei: "Überall traf ich auf begeisterte Menschen, die den Frauenfußball gut fanden."

"Taktisch und technisch hat sich eine Menge entwickelt"

Sie war als Spielerin und Trainerin an allen acht EM-Titeln beteiligt, den bislang letzten gewann die dreimalige FIFA-Trainerin des Jahres 2013 mit einer stark verjüngten Auswahl. Und bevor sie ihr Amt als Bundestrainerin abgab, holte sie noch mit den deutschen Fußballerinnen den Olympiasieg 2016. Einzigartig. Heute ist sie in der DFB-Abteilung Scouting, Spielanalyse und Diagnostik für internationales Trendscouting im weiblichen Bereich zuständig und teilt ihren großen Erfahrungsschatz. Noch immer erreichen sie Anfragen aus aller Welt, wenn es darum geht einen prestigereichen Cheftrainerinnen-Posten zu besetzen. Ihre Expertise ist bis heute weltweit anerkannt.

Rückblickend kann sie stolz auf ihre Erfolge sein, die den Stellenwert des Frauenfußballs enorm erhöht haben. Silvia Neid macht sich aber keine Illusionen: "Die Menschen, die Frauenfußball generell nicht mögen, müssen wir auch nicht mehr überzeugen. Auch wenn sich taktisch und technisch eine Menge entwickelt hat, wird man es nie mit dem Männerfußball vergleichen können. Aber das gilt für alle Sportarten, die beide Geschlechter betreiben." Neben ihrer DFB-Tätigkeit im Trendscouting ist Silvia Neid auch seit Neuestem das Gesicht der Kampagne, mit der sich Deutschland gemeinsam mit den Niederlanden und Belgien für die Frauen-WM 2027 bewirbt. Ein Gesicht, dass weltweit immer noch als eines der populärsten im Frauenfußball gilt. Und eine Persönlichkeit, die einzigartiges für ihre Sportart geleistet hat.

[dfb]

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs - er wurde an diesem Datum vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Rund um den Jubiläumstag widmet DFB.de dem Frauen- und Mädchenfußball eine Themenwoche. Mit vielen Geschichten, Interviews, Porträts und interessanten Fakten. Heute: Silvia Neid. Ob als Spielerin, Assistenztrainerin oder Cheftrainerin - sie war an allen Titeln der deutschen Frauen-Nationalmannschaft beteiligt. Eine einzigartige Leistung.

Mit dem Fußball kam Silvia Neid fast zwangsläufig schon im Kindesalter in Berührung. "Ich habe schon gegen den Ball getreten, als ich kaum richtig stehen und gehen konnte. Bei uns lag immer ein Ball herum, im Garten oder im Wohnzimmer", erinnert sie sich. Die meiste Freizeit ihrer Kindheit verbrachte sie auf dem Bolzplatz, wo sie mit ihrem zwei Jahre älteren Bruder und dessen Kumpels kickte. Silvia Neid, Jahrgang 1964 hatte Glück: Erst 1970 hatte der DFB das offizielle Verbot des Frauenfußballs aufgehoben. "Bis ich in den Verein kam, hatten wir das Jahr 1975. Damals gab es nur wenig Vereine, die Frauenfußball angeboten hatten", weiß sie noch. "Zufälligerweise hatte der SV Schlierstadt eine Frauenmannschaft - und das war nur 18 Kilometer von meinem Geburtsort Walldürn entfernt." Dort lebte ein Großteil der Verwandtschaft.

Blumen aus Holland zur Kundschaft gefahren

Einfach war ihre Anfangszeit nicht, denn es gab anfangs wenig Gleichaltrige, die sich für den Fußball begeisterten - und reine Mädchenteams schon einmal gar nicht. Bereits mit elf Jahren spielte sie bei den Frauen mit. "Meine Mitspielerinnen waren teilweise 32 oder 34 Jahre alt." Durchgesetzt hat sie sich trotzdem, denn ihr Talent war offensichtlich. 1983 wechselte sie zum damaligen deutschen Rekordmeister SSG Bergisch Gladbach, 1985 zum TSV Siegen. Insgesamt gewann sie siebenmal die Deutsche Meisterschaft und sechsmal den DFB-Pokal. Anfangs spielte sie unentgeltlich, später für ein kleines Gehalt. Geld verdiente sie im Blumengroßhandel ihres Vereinstrainers Gerd Neuser. "Meine Aufgabe bestand darin, die aus Holland angelieferten Blumen mit dem kleineren Lastwagen zum Kundenstamm zu fahren und dort ein Verkaufsgespräch zu führen."

Auf dem Fußballplatz die volle Akzeptanz zu erlangen, war in den 80er Jahren nicht einfach. An die machohaften Sprüche in den wenigen Fernsehbeiträgen erinnert sich Silvia Neid mit Schaudern. "Ich fand das diskriminierend. Es wurde gelacht, wenn eine Spielerin hinfiel, die vielleicht nicht so gut trainiert war. Und dann dieses ständige Fragen nach dem Trikottausch. Wenn Zuschauer gefragt wurden, warum sie beim Frauenfußball sind: Ja, weil wir einen Trikottausch sehen wollen. Das war schon mehr als unpassend."

"Wir haben uns einfach gefreut, dass unser Titel anerkannt wurde"

Sie sollte eine der prägenden Figuren der deutschen Nationalmannschaft werden, die in 111 Länderspielen 48 Tore schoss, die als Spielerin, Assistenz- und Cheftrainerin an allen Titeln der DFB-Auswahl beteiligt war. Und zudem dreimal zur Welttrainerin gewählt wurde. Eine einzigartige Bilanz, weltweit bislang unerreicht.

Ihr erstes Tor gelang gleich beim Debüt 1982, als der feinen Technikerin eine Minute nach ihrer Einwechslung beim 5:1 gegen die Schweiz ein Treffer glückte, wenig später gelang sogar der zweite. Zuvor hatte sie sich bei einem Sichtungstraining durchgesetzt. "Der DFB hat damals je 30 Spielerinnen im Norden und im Süden zu einer Sichtung eingeladen - danach gehörte ich zu den 18 Fußballerinnen, die ihr erstes Länderspiel bestreiten durften." Als sie später ein Angebot aus Japan hat, verbot ihr übrigens der damalige Bundestrainer Gero Bisanz einen Wechsel nach Fernost - mit der Begründung, dass er sie dann nicht mehr ins Nationalteam berufen könne. Rückblickend schmunzelten die beiden über diese Begebenheit.

Das Erweckungserlebnis schlechthin für den deutschen Frauenfußball ist auch für die 56-Jährige bis heute die Europameisterschaft 1989 im eigenen Land. Das Stadion an der Bremer Brücke in Osnabrück war beim Finale ausverkauft, das Fernsehen übertrug live - nach dem 4:1 gegen Norwegen gab es das berühmte Kaffeeservice, wobei die Spielführerin die Prämie gar nicht als so geringschätzend empfand, wie das heute oft dargestellt wird. Denn: "Wir haben uns einfach gefreut, dass unser Titel anerkannt wurde und wir dafür ein Geschenk bekommen haben. Dieses Kaffeeservice habe ich dann bei meinen Eltern gelassen, und meine Mutter fand es richtig schön."

"Überall begeisterte Menschen, die den Frauenfußball gut fanden"

Nachdem sie 1996 ihre Karriere beendet hatte und die gelernte Großhandelskauffrau zeitweise bei der AOK Siegen arbeitete, sollte ein Anruf von Berti Vogts ihr den Weg in die Trainerinnenkarriere ebnen. In seiner aktiven Zeit hatte sich Vogts noch ziemlich geringschätzend über den "Damenfußball" geäußert, dann aber bei näherer Betrachtung als Bundestrainer seinen Blickwinkel geändert. Vogts war in die Suche eines Nachfolgers für den ersten Bundestrainer Gero Bisanz eingebunden: Tina Theune wurde Bundestrainerin, Silvia Neid die Assistentin, die sich auch um die Juniorinnen-Nationalmannschaft kümmerte.

Fortan prägte sie von der Trainerbank die erfolgreichste Dekade der DFB-Frauen entscheidend mit: als Assistenztrainerin beim WM-Sieg 2003, als Cheftrainerin unter anderem beim WM-Triumph 2007. Dafür gab es später das Bundesverdienstkreuz am Bande und das Silberne Lorbeerblatt, dreimal den Welttrainerinnen-Titel. Meilenstein auf dem Weg nach mehr Akzeptanz. "Unsere Erfolge haben natürlich auch ein sehr großes Medieninteresse ausgelöst. Gerade als wir 2007 aus China zurückgeflogen sind und am Frankfurter Römer empfangen wurde, war das Interesse riesig." Ganz egal, ob sie danach zum Bäcker oder zur Tankstelle gefahren sei: "Überall traf ich auf begeisterte Menschen, die den Frauenfußball gut fanden."

"Taktisch und technisch hat sich eine Menge entwickelt"

Sie war als Spielerin und Trainerin an allen acht EM-Titeln beteiligt, den bislang letzten gewann die dreimalige FIFA-Trainerin des Jahres 2013 mit einer stark verjüngten Auswahl. Und bevor sie ihr Amt als Bundestrainerin abgab, holte sie noch mit den deutschen Fußballerinnen den Olympiasieg 2016. Einzigartig. Heute ist sie in der DFB-Abteilung Scouting, Spielanalyse und Diagnostik für internationales Trendscouting im weiblichen Bereich zuständig und teilt ihren großen Erfahrungsschatz. Noch immer erreichen sie Anfragen aus aller Welt, wenn es darum geht einen prestigereichen Cheftrainerinnen-Posten zu besetzen. Ihre Expertise ist bis heute weltweit anerkannt.

Rückblickend kann sie stolz auf ihre Erfolge sein, die den Stellenwert des Frauenfußballs enorm erhöht haben. Silvia Neid macht sich aber keine Illusionen: "Die Menschen, die Frauenfußball generell nicht mögen, müssen wir auch nicht mehr überzeugen. Auch wenn sich taktisch und technisch eine Menge entwickelt hat, wird man es nie mit dem Männerfußball vergleichen können. Aber das gilt für alle Sportarten, die beide Geschlechter betreiben." Neben ihrer DFB-Tätigkeit im Trendscouting ist Silvia Neid auch seit Neuestem das Gesicht der Kampagne, mit der sich Deutschland gemeinsam mit den Niederlanden und Belgien für die Frauen-WM 2027 bewirbt. Ein Gesicht, dass weltweit immer noch als eines der populärsten im Frauenfußball gilt. Und eine Persönlichkeit, die einzigartiges für ihre Sportart geleistet hat.

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