Nadine Keßler: "Mehr geht eigentlich nicht"

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs – er wurde an diesem Tag vom Deutsche Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert – damals wie heute. 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de prägende Persönlichkeiten in den Fokus. Heute: Weltfußballerin 2014 Nadine Keßler.

Nadine Keßler über...

... ihre Anfänge und den Weg in den Frauenfußball: Mein Weg in den Frauenfußball hat etwas länger als gewöhnlich gedauert. Bis ich 16 Jahre alt war, habe ich neben den DFB U-Mannschaften, nur bei den Jungs gespielt. Ich habe meine ganze Jugend in meinen Heimatvereinen verbracht und wollte dort auch gar nicht weg, weil ich mich da sehr wohl gefühlt habe. Den Schritt zum Frauenfußball habe ich dann mit 16 Jahren gewagt und bin zum 1. FC Saarbrücken gegangen. Die Verantwortlichen dort waren sehr an mir interessiert und haben mich ins Saarland gelockt. Es war eine ereignisreiche Zeit mit Auf- und Abstieg, mit DFB-Pokalfinale. Ich war dort Kapitänin der Mannschaft und habe viel gelernt. Nach fünf Jahren ging meine Reise weiter zu Turbine Potsdam und dann wiederum zwei Saisons später zum VfL Wolfsburg.

... ihre Zeit beim VfL Wolfsburg von 2011 bis 2016: Die Zeit in Wolfsburg war für mich tatsächlich etwas ganz Besonderes. Für den Verein war es historisch. Bis 2011 war der VfL Wolfsburg zwar ein guter Klub, der aber nicht wirklich über den Status einer ordentlichen Mittelfeldmannschaft herauskam. Wir haben uns direkt in meiner ersten Saison dort für die Champions League qualifizieren können und haben im Jahr darauf das Triple geholt. Danach konnten wir die Champions League und die Deutsche Meisterschaft verteidigen – auch rückblickend sind das unglaubliche Erfolge und Erinnerungen. Gemeinsam - in einem starken Team auf und neben dem Platz - haben wir dort etwas Großes aufgebaut. Wir hatten eine unglaubliche Moral. Die täglich harte Arbeit hatte sich unmittelbar in Erfolg umgewandelt. Heute ist der VfL eine ganz große Nummer im internationalen Frauenfußball. Ich denke, dass wir damals das Fundament dafür gelegt haben.

... ihren schönsten sportlichen Erfolg: Ein Höhepunkt war ganz sicher das Finale der Champions League 2014 gegen den starken schwedischen Klub Tyresö FF. Für uns war es wesentlich schwieriger, den Titel im zweiten Jahr hintereinander zu holen, weil jeder uns stoppen wollte. Aber wir sind unseren Weg trotz vieler Schwierigkeiten und zahlreicher Verletzungen bis ins Endspiel gegangen. Dieses Finale konnte an Spannung kaum überboten werden und sucht heute noch nach seines Gleichen. Wir lagen schnell 0:2 hinten, sind zurückgekommen und konnten ausgleichen. Dann kam mit dem 2:3 der nächste Rückschlag. Aber zum Schluss konnten wir dieses unglaubliche Spiel mit 4:3 für uns entscheiden. Dieser Spielverlauf war sinnbildlich für uns als Mannschaft. Wir hatten eine große Entschlossenheit, eine überragende Moral, waren unberechenbar und hatten große Qualität im Kader. Es hat einfach von vorne bis hinten gepasst.

... ihre Auszeichnung zur Weltfußballerin im Jahr 2014: Ich fand es damals ganz schräg, was für ein Hype um diese Wahl entstanden ist. Für mich haben immer die Titel mit der Mannschaft im Fokus gestanden – die Erfolge mit meinen Klubs, aber auch der Gewinn der Europameisterschaft 2013 in Schweden mit der DFB-Auswahl. Das war ganz sicher einer der bedeutendsten Momente meiner Karriere. Ich habe mein Leben lang darauf hingearbeitet, mit der deutschen Nationalmannschaft etwas zu gewinnen. Das war mir viel, viel wichtiger als dieser Einzelerfolg. Aber natürlich bin ich rückblickend auch unglaublich stolz auf die Auszeichnung zur Weltfußballerin des Jahres. Es war schier überwältigend. Vor allem der nachhaltige Effekt dieser Wahl war und ist sehr groß. Die Leute erinnern sich daran und ich werde immer wieder darauf angesprochen. Es war ein großer Moment meiner Karriere. Aber ich habe die Erfolge vorgezogenen, nach denen ich geschwitzt war und wusste, was ich dafür getan hatte. Es gibt nichts Schöneres, als einen Pokal mit den Mitspielerinnen in Empfang nehmen zu können.

... ihre Zeit bei der DFB-Auswahl und ihre 29 Länderspiele: Mein einziges Ziel als kleines Mädchen war es, irgendwann mal für mein Land zu spielen. Das habe ich mit meinem Debüt 2010 geschafft. Auch wenn es am Ende in Anführungszeichen nur zu 29 Länderspielen gereicht hat, war jede einzelne Begegnung für mich etwas ganz Besonderes. Leider haben mich meine Verletzungen viele weitere Partien gekostet. Umso dankbarer bin ich, dass diese Einsätze möglich waren und ich dazu beitragen konnte, dass mein Land erfolgreich war. Ich bin da echt stolz drauf und möchte keinen Moment missen.

... ihre zahlreichen Verletzungen: Rückblickend bin ich davon überzeugt, dass alles im Leben aus irgendeinem Grund passiert. Auch aus den vermeintlich negativen Aspekten kann man immer etwas Gutes ziehen. Die Verletzungen haben mich sehr jung erwachsen gemacht. Sie haben zudem dazu geführt, dass ich mir früh Gedanken über ein Leben nach dem Fußball machen musste, wovon ich heute profitiere. Ich habe nie meine Schule, mein Studium und meine berufliche Perspektive aus den Augen verloren, weil mir irgendwann klar wurde, dass es schnell vorbei sein kann mit dem Fußball. So bin ich zu dem Mensch geworden, der ich heute bin. Ich musste oft wieder aufstehen: Am Ende meiner Karriere hatte ich elf Operationen hinter mir, einige davon waren echt schwierig. Heute fühle ich mich manchmal wie eine alte Frau, wenn mir alles wehtut. Damit muss ich leben. Da es eigentlich gar nicht möglich war, mit meiner Verletzungsgeschichte solche Erfolge feiern zu können, freue ich mich umso mehr. Dafür bin ich dankbar und die Konsequenzen tragen ich heute gerne und mit stolz.

... ihr frühzeitiges Karriereende im April 2016: Dieser endgültige Schritt war für mich nicht mehr so schlimm. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt zwei Jahre Reha hinter mir. Ich hatte alles erdenklich Mögliche versucht, aber es ging einfach nicht mehr. Eigentlich wollte ich selbst über mein Karriereende entscheiden können und es nicht von einer Verletzung abhängig machen zu müssen. Das hat leider nicht geklappt. Das ist im Rückblick bitter und tut weh. Aber die Vernunft hat sich durchgesetzt. Ich hatte keine Chance, irgendwie weiter zu machen. Ich spiele heute auch überhaupt kein Fußball mehr. Mein Körper lässt es nicht zu. Es geht nicht mehr.

... ihr Leben nach dem Karriereende: Nachdem der ganze Ballast abgefallen war und ich wieder positiv nach vorne schauen konnte, habe ich viele Dinge einfach ausprobiert. Ich habe in unterschiedlichen Projekten gearbeitet, zum Beispiel für die DFB-Stiftung Sepp Herberger. Ich habe fürs Fernsehen kommentiert, mein Masterstudium beendet, meinen Trainerschein angefangen. Mir ist nicht langweilig geworden. Den größten Respekt hatte ich davor, wieder etwas zu finden, was mich so erfüllt, wie es der Fußball gemacht hat. Als Leistungssportlerin beziehungsweise in meinem Fall als Fußballerin ist man einfach sehr verwöhnt. Man hat den besten Beruf der Welt, man ist jeden Tag glücklich, man ist jeden Tag fit, man bekommt Geld dafür, dass man Sport macht – mehr geht eigentlich nicht. Das ist ein Privileg, weil ganz sicher nicht jeder Mensch jeden Tag glücklich auf die Arbeit geht. Bei mir war das immer der Fall. Ich habe viel ausprobiert, um so etwas Ähnliches wieder zu finden. Das war ein wichtiger und spannender Selbstfindungsprozess.

... ihren aktuellen Job bei der UEFA: Seit dreieinhalb Jahren bin ich dort jetzt beschäftigt. Meine extrem spannende Aufgabe ist es, den Frauenfußball europaweit voranzubringen. Ich bin überglücklich. Ich leite die Frauenfußballabteilung bei der UEFA, die vor drei Jahren neu gegründet wurde. Im Moment habe ich überhaupt keinen Grund, mich über irgendetwas zu beschweren. Ich komme viel in der Welt rum, habe viel Verantwortung und arbeite in dem Sport, für den mein Herz schlägt. Es ist einfach nur eine tolle Herausforderung, die ich gerne annehme und mich mit Leidenschaft erfüllt. Früher als geplant konnte ich auch Dank meiner Verletzung mich daher wieder neuen Aufgaben widmen und nun das Leben von einer anderen Seite genießen.

... ihren Blick auf den deutschen Frauenfußball: Der deutsche Frauenfußball ist nach wie vor in einer sehr starken Position und aus meiner Sicht gehört der DFB hier weiterhin zu den führenden Verbänden weltweit. Natürlich gab es in den vergangenen Jahren auch Rückschläge, die man noch nicht kannte. Aber auch das ist ein normaler Prozess für einen Verband, der über Jahrzehnte federführend war. Die Erwartungshaltung an den deutschen Frauenfußball ist riesig. Aber man kann nicht immer davon ausgehen, dass es mit den Erfolgen einfach so weitergeht. Wichtig aus meiner Sicht war es, dass man im Fall des Misserfolgs die richtige Reaktion gezeigt hat. Und das war meiner Wahrnehmung nach immer der Fall. Auch ganz aktuell mit dem Team um Martina Voss-Tecklenburg. Selbstverständlich merken wir in Deutschland, dass andere Nationen sich ebenfalls verstärkt mit dem Frauenfußball auseinandersetzen und ihn so voranbringen. Aber das ist gut und stärkt den Wettbewerb. Die europäische Spitze ist viel breiter als zu meiner Zeit. Viel mehr Länder können Titel gewinnen, und Deutschland gehört da ganz klar weiterhin dazu. 

... ihre Einschätzung zur Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland in den vergangenen 50 Jahren: Wenn wir es erst mal auf Klubebene beziehen, hatten wir immer starke Vereine. Davon lebt der deutsche Frauenfußball. Der Klubfußball muss mit den Interessen der Nationalmannschaft im Einklang stehen. Eine starke Liga ist die Grundlage und das Erfolgsrezept für alles, was darauf aufbaut. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gab es in den vergangenen 50 Jahren deutsche Klubs, die europaweit führend waren. Im Moment schlägt das Pendel in Richtung der Vereine aus, die eine Profimannschaft für Männer haben. Auf jeden Fall haben die deutschen Mannschaften die internationalen Wettbewerbe über Jahrzehnte dominiert. Und wenn es zur Frauen-Nationalmannschaft kommt, dann ist es glaube ich fair zu sagen, dass diese ein sehr wichtiges Zugpferd über all die Jahre im Deutschen Frauenfußball war. Dank dieser Erfolge, ist der Frauenfußball, wo er heute ist.

... ihre Meinung zur Perspektive des deutschen Frauenfußballs: Ich glaube, dass der deutsche Frauenfußball grundsätzlich auf einem guten Weg ist. Aber ich bin auch der Meinung, dass in der Liga noch Luft nach oben ist. Ich glaube, dass wir noch mehr Aufmerksamkeit für den Frauenfußball generieren können. Um den Frauenfußball nachhaltig an den Mann beziehungsweise die Frau zu bringen, ist die Sichtbarkeit der Liga ein ganz wichtiger Faktor.

[sw]

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs – er wurde an diesem Tag vom Deutsche Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert – damals wie heute. 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de prägende Persönlichkeiten in den Fokus. Heute: Weltfußballerin 2014 Nadine Keßler.

Nadine Keßler über...

... ihre Anfänge und den Weg in den Frauenfußball: Mein Weg in den Frauenfußball hat etwas länger als gewöhnlich gedauert. Bis ich 16 Jahre alt war, habe ich neben den DFB U-Mannschaften, nur bei den Jungs gespielt. Ich habe meine ganze Jugend in meinen Heimatvereinen verbracht und wollte dort auch gar nicht weg, weil ich mich da sehr wohl gefühlt habe. Den Schritt zum Frauenfußball habe ich dann mit 16 Jahren gewagt und bin zum 1. FC Saarbrücken gegangen. Die Verantwortlichen dort waren sehr an mir interessiert und haben mich ins Saarland gelockt. Es war eine ereignisreiche Zeit mit Auf- und Abstieg, mit DFB-Pokalfinale. Ich war dort Kapitänin der Mannschaft und habe viel gelernt. Nach fünf Jahren ging meine Reise weiter zu Turbine Potsdam und dann wiederum zwei Saisons später zum VfL Wolfsburg.

... ihre Zeit beim VfL Wolfsburg von 2011 bis 2016: Die Zeit in Wolfsburg war für mich tatsächlich etwas ganz Besonderes. Für den Verein war es historisch. Bis 2011 war der VfL Wolfsburg zwar ein guter Klub, der aber nicht wirklich über den Status einer ordentlichen Mittelfeldmannschaft herauskam. Wir haben uns direkt in meiner ersten Saison dort für die Champions League qualifizieren können und haben im Jahr darauf das Triple geholt. Danach konnten wir die Champions League und die Deutsche Meisterschaft verteidigen – auch rückblickend sind das unglaubliche Erfolge und Erinnerungen. Gemeinsam - in einem starken Team auf und neben dem Platz - haben wir dort etwas Großes aufgebaut. Wir hatten eine unglaubliche Moral. Die täglich harte Arbeit hatte sich unmittelbar in Erfolg umgewandelt. Heute ist der VfL eine ganz große Nummer im internationalen Frauenfußball. Ich denke, dass wir damals das Fundament dafür gelegt haben.

... ihren schönsten sportlichen Erfolg: Ein Höhepunkt war ganz sicher das Finale der Champions League 2014 gegen den starken schwedischen Klub Tyresö FF. Für uns war es wesentlich schwieriger, den Titel im zweiten Jahr hintereinander zu holen, weil jeder uns stoppen wollte. Aber wir sind unseren Weg trotz vieler Schwierigkeiten und zahlreicher Verletzungen bis ins Endspiel gegangen. Dieses Finale konnte an Spannung kaum überboten werden und sucht heute noch nach seines Gleichen. Wir lagen schnell 0:2 hinten, sind zurückgekommen und konnten ausgleichen. Dann kam mit dem 2:3 der nächste Rückschlag. Aber zum Schluss konnten wir dieses unglaubliche Spiel mit 4:3 für uns entscheiden. Dieser Spielverlauf war sinnbildlich für uns als Mannschaft. Wir hatten eine große Entschlossenheit, eine überragende Moral, waren unberechenbar und hatten große Qualität im Kader. Es hat einfach von vorne bis hinten gepasst.

... ihre Auszeichnung zur Weltfußballerin im Jahr 2014: Ich fand es damals ganz schräg, was für ein Hype um diese Wahl entstanden ist. Für mich haben immer die Titel mit der Mannschaft im Fokus gestanden – die Erfolge mit meinen Klubs, aber auch der Gewinn der Europameisterschaft 2013 in Schweden mit der DFB-Auswahl. Das war ganz sicher einer der bedeutendsten Momente meiner Karriere. Ich habe mein Leben lang darauf hingearbeitet, mit der deutschen Nationalmannschaft etwas zu gewinnen. Das war mir viel, viel wichtiger als dieser Einzelerfolg. Aber natürlich bin ich rückblickend auch unglaublich stolz auf die Auszeichnung zur Weltfußballerin des Jahres. Es war schier überwältigend. Vor allem der nachhaltige Effekt dieser Wahl war und ist sehr groß. Die Leute erinnern sich daran und ich werde immer wieder darauf angesprochen. Es war ein großer Moment meiner Karriere. Aber ich habe die Erfolge vorgezogenen, nach denen ich geschwitzt war und wusste, was ich dafür getan hatte. Es gibt nichts Schöneres, als einen Pokal mit den Mitspielerinnen in Empfang nehmen zu können.

... ihre Zeit bei der DFB-Auswahl und ihre 29 Länderspiele: Mein einziges Ziel als kleines Mädchen war es, irgendwann mal für mein Land zu spielen. Das habe ich mit meinem Debüt 2010 geschafft. Auch wenn es am Ende in Anführungszeichen nur zu 29 Länderspielen gereicht hat, war jede einzelne Begegnung für mich etwas ganz Besonderes. Leider haben mich meine Verletzungen viele weitere Partien gekostet. Umso dankbarer bin ich, dass diese Einsätze möglich waren und ich dazu beitragen konnte, dass mein Land erfolgreich war. Ich bin da echt stolz drauf und möchte keinen Moment missen.

... ihre zahlreichen Verletzungen: Rückblickend bin ich davon überzeugt, dass alles im Leben aus irgendeinem Grund passiert. Auch aus den vermeintlich negativen Aspekten kann man immer etwas Gutes ziehen. Die Verletzungen haben mich sehr jung erwachsen gemacht. Sie haben zudem dazu geführt, dass ich mir früh Gedanken über ein Leben nach dem Fußball machen musste, wovon ich heute profitiere. Ich habe nie meine Schule, mein Studium und meine berufliche Perspektive aus den Augen verloren, weil mir irgendwann klar wurde, dass es schnell vorbei sein kann mit dem Fußball. So bin ich zu dem Mensch geworden, der ich heute bin. Ich musste oft wieder aufstehen: Am Ende meiner Karriere hatte ich elf Operationen hinter mir, einige davon waren echt schwierig. Heute fühle ich mich manchmal wie eine alte Frau, wenn mir alles wehtut. Damit muss ich leben. Da es eigentlich gar nicht möglich war, mit meiner Verletzungsgeschichte solche Erfolge feiern zu können, freue ich mich umso mehr. Dafür bin ich dankbar und die Konsequenzen tragen ich heute gerne und mit stolz.

... ihr frühzeitiges Karriereende im April 2016: Dieser endgültige Schritt war für mich nicht mehr so schlimm. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt zwei Jahre Reha hinter mir. Ich hatte alles erdenklich Mögliche versucht, aber es ging einfach nicht mehr. Eigentlich wollte ich selbst über mein Karriereende entscheiden können und es nicht von einer Verletzung abhängig machen zu müssen. Das hat leider nicht geklappt. Das ist im Rückblick bitter und tut weh. Aber die Vernunft hat sich durchgesetzt. Ich hatte keine Chance, irgendwie weiter zu machen. Ich spiele heute auch überhaupt kein Fußball mehr. Mein Körper lässt es nicht zu. Es geht nicht mehr.

... ihr Leben nach dem Karriereende: Nachdem der ganze Ballast abgefallen war und ich wieder positiv nach vorne schauen konnte, habe ich viele Dinge einfach ausprobiert. Ich habe in unterschiedlichen Projekten gearbeitet, zum Beispiel für die DFB-Stiftung Sepp Herberger. Ich habe fürs Fernsehen kommentiert, mein Masterstudium beendet, meinen Trainerschein angefangen. Mir ist nicht langweilig geworden. Den größten Respekt hatte ich davor, wieder etwas zu finden, was mich so erfüllt, wie es der Fußball gemacht hat. Als Leistungssportlerin beziehungsweise in meinem Fall als Fußballerin ist man einfach sehr verwöhnt. Man hat den besten Beruf der Welt, man ist jeden Tag glücklich, man ist jeden Tag fit, man bekommt Geld dafür, dass man Sport macht – mehr geht eigentlich nicht. Das ist ein Privileg, weil ganz sicher nicht jeder Mensch jeden Tag glücklich auf die Arbeit geht. Bei mir war das immer der Fall. Ich habe viel ausprobiert, um so etwas Ähnliches wieder zu finden. Das war ein wichtiger und spannender Selbstfindungsprozess.

... ihren aktuellen Job bei der UEFA: Seit dreieinhalb Jahren bin ich dort jetzt beschäftigt. Meine extrem spannende Aufgabe ist es, den Frauenfußball europaweit voranzubringen. Ich bin überglücklich. Ich leite die Frauenfußballabteilung bei der UEFA, die vor drei Jahren neu gegründet wurde. Im Moment habe ich überhaupt keinen Grund, mich über irgendetwas zu beschweren. Ich komme viel in der Welt rum, habe viel Verantwortung und arbeite in dem Sport, für den mein Herz schlägt. Es ist einfach nur eine tolle Herausforderung, die ich gerne annehme und mich mit Leidenschaft erfüllt. Früher als geplant konnte ich auch Dank meiner Verletzung mich daher wieder neuen Aufgaben widmen und nun das Leben von einer anderen Seite genießen.

... ihren Blick auf den deutschen Frauenfußball: Der deutsche Frauenfußball ist nach wie vor in einer sehr starken Position und aus meiner Sicht gehört der DFB hier weiterhin zu den führenden Verbänden weltweit. Natürlich gab es in den vergangenen Jahren auch Rückschläge, die man noch nicht kannte. Aber auch das ist ein normaler Prozess für einen Verband, der über Jahrzehnte federführend war. Die Erwartungshaltung an den deutschen Frauenfußball ist riesig. Aber man kann nicht immer davon ausgehen, dass es mit den Erfolgen einfach so weitergeht. Wichtig aus meiner Sicht war es, dass man im Fall des Misserfolgs die richtige Reaktion gezeigt hat. Und das war meiner Wahrnehmung nach immer der Fall. Auch ganz aktuell mit dem Team um Martina Voss-Tecklenburg. Selbstverständlich merken wir in Deutschland, dass andere Nationen sich ebenfalls verstärkt mit dem Frauenfußball auseinandersetzen und ihn so voranbringen. Aber das ist gut und stärkt den Wettbewerb. Die europäische Spitze ist viel breiter als zu meiner Zeit. Viel mehr Länder können Titel gewinnen, und Deutschland gehört da ganz klar weiterhin dazu. 

... ihre Einschätzung zur Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland in den vergangenen 50 Jahren: Wenn wir es erst mal auf Klubebene beziehen, hatten wir immer starke Vereine. Davon lebt der deutsche Frauenfußball. Der Klubfußball muss mit den Interessen der Nationalmannschaft im Einklang stehen. Eine starke Liga ist die Grundlage und das Erfolgsrezept für alles, was darauf aufbaut. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gab es in den vergangenen 50 Jahren deutsche Klubs, die europaweit führend waren. Im Moment schlägt das Pendel in Richtung der Vereine aus, die eine Profimannschaft für Männer haben. Auf jeden Fall haben die deutschen Mannschaften die internationalen Wettbewerbe über Jahrzehnte dominiert. Und wenn es zur Frauen-Nationalmannschaft kommt, dann ist es glaube ich fair zu sagen, dass diese ein sehr wichtiges Zugpferd über all die Jahre im Deutschen Frauenfußball war. Dank dieser Erfolge, ist der Frauenfußball, wo er heute ist.

... ihre Meinung zur Perspektive des deutschen Frauenfußballs: Ich glaube, dass der deutsche Frauenfußball grundsätzlich auf einem guten Weg ist. Aber ich bin auch der Meinung, dass in der Liga noch Luft nach oben ist. Ich glaube, dass wir noch mehr Aufmerksamkeit für den Frauenfußball generieren können. Um den Frauenfußball nachhaltig an den Mann beziehungsweise die Frau zu bringen, ist die Sichtbarkeit der Liga ein ganz wichtiger Faktor.

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