Nadine Angerer: Charismatisch chaotisch

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs - er wurde an diesem Tag vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind mehr als 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert - damals wie heute. 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de prägende Persönlichkeiten aus dem Frauenfußball in den Fokus. Heute: die ehemalige Nationaltorhüterin Nadine Angerer, die mit der deutschen Frauen-Nationalmannschaft riesige Erfolge gefeiert hat.

Vielleicht kennt kaum einer Nadine Angerer besser als Michael Fuchs. Der Torwarttrainer der deutschen Frauen-Nationalmannschaft hat über die vielen Jahren der Zusammenarbeit mit einer der außergewöhnlichsten Torhüterinnen der Welt eine besondere Beziehung entwickelt. Fuchs hat unzählige Stunden auf dem Trainingsplatz mit der Ausnahmetorhüterin zugebracht – und auch abseits des Fußballs schnell gelernt, dass man diese Sportlerin mitunter einfach machen lassen muss.

So erinnert er sich an die Episode, als er sie in Schweden besuchte: "Wenn sie ein Frühstücksei kocht, dann in einem Riesentopf mit fünf Liter Wasser drin. Wenn ich dann sage, 'Natze', das ist ja Wahnsinn, nimm' doch einen kleineren mit 200 Milliliter, dann entgegnet sie, ich solle sie nicht stören."

Sechs große Turniere auf der Bank

Typisch für einen Freigeist unter der Latte, der oft genug aus dem Bauch heraus Entscheidungen trifft. Wobei Nadine Angerer damit fast immer richtig lag, wenn sie beim Duell Frau-gegen-Frau vom Elfmeterpunkt ihrer Intuition folgte. Gehaltene Strafstöße in entscheidenden Momenten sind Meilensteine der Karriere einer charismatischen Fußballerin, die in einer Großfamilie in Gössenheim nahe Gemünden zwischen Aschaffenburg und Schweinfurt aufwuchs. Den Ehrgeiz bekam sie von Mutter Petra vererbt, die sie anfangs bei allen Turnieren begleitete.

Ihr Debüt für die DFB-Auswahl hatte sie zwar bereits am 27. August 1996 gegen die Niederlande gefeiert, doch sechs (!) große Turniere erlebte sie ausschließlich von der Bank: den WM-Triumph 2003, die EM-Siege 1997, 2001 und 2005, sowie die Olympischen Spiele 2000 und 2004, die jeweils mit dem Gewinn der Bronzemedaille endeten. Klar, dass ihr die Reservistenrolle irgendwann gewaltig auf die Nerven ging, da sie zu diesem Zeitpunkt vor allem bei Turbine Potsdam auf Vereinsebene sich einen Namen gemacht hatte. Erst 2007 trat sie aus dem Schatten der dominanten Torhüterin Silke Rottenberg.

Von der WM 2007 in China kehrte sie als unüberwindbare Heldin zurück. Ihr Elfmeter-Coup gegen die Weltfußballerin Marta im Finale beim 2:0 gegen Brasilien und eine WM ohne jedes Gegentor sollten der Torfrau mit dem Mützentick viel Ruhm einbringen, mit dem sie erst lernen musste umzugehen, wie sie in ihrer von Kathrin Steinbichler verfassten Autobiografie "Im richtigen Moment – meine Story" beschrieb.

Elfmeterheldin im EM-Finale 2013 gegen Norwegen

Als sie dann im EM-Endspiel 2013 in Schweden beim 1:0 gegen Norwegen gegen Trine Rønning und Solveig Gulbransen parierte, gelang das viel besser. Was sich damals in der Arena von Solna abspielte, schilderte sie eindrucksvoll in ihrem Buch: "Ruhig bleiben, Natze, sagte ich zu mir… Der Ball darf nichts ins Tor, auf gar keinen Fall. Ich blendete aus, dass das vollbesetzte Stadion brodelte wie ein blubbernder Brei, ich sah nichts mehr außer den Ball." Bei dem Turnier spielte sie als "Mutter der Kompanie" eine Schlüsselrolle, sie sorgte mit für den großen Zusammenhalt einer jungen Mannschaft, nachdem sie bereits 2011 zur Nachfolgerin von Birgit Prinz zur Spielführerin bestimmt wurde.

Bundestrainerin Silvia Neid schätzte den besonderen Charakter der Vertrauensperson, die gerne auch mal öffentlich aneckte, wenn sie es für erforderlich hielt. Ihre Leistungen litten nicht darunter: Auch bei der WM 2015 in Kanada auf Kunstrasen lag sie im dramatischen Viertelfinale gegen Frankreich (5:4, 1:1 im Elfmeterschießen) richtig, als sie Deutschland mit einem abgewehrten Strafstoß gegen Claire Lavogez das Weiterkommen sicherte.

Dennoch endete ihr letztes Turnier mit dem vierten Platz nicht so, wie sich die 146-malige Nationaltorhüterin das vorgestellt hatte. Mit damals 36 Jahren hatte sie zuvor ihren Rücktritt unabhängig vom Abschneiden erklärt. "Ich bin topfit und könnte von meinen körperlichen Voraussetzungen noch zwei, drei Jahre auf höchstem Niveau spielen", sagte sie damals in einem Interview mit DFB.de. "Aber ich denke auch, dass es großartig ist, nach fast 20 Jahren Leistungssport sagen zu können: Meinem Körper geht es richtig gut. Für mich war es auch wichtig, dass ich entscheide."

Karriereausklang in Kanada und USA

Ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, ging ihr häufig über alles. So spielte sie nach ihrem Abschied vom 1. FFC Frankfurt noch ab 2013 für die Brisbane Roar an der australischen Ostküste, wo sie sich ebenso bestens aufgehoben fühlte wie bei den Portland Thorns an der US-amerikanischen Westküste. Dort erntete die Torfrau für ihre Prachtparaden immer wieder Beifallsstürme.

Sie selbst fand an dem Verein und der Begeisterung für den Frauenfußball so viel Gefallen, dass sie in Portland als Torwarttrainerin weiterarbeitete. Die deutsche Öffentlichkeit erinnert sich an die "Auswanderin" Nadine Angerer vor allem dann wieder, wenn sie sich hierzulande mal wieder bei einer Prominenten-Staffel neuen Herausforderungen stellt. Ob bei der RTL-Trampolin-Show "Big Bounce", bei der ProSieben-Unterhaltung "Global Gladiators" oder der Sat.1-Serie "Dancing on Ice" – "Natze" unternimmt zumindest den Versuch, auch auf anderen Ebenen eine gute Figur zu machen. Aber nirgendwo sind ihr stilprägende Auftritte so gut gelungen wie im Fußballtor.

[fh]

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs - er wurde an diesem Tag vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind mehr als 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert - damals wie heute. 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de prägende Persönlichkeiten aus dem Frauenfußball in den Fokus. Heute: die ehemalige Nationaltorhüterin Nadine Angerer, die mit der deutschen Frauen-Nationalmannschaft riesige Erfolge gefeiert hat.

Vielleicht kennt kaum einer Nadine Angerer besser als Michael Fuchs. Der Torwarttrainer der deutschen Frauen-Nationalmannschaft hat über die vielen Jahren der Zusammenarbeit mit einer der außergewöhnlichsten Torhüterinnen der Welt eine besondere Beziehung entwickelt. Fuchs hat unzählige Stunden auf dem Trainingsplatz mit der Ausnahmetorhüterin zugebracht – und auch abseits des Fußballs schnell gelernt, dass man diese Sportlerin mitunter einfach machen lassen muss.

So erinnert er sich an die Episode, als er sie in Schweden besuchte: "Wenn sie ein Frühstücksei kocht, dann in einem Riesentopf mit fünf Liter Wasser drin. Wenn ich dann sage, 'Natze', das ist ja Wahnsinn, nimm' doch einen kleineren mit 200 Milliliter, dann entgegnet sie, ich solle sie nicht stören."

Sechs große Turniere auf der Bank

Typisch für einen Freigeist unter der Latte, der oft genug aus dem Bauch heraus Entscheidungen trifft. Wobei Nadine Angerer damit fast immer richtig lag, wenn sie beim Duell Frau-gegen-Frau vom Elfmeterpunkt ihrer Intuition folgte. Gehaltene Strafstöße in entscheidenden Momenten sind Meilensteine der Karriere einer charismatischen Fußballerin, die in einer Großfamilie in Gössenheim nahe Gemünden zwischen Aschaffenburg und Schweinfurt aufwuchs. Den Ehrgeiz bekam sie von Mutter Petra vererbt, die sie anfangs bei allen Turnieren begleitete.

Ihr Debüt für die DFB-Auswahl hatte sie zwar bereits am 27. August 1996 gegen die Niederlande gefeiert, doch sechs (!) große Turniere erlebte sie ausschließlich von der Bank: den WM-Triumph 2003, die EM-Siege 1997, 2001 und 2005, sowie die Olympischen Spiele 2000 und 2004, die jeweils mit dem Gewinn der Bronzemedaille endeten. Klar, dass ihr die Reservistenrolle irgendwann gewaltig auf die Nerven ging, da sie zu diesem Zeitpunkt vor allem bei Turbine Potsdam auf Vereinsebene sich einen Namen gemacht hatte. Erst 2007 trat sie aus dem Schatten der dominanten Torhüterin Silke Rottenberg.

Von der WM 2007 in China kehrte sie als unüberwindbare Heldin zurück. Ihr Elfmeter-Coup gegen die Weltfußballerin Marta im Finale beim 2:0 gegen Brasilien und eine WM ohne jedes Gegentor sollten der Torfrau mit dem Mützentick viel Ruhm einbringen, mit dem sie erst lernen musste umzugehen, wie sie in ihrer von Kathrin Steinbichler verfassten Autobiografie "Im richtigen Moment – meine Story" beschrieb.

Elfmeterheldin im EM-Finale 2013 gegen Norwegen

Als sie dann im EM-Endspiel 2013 in Schweden beim 1:0 gegen Norwegen gegen Trine Rønning und Solveig Gulbransen parierte, gelang das viel besser. Was sich damals in der Arena von Solna abspielte, schilderte sie eindrucksvoll in ihrem Buch: "Ruhig bleiben, Natze, sagte ich zu mir… Der Ball darf nichts ins Tor, auf gar keinen Fall. Ich blendete aus, dass das vollbesetzte Stadion brodelte wie ein blubbernder Brei, ich sah nichts mehr außer den Ball." Bei dem Turnier spielte sie als "Mutter der Kompanie" eine Schlüsselrolle, sie sorgte mit für den großen Zusammenhalt einer jungen Mannschaft, nachdem sie bereits 2011 zur Nachfolgerin von Birgit Prinz zur Spielführerin bestimmt wurde.

Bundestrainerin Silvia Neid schätzte den besonderen Charakter der Vertrauensperson, die gerne auch mal öffentlich aneckte, wenn sie es für erforderlich hielt. Ihre Leistungen litten nicht darunter: Auch bei der WM 2015 in Kanada auf Kunstrasen lag sie im dramatischen Viertelfinale gegen Frankreich (5:4, 1:1 im Elfmeterschießen) richtig, als sie Deutschland mit einem abgewehrten Strafstoß gegen Claire Lavogez das Weiterkommen sicherte.

Dennoch endete ihr letztes Turnier mit dem vierten Platz nicht so, wie sich die 146-malige Nationaltorhüterin das vorgestellt hatte. Mit damals 36 Jahren hatte sie zuvor ihren Rücktritt unabhängig vom Abschneiden erklärt. "Ich bin topfit und könnte von meinen körperlichen Voraussetzungen noch zwei, drei Jahre auf höchstem Niveau spielen", sagte sie damals in einem Interview mit DFB.de. "Aber ich denke auch, dass es großartig ist, nach fast 20 Jahren Leistungssport sagen zu können: Meinem Körper geht es richtig gut. Für mich war es auch wichtig, dass ich entscheide."

Karriereausklang in Kanada und USA

Ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, ging ihr häufig über alles. So spielte sie nach ihrem Abschied vom 1. FFC Frankfurt noch ab 2013 für die Brisbane Roar an der australischen Ostküste, wo sie sich ebenso bestens aufgehoben fühlte wie bei den Portland Thorns an der US-amerikanischen Westküste. Dort erntete die Torfrau für ihre Prachtparaden immer wieder Beifallsstürme.

Sie selbst fand an dem Verein und der Begeisterung für den Frauenfußball so viel Gefallen, dass sie in Portland als Torwarttrainerin weiterarbeitete. Die deutsche Öffentlichkeit erinnert sich an die "Auswanderin" Nadine Angerer vor allem dann wieder, wenn sie sich hierzulande mal wieder bei einer Prominenten-Staffel neuen Herausforderungen stellt. Ob bei der RTL-Trampolin-Show "Big Bounce", bei der ProSieben-Unterhaltung "Global Gladiators" oder der Sat.1-Serie "Dancing on Ice" – "Natze" unternimmt zumindest den Versuch, auch auf anderen Ebenen eine gute Figur zu machen. Aber nirgendwo sind ihr stilprägende Auftritte so gut gelungen wie im Fußballtor.

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