Fitschen: Emotionen, Erfolge, Erfahrungen

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs - er wurde an diesem Tag vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert - damals wie heute. 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de Persönlichkeiten aus dem Frauenfußball in den Fokus. Heute: Doris Fitschen, die über ihre Erlebnisse schreibt.

Dass wir in diesem Jahr 50 Jahre Frauenfußball in Deutschland feiern, ist auch für mich persönlich ein besonderes Ereignis, denn Fußball hat mein Leben geprägt. Dabei sah es am Anfang gar nicht danach aus. Aufgewachsen bin in dem kleinen Dorf Osenhorst in Niedersachsen, in dem damals gerade einmal 20 Menschen gelebt haben. Meine Eltern betrieben Landwirtschaft und da gab es auch für mich und meine beiden Schwestern ziemlich viel zu tun. Jede freie Minute nutzte ich aber zum Fußballspielen. Ob Zuhause auf unseren Bauernhof mit den Auszubildenden oder nach der Schule im Dorf mit den Jungs – immer und überall ging es um Fußball.

Erst wenn die Jungs ins Mannschaftstraining mussten, fuhr ich nach Hause. Das Training war eben nur für sie offen – nicht für mich. Nicht für Mädchen. Ich fand das damals nicht ungewöhnlich und ich stellte es auch nicht in Frage. Es gab eben keine weiblichen Vorbilder. Ich wusste nicht, dass anderswo auf der Welt Mädchen und Frauen Fußball spielten und ich träumte auch nicht davon, eines Tages in der Frauen-Nationalmannschaft aufzulaufen. Warum nicht? Weil es diese schlichtweg nicht gab. Meine Vorbilder waren Franz Beckenbauer und Klaus Fischer.

"Fußball ist nichts für Mädchen"

Aber als ich neun Jahre alt war, änderte sich alles. Der Trainer, der in einem Nachbarort neu gegründeten Mädchenmannschaft FC Hesedorf, wurde auf mich aufmerksam und stellte sich bei meinen Eltern vor. Im Gegensatz zu Papa und Mama war ich sofort Feuer und Flamme. Problem: Weder mein Vater noch meine Mutter hatten sich je für Fußball interessiert, geschweige denn selbst gespielt. Kurzum, sie wollten nicht, dass ich spiele. Fußball sei ganz einfach kein Sport für Mädchen. Erst nachdem ich ziemlich lange gequengelt hatte und einfach nicht locker ließ, konnten Sie mir diesen Wunsch doch nicht mehr abschlagen.

Das war 1978. Zunächst spielten wir relativ erfolglos und verloren alle Spiele zu null. Irgendwann hatte dann unser Trainer die Idee, eine Prämie in Höhe von zwei Mark auszusetzen, für die Spielerin, die das erste Tor des Vereins erzielt. Und tatsächlich war ich am Ende die Glückliche. Das sollte für lange Zeit das einzige Geld sein, das ich mit dem Fußball spielen verdiene.

Nationalmannschaftsdebüt mit 17 Jahren

Ich war 17 Jahre alt, als der damalige Bundestrainer Gero Bisanz auf mich aufmerksam wurde. Meine erste Nominierung für die Frauen-Nationalmannschaft! Es war ein aufregender Moment, als ich die DFB-Einladung im Briefkasten für das Länderspiel in Bergisch-Gladbach gegen Dänemark entdeckte. Das meine Schule sich am Anfang weigerte mich zwei Tage vom Unterricht zu befreien? Geschenkt! Ich wollte für Deutschland spielen und am Ende durfte ich das auch!

Den Moment, als die Nationalhymne gespielt wurde, werde ich nie vergessen. Gänsehautfeeling. Ich war stolz. Denn mir wurde auch bewusst, dass ich nun zu den besten Spielerinnen Deutschlands gehörte und das Land repräsentierte. Als Mittelstürmerin mit der Nummer 9 auf dem Rücken erzielte ich in der 9. Minute dann auch noch das 1:0 und ebnete den Weg zum ersten Sieg gegen Dänemark. Ein perfekter Tag!

Die Erfolge mit der Nationalmannschaft sind mir in meiner Karriere besonders in Erinnerung geblieben. Ein unvergessliches Turnier war die Europameisterschaft 1989 in Deutschland. Das Halbfinale gegen Italien war das erste Spiel der Nationalmannschaft, das live im Fernsehen übertragen wurde. Mehr als fünf Millionen Zuschauer verfolgten das an Dramatik kaum zu übertreffende Spiel. Letztlich gewannen wir nach denkwürdigem Elfmeterschießen. Das Finale drei Tage später in Osnabrück war dann legendär. Ein mehr als ausverkauftes Stadion beflügelte uns, wir gewannen mit 4:1 gegen Norwegen und leiteten damit eine Ära ein. Ich war mit 20 Jahren die jüngste Spielerin im Kader und wurde plötzlich in unterschiedlichste Fernsehsendungen eingeladen. Für mich war das alles unvorstellbar. Ich war bis dahin das Mädchen vom Dorf und praktisch über Nacht auf der ganz großen Bühne angekommen.

Trainerlizenz zusammen mit Löw und Kuntz

Die 90er Jahre waren dann geprägt von einer rasanten Entwicklung des Frauenfußballs. In Deutschland wurde 1990 die Bundesliga gegründet, 1991 fand in China die erste offizielle Frauen-WM statt, 1996 wurde Frauenfußball in Atlanta sogar olympisch, 1997 hatte unsere Nationalmannschaft mit Tina Theune die erste weibliche Bundestrainerin und 1999 fand in den USA eine WM der Superlative statt. Ich bin stolz, bei all diesen Meilensteinen des Frauenfußballs dabei gewesen zu sein.

Es war in dieser Zeit aber auch immer ein Spagat zwischen Leistungssport, Studium und Job. So machte ich während meiner Laufbahn eine Ausbildung zur Industriekauffrau und Systemanalytikerin bei Volkswagen in Wolfsburg, einen BWL-Abschluss, ich absolvierte  verschiedene Praktika, arbeitete im Blumengroßhandel, in Werbeagenturen und als Sportredakteurin beim WDR in Siegen. Und zwischendurch absolvierte ich auch noch meine B-, A- und Fußballlehrerlizenz. Übrigens unter anderem zusammen mit Bettina Wiegmann, Jürgen Klinsmann, Jogi Löw, Stefan Kuntz und Bernd Hölzenbein. Langeweile kam also nicht auf.

Als Profifußballerin zum EM-Titel

Etwas ganz Besonderes waren für mich die olympischen Spiele 2000 in Sydney. Ich hatte während der Vorbereitung mit einer hartnäckigen Verletzung zu kämpfen, konnte über Wochen nur Aquajogging und Krafttraining machen oder Radfahren. Meine Mannschaft schenkte mir als Motivation sogar ein gepunktetes Bergtrikot. Erst kurz vor der Nominierung konnte ich wieder ins Mannschaftstraining einsteigen. Trotz dieser holprigen Vorbereitung vertraute Tina Theune mir und berief mich ins Aufgebot, wofür ich ihr bis heute sehr dankbar bin. In Australien verletzte ich mich dann aber erneut. Ein blauer und entzündeter Zeh. Ich konnte kaum trainieren und quälte mich durch die Spiele.

Immerhin wurde die Schinderei mit der Bronzemedaille und einem fantastischen olympischen Erlebnis in Sydney belohnt. Nach diesem erfolgreichen aber anstrengenden Kraftakt beschloss ich noch in Sydney sofort meine Karriere zu beenden. Doch noch am selben Tag erhielt ich den Anruf von Toni di Cicco, dem ehemaligen Weltmeistertrainer der USA und Manager der neuen Profiliga in den USA. Er wollte, dass ich in der Liga mitspiele und so hängte ich noch ein Jahr dran. Was wiederum eine gute Entscheidung war, denn die EM 2001 sollte in Deutschland stattfinden und wäre ein schöner Karriereabschluss.

Endlich erfüllte sich auch der Traum, Profifußballerin zu werden. Mit meinem Club Philadelphia Charge spielten wir Woche für Woche vor mehr als 10.000 Zuschauern. Zum Abschluss meiner Karriere war das sehr beeindruckend und schön, solchen Zuspruch zu erfahren. Sportlich lief es auch gut. Wir wurden immerhin vierter und ich zur besten Abwehrspielerin der Liga gekürt. Mit der Nationalmannschaft spielten wir im gleichen Jahr die EM in Deutschland. Als i-Tüpfelchen gewannen wir den EM-Titel in meinem 144. und letzten Länderspiel im Finale gegen Schweden in Ulm durch ein Silver Goal von Claudia Müller! Ein wunderbarer Abschluss meiner aktiven Karriere.

"Emotionaler, unvergesslicher Abschied"

Danach standen mir die Türen für eine Karriere nach der Karriere offen. Ich entschied mich für einen Job in der Marketingdirektion des DFB. Zunächst als Sponsoring-Managerin, später als Marketing-Leiterin im WM-Organisationskomitee der FIFA Frauen-WM 2011 in Deutschland und ab 2009 als erste Managerin der Frauen-Nationalmannschaft.

Ein Highlight in dieser Zeit bisher war für mich ganz sicher die Organisation der Frauen-Heim-WM 2011. Von den Dimensionen war dieses Turnier nicht zu vergleichen mit den Weltmeisterschaften zuvor. Wir haben es geschafft, in Deutschland einen riesigen Hype auszulösen und den Frauenfußball hierzulande auf ein neues Niveau zu heben – sportlich genauso wie organisatorisch. Leider sind wir im Viertelfinale gegen Japan ausgeschieden und unser Traum vom Titelgewinn ist zerplatzt.

Highlight und gleichzeitig Abschied meiner Zeit als Managerin waren aber die Olympischen Spiele 2016 in Rio. Hier gewannen wir im legendären Maracana-Stadion die Goldmedaille. Noch in den Katakomben des Stadions bereitete unser Mannschaft Silvia Neid, Ulrike Ballweg und mir anschließend einen emotionalen unvergesslichen Abschied, der ans Herz ging. Danach konzentrierte ich mich auf die Aufgaben im Marketing. Ich war in den vergangenen Jahren viel unterwegs gewesen und wollte mich mehr um die Familie kümmern.

Auf dem Weg der Besserung nach Schockdiagnose

Doch im letzten Jahr erhielt ich wie aus heiterem Himmel die Diagnose Krebs. Das war ein Schock. Bei mir war ein sehr seltener bösartiger Tumor im Oberarmknochen festgestellt worden. Ich musste eine lange Chemotherapie und mehrere Operationen über mich ergehen lassen. Eine ziemlich harte Zeit. Der Sport hat mir sehr dabei geholfen, diese durchzustehen. Zum einen, weil ich gelernt habe, zuversichtlich nach vorne zu schauen, mich auf ein Ziel zu fokussieren und dafür zu kämpfen. Aber auch, weil ich während meiner Karriere wunderbare, wertvolle Menschen kennengelernt und echte Freundschaften geschlossen habe. Diese haben mich während dieser schweren Zeit, gemeinsam mit meiner Familie, unfassbar toll unterstützt.

Zum Glück geht’s mir inzwischen besser. Die letzten eineinhalb Jahre waren für mich auch eine Zeit der Reflektion. Ich habe einige Ideen gesammelt und freue mich auf alles was kommt! Natürlich auch darauf, zukünftig weiter an der Entwicklung des Frauenfußballs mitzuwirken.

Attraktivität der Bundesliga fördern

Es hat sich in den letzten 50 Jahren viel entwickelt. Inzwischen ist es selbstverständlich, dass Frauen und Mädchen Fußball spielen. Die Besten spielen inzwischen professionell. Und allmählich erobern die Frauen auch andere Bereiche im Fußball. Beispielsweise im Männerbereich als TV-Kommentatorin oder Bundesliga-Schiedsrichterin.

International hat sich in den letzten Jahren vor allem in den USA, England, Spanien und Frankreich einiges getan. Starke Ligen mit attraktiven Clubs sind auch für deutsche Spielerinnen reizvoll. Uns muss es nun gelingen, die Attraktivität und Anziehungskraft der FLYERALARM Frauen-Bundesliga weiter zu fördern und wettbewerbsfähig zu bleiben.

Natürlich spielt dafür auch unsere Frauen-Nationalmannschaft eine wichtige Rolle. Spielt die Mannschaft erfolgreich, genießt sie eine große Aufmerksamkeit und diese hat positive Auswirkungen auf die Liga und den gesamten Mädchen- und Frauenfußball. Ich bin zuversichtlich, dass unsere Mannschaft mit den talentierten und starken Spielerinnen an die früheren Erfolge anknüpfen kann.

[dfb]

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs - er wurde an diesem Tag vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert - damals wie heute. 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de Persönlichkeiten aus dem Frauenfußball in den Fokus. Heute: Doris Fitschen, die über ihre Erlebnisse schreibt.

Dass wir in diesem Jahr 50 Jahre Frauenfußball in Deutschland feiern, ist auch für mich persönlich ein besonderes Ereignis, denn Fußball hat mein Leben geprägt. Dabei sah es am Anfang gar nicht danach aus. Aufgewachsen bin in dem kleinen Dorf Osenhorst in Niedersachsen, in dem damals gerade einmal 20 Menschen gelebt haben. Meine Eltern betrieben Landwirtschaft und da gab es auch für mich und meine beiden Schwestern ziemlich viel zu tun. Jede freie Minute nutzte ich aber zum Fußballspielen. Ob Zuhause auf unseren Bauernhof mit den Auszubildenden oder nach der Schule im Dorf mit den Jungs – immer und überall ging es um Fußball.

Erst wenn die Jungs ins Mannschaftstraining mussten, fuhr ich nach Hause. Das Training war eben nur für sie offen – nicht für mich. Nicht für Mädchen. Ich fand das damals nicht ungewöhnlich und ich stellte es auch nicht in Frage. Es gab eben keine weiblichen Vorbilder. Ich wusste nicht, dass anderswo auf der Welt Mädchen und Frauen Fußball spielten und ich träumte auch nicht davon, eines Tages in der Frauen-Nationalmannschaft aufzulaufen. Warum nicht? Weil es diese schlichtweg nicht gab. Meine Vorbilder waren Franz Beckenbauer und Klaus Fischer.

"Fußball ist nichts für Mädchen"

Aber als ich neun Jahre alt war, änderte sich alles. Der Trainer, der in einem Nachbarort neu gegründeten Mädchenmannschaft FC Hesedorf, wurde auf mich aufmerksam und stellte sich bei meinen Eltern vor. Im Gegensatz zu Papa und Mama war ich sofort Feuer und Flamme. Problem: Weder mein Vater noch meine Mutter hatten sich je für Fußball interessiert, geschweige denn selbst gespielt. Kurzum, sie wollten nicht, dass ich spiele. Fußball sei ganz einfach kein Sport für Mädchen. Erst nachdem ich ziemlich lange gequengelt hatte und einfach nicht locker ließ, konnten Sie mir diesen Wunsch doch nicht mehr abschlagen.

Das war 1978. Zunächst spielten wir relativ erfolglos und verloren alle Spiele zu null. Irgendwann hatte dann unser Trainer die Idee, eine Prämie in Höhe von zwei Mark auszusetzen, für die Spielerin, die das erste Tor des Vereins erzielt. Und tatsächlich war ich am Ende die Glückliche. Das sollte für lange Zeit das einzige Geld sein, das ich mit dem Fußball spielen verdiene.

Nationalmannschaftsdebüt mit 17 Jahren

Ich war 17 Jahre alt, als der damalige Bundestrainer Gero Bisanz auf mich aufmerksam wurde. Meine erste Nominierung für die Frauen-Nationalmannschaft! Es war ein aufregender Moment, als ich die DFB-Einladung im Briefkasten für das Länderspiel in Bergisch-Gladbach gegen Dänemark entdeckte. Das meine Schule sich am Anfang weigerte mich zwei Tage vom Unterricht zu befreien? Geschenkt! Ich wollte für Deutschland spielen und am Ende durfte ich das auch!

Den Moment, als die Nationalhymne gespielt wurde, werde ich nie vergessen. Gänsehautfeeling. Ich war stolz. Denn mir wurde auch bewusst, dass ich nun zu den besten Spielerinnen Deutschlands gehörte und das Land repräsentierte. Als Mittelstürmerin mit der Nummer 9 auf dem Rücken erzielte ich in der 9. Minute dann auch noch das 1:0 und ebnete den Weg zum ersten Sieg gegen Dänemark. Ein perfekter Tag!

Die Erfolge mit der Nationalmannschaft sind mir in meiner Karriere besonders in Erinnerung geblieben. Ein unvergessliches Turnier war die Europameisterschaft 1989 in Deutschland. Das Halbfinale gegen Italien war das erste Spiel der Nationalmannschaft, das live im Fernsehen übertragen wurde. Mehr als fünf Millionen Zuschauer verfolgten das an Dramatik kaum zu übertreffende Spiel. Letztlich gewannen wir nach denkwürdigem Elfmeterschießen. Das Finale drei Tage später in Osnabrück war dann legendär. Ein mehr als ausverkauftes Stadion beflügelte uns, wir gewannen mit 4:1 gegen Norwegen und leiteten damit eine Ära ein. Ich war mit 20 Jahren die jüngste Spielerin im Kader und wurde plötzlich in unterschiedlichste Fernsehsendungen eingeladen. Für mich war das alles unvorstellbar. Ich war bis dahin das Mädchen vom Dorf und praktisch über Nacht auf der ganz großen Bühne angekommen.

Trainerlizenz zusammen mit Löw und Kuntz

Die 90er Jahre waren dann geprägt von einer rasanten Entwicklung des Frauenfußballs. In Deutschland wurde 1990 die Bundesliga gegründet, 1991 fand in China die erste offizielle Frauen-WM statt, 1996 wurde Frauenfußball in Atlanta sogar olympisch, 1997 hatte unsere Nationalmannschaft mit Tina Theune die erste weibliche Bundestrainerin und 1999 fand in den USA eine WM der Superlative statt. Ich bin stolz, bei all diesen Meilensteinen des Frauenfußballs dabei gewesen zu sein.

Es war in dieser Zeit aber auch immer ein Spagat zwischen Leistungssport, Studium und Job. So machte ich während meiner Laufbahn eine Ausbildung zur Industriekauffrau und Systemanalytikerin bei Volkswagen in Wolfsburg, einen BWL-Abschluss, ich absolvierte  verschiedene Praktika, arbeitete im Blumengroßhandel, in Werbeagenturen und als Sportredakteurin beim WDR in Siegen. Und zwischendurch absolvierte ich auch noch meine B-, A- und Fußballlehrerlizenz. Übrigens unter anderem zusammen mit Bettina Wiegmann, Jürgen Klinsmann, Jogi Löw, Stefan Kuntz und Bernd Hölzenbein. Langeweile kam also nicht auf.

Als Profifußballerin zum EM-Titel

Etwas ganz Besonderes waren für mich die olympischen Spiele 2000 in Sydney. Ich hatte während der Vorbereitung mit einer hartnäckigen Verletzung zu kämpfen, konnte über Wochen nur Aquajogging und Krafttraining machen oder Radfahren. Meine Mannschaft schenkte mir als Motivation sogar ein gepunktetes Bergtrikot. Erst kurz vor der Nominierung konnte ich wieder ins Mannschaftstraining einsteigen. Trotz dieser holprigen Vorbereitung vertraute Tina Theune mir und berief mich ins Aufgebot, wofür ich ihr bis heute sehr dankbar bin. In Australien verletzte ich mich dann aber erneut. Ein blauer und entzündeter Zeh. Ich konnte kaum trainieren und quälte mich durch die Spiele.

Immerhin wurde die Schinderei mit der Bronzemedaille und einem fantastischen olympischen Erlebnis in Sydney belohnt. Nach diesem erfolgreichen aber anstrengenden Kraftakt beschloss ich noch in Sydney sofort meine Karriere zu beenden. Doch noch am selben Tag erhielt ich den Anruf von Toni di Cicco, dem ehemaligen Weltmeistertrainer der USA und Manager der neuen Profiliga in den USA. Er wollte, dass ich in der Liga mitspiele und so hängte ich noch ein Jahr dran. Was wiederum eine gute Entscheidung war, denn die EM 2001 sollte in Deutschland stattfinden und wäre ein schöner Karriereabschluss.

Endlich erfüllte sich auch der Traum, Profifußballerin zu werden. Mit meinem Club Philadelphia Charge spielten wir Woche für Woche vor mehr als 10.000 Zuschauern. Zum Abschluss meiner Karriere war das sehr beeindruckend und schön, solchen Zuspruch zu erfahren. Sportlich lief es auch gut. Wir wurden immerhin vierter und ich zur besten Abwehrspielerin der Liga gekürt. Mit der Nationalmannschaft spielten wir im gleichen Jahr die EM in Deutschland. Als i-Tüpfelchen gewannen wir den EM-Titel in meinem 144. und letzten Länderspiel im Finale gegen Schweden in Ulm durch ein Silver Goal von Claudia Müller! Ein wunderbarer Abschluss meiner aktiven Karriere.

"Emotionaler, unvergesslicher Abschied"

Danach standen mir die Türen für eine Karriere nach der Karriere offen. Ich entschied mich für einen Job in der Marketingdirektion des DFB. Zunächst als Sponsoring-Managerin, später als Marketing-Leiterin im WM-Organisationskomitee der FIFA Frauen-WM 2011 in Deutschland und ab 2009 als erste Managerin der Frauen-Nationalmannschaft.

Ein Highlight in dieser Zeit bisher war für mich ganz sicher die Organisation der Frauen-Heim-WM 2011. Von den Dimensionen war dieses Turnier nicht zu vergleichen mit den Weltmeisterschaften zuvor. Wir haben es geschafft, in Deutschland einen riesigen Hype auszulösen und den Frauenfußball hierzulande auf ein neues Niveau zu heben – sportlich genauso wie organisatorisch. Leider sind wir im Viertelfinale gegen Japan ausgeschieden und unser Traum vom Titelgewinn ist zerplatzt.

Highlight und gleichzeitig Abschied meiner Zeit als Managerin waren aber die Olympischen Spiele 2016 in Rio. Hier gewannen wir im legendären Maracana-Stadion die Goldmedaille. Noch in den Katakomben des Stadions bereitete unser Mannschaft Silvia Neid, Ulrike Ballweg und mir anschließend einen emotionalen unvergesslichen Abschied, der ans Herz ging. Danach konzentrierte ich mich auf die Aufgaben im Marketing. Ich war in den vergangenen Jahren viel unterwegs gewesen und wollte mich mehr um die Familie kümmern.

Auf dem Weg der Besserung nach Schockdiagnose

Doch im letzten Jahr erhielt ich wie aus heiterem Himmel die Diagnose Krebs. Das war ein Schock. Bei mir war ein sehr seltener bösartiger Tumor im Oberarmknochen festgestellt worden. Ich musste eine lange Chemotherapie und mehrere Operationen über mich ergehen lassen. Eine ziemlich harte Zeit. Der Sport hat mir sehr dabei geholfen, diese durchzustehen. Zum einen, weil ich gelernt habe, zuversichtlich nach vorne zu schauen, mich auf ein Ziel zu fokussieren und dafür zu kämpfen. Aber auch, weil ich während meiner Karriere wunderbare, wertvolle Menschen kennengelernt und echte Freundschaften geschlossen habe. Diese haben mich während dieser schweren Zeit, gemeinsam mit meiner Familie, unfassbar toll unterstützt.

Zum Glück geht’s mir inzwischen besser. Die letzten eineinhalb Jahre waren für mich auch eine Zeit der Reflektion. Ich habe einige Ideen gesammelt und freue mich auf alles was kommt! Natürlich auch darauf, zukünftig weiter an der Entwicklung des Frauenfußballs mitzuwirken.

Attraktivität der Bundesliga fördern

Es hat sich in den letzten 50 Jahren viel entwickelt. Inzwischen ist es selbstverständlich, dass Frauen und Mädchen Fußball spielen. Die Besten spielen inzwischen professionell. Und allmählich erobern die Frauen auch andere Bereiche im Fußball. Beispielsweise im Männerbereich als TV-Kommentatorin oder Bundesliga-Schiedsrichterin.

International hat sich in den letzten Jahren vor allem in den USA, England, Spanien und Frankreich einiges getan. Starke Ligen mit attraktiven Clubs sind auch für deutsche Spielerinnen reizvoll. Uns muss es nun gelingen, die Attraktivität und Anziehungskraft der FLYERALARM Frauen-Bundesliga weiter zu fördern und wettbewerbsfähig zu bleiben.

Natürlich spielt dafür auch unsere Frauen-Nationalmannschaft eine wichtige Rolle. Spielt die Mannschaft erfolgreich, genießt sie eine große Aufmerksamkeit und diese hat positive Auswirkungen auf die Liga und den gesamten Mädchen- und Frauenfußball. Ich bin zuversichtlich, dass unsere Mannschaft mit den talentierten und starken Spielerinnen an die früheren Erfolge anknüpfen kann.

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