Von Triumphen und Abstürzen: "Maradona"-Film in Berlin

Der Film "Maradona" des Oscar-Preisträgers Asif Kapadia wurde am Samstag im Rahmen des 11mm Fußball-Filmfestivals gezeigt. Seit vielen Jahren fördert die DFB-Kulturstiftung das Festival, das 2020 auch nur unter strengen Hygieneauflagen stattfinden kann. DFB-Redakteur Thomas Hackbarth sprach mit dem 42-jährigen Regisseur aus London über seine Begegnung mit Diego Armando Maradona.

DFB.de: Herr Kapadia, schauen Sie sich aktuell Sport im Fernsehen an?

Asif Kapadia: Absolut. Es ist nicht das Gleiche, ich weiß, aber ich bin ein leidenschaftlicher Liverpool-Fan. Man kann nicht einfach von einem auf den anderen Tag aufhören, seinem eigenen Team zu folgen. Also schaut man, auch wenn das Stadion leer ist. Hier in England herrscht ausgelöst durch die Pandemie ein großes Durcheinander, so viel Verwirrung. Der Fußball leidet.

DFB.de: Ihr Film über die Napoli-Jahre Diego Maradonas wurde im Berliner Kino Babylon als Teil des 11mm Fußball-Filmfestivals vorgeführt. Der Film kam noch im Herbst 2019 in die Kinos. Sie konnten das Virus also zeitlich knapp schlagen.

Kapadia: Wollen Sie die Geschichte dahinter hören?

DFB.de: Sehr gerne.

Kapadia: Der Maradona-Film war meine dritte Filmbiografie, beginnend mit "Senna" im Jahr 2010, und anschließend "Amy" 2015. Es war ein langer Weg. Insgesamt habe ich 15 Jahre damit verbracht, diese drei Filme fertigzustellen. Bei "Maradona" zeigten die Streaming Dienste großes Interesse. Aber ich habe mich gegen diese Option gesträubt. Weil ich zwei Dinge liebe, den Fußball und das Kino. Die Idee als Zuschauer etwas mit anderen auf der Leinwand zu sehen oder auch mit Zehntausenden ins Stadion zu gehen, nur so entsteht doch diese Gemeinschaftserlebnis, das mich wirklich fasziniert. Nur so entstehen Emotionen. Die Filmindustrie verändert sich. Heutzutage dreht sich alles nur noch um Netflix, Amazon, Apple und wen auch immer. Ich war also wild entschlossen, meinen "Maradona" als Kinofilm an den Markt zu bringen. Und wir hatten Glück. Premiere feierten wir letztes Jahr in Cannes. Und wir durften einige großartige Erstvorführungen rund um die Welt erleben.

DFB.de: Seitdem hat sich die Lage drastisch verändert.

Kapadia: Vor ein paar Wochen gehörte ich der Jury der Filmfestspiele in Venedig an und das alles lief online, ich saß hier zu Hause im Norden von London.

DFB.de: Am 30. Oktober wird Maradona 60. Wie geht es ihm gesundheitlich?

Kapadia: Um ehrlich zu sein, habe ich in letzter Zeit weder mit ihm noch mit seinem Team gesprochen. Er coacht, er arbeitet, er macht irgendwie immer weiter. Gut für ihn. Damals, als ich den Film fertigstellt hatte, bin ich nach Buenos Aires geflogen, um ihm den Film zu zeigen. Keine Chance, ich kam nicht mehr an ihn ran. Inzwischen lief "Maradona" im argentinischen Fernsehen. Vielleicht hat er ihn gesehen, vielleicht aber auch nicht. Ich denke, sein Verhalten sagt einiges über seinen Charakter aus. Egal, wo er hingeht, wird er erstmal geliebt, alle bewundern den Helden in ihm, den Jahrhundert-Fußballer. Üblicherweise enden die Dinge aber nicht immer so glanzvoll. Dann springt er weiter, zur nächsten Geschichte. Er wollte sich nie großartig mit seiner Vergangenheit beschäftigen. Maradona schaut selten in den Rückspiegel.

DFB.de: In ihren sehr erfolgreichen Filmbiografien "Senna” und "Amy” ist es ihnen gelungen, große Mengen Material anzusammeln. Sehr private Momente, vieles hinter den Kulissen, auch Szenen, die nicht so positiv und schmeichelhaft waren. Wie machen Sie das?

Kapadia: Zuerst mal, indem ich Geschichten heraussuche, bei denen eine realistische Chance besteht, an gutes Filmmaterial heranzukommen. Bei "Senna” ging es mir darum, die Geschichte von Ayrton Senna als Duell mit Alain Prost zu erzählen, wie einen Boxkampf, nur eben das beide Rennwagen steuern. Ursprünglich standen nur 40 Minuten archiviertes Material zur Verfügung, die restliche Zeit wollten wir mit Interviews füllen. Nun finde ich es wirklich nicht sonderlich spannend, Leute sprechen zu sehen. Wir mussten also Bernie Ecclestone dazu bewegen, uns deutlich mehr Bewegtbild von Ayrton zu überlassen. Auch hier hatte ich Glück. Wir bekamen Zugang zum Formula One Archiv, das war zuvor noch keinem gewährt worden. Als ich dann meinen Produzenten den ersten Cut des Films zeigte, erkannten sie, dass wir einen cleveren Weg für ein "Sports-Bio" gefunden hatten. Es war anders. Emotional, kraftvoll, spannend.

DFB.de: Hat "Senna" dieses Genre der Sportbiographien verändert?

Kapadia: "Senna" war der Wendepunkt. Danach wollte jeder bekannte Sportler eine Filmbiografie produziert bekommen. Doch die Sache wird haarig, wenn die Hauptperson den Stuhl als Co-Regisseur einfordert. Wenn Filme entstehen, die zeigen, wie toll die Person ist. Mich interessiert das nicht. Menschen, die nett sind und alles gewinnen, ganz ehrlich, das ist doch als Kinofilm eher fad.

DFB.de: Nochmal zurück zum Material. Wie lief die Suche bei "Maradona"?

Kapadia: Wir wussten, dass eine seiner Schwestern einen argentinischen Kameramann angeheuert und nach Napoli geholt hatte. Diego überließ uns dieses Material. Entscheidend scheint mir auch, dass alle meine Filmbiografien zu einer Zeit entstanden sind, als noch auf Film oder Videoband gedreht wurde. Heute nutzt jeder seinen Instagram Account, um persönlich zu den eigenen Fans zu sprechen. Meine Filme funktionieren auch deshalb, weil man damals nach ein paar Tagen vergessen hatte, dass die Kamera lief. Das gibt meinen Filmen eine Ehrlichkeit, eine Reinheit.

DFB.de: Inhaltlich haben sie enge Grenzen gezogen. Wie wichtig für den Erfolg von "Maradona" war diese Beschränkung beim Erzählrahmen?

Kapadia: Sehr wichtig. Ich habe mich sehr stark auf Maradonas Jahre beim SSC Neapel fokussiert. Ich wollte eben nicht Maradonas Lebensgeschichte erzählen. Während seiner Jahre in Neapel gewann er mit Argentinien die Fußball-Weltmeisterschaft und stand 1990 nochmal im Finale. Zweimal gewann er die italienische Meisterschaft. Weder zuvor noch seitdem hat Neapel den Titel gewonnen. Aber diese Epoche beinhaltet auch Maradonas Drogensucht und die großen Familienprobleme.

DFB.de: Wie lange haben Sie an "Maradona" gearbeitet?

Kapadia: Etwa drei Jahre. Nachdem "Amy” fertig war, haben wir sofort mit der Produktion von "Maradona" begonnen. Ich flog nach Buenos Aires, um mit seiner Ex-Frau Claudia Villafane und seinem Fitnesstrainer Fernando Signorini zu sprechen. Danach flog ich nach Dubai, um Diego selbst zu interviewen.

DFB.de: Mochten Sie den Menschen Diego Maradona?

Kapadia: Gute Frage. Den Film habe ich über den jungen Mann gedreht, den Weltklassefußballer. Die Person, die ich in Dubai traf, war nicht nur äußerlich eine komplett andere. Als ich mit ihm sprach, fragte ich mich: "Erinnert er sich überhaupt an irgendetwas?” In anderen Momentan fragte ich mich: "Hat er mich eben manipuliert und hat die Geschichte umgeschrieben, um sie mehr nach seinen Vorstellungen zu gestalten?" Klar ist ja, im Laufe der Jahre sind eine Menge Dinge geschehen, die ich in keinster Weise verteidigen möchte. Den Spieler mochte ich jedenfalls deutlich mehr. Dennoch taten sich auch in Dubai ein paar kleine Fenster auf, durch die man noch den alten Diego erkennen konnte.

DFB.de: Ihr Film macht einem nochmal deutlich, wie sehr sich der Fußball seit den 80er Jahren verändert hat.

Kapadia: So einen Transfer wird es nie wieder geben. Weltklassespieler heute wechseln nur dahin, wo sie garantiert gewinnen. Bayern München, Manchester City oder Manchester United, FC Barcelona, PSG oder Real – dorthin wechseln heute die größten jungen Talente. Und in den Topligen Europas, mit der Ausnahme England, gewinnen doch seit zehn Jahren immer die gleichen ein oder zwei Teams die nationale Meisterschaft. Ganz ehrlich, ist das nicht eine Spur langweilig? Auch die Fouls waren damals anders, es war deutlich brutaler. Heute werden die Spieler besser geschützt. Es gibt diese Szene im Film, da wird Maradona von den Beinen geholt. Er krabbelt wie verrückt, kommt wieder auf die Beine und rast dem Ball hinterher. So etwas sieht man heute nicht mehr.

DFB.de: Ein Satz während des Prologs bringt das Thema auf den Punkt: "Die ärmste Stadt Italiens kauft den teuersten Spieler der Welt.”

Kapadia:  Italien war Mitte der 80er Jahre die beste Liga der Welt. Jeder gute deutsche, holländische oder brasilianische Spieler wechselte in die Serie A. Und diese Topspieler verteilten sich auf verschiedene Klubs, denn die Regularien gestatteten nur drei ausländische Spieler pro Mannschaft. Jeder gute deutsche Spieler spielte also in Italien, jeder gute Holländer, jeder gute Brasilianer. Aber doch alle im Norden, in Mailand oder vielleicht noch in Rom. Und was macht Diego? Er geht nach Napoli, die ein Jahr zuvor fast abgestiegen wären. Unvorstellbar.

DFB.de:  Nach Maradonas zweitem Tor gegen England bei der WM 1986 hört man den argentinischen Radiosprecher schreien: "Kosmischer Drache. Von welchem Planeten kam dieser Mann auf die Erde?”. Und später: "Für den Fußball, für Maradonna, für die Tränen.” Sie haben oft die Originalkommentare verwendet. Warum?

Kapadia: Eine meiner Ideen war es, den Zuschauer spüren zu lassen, wie es war zu dieser Zeit Argentinier oder Neapolitaner gewesen zu sein. Deshalb haben wir die Stimmen der spanischen und italienischen Kommentatoren genutzt. Die Sprache englischer Fußballkommentatoren ist oft eher kalt und sachlich. Und dann hört man diese Poesie, die Freude, die Melancholie bei den südamerikanischen Kommentatoren. In Lateinamerika ist Fußball Kunst. Für die Menschen dort, ist Fußball die wichtigste Art und Weise, ihr Land in der Welt zu repräsentieren.

DFB.de: Zurück zu Diego Maradona. Sind wir nicht mitschuldig? Für seine Drogensucht, die einjährige Sperre, diesen ganzen Zerrüttungsprozess. Tragen nicht auch wir Fußballfans einen Teil der Verantwortung für das, was dem großen Diego Maradona später in seiner Karriere widerfahren ist?

Kapadia: Das geht mir zu weit. Aber ich stimme zu: Wenn wir im Stadion sind, verlieren wir uns. Die Art und Weise wie wir diese jungen Männer behandeln, ob sie nun 18 oder 20 Jahre alt sind, und wenn mal ein Spiel verloren wird, werden sie von 40.000 Leuten angeschrien, niedergemacht. Heute werden anschließend auch noch ihre Familien online angepöbelt. Im Fußball zeigt sich ein obszessives Verhalten, nämlich dass wir Fans den jungen Helden erst hoch bringen, ganz auf die Spitze, um ihn dann mit Lust wieder sehr tief fallen zu lassen. Das ist auch eine Maschine, und ja, wir alle sind ein Teil davon. "Maradona" funktioniert also auch als Botschaft an die Spieler und an die Fans. Ende der Achtziger kam hinzu, dass in Napoli so eine Grabscherkultur herrschte. Das war vor dem iPhone. Wenn du eine berühmte Person sahst, wolltest du sie berühren. Und Maradona mochte es nicht, angefasst zu werden.

DFB.de: Wenn man das alles zusammenzählt, hat Maradona nicht auch Nehmerqualitäten?

Kapadia: Absolut Ja. Nur wenige Menschen könnten die Dinge, die er durchmachte, überleben. Wenn er nicht so eine mentale Stärke hätte, wäre er heute nicht mehr hier.

DFB.de: Mr. Kapadia, vielen Dank für das Interview. Zum Abschluss noch die Frage nach ihrem nächsten Projekt?

Kapadia: Diese drei Filmbiografien liegen nun hinter mir. Aktuell arbeite ich an ein paar VR-Projekten und einer fiktionalen Serie für Apple.

DFB.de: Keine neue Filmbiografie in Sicht?

Kapadia: Ich warte auf den richtigen Charakter.

DFB.de: Wie wäre es mit Jürgen Klopp?

Kapadia: Er ist ein toller Kerl, eine wunderbare Person, ein charismatischer Trainer. Gerade seine spirituelle Seite ist sehr interessant. Kraft seiner Ausstrahlung und Philosophie hat er die Spielkultur in Mainz, Dortmund und nun auch in Liverpool verändert. Als Regisseur würde ich sofort ein Bio über ihn drehen. Aber als großer Liverpool Fan möchte ich ihn die nächsten zehn Jahren nicht bei der Arbeit stören.

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Der Film "Maradona" des Oscar-Preisträgers Asif Kapadia wurde am Samstag im Rahmen des 11mm Fußball-Filmfestivals gezeigt. Seit vielen Jahren fördert die DFB-Kulturstiftung das Festival, das 2020 auch nur unter strengen Hygieneauflagen stattfinden kann. DFB-Redakteur Thomas Hackbarth sprach mit dem 42-jährigen Regisseur aus London über seine Begegnung mit Diego Armando Maradona.

DFB.de: Herr Kapadia, schauen Sie sich aktuell Sport im Fernsehen an?

Asif Kapadia: Absolut. Es ist nicht das Gleiche, ich weiß, aber ich bin ein leidenschaftlicher Liverpool-Fan. Man kann nicht einfach von einem auf den anderen Tag aufhören, seinem eigenen Team zu folgen. Also schaut man, auch wenn das Stadion leer ist. Hier in England herrscht ausgelöst durch die Pandemie ein großes Durcheinander, so viel Verwirrung. Der Fußball leidet.

DFB.de: Ihr Film über die Napoli-Jahre Diego Maradonas wurde im Berliner Kino Babylon als Teil des 11mm Fußball-Filmfestivals vorgeführt. Der Film kam noch im Herbst 2019 in die Kinos. Sie konnten das Virus also zeitlich knapp schlagen.

Kapadia: Wollen Sie die Geschichte dahinter hören?

DFB.de: Sehr gerne.

Kapadia: Der Maradona-Film war meine dritte Filmbiografie, beginnend mit "Senna" im Jahr 2010, und anschließend "Amy" 2015. Es war ein langer Weg. Insgesamt habe ich 15 Jahre damit verbracht, diese drei Filme fertigzustellen. Bei "Maradona" zeigten die Streaming Dienste großes Interesse. Aber ich habe mich gegen diese Option gesträubt. Weil ich zwei Dinge liebe, den Fußball und das Kino. Die Idee als Zuschauer etwas mit anderen auf der Leinwand zu sehen oder auch mit Zehntausenden ins Stadion zu gehen, nur so entsteht doch diese Gemeinschaftserlebnis, das mich wirklich fasziniert. Nur so entstehen Emotionen. Die Filmindustrie verändert sich. Heutzutage dreht sich alles nur noch um Netflix, Amazon, Apple und wen auch immer. Ich war also wild entschlossen, meinen "Maradona" als Kinofilm an den Markt zu bringen. Und wir hatten Glück. Premiere feierten wir letztes Jahr in Cannes. Und wir durften einige großartige Erstvorführungen rund um die Welt erleben.

DFB.de: Seitdem hat sich die Lage drastisch verändert.

Kapadia: Vor ein paar Wochen gehörte ich der Jury der Filmfestspiele in Venedig an und das alles lief online, ich saß hier zu Hause im Norden von London.

DFB.de: Am 30. Oktober wird Maradona 60. Wie geht es ihm gesundheitlich?

Kapadia: Um ehrlich zu sein, habe ich in letzter Zeit weder mit ihm noch mit seinem Team gesprochen. Er coacht, er arbeitet, er macht irgendwie immer weiter. Gut für ihn. Damals, als ich den Film fertigstellt hatte, bin ich nach Buenos Aires geflogen, um ihm den Film zu zeigen. Keine Chance, ich kam nicht mehr an ihn ran. Inzwischen lief "Maradona" im argentinischen Fernsehen. Vielleicht hat er ihn gesehen, vielleicht aber auch nicht. Ich denke, sein Verhalten sagt einiges über seinen Charakter aus. Egal, wo er hingeht, wird er erstmal geliebt, alle bewundern den Helden in ihm, den Jahrhundert-Fußballer. Üblicherweise enden die Dinge aber nicht immer so glanzvoll. Dann springt er weiter, zur nächsten Geschichte. Er wollte sich nie großartig mit seiner Vergangenheit beschäftigen. Maradona schaut selten in den Rückspiegel.

DFB.de: In ihren sehr erfolgreichen Filmbiografien "Senna” und "Amy” ist es ihnen gelungen, große Mengen Material anzusammeln. Sehr private Momente, vieles hinter den Kulissen, auch Szenen, die nicht so positiv und schmeichelhaft waren. Wie machen Sie das?

Kapadia: Zuerst mal, indem ich Geschichten heraussuche, bei denen eine realistische Chance besteht, an gutes Filmmaterial heranzukommen. Bei "Senna” ging es mir darum, die Geschichte von Ayrton Senna als Duell mit Alain Prost zu erzählen, wie einen Boxkampf, nur eben das beide Rennwagen steuern. Ursprünglich standen nur 40 Minuten archiviertes Material zur Verfügung, die restliche Zeit wollten wir mit Interviews füllen. Nun finde ich es wirklich nicht sonderlich spannend, Leute sprechen zu sehen. Wir mussten also Bernie Ecclestone dazu bewegen, uns deutlich mehr Bewegtbild von Ayrton zu überlassen. Auch hier hatte ich Glück. Wir bekamen Zugang zum Formula One Archiv, das war zuvor noch keinem gewährt worden. Als ich dann meinen Produzenten den ersten Cut des Films zeigte, erkannten sie, dass wir einen cleveren Weg für ein "Sports-Bio" gefunden hatten. Es war anders. Emotional, kraftvoll, spannend.

DFB.de: Hat "Senna" dieses Genre der Sportbiographien verändert?

Kapadia: "Senna" war der Wendepunkt. Danach wollte jeder bekannte Sportler eine Filmbiografie produziert bekommen. Doch die Sache wird haarig, wenn die Hauptperson den Stuhl als Co-Regisseur einfordert. Wenn Filme entstehen, die zeigen, wie toll die Person ist. Mich interessiert das nicht. Menschen, die nett sind und alles gewinnen, ganz ehrlich, das ist doch als Kinofilm eher fad.

DFB.de: Nochmal zurück zum Material. Wie lief die Suche bei "Maradona"?

Kapadia: Wir wussten, dass eine seiner Schwestern einen argentinischen Kameramann angeheuert und nach Napoli geholt hatte. Diego überließ uns dieses Material. Entscheidend scheint mir auch, dass alle meine Filmbiografien zu einer Zeit entstanden sind, als noch auf Film oder Videoband gedreht wurde. Heute nutzt jeder seinen Instagram Account, um persönlich zu den eigenen Fans zu sprechen. Meine Filme funktionieren auch deshalb, weil man damals nach ein paar Tagen vergessen hatte, dass die Kamera lief. Das gibt meinen Filmen eine Ehrlichkeit, eine Reinheit.

DFB.de: Inhaltlich haben sie enge Grenzen gezogen. Wie wichtig für den Erfolg von "Maradona" war diese Beschränkung beim Erzählrahmen?

Kapadia: Sehr wichtig. Ich habe mich sehr stark auf Maradonas Jahre beim SSC Neapel fokussiert. Ich wollte eben nicht Maradonas Lebensgeschichte erzählen. Während seiner Jahre in Neapel gewann er mit Argentinien die Fußball-Weltmeisterschaft und stand 1990 nochmal im Finale. Zweimal gewann er die italienische Meisterschaft. Weder zuvor noch seitdem hat Neapel den Titel gewonnen. Aber diese Epoche beinhaltet auch Maradonas Drogensucht und die großen Familienprobleme.

DFB.de: Wie lange haben Sie an "Maradona" gearbeitet?

Kapadia: Etwa drei Jahre. Nachdem "Amy” fertig war, haben wir sofort mit der Produktion von "Maradona" begonnen. Ich flog nach Buenos Aires, um mit seiner Ex-Frau Claudia Villafane und seinem Fitnesstrainer Fernando Signorini zu sprechen. Danach flog ich nach Dubai, um Diego selbst zu interviewen.

DFB.de: Mochten Sie den Menschen Diego Maradona?

Kapadia: Gute Frage. Den Film habe ich über den jungen Mann gedreht, den Weltklassefußballer. Die Person, die ich in Dubai traf, war nicht nur äußerlich eine komplett andere. Als ich mit ihm sprach, fragte ich mich: "Erinnert er sich überhaupt an irgendetwas?” In anderen Momentan fragte ich mich: "Hat er mich eben manipuliert und hat die Geschichte umgeschrieben, um sie mehr nach seinen Vorstellungen zu gestalten?" Klar ist ja, im Laufe der Jahre sind eine Menge Dinge geschehen, die ich in keinster Weise verteidigen möchte. Den Spieler mochte ich jedenfalls deutlich mehr. Dennoch taten sich auch in Dubai ein paar kleine Fenster auf, durch die man noch den alten Diego erkennen konnte.

DFB.de: Ihr Film macht einem nochmal deutlich, wie sehr sich der Fußball seit den 80er Jahren verändert hat.

Kapadia: So einen Transfer wird es nie wieder geben. Weltklassespieler heute wechseln nur dahin, wo sie garantiert gewinnen. Bayern München, Manchester City oder Manchester United, FC Barcelona, PSG oder Real – dorthin wechseln heute die größten jungen Talente. Und in den Topligen Europas, mit der Ausnahme England, gewinnen doch seit zehn Jahren immer die gleichen ein oder zwei Teams die nationale Meisterschaft. Ganz ehrlich, ist das nicht eine Spur langweilig? Auch die Fouls waren damals anders, es war deutlich brutaler. Heute werden die Spieler besser geschützt. Es gibt diese Szene im Film, da wird Maradona von den Beinen geholt. Er krabbelt wie verrückt, kommt wieder auf die Beine und rast dem Ball hinterher. So etwas sieht man heute nicht mehr.

DFB.de: Ein Satz während des Prologs bringt das Thema auf den Punkt: "Die ärmste Stadt Italiens kauft den teuersten Spieler der Welt.”

Kapadia:  Italien war Mitte der 80er Jahre die beste Liga der Welt. Jeder gute deutsche, holländische oder brasilianische Spieler wechselte in die Serie A. Und diese Topspieler verteilten sich auf verschiedene Klubs, denn die Regularien gestatteten nur drei ausländische Spieler pro Mannschaft. Jeder gute deutsche Spieler spielte also in Italien, jeder gute Holländer, jeder gute Brasilianer. Aber doch alle im Norden, in Mailand oder vielleicht noch in Rom. Und was macht Diego? Er geht nach Napoli, die ein Jahr zuvor fast abgestiegen wären. Unvorstellbar.

DFB.de:  Nach Maradonas zweitem Tor gegen England bei der WM 1986 hört man den argentinischen Radiosprecher schreien: "Kosmischer Drache. Von welchem Planeten kam dieser Mann auf die Erde?”. Und später: "Für den Fußball, für Maradonna, für die Tränen.” Sie haben oft die Originalkommentare verwendet. Warum?

Kapadia: Eine meiner Ideen war es, den Zuschauer spüren zu lassen, wie es war zu dieser Zeit Argentinier oder Neapolitaner gewesen zu sein. Deshalb haben wir die Stimmen der spanischen und italienischen Kommentatoren genutzt. Die Sprache englischer Fußballkommentatoren ist oft eher kalt und sachlich. Und dann hört man diese Poesie, die Freude, die Melancholie bei den südamerikanischen Kommentatoren. In Lateinamerika ist Fußball Kunst. Für die Menschen dort, ist Fußball die wichtigste Art und Weise, ihr Land in der Welt zu repräsentieren.

DFB.de: Zurück zu Diego Maradona. Sind wir nicht mitschuldig? Für seine Drogensucht, die einjährige Sperre, diesen ganzen Zerrüttungsprozess. Tragen nicht auch wir Fußballfans einen Teil der Verantwortung für das, was dem großen Diego Maradona später in seiner Karriere widerfahren ist?

Kapadia: Das geht mir zu weit. Aber ich stimme zu: Wenn wir im Stadion sind, verlieren wir uns. Die Art und Weise wie wir diese jungen Männer behandeln, ob sie nun 18 oder 20 Jahre alt sind, und wenn mal ein Spiel verloren wird, werden sie von 40.000 Leuten angeschrien, niedergemacht. Heute werden anschließend auch noch ihre Familien online angepöbelt. Im Fußball zeigt sich ein obszessives Verhalten, nämlich dass wir Fans den jungen Helden erst hoch bringen, ganz auf die Spitze, um ihn dann mit Lust wieder sehr tief fallen zu lassen. Das ist auch eine Maschine, und ja, wir alle sind ein Teil davon. "Maradona" funktioniert also auch als Botschaft an die Spieler und an die Fans. Ende der Achtziger kam hinzu, dass in Napoli so eine Grabscherkultur herrschte. Das war vor dem iPhone. Wenn du eine berühmte Person sahst, wolltest du sie berühren. Und Maradona mochte es nicht, angefasst zu werden.

DFB.de: Wenn man das alles zusammenzählt, hat Maradona nicht auch Nehmerqualitäten?

Kapadia: Absolut Ja. Nur wenige Menschen könnten die Dinge, die er durchmachte, überleben. Wenn er nicht so eine mentale Stärke hätte, wäre er heute nicht mehr hier.

DFB.de: Mr. Kapadia, vielen Dank für das Interview. Zum Abschluss noch die Frage nach ihrem nächsten Projekt?

Kapadia: Diese drei Filmbiografien liegen nun hinter mir. Aktuell arbeite ich an ein paar VR-Projekten und einer fiktionalen Serie für Apple.

DFB.de: Keine neue Filmbiografie in Sicht?

Kapadia: Ich warte auf den richtigen Charakter.

DFB.de: Wie wäre es mit Jürgen Klopp?

Kapadia: Er ist ein toller Kerl, eine wunderbare Person, ein charismatischer Trainer. Gerade seine spirituelle Seite ist sehr interessant. Kraft seiner Ausstrahlung und Philosophie hat er die Spielkultur in Mainz, Dortmund und nun auch in Liverpool verändert. Als Regisseur würde ich sofort ein Bio über ihn drehen. Aber als großer Liverpool Fan möchte ich ihn die nächsten zehn Jahren nicht bei der Arbeit stören.