Sportgeschichte: Als Hermann Neuberger gar nicht vor Ort war

Sporthistorische Konferenzen haben in Deutschland Seltenheitswert, dabei drängen sich die Themen geradezu auf. Und es herrscht durchaus Gesprächsbedarf. Am vergangenen Wochenende fand eine dieser seltenen Konferenzen in der Schwabenakademie in der bayerischen Gemeinde Markt Irsee statt. Es war die mittlerweile zwölfte, diesmal unter dem Titel "Politische Fußball-Mythen". Regelmäßig gefördert werden die Konferenzen durch die DFB-Kulturstiftung.

Mit "Mythos", so machte Veranstalter Markwart Herzog gleich zu Beginn deutlich, sei die Bildung verklärter historischer Ereignisse gemeint – aber auch die dreiste Lüge, vor allem in einer Diktatur, in der die Popularität des Fußballs für Propaganda-Zwecke ausgenutzt wird. So bekamen die Teilnehmer vielschichtige Vorträge mit teils provokanten Thesen geboten. Vorträge, die schon beim Lesen des Programms lebhafte Diskussionen versprachen. Und so kam es dann auch.

Fußball muss sich sporthistorischen Themen stellen

Im Kern ging es vor allem um die Fragen: Wie politisch dürfen ein Sportverband und seine Vereine eigentlich sein? Muss ein Sportverband vielleicht sogar von sich aus politische Akzente setzen? Und inwieweit hat er die Möglichkeit, sich gegen politische Vereinnahmung in Form von Mythenbildung zu wehren, vor allem unter autokratischen Regierungen? Sporthistorische Themen also, die den Fußball immer wieder einholen, denen er sich stellen muss.

Dass allein in der deutschen Geschichte genug Beispiele zu finden sind, um diese Diskussionen zu führen, ist offensichtlich. Die Tagung ist damit auch als Fortsetzung des Bemühens zu verstehen, die Vergangenheit des DFB sowie einzelner Vereine epochenübergreifend aufzuarbeiten. Im Jahr 2001 hatte der DFB Historiker damit beauftragt, die Verstrickungen des DFB in der Zeit des Nationalsozialismus auszuleuchten. Ergebnis der Studie war das Buch "Fußball unterm Hakenkreuz". Der Verband entschloss sich darüber hinaus, ein wiederkehrendes Element gegen das Vergessen zu setzen, und schuf den mittlerweile renommierten Julius Hirsch Preis, der Menschen auszeichnet, die sich im Sport gegen Diskriminierung und Antisemitismus sowie für den Schutz von Minderheiten einsetzen.

Sporthistorische Konferenz besetzt brachliegendes Feld

In der Schwabenakademie führte das Buch des Historikers Nils Havemann damals zu einer veritablen Auseinandersetzung unter Fußballhistorikern, in der so mancher gar eine Wiederholung des „Historikerstreits“ Mitte der 1980er Jahre sah. Veranstalter Markwart Herzog wies immer wieder darauf hin, dass die jährliche Konferenz auch deshalb nötig ist, um einen "universitären Mangel" zu beheben: Die Sportgeschichte in Deutschland liege durch Streichung entsprechender Stellen nämlich zunehmend brach und werde heute, wenn überhaupt, oft nur mehr punktuell und von Allgemeinhistorikern beackert.

Der erste Tag der Konferenz befasste sich mit dem DFB, diesmal ging es zum einen um seine Gründerzeit, zum anderen um die 1970er Jahre. Der Sport- und Kulturwissenschaftler Sven Güldenpfennig setzte sich mit der Frage auseinander, ob sich der DFB vom aufkommenden Militarismus vor dem Ersten Weltkrieg anstecken ließ. Bei der Recherche verbrachte Güldenpfennig viel Zeit im DFB-Archiv, wo er eingehend die über 100 Jahre alten DFB-Jahrbücher studierte. Die hausinternen, unmittelbar an Mitglieder gerichteten Schriften zeigten durch ihre Wortwahl, dass sich der Verband sehr lange fast ausschließlich mit den für einen Sportverband originären Themen befasste, wie zum Beispiel mit der Frage nach ausreichenden Fußballplätzen für die immer beliebter werdende Sportart. Dabei wurde deutlich, dass man sich eben nicht der Politik angebiedert hatte, etwa um sich über die Schiene körperliche Ertüchtigung = Erziehung guter Soldaten populärer zu machen. Nach Ausbruch des Krieges aber habe sich der DFB im Zuge der gesamtgesellschaftlichen Kriegsbegeisterung gegen die Vereinnahmung nicht mehr gewehrt, vielleicht auch nicht mehr wehren können. Der DFB habe jedoch nicht an-, sondern "in den Chor eingestimmt", so sein Fazit.

Nils Havemann, der Autor des Buches "Fußball unterm Hakenkreuz", widmete sich anschließend dem Mythos, wonach sich der DFB in den 1970er Jahren zu einer "rechten" Institution entwickelt habe. Zwar habe der Verband tatsächlich einige aus heutiger Sicht unvorstellbare „Steilvorlagen“ geliefert, die selbst heute noch Fußballfans entsprechenden Alters geläufig sind. Wie zum Beispiel unmittelbar mit dem WM-Sieg 1974 in München. Damals durften die Spielerfrauen nicht am Bankett teilnehmen, und die Ehefrau von Uli Hoeneß, die trotzdem erschienen war, sei an der Tür abgewiesen worden mit dem Satz: "Hier herrscht noch Zucht und Ordnung." Die Frauen der Funktionäre allerdings waren eingeladen gewesen.



Sporthistorische Konferenzen haben in Deutschland Seltenheitswert, dabei drängen sich die Themen geradezu auf. Und es herrscht durchaus Gesprächsbedarf. Am vergangenen Wochenende fand eine dieser seltenen Konferenzen in der Schwabenakademie in der bayerischen Gemeinde Markt Irsee statt. Es war die mittlerweile zwölfte, diesmal unter dem Titel "Politische Fußball-Mythen". Regelmäßig gefördert werden die Konferenzen durch die DFB-Kulturstiftung.

Mit "Mythos", so machte Veranstalter Markwart Herzog gleich zu Beginn deutlich, sei die Bildung verklärter historischer Ereignisse gemeint – aber auch die dreiste Lüge, vor allem in einer Diktatur, in der die Popularität des Fußballs für Propaganda-Zwecke ausgenutzt wird. So bekamen die Teilnehmer vielschichtige Vorträge mit teils provokanten Thesen geboten. Vorträge, die schon beim Lesen des Programms lebhafte Diskussionen versprachen. Und so kam es dann auch.

Fußball muss sich sporthistorischen Themen stellen

Im Kern ging es vor allem um die Fragen: Wie politisch dürfen ein Sportverband und seine Vereine eigentlich sein? Muss ein Sportverband vielleicht sogar von sich aus politische Akzente setzen? Und inwieweit hat er die Möglichkeit, sich gegen politische Vereinnahmung in Form von Mythenbildung zu wehren, vor allem unter autokratischen Regierungen? Sporthistorische Themen also, die den Fußball immer wieder einholen, denen er sich stellen muss.

Dass allein in der deutschen Geschichte genug Beispiele zu finden sind, um diese Diskussionen zu führen, ist offensichtlich. Die Tagung ist damit auch als Fortsetzung des Bemühens zu verstehen, die Vergangenheit des DFB sowie einzelner Vereine epochenübergreifend aufzuarbeiten. Im Jahr 2001 hatte der DFB Historiker damit beauftragt, die Verstrickungen des DFB in der Zeit des Nationalsozialismus auszuleuchten. Ergebnis der Studie war das Buch "Fußball unterm Hakenkreuz". Der Verband entschloss sich darüber hinaus, ein wiederkehrendes Element gegen das Vergessen zu setzen, und schuf den mittlerweile renommierten Julius Hirsch Preis, der Menschen auszeichnet, die sich im Sport gegen Diskriminierung und Antisemitismus sowie für den Schutz von Minderheiten einsetzen.

Sporthistorische Konferenz besetzt brachliegendes Feld

In der Schwabenakademie führte das Buch des Historikers Nils Havemann damals zu einer veritablen Auseinandersetzung unter Fußballhistorikern, in der so mancher gar eine Wiederholung des „Historikerstreits“ Mitte der 1980er Jahre sah. Veranstalter Markwart Herzog wies immer wieder darauf hin, dass die jährliche Konferenz auch deshalb nötig ist, um einen "universitären Mangel" zu beheben: Die Sportgeschichte in Deutschland liege durch Streichung entsprechender Stellen nämlich zunehmend brach und werde heute, wenn überhaupt, oft nur mehr punktuell und von Allgemeinhistorikern beackert.

Der erste Tag der Konferenz befasste sich mit dem DFB, diesmal ging es zum einen um seine Gründerzeit, zum anderen um die 1970er Jahre. Der Sport- und Kulturwissenschaftler Sven Güldenpfennig setzte sich mit der Frage auseinander, ob sich der DFB vom aufkommenden Militarismus vor dem Ersten Weltkrieg anstecken ließ. Bei der Recherche verbrachte Güldenpfennig viel Zeit im DFB-Archiv, wo er eingehend die über 100 Jahre alten DFB-Jahrbücher studierte. Die hausinternen, unmittelbar an Mitglieder gerichteten Schriften zeigten durch ihre Wortwahl, dass sich der Verband sehr lange fast ausschließlich mit den für einen Sportverband originären Themen befasste, wie zum Beispiel mit der Frage nach ausreichenden Fußballplätzen für die immer beliebter werdende Sportart. Dabei wurde deutlich, dass man sich eben nicht der Politik angebiedert hatte, etwa um sich über die Schiene körperliche Ertüchtigung = Erziehung guter Soldaten populärer zu machen. Nach Ausbruch des Krieges aber habe sich der DFB im Zuge der gesamtgesellschaftlichen Kriegsbegeisterung gegen die Vereinnahmung nicht mehr gewehrt, vielleicht auch nicht mehr wehren können. Der DFB habe jedoch nicht an-, sondern "in den Chor eingestimmt", so sein Fazit.

Nils Havemann, der Autor des Buches "Fußball unterm Hakenkreuz", widmete sich anschließend dem Mythos, wonach sich der DFB in den 1970er Jahren zu einer "rechten" Institution entwickelt habe. Zwar habe der Verband tatsächlich einige aus heutiger Sicht unvorstellbare „Steilvorlagen“ geliefert, die selbst heute noch Fußballfans entsprechenden Alters geläufig sind. Wie zum Beispiel unmittelbar mit dem WM-Sieg 1974 in München. Damals durften die Spielerfrauen nicht am Bankett teilnehmen, und die Ehefrau von Uli Hoeneß, die trotzdem erschienen war, sei an der Tür abgewiesen worden mit dem Satz: "Hier herrscht noch Zucht und Ordnung." Die Frauen der Funktionäre allerdings waren eingeladen gewesen.

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Falsche Unterstellungen gegen DFB-Präsident Neuberger

Trotz dieser Vorfälle handelte es sich laut Havemann um einen teilweise bewusst aufgebauten Mythos, der den DFB in eine rechte ideologische Ecke stellen sollte, sei es aufgrund von "Unwissenheit oder aufgrund von Sympathie für linke Ideen". Vor allem wohl Letzteres, denn Havemann spricht ganz provokant von nichts Geringerem als "Geschichtsfälschung" vieler Medien, wenn es beispielsweise um die Person Hermann Neuberger während der WM 1978 in Argentinien geht. Der damalige DFB-Präsident hatte den Nationaltrainer Helmut Schön verteidigt, als dieser sich im WM-Quartier mit dem ehemaligen Fliegeroffizier Hans-Ulrich Rudel getroffen hatte. Beide Männer – also Schön und Rudel - kannten und schätzten sich persönlich.

Doch nicht nur, dass Neuberger dafür eine rechte Gesinnung unterstellt worden sei, obwohl er sich vor der WM von der argentinischen Militärdiktatur distanziert und angekündigt hatte, sich im Sinne von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International für Opfer der argentinischen Militärjunta einzusetzen, sei ihm sei auch Jahrzehnte später noch von vielen Journalisten unterstellt worden, Rudel persönlich eingeladen und sich mit ihm getroffen zu haben, obwohl er zu diesem Zeitpunkt gar nicht im Trainingslager weilte. Havemanns These: Trainer Schön habe ein besseres Image in der Bevölkerung gehabt, ihm hätten linksideologische Journalisten keinen weiteren Ärger machen wollen – dem Verband hingegen schon.

Der Vorfall zeigt, dass schon damals ein sportwissenschaftlicher Diskurs, wie ihn beispielsweise Güldenpfennig anregt, vonnöten gewesen wäre. Denn rechtsgerichtete Zeitungen lobten Neuberger damals für seine Aussage, wonach eine Kritik oder Untersagung des Treffens "einer Beleidigung aller deutschen Soldaten" gleichgekommen wäre. Es war die Öffnung der Pandora-Büchse: Neuberger war von mehreren Seiten vereinnahmt worden. Havemanns Fazit: Der DFB "war schon immer politisch. Aber er war in der Vergangenheit genauso wenig rechts, wie er heute links ist."

Wertvolle Beiträge zu aktuellen Debatten

Nach diesem interessanten und zum Teil kontrovers diskutierten Konferenzauftakt wurden am zweiten Tag wurden vor allem Mythenbildungen bezüglich einzelner nationaler und internationaler Vereine diskutiert, wie etwa der vermeintliche "Heldenmythos" FC Bayern München in der Zeit des Nationalsozialismus, oder die Frage, inwieweit es sich beim VfL Osnabrück um einen "Arbeiterverein" handelte. Der zweite Teil der Konferenz befasste sich dann auch mit internationalen Themen, mit Vereinen und Verbänden unter Diktaturen (Spanien, Brasilien), oder auch mit der Frage, ob die Champions League die Fans eher europaweit verbindet oder national vom Fußball entfremdet.

Auch bei der zwölften Konferenz in Irsee zeigte sich: Sportwissenschaft ist interessant. Und das nicht nur, weil man selten auf einer wissenschaftlichen Konferenz auf Dozenten trifft, die in lockerer Atmosphäre mal schnell auf ihrem Handy nachsehen, wie Kaiserslautern gegen Sandhausen gespielt hat. Und Sportwissenschaft ist vor allem heute dringend wichtig und nötig für den Fußball – denn sie kann aus historischer Perspektive heraus wertvolle Beiträge zu aktuellen Debatten liefern.

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