Schauspieler Matthias Brandt: "Der Fußball hat ein großes Herz"

Matthias Brandt ist einer der gefragtesten Schauspieler Deutschlands und ein erfolgreicher Autor. Und Fußballfan. Im DFB.de-Interview spricht der 58-Jährige mit Mitarbeiter Thomas Hackbarth über die Schnittmengen zwischen hoher Kunst und bloßem Fußball, über das Verliebtsein, die Gemeinsamkeiten von Trainern und Regisseuren und den Genuss des Tanzens mit dem Ball.

DFB.de: Herr Brandt, morgen liegt in Ihrem Briefkasten ein Drehbuch, und Ihnen wird die Hauptrolle in einem Fußballfilm angeboten. Sie sollen die Figur des Joachim Löw spielen. Würde Sie das interessieren?

Matthias Brandt: Na ja, das halte ich für eher unwahrscheinlich. Sport und insbesondere Fußballfilme gehören übrigens zum Schwersten, was es überhaupt gibt. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, jemals einen wirklich gelungenen Fußballfilm gesehen zu haben. Außerdem legt Löw allergrößten Wert auf seine Privatsphäre, was ich total nachempfinden kann. Zumindest in diesem Punkt sind der Bundestrainer und ich uns also tatsächlich nicht so unähnlich.

DFB.de: Sie sind Fan von Werder Bremen. Schalten Sie denn auch ein, wenn Deutschland spielt?

Brandt: Ja. Und zwar bereits seit der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko.

DFB.de: Der FAZ-Journalist Michael Horeni hat es mal die "Mondlandungs-Frage" des Fußballs genannt: Wo waren Sie beim 7:1 über Brasilien?

Brandt: Zu Hause. Das würde ich aber nicht unter die großen Spiele einordnen, weil mir bei dem Spiel die tragische Komponente zu groß war. Der euphorische Moment währte nur kurz. Man saß zuerst ungläubig davor, innerhalb von 20 Minuten fielen vier Tore, und dann stellte sich das Gefühl ein: Stopp, stopp, bitte aufhören. Spektakulär vom Ergebnis her, aber die großen Spiele sind andere.

DFB.de: Zählt für Sie das Spiel fünf Tage später dazu?

Brandt: Das war ein großer Fight. In Finalspielen ist oft die Anspannung so beherrschend, man steht so dicht davor. Die Furcht, etwas Unerwartetes zu machen und damit einen entscheidenden Fehler zu begehen, lastet oft auf Endspielen. Aber Flanke Schürrle, Götze nimmt mit der Brust an und schiebt volley ins lange Eck, das war schon ein großer Moment.

DFB.de: Wie kam es, dass Sie als gebürtiger Berliner Fan des SV Werder Bremen wurden?

Brandt: Ich war als sehr junger Mann in der Nähe am Theater, während der Rehhagel-Ära in den 80er-Jahren. Aber die Frage, warum man Fan einer Mannschaft wird, kann man nicht wirklich beantworten, finde ich. Das fällt eher in den Bereich der Liebe oder des Verliebtseins. Wer das erklären kann, bei dem stimmt ja auch etwas nicht.

DFB.de: Mag sein, trotzdem nachgehakt: Waren es die Typen – Rehhagel, Votava, Bratseth – oder war es Werders Charakter als manchmal erfolgreicher Underdog, was Ihr Herz gewonnen hat?

Brandt: Beides spielt sicher eine Rolle. Und drittens vielleicht diese wahnsinnig spektakulären Spiele, die Wunder von der Weser. Ich war zum Beispiel 1988 beim Rückspiel gegen Dynamo Berlin im Stadion. Hinspiel auswärts 0:3 verloren, und dann zu Hause 5:0 gewonnen. Das schweißt natürlich schon sehr zusammen.

DFB.de: Ich selbst bin ja HSV-Fan und Werder hat leider auch oft gegen den HSV gewonnen.

Brandt: Einmal drei Spiele hintereinander in einer Woche. Bundesliga, UEFA-Pokal. Die Papierkugel.

DFB.de: Furchtbar. Lassen Sie uns über andere Dinge reden. Das TV-Publikum verfolgte sehr gerne die Geschichten des Hanns von Meuffels im Polizeiruf 110. Warum um Gottes Willen spielen Sie den denn nicht mehr?

Brandt: Weil ich das oft genug getan habe. Und weil mich andere schauspielerische Aufgaben reizen. In meinem Beruf muss man darauf achten, dass einen eine Rolle nicht dominiert. Ich wollte nicht irgendwann nur noch als Hanns von Meuffels gesehen werden. Da muss man dann seine Schlüsse ziehen. Und das habe ich gemacht.

DFB.de: Unwiderruflich?

Brandt: Ja.

DFB.de: Conan Doyle hat Sherlock Holmes einen Wasserfall hinabstürzen lassen, ihn fünf Jahre später auf Drängen seiner Leser aber wieder zum Leben erweckt.

Brandt: Es gibt auch schauderhafte Beispiele aus der Film- und Fernsehgeschichte, wo ähnlich verfahren wurde. Ich will mich da lieber nicht einreihen. Ich habe so viel vor, habe auch immer viel gearbeitet, sowohl am Theater wie auch beim Film. Aber das ist in künstlerischen Berufen so, man ist ständig mit seinen Sachen beschäftigt, es gibt nicht diese Trennung von Arbeit und Privatem, wie in anderen Berufen. Das empfinde ich aber nicht als Mühsal, nicht mal als Lohnarbeit. Viel Zeit, ja, aber andere Leute arbeiten härter.

DFB.de: Etwa Fußballprofis? Wo ähneln sich die Berufe Fußballer und Schauspieler?

Brandt: Da gibt es schon einige Parallelen, glaube ich. Beide, der Schauspieler und der Fußballer, sind ständig mit irgendwelchen Zuschreibungen konfrontiert, oft von Leuten, die einen überhaupt nicht kennen oder etwas auf einen projizieren. Jeder in unseren Metiers muss das irgendwie managen. Wird man zu Unrecht angegriffen, fällt das relativ leicht. Manchmal werden einem auch Dinge zugeschrieben, die einem gefallen, aber nun mal nicht stimmen. Da muss man dann realistisch genug sein, sich von der Schmeichelei nicht blenden zu lassen, sonst wird es gefährlich, weil man einem falschen Bild von sich selbst nachläuft. Ich glaube, es gibt eine Gemeinsamkeit und ein Verständnis zwischen Fußballern und Schauspielern, weil eben beide auf Bühnen stehen.

DFB.de: Gibt es weitere Parallelen?

Brandt: Es gibt diese verrückte Schleusensituation sowohl für den Schauspieler als auch für den Fußballer. Den Moment auf der Seitenbühne oder im Spielertunnel, bevor sich der Vorhang öffnet. Man kann dort die Verwandlung beobachten. Die Spieler werden zu anderen Menschen, müssen es werden, weil das ja eigentlich ungeheuerlich ist, sich da vor Zehntausenden zu präsentieren, von denen am Bildschirm gar nicht zu sprechen. Und das möchte ich bei dieser Gelegenheit auch mal loswerden: Die Fußballer werden mit einer ungeheuren Gnadenlosigkeit beurteilt. Das sind aber alles noch sehr junge Männer. Wir könnten da, gerade im Persönlichen, einfach mal großzügiger sein.

DFB.de: An welchen Projekten arbeiten Sie schauspielerisch selbst gerade?

Brandt: Ich habe gerade einen dreiteiligen ARD-Fernsehfilm abgeschlossen, basierend auf einer realen Vorlage. Es geht um den Fall des früheren Hamburger LKA-Chefs Wolfgang Sielaff. Er musste ein Verbrechen in der eigenen Familie erleben. Über Jahrzehnte gelang es ihm nicht, diesen Fall aufzuklären. Erst nach seiner Pensionierung, als er ein privates Ermittler-Team auf die Beine stellt, kann er das lösen. Das Spielalter der Figur umfasst mehr als 30 Jahre. Am Anfang ist Sielaff etwas über 40, bei der Auflösung Mitte 70. Das war spannend und anspruchsvoll.

DFB.de: Haben Sie einen Lieblingsregisseur oder eine Regisseurin?

Brandt: Ich werde den Teufel tun, das zu beantworten. Der große Billy Wilder hat mal auf die Frage nach seiner Lieblingsschauspielerin Barbara Stanwyck genannt. Im nächsten Film wollte er dann Joan Crawford besetzen. Er schickt ihr also das Drehbuch, bekommt es ein paar Stunden später zurück und auf den Umschlag stand gekritzelt "Why don't you give it to Stanwyck?". Seitdem antwortete Wilder auf entsprechende Fragen immer, Stanwyck sei eine seiner beiden Lieblingsschauspielerinnen.

DFB.de: Schlau, dieser Wilder.

Brandt: Sehr schlau.

DFB.de: Was ist unabdingbarer für den Erfolg, ein guter Regisseur oder ein guter Trainer?

Brandt: Theoretisch ist beides vorstellbar, dass ein guter Film ohne Regie gedreht werden kann und dass eine Mannschaft Spiele gewinnt, ohne jemanden auf der Bank sitzen zu haben. Beide Positionen gibt es trotzdem aus guten Gründen. Und beide Positionen sind sich sehr ähnlich. Im allerbesten Fall betreiben beide so eine Art Alchemie. Ein guter Regisseur wie auch ein guter Trainer sind in der Lage, vorauszuahnen, was passiert, wenn sie begabte Menschen aufeinandertreffen lassen. Dann ergibt im besten Fall eins plus eins mehr als zwei. Und das ist weitaus weniger banal, als es klingt. Im Fußball kann man ja auch nicht einfach ein paar gute Spieler zusammenpacken und hat dann Erfolg. Die können sich nämlich auch neutralisieren, wenn man Pech hat. Dieses Gespür dafür, zu ahnen, was passieren wird, haben nicht viele. Das halte ich tatsächlich für eine Kunst.

DFB.de: Wie erleben Sie Christian Streich?

Brandt: In Freiburg passiert regelmäßig Außergewöhnliches. Als er neulich über den Haufen gerannt wurde, und ich dann sah, wie die Freiburger Bank reagierte, dachte ich mir als allererstes: In dem Verein ist wirklich alles in Ordnung. Das dauerte nur ungefähr 0,3 Sekunden, bis die alle da waren. Das wäre wahrscheinlich nicht in jedem Verein und bei jedem Trainer der Fall. Das muss man erst mal hinkriegen, auch nach so langer Zeit.

DFB.de: Adrenalin gehört genauso zum Fußball wie zur Bühne, oder?

Brandt: Alles, was wir machen, ist ein Spiel, auf dem Fußballplatz, oder vor der Kamera. Aber das Adrenalin ist echt. Es gibt kein gespieltes, künstliches Adrenalin. Das Spiel ist vorbei, die Vorstellung ist vorbei, aber das Adrenalin ist noch da. Damit muss man umgehen können. Und in beiden Berufen sind daran schon sehr talentierte Menschen kaputtgegangen. Die begabtesten Menschen meines Berufs, die kennt man nicht, weil sie den Druck nicht ausgehalten haben. Ich glaube, man kann ein großer Schauspieler oder auch ein großer Fußballer sein, ohne dass die Welt je davon erfährt.

DFB.de: Lassen Sie uns zum Ende des Gesprächs noch mal an Ihren fußballerischen Anfang zurückkehren. Waren Sie eigentlich als kleiner Junge gut?

Brandt: Als kleiner Junge vielleicht schon, aber später hat's dann nicht mehr gereicht. Aber das ist nicht so wichtig. Die Freude am Fußball, das Tanzen mit dem Ball, das restlose Vergessen im Spiel, das empfinden ja auch die Unbegabten. Der Fußball hat ein großes Herz.

[th]

Matthias Brandt ist einer der gefragtesten Schauspieler Deutschlands und ein erfolgreicher Autor. Und Fußballfan. Im DFB.de-Interview spricht der 58-Jährige mit Mitarbeiter Thomas Hackbarth über die Schnittmengen zwischen hoher Kunst und bloßem Fußball, über das Verliebtsein, die Gemeinsamkeiten von Trainern und Regisseuren und den Genuss des Tanzens mit dem Ball.

DFB.de: Herr Brandt, morgen liegt in Ihrem Briefkasten ein Drehbuch, und Ihnen wird die Hauptrolle in einem Fußballfilm angeboten. Sie sollen die Figur des Joachim Löw spielen. Würde Sie das interessieren?

Matthias Brandt: Na ja, das halte ich für eher unwahrscheinlich. Sport und insbesondere Fußballfilme gehören übrigens zum Schwersten, was es überhaupt gibt. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, jemals einen wirklich gelungenen Fußballfilm gesehen zu haben. Außerdem legt Löw allergrößten Wert auf seine Privatsphäre, was ich total nachempfinden kann. Zumindest in diesem Punkt sind der Bundestrainer und ich uns also tatsächlich nicht so unähnlich.

DFB.de: Sie sind Fan von Werder Bremen. Schalten Sie denn auch ein, wenn Deutschland spielt?

Brandt: Ja. Und zwar bereits seit der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko.

DFB.de: Der FAZ-Journalist Michael Horeni hat es mal die "Mondlandungs-Frage" des Fußballs genannt: Wo waren Sie beim 7:1 über Brasilien?

Brandt: Zu Hause. Das würde ich aber nicht unter die großen Spiele einordnen, weil mir bei dem Spiel die tragische Komponente zu groß war. Der euphorische Moment währte nur kurz. Man saß zuerst ungläubig davor, innerhalb von 20 Minuten fielen vier Tore, und dann stellte sich das Gefühl ein: Stopp, stopp, bitte aufhören. Spektakulär vom Ergebnis her, aber die großen Spiele sind andere.

DFB.de: Zählt für Sie das Spiel fünf Tage später dazu?

Brandt: Das war ein großer Fight. In Finalspielen ist oft die Anspannung so beherrschend, man steht so dicht davor. Die Furcht, etwas Unerwartetes zu machen und damit einen entscheidenden Fehler zu begehen, lastet oft auf Endspielen. Aber Flanke Schürrle, Götze nimmt mit der Brust an und schiebt volley ins lange Eck, das war schon ein großer Moment.

DFB.de: Wie kam es, dass Sie als gebürtiger Berliner Fan des SV Werder Bremen wurden?

Brandt: Ich war als sehr junger Mann in der Nähe am Theater, während der Rehhagel-Ära in den 80er-Jahren. Aber die Frage, warum man Fan einer Mannschaft wird, kann man nicht wirklich beantworten, finde ich. Das fällt eher in den Bereich der Liebe oder des Verliebtseins. Wer das erklären kann, bei dem stimmt ja auch etwas nicht.

DFB.de: Mag sein, trotzdem nachgehakt: Waren es die Typen – Rehhagel, Votava, Bratseth – oder war es Werders Charakter als manchmal erfolgreicher Underdog, was Ihr Herz gewonnen hat?

Brandt: Beides spielt sicher eine Rolle. Und drittens vielleicht diese wahnsinnig spektakulären Spiele, die Wunder von der Weser. Ich war zum Beispiel 1988 beim Rückspiel gegen Dynamo Berlin im Stadion. Hinspiel auswärts 0:3 verloren, und dann zu Hause 5:0 gewonnen. Das schweißt natürlich schon sehr zusammen.

DFB.de: Ich selbst bin ja HSV-Fan und Werder hat leider auch oft gegen den HSV gewonnen.

Brandt: Einmal drei Spiele hintereinander in einer Woche. Bundesliga, UEFA-Pokal. Die Papierkugel.

DFB.de: Furchtbar. Lassen Sie uns über andere Dinge reden. Das TV-Publikum verfolgte sehr gerne die Geschichten des Hanns von Meuffels im Polizeiruf 110. Warum um Gottes Willen spielen Sie den denn nicht mehr?

Brandt: Weil ich das oft genug getan habe. Und weil mich andere schauspielerische Aufgaben reizen. In meinem Beruf muss man darauf achten, dass einen eine Rolle nicht dominiert. Ich wollte nicht irgendwann nur noch als Hanns von Meuffels gesehen werden. Da muss man dann seine Schlüsse ziehen. Und das habe ich gemacht.

DFB.de: Unwiderruflich?

Brandt: Ja.

DFB.de: Conan Doyle hat Sherlock Holmes einen Wasserfall hinabstürzen lassen, ihn fünf Jahre später auf Drängen seiner Leser aber wieder zum Leben erweckt.

Brandt: Es gibt auch schauderhafte Beispiele aus der Film- und Fernsehgeschichte, wo ähnlich verfahren wurde. Ich will mich da lieber nicht einreihen. Ich habe so viel vor, habe auch immer viel gearbeitet, sowohl am Theater wie auch beim Film. Aber das ist in künstlerischen Berufen so, man ist ständig mit seinen Sachen beschäftigt, es gibt nicht diese Trennung von Arbeit und Privatem, wie in anderen Berufen. Das empfinde ich aber nicht als Mühsal, nicht mal als Lohnarbeit. Viel Zeit, ja, aber andere Leute arbeiten härter.

DFB.de: Etwa Fußballprofis? Wo ähneln sich die Berufe Fußballer und Schauspieler?

Brandt: Da gibt es schon einige Parallelen, glaube ich. Beide, der Schauspieler und der Fußballer, sind ständig mit irgendwelchen Zuschreibungen konfrontiert, oft von Leuten, die einen überhaupt nicht kennen oder etwas auf einen projizieren. Jeder in unseren Metiers muss das irgendwie managen. Wird man zu Unrecht angegriffen, fällt das relativ leicht. Manchmal werden einem auch Dinge zugeschrieben, die einem gefallen, aber nun mal nicht stimmen. Da muss man dann realistisch genug sein, sich von der Schmeichelei nicht blenden zu lassen, sonst wird es gefährlich, weil man einem falschen Bild von sich selbst nachläuft. Ich glaube, es gibt eine Gemeinsamkeit und ein Verständnis zwischen Fußballern und Schauspielern, weil eben beide auf Bühnen stehen.

DFB.de: Gibt es weitere Parallelen?

Brandt: Es gibt diese verrückte Schleusensituation sowohl für den Schauspieler als auch für den Fußballer. Den Moment auf der Seitenbühne oder im Spielertunnel, bevor sich der Vorhang öffnet. Man kann dort die Verwandlung beobachten. Die Spieler werden zu anderen Menschen, müssen es werden, weil das ja eigentlich ungeheuerlich ist, sich da vor Zehntausenden zu präsentieren, von denen am Bildschirm gar nicht zu sprechen. Und das möchte ich bei dieser Gelegenheit auch mal loswerden: Die Fußballer werden mit einer ungeheuren Gnadenlosigkeit beurteilt. Das sind aber alles noch sehr junge Männer. Wir könnten da, gerade im Persönlichen, einfach mal großzügiger sein.

DFB.de: An welchen Projekten arbeiten Sie schauspielerisch selbst gerade?

Brandt: Ich habe gerade einen dreiteiligen ARD-Fernsehfilm abgeschlossen, basierend auf einer realen Vorlage. Es geht um den Fall des früheren Hamburger LKA-Chefs Wolfgang Sielaff. Er musste ein Verbrechen in der eigenen Familie erleben. Über Jahrzehnte gelang es ihm nicht, diesen Fall aufzuklären. Erst nach seiner Pensionierung, als er ein privates Ermittler-Team auf die Beine stellt, kann er das lösen. Das Spielalter der Figur umfasst mehr als 30 Jahre. Am Anfang ist Sielaff etwas über 40, bei der Auflösung Mitte 70. Das war spannend und anspruchsvoll.

DFB.de: Haben Sie einen Lieblingsregisseur oder eine Regisseurin?

Brandt: Ich werde den Teufel tun, das zu beantworten. Der große Billy Wilder hat mal auf die Frage nach seiner Lieblingsschauspielerin Barbara Stanwyck genannt. Im nächsten Film wollte er dann Joan Crawford besetzen. Er schickt ihr also das Drehbuch, bekommt es ein paar Stunden später zurück und auf den Umschlag stand gekritzelt "Why don't you give it to Stanwyck?". Seitdem antwortete Wilder auf entsprechende Fragen immer, Stanwyck sei eine seiner beiden Lieblingsschauspielerinnen.

DFB.de: Schlau, dieser Wilder.

Brandt: Sehr schlau.

DFB.de: Was ist unabdingbarer für den Erfolg, ein guter Regisseur oder ein guter Trainer?

Brandt: Theoretisch ist beides vorstellbar, dass ein guter Film ohne Regie gedreht werden kann und dass eine Mannschaft Spiele gewinnt, ohne jemanden auf der Bank sitzen zu haben. Beide Positionen gibt es trotzdem aus guten Gründen. Und beide Positionen sind sich sehr ähnlich. Im allerbesten Fall betreiben beide so eine Art Alchemie. Ein guter Regisseur wie auch ein guter Trainer sind in der Lage, vorauszuahnen, was passiert, wenn sie begabte Menschen aufeinandertreffen lassen. Dann ergibt im besten Fall eins plus eins mehr als zwei. Und das ist weitaus weniger banal, als es klingt. Im Fußball kann man ja auch nicht einfach ein paar gute Spieler zusammenpacken und hat dann Erfolg. Die können sich nämlich auch neutralisieren, wenn man Pech hat. Dieses Gespür dafür, zu ahnen, was passieren wird, haben nicht viele. Das halte ich tatsächlich für eine Kunst.

DFB.de: Wie erleben Sie Christian Streich?

Brandt: In Freiburg passiert regelmäßig Außergewöhnliches. Als er neulich über den Haufen gerannt wurde, und ich dann sah, wie die Freiburger Bank reagierte, dachte ich mir als allererstes: In dem Verein ist wirklich alles in Ordnung. Das dauerte nur ungefähr 0,3 Sekunden, bis die alle da waren. Das wäre wahrscheinlich nicht in jedem Verein und bei jedem Trainer der Fall. Das muss man erst mal hinkriegen, auch nach so langer Zeit.

DFB.de: Adrenalin gehört genauso zum Fußball wie zur Bühne, oder?

Brandt: Alles, was wir machen, ist ein Spiel, auf dem Fußballplatz, oder vor der Kamera. Aber das Adrenalin ist echt. Es gibt kein gespieltes, künstliches Adrenalin. Das Spiel ist vorbei, die Vorstellung ist vorbei, aber das Adrenalin ist noch da. Damit muss man umgehen können. Und in beiden Berufen sind daran schon sehr talentierte Menschen kaputtgegangen. Die begabtesten Menschen meines Berufs, die kennt man nicht, weil sie den Druck nicht ausgehalten haben. Ich glaube, man kann ein großer Schauspieler oder auch ein großer Fußballer sein, ohne dass die Welt je davon erfährt.

DFB.de: Lassen Sie uns zum Ende des Gesprächs noch mal an Ihren fußballerischen Anfang zurückkehren. Waren Sie eigentlich als kleiner Junge gut?

Brandt: Als kleiner Junge vielleicht schon, aber später hat's dann nicht mehr gereicht. Aber das ist nicht so wichtig. Die Freude am Fußball, das Tanzen mit dem Ball, das restlose Vergessen im Spiel, das empfinden ja auch die Unbegabten. Der Fußball hat ein großes Herz.

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