Das Quartier, der Platz und der Faktor X

Bei der Nationalmannschaft wird das Turnier selbstbewusst von hinten gelesen. Wenn es in Russland auf die letzten Prozent ankommt, will man Kräfte sparen und die Reisestrapazen reduzieren. Der Aufwand im Hintergrund ist schon jetzt weltmeisterlich.

Georg Behlau und sein Stab haben, guter Tradition folgend, so ziemlich jeden Winkel des WM-Gastgeberlandes durchstreift, immer auf der Suche nach dem perfekten Teamquartier. Zehn individuelle Vorreisen nach Russland, am Ende hatten Behlau und sein Team jede Menge Flugmeilen angesammelt. Dabei hatte der 49 Jahre alte Sportmanager, der im DFB nach der WM die Leitung des Managements für alle Nationalmannschaften übernimmt, schon vergangenen Sommer eine gute Lösung gefunden. Doch "gut" genügten Behlau und seinem Team nicht. Die Orte, an denen die deutschen Mannschaften entstanden und geformt wurden, sind Mythos und Kult zugleich. Spiez, Malente, Campo Bahia. Und in diesem Sommer: Watutinki.

"Wir haben das Turnier selbstbewusst von hinten gelesen", sagt Oliver Bierhoff. Vor den Toren Moskaus also wird der Weltmeister am 12. Juni Quartier beziehen – so haben es Bierhoff, Joachim Löw und Behlau entschieden. Leicht fiel ihnen die Entscheidung nicht. Schließlich hatte man sich im Sommer 2017 während des Confederations Cups in Sotschi, dem Olympiaort am Schwarzen Meer mit Blick auf die Bergketten des Kaukasus, ausgesprochen wohlgefühlt. Und dann das Turnier gewonnen. Die deutlich kürzeren Reisezeiten aber gaben schließlich den Ausschlag – gegen Sotschi, für Moskau. Höchste Priorität hat der Erfolg, der Wohlfühlfaktor ist nachgeordnet. "Wenn wir die Gruppe als Erster abschließen, könnten wir Halbfinale und Finale im Luschniki-Stadion bestreiten", erklärt Bierhoff. Und bis zum Luschniki sind es von Watutinki gerade mal 35 Kilometer. Mindestens genauso wichtig: Das Team muss nicht am Tag vor dem Spiel anreisen. "Wir sparen uns dadurch Übernachtungen in den FIFA-Spieltagshotels, wo wir oft nicht die nötige Ruhe finden und unsere Bedürfnisse, wie Funktionsräume, nicht so adäquat abbilden können", erläutert Behlau. "Und in den letzten zehn Tagen des Turniers geht es um die letzten Prozente. Genau dann planen wir, komplett in Moskau zu bleiben."

Details entscheiden

Der gebürtige Rheinländer kam 2004 unter Jürgen Klinsmann zur Nationalmannschaft, mit der WM in Russland organisiert er sein zehntes großes Turnier. Teammanagement bedeute viel mehr, als funktionierende Logistik und Massagebänke von A nach B zu bringen, sagt er. Und natürlich hat Behlau Recht. In diesem Sommer geht es eben auch um Heimat, Gemeinschaft, einen guten Wechsel zwischen Fokussierung und Entspannung und dazu noch den Faktor X. Jenes kaum zu benennende Quäntchen Extra, das für den Erfolg entscheidend sein kann. Die Aufgabe mit den Massagebänken ist dennoch nicht ohne. Denn natürlich werden Behlau und sein Team neben dem Platz vom gleichen Anspruch getrieben wie die Mannschaft auf dem Platz: eine weltmeisterliche Leistung.

Zwölf Tonnen Gepäck begleiten die Mannschaft nach Russland. 72 Zimmer für 63 Personen – für die Spieler, den Trainerstab und das Team hinter dem Team – werden belegt. Die weiteren Räume werden für die medizinische Abteilung und die Zeugwarte genutzt. Trainiert wird auf zwei Plätzen von ZSKA Moskau – der Hauptplatz wurde gerade neu angelegt – nur eine fünfminütige Busfahrt entfernt. Zwei Teamköche – der Sternekoch Anton Schmaus aus Regensburg und Felix Markwardt, der Koch des Kölner Hyatt – versorgen die Mannschaft kulinarisch. Vier Physiotherapeuten, vier Ärzte, Spielanalysten, Fitnesstrainer, Medien- und Organisationsprofis komplettieren das Expertenteam hinter der Mannschaft. Für die 23 Spieler werden die Zeugwarte rund 160 Paar Schuhe einpacken, 60 Bälle haben sie dabei und 26 Trikotsätze. Übrigens tragen im Training fast alle Noppen, beim Spiel bis auf zwei oder drei Ausnahmen alle Stollen. Einer will, dass die Schuhe nachts vor dem Spiel in warmes Wasser gestellt und morgens trocken geföhnt werden.

So wird jedes Detail in den einzelnen Fachabteilungen durchdacht, manches Mal die erste Lösung verworfen, neu überlegt und schließlich versucht, alles perfekt umzusetzen. "Wir können nicht das Meer von Sotschi nach Moskau bringen, aber wir werden alles daran setzen, dass sich unsere Spieler wohlfühlen", sagt Behlau. Die Aufgabe lautet gleichermaßen Begegnungs- wie auch Rückzugsorte innerhalb des Quartiers zu schaffen. Boule ist bei den Spielern seit der EM in Frankreich beliebt, Snooker auch. Wie unter Löw inzwischen üblich, wird das Teamquartier am Tag nach einem Spiel für die Ehefrauen oder Lebenspartnerinnen und die Kinder der Spieler geöffnet.

Bestmögliche Bedingungen

Zum exquisiten Team der deutschen Fußballer gehört ein umfassender Betreuerstab. "Fußball-Deutschland darf erwarten, dass für die 23 Topathleten bestmögliche Bedingungen geschaffen werden", sagt Behlau. Ein Top-Tennisspieler habe oft auch ein Team von drei oder vier Leuten bei Turnieren dabei. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass Gruppen eine Obergrenze haben, ab der sie sozial und kommunikativ kaum mehr funktionieren würden. "Alles zusammen sind wir jetzt 63 Leute", sagt Behlau, "und mehr werden’s nicht." 

Privat ist Behlau Vorsitzender des Amateurklubs Limburg 07. Er sagt: "Auf den ersten Blick sind die Welten gar nicht so weit auseinander." Weil trotz der großen Gelder und der gigantischen medialen Beobachtung am Ende hier wie dort Fußball gespielt wird und weil es immer um Mut, Können, Fantasie, Zusammenhalt und auch mal Nehmerqualitäten geht. Nach dem Sommer wird Thomas Beheshti die Aufgaben als Leiter des Team-Managements übernehmen. Russland 2018 dient in gewisser Weise an dieser Stelle als Übergabe des Staffelstabs.

Georg Behlau erinnert sich an Südafrika. Das Eröffnungsspiel in Durban stand an, Gegner waren die Australier. Es war der Tag davor, Reisetag, die Spieler sollten gleich geweckt werden. Rund ums Hotel wallten dicke Nebelschwaden. "Da kam Wolfgang Wirthmann vom Reisebüro zu mir und sagte, alle Flüge seien storniert, der Wetterbericht mache wenig Mut, vielleicht müssten wir am Spieltag fliegen." Behlau lächelt. "Und wissen Sie was, obwohl die Spannung vor einem ersten Turnierspiel enorm hoch ist, blieben Löw und Bierhoff total ruhig und sachlich. Je größer die Herausforderung, desto ruhiger werden die beiden." Auch in Russland soll es schon mal neblig werden. Aber vielleicht muss man ja dann nur noch mit dem Bus zum Luschniki-Stadion fahren.

[th]

Bei der Nationalmannschaft wird das Turnier selbstbewusst von hinten gelesen. Wenn es in Russland auf die letzten Prozent ankommt, will man Kräfte sparen und die Reisestrapazen reduzieren. Der Aufwand im Hintergrund ist schon jetzt weltmeisterlich.

Georg Behlau und sein Stab haben, guter Tradition folgend, so ziemlich jeden Winkel des WM-Gastgeberlandes durchstreift, immer auf der Suche nach dem perfekten Teamquartier. Zehn individuelle Vorreisen nach Russland, am Ende hatten Behlau und sein Team jede Menge Flugmeilen angesammelt. Dabei hatte der 49 Jahre alte Sportmanager, der im DFB nach der WM die Leitung des Managements für alle Nationalmannschaften übernimmt, schon vergangenen Sommer eine gute Lösung gefunden. Doch "gut" genügten Behlau und seinem Team nicht. Die Orte, an denen die deutschen Mannschaften entstanden und geformt wurden, sind Mythos und Kult zugleich. Spiez, Malente, Campo Bahia. Und in diesem Sommer: Watutinki.

"Wir haben das Turnier selbstbewusst von hinten gelesen", sagt Oliver Bierhoff. Vor den Toren Moskaus also wird der Weltmeister am 12. Juni Quartier beziehen – so haben es Bierhoff, Joachim Löw und Behlau entschieden. Leicht fiel ihnen die Entscheidung nicht. Schließlich hatte man sich im Sommer 2017 während des Confederations Cups in Sotschi, dem Olympiaort am Schwarzen Meer mit Blick auf die Bergketten des Kaukasus, ausgesprochen wohlgefühlt. Und dann das Turnier gewonnen. Die deutlich kürzeren Reisezeiten aber gaben schließlich den Ausschlag – gegen Sotschi, für Moskau. Höchste Priorität hat der Erfolg, der Wohlfühlfaktor ist nachgeordnet. "Wenn wir die Gruppe als Erster abschließen, könnten wir Halbfinale und Finale im Luschniki-Stadion bestreiten", erklärt Bierhoff. Und bis zum Luschniki sind es von Watutinki gerade mal 35 Kilometer. Mindestens genauso wichtig: Das Team muss nicht am Tag vor dem Spiel anreisen. "Wir sparen uns dadurch Übernachtungen in den FIFA-Spieltagshotels, wo wir oft nicht die nötige Ruhe finden und unsere Bedürfnisse, wie Funktionsräume, nicht so adäquat abbilden können", erläutert Behlau. "Und in den letzten zehn Tagen des Turniers geht es um die letzten Prozente. Genau dann planen wir, komplett in Moskau zu bleiben."

Details entscheiden

Der gebürtige Rheinländer kam 2004 unter Jürgen Klinsmann zur Nationalmannschaft, mit der WM in Russland organisiert er sein zehntes großes Turnier. Teammanagement bedeute viel mehr, als funktionierende Logistik und Massagebänke von A nach B zu bringen, sagt er. Und natürlich hat Behlau Recht. In diesem Sommer geht es eben auch um Heimat, Gemeinschaft, einen guten Wechsel zwischen Fokussierung und Entspannung und dazu noch den Faktor X. Jenes kaum zu benennende Quäntchen Extra, das für den Erfolg entscheidend sein kann. Die Aufgabe mit den Massagebänken ist dennoch nicht ohne. Denn natürlich werden Behlau und sein Team neben dem Platz vom gleichen Anspruch getrieben wie die Mannschaft auf dem Platz: eine weltmeisterliche Leistung.

Zwölf Tonnen Gepäck begleiten die Mannschaft nach Russland. 72 Zimmer für 63 Personen – für die Spieler, den Trainerstab und das Team hinter dem Team – werden belegt. Die weiteren Räume werden für die medizinische Abteilung und die Zeugwarte genutzt. Trainiert wird auf zwei Plätzen von ZSKA Moskau – der Hauptplatz wurde gerade neu angelegt – nur eine fünfminütige Busfahrt entfernt. Zwei Teamköche – der Sternekoch Anton Schmaus aus Regensburg und Felix Markwardt, der Koch des Kölner Hyatt – versorgen die Mannschaft kulinarisch. Vier Physiotherapeuten, vier Ärzte, Spielanalysten, Fitnesstrainer, Medien- und Organisationsprofis komplettieren das Expertenteam hinter der Mannschaft. Für die 23 Spieler werden die Zeugwarte rund 160 Paar Schuhe einpacken, 60 Bälle haben sie dabei und 26 Trikotsätze. Übrigens tragen im Training fast alle Noppen, beim Spiel bis auf zwei oder drei Ausnahmen alle Stollen. Einer will, dass die Schuhe nachts vor dem Spiel in warmes Wasser gestellt und morgens trocken geföhnt werden.

So wird jedes Detail in den einzelnen Fachabteilungen durchdacht, manches Mal die erste Lösung verworfen, neu überlegt und schließlich versucht, alles perfekt umzusetzen. "Wir können nicht das Meer von Sotschi nach Moskau bringen, aber wir werden alles daran setzen, dass sich unsere Spieler wohlfühlen", sagt Behlau. Die Aufgabe lautet gleichermaßen Begegnungs- wie auch Rückzugsorte innerhalb des Quartiers zu schaffen. Boule ist bei den Spielern seit der EM in Frankreich beliebt, Snooker auch. Wie unter Löw inzwischen üblich, wird das Teamquartier am Tag nach einem Spiel für die Ehefrauen oder Lebenspartnerinnen und die Kinder der Spieler geöffnet.

Bestmögliche Bedingungen

Zum exquisiten Team der deutschen Fußballer gehört ein umfassender Betreuerstab. "Fußball-Deutschland darf erwarten, dass für die 23 Topathleten bestmögliche Bedingungen geschaffen werden", sagt Behlau. Ein Top-Tennisspieler habe oft auch ein Team von drei oder vier Leuten bei Turnieren dabei. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass Gruppen eine Obergrenze haben, ab der sie sozial und kommunikativ kaum mehr funktionieren würden. "Alles zusammen sind wir jetzt 63 Leute", sagt Behlau, "und mehr werden’s nicht." 

Privat ist Behlau Vorsitzender des Amateurklubs Limburg 07. Er sagt: "Auf den ersten Blick sind die Welten gar nicht so weit auseinander." Weil trotz der großen Gelder und der gigantischen medialen Beobachtung am Ende hier wie dort Fußball gespielt wird und weil es immer um Mut, Können, Fantasie, Zusammenhalt und auch mal Nehmerqualitäten geht. Nach dem Sommer wird Thomas Beheshti die Aufgaben als Leiter des Team-Managements übernehmen. Russland 2018 dient in gewisser Weise an dieser Stelle als Übergabe des Staffelstabs.

Georg Behlau erinnert sich an Südafrika. Das Eröffnungsspiel in Durban stand an, Gegner waren die Australier. Es war der Tag davor, Reisetag, die Spieler sollten gleich geweckt werden. Rund ums Hotel wallten dicke Nebelschwaden. "Da kam Wolfgang Wirthmann vom Reisebüro zu mir und sagte, alle Flüge seien storniert, der Wetterbericht mache wenig Mut, vielleicht müssten wir am Spieltag fliegen." Behlau lächelt. "Und wissen Sie was, obwohl die Spannung vor einem ersten Turnierspiel enorm hoch ist, blieben Löw und Bierhoff total ruhig und sachlich. Je größer die Herausforderung, desto ruhiger werden die beiden." Auch in Russland soll es schon mal neblig werden. Aber vielleicht muss man ja dann nur noch mit dem Bus zum Luschniki-Stadion fahren.