Mythos Fritz Walter: Der Betze-Bub

384 Spiele, 327 Tore, mehrfacher Deutscher Meister, Weltmeister und Ehrenspielführer: Friedrich "Fritz" Walter ist ein deutsche Fußballlegende. Heute würde der 2002 verstorbene Kapitän der "Helden von Bern" 100 Jahre alt. Zum Jubiläum würdigt DFB.de den ersten DFB-Ehrenspielführer mit einer Serie. Im ersten Teil geht es um Fritz Walter als FCK-Ikone - 31 Jahre spielte er für den 1. FC Kaiserslautern.

Das Fußballspielen lernte Fritz Walter in den Gassen Kaiserslauterns. Vor seinem Elternhaus in der Bismarckstraße jagten die Buben und Mädchen der Nachbarschaft Stoffbällen oder sonstigen Kugeln nach und beförderten sie mit Eifer in die kleinen Kanalschächte, die sich als "Tore" nur bedingt eigneten, weil es gar nicht so leicht war, die Bälle wieder herauszuholen. Das "Kanälches"-Spiel stand am Anfang einer Weltkarriere, weshalb es der zentnerschwere originale Kanaldeckel im vergangenen Jahr sogar ins Deutsche Fußballmuseum schaffte. Das Tiefbauamt hatte es auf dem städtischen Betriebshof gelagert, nun kann es in Dortmund bewundert werden.

"Unserem Straßenfußball habe ich viel zu verdanken", sagte der Fritz einmal. Die Liebe zu dem Sport, der ihm eine große Karriere ermöglichte, die in Kaiserslautern begann und endete. Das allein verdient, nicht nur mit heutigen Augen, Beachtung. Fritz Walter, am 31. Oktober 1920 in der Barbarossa-Stadt geboren, war sein Leben lang Kaiserslauterer im Herzen, auch wenn er seinen Bungalow in den Sechzigerjahren auf einem Hügel im benachbarten Dorf Alsenborn errichten ließ, weil der SV Alsenborn seine Ratgeberdienste brauchte und ihn damit erfolgreich köderte.

Idol einer Stadt

Fritz Walter hat seine Stadt weltbekannt gemacht, auch wenn er nicht "der Erfinder von Kaiserslautern" war, wie es ein lernbehinderter Junge in rührender Weise seiner Lehrerin spontan entgegen schmetterte. Die Schule trägt seit März 2000 seinen Namen, wie so vieles, was in Kaiserslautern an ihn erinnert. Allen voran natürlich das Stadion, im Volksmund noch immer "der Betze", aber seit 1985 offiziell das Fritz-Walter-Stadion, in das das Vereinsmuseum integriert ist. Darin ging das Fritz-Walter-Museum auf, das nach seinem Tod 2002 bis 2018 in seinem Bungalow war.

Natürlich gibt es eine Fritz-Walter-Straße in der Stadt, und Fans des Idols können sich auf eine Fritz-Walter-Tour begeben, die an seinem Geburtshaus startet. Das neunstöckige Fritz-Walter-Hochhaus, das in den Fünfzigern geplant wurde, entstand zwar nie, es wurde ein paar Nummern kleiner und enthielt sein Kino, das Universum. Und die von ihm 1999 gegründete Stiftung, die sein Jubiläum mit hohem Aufwand und Engagement sowohl im Internet wie in der realen Welt würdigte, hat ihren Sitz natürlich in seiner Stadt, wo auch sonst?

Wie wurde er zum Idol der Pfalz und spätestens 1954 in Bern eines ganzen Landes?

"Stürmer bin ich!"

1928 trat Fritz in den FV Kaiserslautern ein, der schon 1931 in den 1. FCK einging, der aus der Fusion dreier Klubs entstand. Sein Lieblingsverein in der Kindheit war übrigens Schalke 04, das damals zur neuen Supermacht des deutschen Fußballs avancierte. Seine ersten Spiele absolviert er eher widerwillig als rechter Verteidiger, er wollte lieber Tore schießen. Einmal, es war gegen Pirmasens, missachtete er die Stallorder, tankte sich durch und schoss ein Tor. "Stürmer bin ich!", sagte er trotzig, erhielt aber vom Trainer einen gehörigen Einlauf. "Du spielst da, wo wir dich hin stellen!" Da flossen die Tränen beim kleinen Fritz.

Weil sein wahres Talent, insbesondere seine brillante Technik und Wendigkeit, indes kein Trainer der Welt übersehen konnte, schickten sie ihn mit 13 doch nach vorne. Der neue FCK-Mittelstürmer kam auf Anhieb auf einen Zwei-Tore-Schnitt und es sprach sich in Kaiserslautern herum, dass es sich lohnen würde, sonntags schon zum Vorspiel der Schüler-Elf auf den Betzenberg zu klettern. "Die Ränge des Betzenbergs waren in dieser Zeit weit vor Beginn des Hauptspiels gefüllt, denn die Zuschauer wollten sich den Genuss, den kleinen Fritz am Ball zu sehen, nicht entgehen lassen", schrieb die Pfälzische Volkszeitung.

"Er war so ein schwächliches Kind"

Als er 17 war, wollten sie ihn in die 1. Mannschaft einbauen, die in der erstklassigen Gauliga Südwest gegen den Abstieg spielte. Doch der Arzt, der die Sondergenehmigung erteilen sollte, verweigerte sie. Er hatte zwar Kondition und lief bei offiziellen Wettbewerben über 800 Meter und 1500 Meter, aber es fehlte ihm an Robustheit. "Er war so ein schwächliches Kind", wunderte sich auch die aus Berlin stammende Mutter Dorothee noch Jahrzehnte später über die sagenhafte sportliche Karriere ihres Ältesten.

Die Lösung? Fritz wurde von einem vereinsnahen Metzger aufgepäppelt, nahm bei ihm sein Mittagessen ein und dessen Wurstbrote mit zur Arbeit in der Stadtsparkasse, wo er zum Bankkaufmann ausgebildet wurde. Der Lohn der regelmäßigen Fleischzulagen: am 27. März 1938, noch immer war er 17, debütierte er gegen den 1. FC Pforzheim in einem Testspiel. Zum 5:5 steuerte er ein Tor bei.

Meister als Aufsteiger

Das Ligadebüt am 11. September 1938 in der Bezirksliga Mittelpfalz, mit Sondergenehmigung, verlief noch spektakulärer. Beim 8:1 gegen den SV Niederauerbach schoss er vier Tore, am Saisonende standen nach seinen eigenen Angaben "über 80 Tore" und die Rückkehr in die Gauliga. Die Fans trugen den 18jährigen auf Schultern vom Platz. Im Jahr darauf schafften sie ein Kunststück, das längst vergessen und offenbar eine Kaiserslauterer Spezialität ist: als Aufsteiger Meister zu werden, zwar "nur" in der Saar-Pfalz, aber immerhin.

Die Mannschaft fiel auf, ihr Star sowieso. Auch Sepp Herberger, dem Reichstrainer. 1940 wurde Fritz Walter erster Nationalspieler des 1. FCK und dessen Kapitän. Ein 20-Jähriger führte die Lauterer, die immer öfter als "Walter-Elf" bezeichnet wurden, an. Gegen sein Naturell, wohlgemerkt. Der 1939 ausbrechende Krieg erforderte viele Opfer, auch von den Fußballern. Im Dezember 1940 eingezogen, durfte Walter zunächst noch zuhause bleiben, im Mai 1941 wurde er nach Westfrankreich versetzt. Der Fußball ruhte deswegen nicht, der Spielbetrieb wurde überall krampfhaft aufrechterhalten, es wurde zunehmend improvisiert. Und Fritz blieb der Star, der in jedem Spiel auftrumpfte. Beim unglaublichen 26:0 im März 1942 gegen FK Pirmasens schoss er 13 Tore, der FKP zog anschließend seine Mannschaft zurück.

"Auf die Sparkass' geh ich nimmer"

Dann zwang ihn der Krieg fremdzugehen. Er blieb zwar immer FCK-Mitglied, spielte aber dort, wo er stationiert war – so wie es damals erlaubt und gewünscht war, um die Truppenmoral zu erhalten. So lief er 1943 für TSG Diedenhofen (Lothringen) und die TSG Saargemünd auf, für das Wachbataillon Berlin und die Pariser Soldatenmannschaft. Nach seiner Malaria-Erkrankung 1943, auf Sardinien zugezogen, griff Sepp Herberger ein und vermittelte ihn zu einem Luftwaffengeschwader in Jever. Fliegen musste er nie, nur Fußball spielen – für die Roten Jäger, die vom fußballaffinen Major Graf betreut und weitgehend aus dem Schussfeld genommen wurden. So kam er durch den Krieg.

Durch wundersame Fügungen überstand er auch die relativ kurze russische Kriegsgefangenschaft und kehrte am 28. Oktober 1945, kurz vor seinem 25. Geburtstag, in seine Heimatstadt zurück. Auf der Straße begegnete ihm der spätere Fußballkommentator des SWR, Rudi Michel, und dem versprach er: "Auf die Sparkass' geh ich nimmer!"

Der Wiederaufbau

Nein, sein beinahe alleiniges Thema wurde der Wiederaufbau des FCK. Walter berichtete: "In meiner Vaterstadt begann ich – kaum dass ich einigermaßen zur Besinnung gekommen war – den 1. FCK systematisch wieder aufzubauen. Ich fasste alles zusammen, was an Talenten vorhanden war und zog ein zielbewusstes Training an. Langsam aber sicher rückten wir mit unserer zielstrebigen Aufbauarbeit in den Blickpunkt der Öffentlichkeit."

Er war Spieler, Trainer und Geschäftsführer in einem und beim Verein angestellt. Walter wohnte sogar im selben Haus, in der die Geschäftsstelle war. Nun begann die größte Zeit des Vereins mit und wegen Fritz Walter. Die Spieler kamen alle aus der Stadt oder dem näheren Umfeld und hatten es gut beim Fritz, der zweimal die Woche trainieren ließ – ohne eine entsprechende Lizenz – "egal, was für'n Wetter is". Seinen Standardspruch äfften die Spieler irgendwann nach.

Die Erfolgswelle

Herberger, sein väterlicher Freund und vor der Wiederzulassung der Nationalmannschaft 1950 mit reichlich Freizeit gesegnet, mischte sich beratend ein und bildete Walter schon zehn Jahre vor dem Erwerb seiner Lizenz (Juni 1957) aus. Die Erfolge blieben nicht aus. 1947 wurden sie Ligapokalsieger der "französischen Zone", 1948 Südwest-Meister. Wochen später stand der FCK im Finale um die Deutsche Meisterschaft (1:2 gegen Nürnberg) und bald sprach man auch bundesweit ehrfürchtig von der "Walter-Elf".

Dabei war er 1948/1949 nebenher noch Trainer bei Lokalrivale VfR, auf dessen "Erbsenberg" die Roten Teufel, wie sie nun hießen wegen ihrer von Fritz eingeführten Trikotfarbe, trainieren durften. Die Gegenleistung: Er musste sie vor dem Abstieg aus der 2. Liga bewahren und schaffte mehr als das – den Aufstieg in die Oberliga Südwest, in dem auch sein FCK spielte. Seit 1950 war Fritz dann nirgendwo mehr Trainer, nur noch Vertragsspieler. Richard Schneider übernahm – und hörte doch auf seinen Rat. Nun kam zum Lob auch der Lorbeer.

Von 1951 bis 1955 stand der FCK viermal im Finale um die Deutsche Meisterschaft und holte sie zweimal (1951 2:1 gegen Preußen Münster, 1953 4:1 gegen VfB Stuttgart). Die Stadt, stand auf einem Transparent zu lesen, hieß nun "Walterslautern", zumal Bruder Ottmar im Sturm eifrig zum Erfolg beitrug. Nun waren die in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsenen Walter-Brüder was sie nie sein wollten: Helden.

"Mit uns meinten sie es zu gut"

Nach dem zweiten Titel 1953 klagte Fritz, der seit Einführung der Rückennummern nach dem Krieg die 8 trug, geradezu über die Zuneigung der Massen: "Die Freude der Pfälzer ist ehrlich. Mit uns meinen sie es jedoch zu gut. Wir werden von Einladungen und Empfängen geradezu gejagt." 1954 wurde es noch "schlimmer", als Fritz mit Bruder Ottmar, Werner LiebrichWerner Kohlmeyer und Horst Eckel den Weltmeistertitel holte. Da platzte die Stadt vor lauter Stolz. Dass er den FCK nie verlassen hat, so viele Angebote auch hereinflogen, hat Fritz nie bereut: "Alles Geld der Welt würde mir die Freude, für meinen FCK zu spielen, nicht ersetzen können…"

So blieb er bis ins hohe Fußballalter ein roter Teufel. Das Alter schien sich auf ihn kaum auszuwirken, schon gar nicht auf seinen Fleiß. Eckel staunte: "Trotz seiner Berühmtheit trainierte er am härtesten von uns allen." 1952/1953 wurde Walter mit 32 Jahren Torschützenkönig im Südwesten mit 38 Treffern. Verletzt war er nur einmal ernstlich, drei Wochen musste er nach einer Bänderzerrung Gips tragen. Er lebte, nach damaligen Vorstellungen, hochprofessionell und genügsam. 1957 vertraute er dem kicker an: "Zuhause lebe ich nach einem ganz bestimmten Speisezettel, was bei auswärtigen Spielen leider nicht immer möglich ist. Ich halte aber eine strenge Diät für absolut erforderlich. Ich bin der Ansicht, dass der Speisezettel maßgeblich den Grad der körperlichen Leistung mitbestimmt."

Morgens nach dem Aufstehen machte er immer Gymnastik, an trainingsfreien Tagen absolvierte er Waldläufe. So hielt er bis 38 durch, ehe sie ihn am 20. Juni 1959 nach dem Abschiedsspiel gegen Racing Paris auf Schultern vom Platz trugen.

Ein fairer Sportsmann

Diese Karriere ließ sich wahrlich nicht nur in Zahlen messen, beeindruckend sind sie dennoch. Im Seniorenbereich kam er in 384 Spielen für den FCK, meist als hängende Spitze, zu 327 Toren. Das berühmteste fiel im Oktober 1956 mit der Hacke vor 120.000 Zuschauern in Leipzig – leider viel zu früh, um das Tor des Jahres werden zu können. Vom Platz flog er nie, und seine einzige Sperre handelte er sich in Pirmasens wegen deftiger Schiedsrichterschelte ein. Es war im November 1956, als er verletzt auf der Tribüne saß und nach der Niederlage wutentbrannt in die Kabine des Unparteiischen gerauscht war. Eine echte Ausnahme!

Leichte Dissonanzen gab es auch mal im Verhältnis zu seinem Klub. Weil der FCK ihm in zwei Tranchen 45.000 Mark lieh, um zunächst einen Waschsalon und danach das Kino übernehmen zu können – statt nach Madrid zu gehen –, musste Fritz Walter 1957 vors DFB-Sportgericht. Da keine Darlehensverträge geschlossen wurden, lag der Verdacht nahe, es habe sich um ein verdecktes Honorar und somit einen Verstoß gegen das Vertragsspielerstatut gehandelt. Der Angeklagte wurde freigesprochen, sein Klub musste 3000 Mark bezahlen – und die Verträge wurden nachgereicht. 1967 sollte er Technischer Direktor werden, aber Bundesligist und Ehrenspielführer konnten sich nicht einigen, ein Trennungsgrund war es nicht.

Der Mythos Fritz Walter

Allein sagenhafte 31 Jahre am Ball für seinen FCK, den er nie verlassen hat, machten den Mythos Fritz Walter aus. So einen macht man zum Ehrenspielführer, auch die Goldene Ehrennadel mit Brillanten trug er mit Stolz. Bis zu seinem Lebensende bangte er mit seinem FCK, dessen Spiele er oft vor Nervosität nicht im Stadion mitansehen konnte. Dann tigerte er daheim durch den Garten, und seine seit 1948 mit ihm vermählte Italia musste die telefonisch eingeholten Zwischenstände vermelden.

Stefan Kuntz, Kapitän der Meistermannschaft von 1991, sagte: "All sein Handeln war dem untergeordnet, dass der FCK immer davon profitieren muss. Für ihn stand der FCK über allem. Über jedem Spieler und über jeder handelnden Person.

Und so oft er der Mannschaft, die einer wie er in der Kabine aufsuchen durfte, auch aufmunternde Faxe schickte ("Männer! Euer Fritz!"), ein Optimist war er nicht. "Wenn mir mal absteische, komme mer nie mehr hoch", hat er oft geunkt. Zu seinen Lebzeiten hat sich das nicht bewahrheitet, dem Bundesligaabstieg 1996 folgte das Husarenstück, das der Spieler Fritz Walter schon 1940 erlebte: Meister als Aufsteiger! Dass sein FCK heute in der 3. Liga spielt und von wirtschaftlichen Sorgen geplagt wird, hätte auch er wohl nicht erwartet. Denn zu seiner Zeit war der Verein so wie der Spieler und Mensch Fritz Walter – einfach erstklassig.

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384 Spiele, 327 Tore, mehrfacher Deutscher Meister, Weltmeister und Ehrenspielführer: Friedrich "Fritz" Walter ist ein deutsche Fußballlegende. Heute würde der 2002 verstorbene Kapitän der "Helden von Bern" 100 Jahre alt. Zum Jubiläum würdigt DFB.de den ersten DFB-Ehrenspielführer mit einer Serie. Im ersten Teil geht es um Fritz Walter als FCK-Ikone - 31 Jahre spielte er für den 1. FC Kaiserslautern.

Das Fußballspielen lernte Fritz Walter in den Gassen Kaiserslauterns. Vor seinem Elternhaus in der Bismarckstraße jagten die Buben und Mädchen der Nachbarschaft Stoffbällen oder sonstigen Kugeln nach und beförderten sie mit Eifer in die kleinen Kanalschächte, die sich als "Tore" nur bedingt eigneten, weil es gar nicht so leicht war, die Bälle wieder herauszuholen. Das "Kanälches"-Spiel stand am Anfang einer Weltkarriere, weshalb es der zentnerschwere originale Kanaldeckel im vergangenen Jahr sogar ins Deutsche Fußballmuseum schaffte. Das Tiefbauamt hatte es auf dem städtischen Betriebshof gelagert, nun kann es in Dortmund bewundert werden.

"Unserem Straßenfußball habe ich viel zu verdanken", sagte der Fritz einmal. Die Liebe zu dem Sport, der ihm eine große Karriere ermöglichte, die in Kaiserslautern begann und endete. Das allein verdient, nicht nur mit heutigen Augen, Beachtung. Fritz Walter, am 31. Oktober 1920 in der Barbarossa-Stadt geboren, war sein Leben lang Kaiserslauterer im Herzen, auch wenn er seinen Bungalow in den Sechzigerjahren auf einem Hügel im benachbarten Dorf Alsenborn errichten ließ, weil der SV Alsenborn seine Ratgeberdienste brauchte und ihn damit erfolgreich köderte.

Idol einer Stadt

Fritz Walter hat seine Stadt weltbekannt gemacht, auch wenn er nicht "der Erfinder von Kaiserslautern" war, wie es ein lernbehinderter Junge in rührender Weise seiner Lehrerin spontan entgegen schmetterte. Die Schule trägt seit März 2000 seinen Namen, wie so vieles, was in Kaiserslautern an ihn erinnert. Allen voran natürlich das Stadion, im Volksmund noch immer "der Betze", aber seit 1985 offiziell das Fritz-Walter-Stadion, in das das Vereinsmuseum integriert ist. Darin ging das Fritz-Walter-Museum auf, das nach seinem Tod 2002 bis 2018 in seinem Bungalow war.

Natürlich gibt es eine Fritz-Walter-Straße in der Stadt, und Fans des Idols können sich auf eine Fritz-Walter-Tour begeben, die an seinem Geburtshaus startet. Das neunstöckige Fritz-Walter-Hochhaus, das in den Fünfzigern geplant wurde, entstand zwar nie, es wurde ein paar Nummern kleiner und enthielt sein Kino, das Universum. Und die von ihm 1999 gegründete Stiftung, die sein Jubiläum mit hohem Aufwand und Engagement sowohl im Internet wie in der realen Welt würdigte, hat ihren Sitz natürlich in seiner Stadt, wo auch sonst?

Wie wurde er zum Idol der Pfalz und spätestens 1954 in Bern eines ganzen Landes?

"Stürmer bin ich!"

1928 trat Fritz in den FV Kaiserslautern ein, der schon 1931 in den 1. FCK einging, der aus der Fusion dreier Klubs entstand. Sein Lieblingsverein in der Kindheit war übrigens Schalke 04, das damals zur neuen Supermacht des deutschen Fußballs avancierte. Seine ersten Spiele absolviert er eher widerwillig als rechter Verteidiger, er wollte lieber Tore schießen. Einmal, es war gegen Pirmasens, missachtete er die Stallorder, tankte sich durch und schoss ein Tor. "Stürmer bin ich!", sagte er trotzig, erhielt aber vom Trainer einen gehörigen Einlauf. "Du spielst da, wo wir dich hin stellen!" Da flossen die Tränen beim kleinen Fritz.

Weil sein wahres Talent, insbesondere seine brillante Technik und Wendigkeit, indes kein Trainer der Welt übersehen konnte, schickten sie ihn mit 13 doch nach vorne. Der neue FCK-Mittelstürmer kam auf Anhieb auf einen Zwei-Tore-Schnitt und es sprach sich in Kaiserslautern herum, dass es sich lohnen würde, sonntags schon zum Vorspiel der Schüler-Elf auf den Betzenberg zu klettern. "Die Ränge des Betzenbergs waren in dieser Zeit weit vor Beginn des Hauptspiels gefüllt, denn die Zuschauer wollten sich den Genuss, den kleinen Fritz am Ball zu sehen, nicht entgehen lassen", schrieb die Pfälzische Volkszeitung.

"Er war so ein schwächliches Kind"

Als er 17 war, wollten sie ihn in die 1. Mannschaft einbauen, die in der erstklassigen Gauliga Südwest gegen den Abstieg spielte. Doch der Arzt, der die Sondergenehmigung erteilen sollte, verweigerte sie. Er hatte zwar Kondition und lief bei offiziellen Wettbewerben über 800 Meter und 1500 Meter, aber es fehlte ihm an Robustheit. "Er war so ein schwächliches Kind", wunderte sich auch die aus Berlin stammende Mutter Dorothee noch Jahrzehnte später über die sagenhafte sportliche Karriere ihres Ältesten.

Die Lösung? Fritz wurde von einem vereinsnahen Metzger aufgepäppelt, nahm bei ihm sein Mittagessen ein und dessen Wurstbrote mit zur Arbeit in der Stadtsparkasse, wo er zum Bankkaufmann ausgebildet wurde. Der Lohn der regelmäßigen Fleischzulagen: am 27. März 1938, noch immer war er 17, debütierte er gegen den 1. FC Pforzheim in einem Testspiel. Zum 5:5 steuerte er ein Tor bei.

Meister als Aufsteiger

Das Ligadebüt am 11. September 1938 in der Bezirksliga Mittelpfalz, mit Sondergenehmigung, verlief noch spektakulärer. Beim 8:1 gegen den SV Niederauerbach schoss er vier Tore, am Saisonende standen nach seinen eigenen Angaben "über 80 Tore" und die Rückkehr in die Gauliga. Die Fans trugen den 18jährigen auf Schultern vom Platz. Im Jahr darauf schafften sie ein Kunststück, das längst vergessen und offenbar eine Kaiserslauterer Spezialität ist: als Aufsteiger Meister zu werden, zwar "nur" in der Saar-Pfalz, aber immerhin.

Die Mannschaft fiel auf, ihr Star sowieso. Auch Sepp Herberger, dem Reichstrainer. 1940 wurde Fritz Walter erster Nationalspieler des 1. FCK und dessen Kapitän. Ein 20-Jähriger führte die Lauterer, die immer öfter als "Walter-Elf" bezeichnet wurden, an. Gegen sein Naturell, wohlgemerkt. Der 1939 ausbrechende Krieg erforderte viele Opfer, auch von den Fußballern. Im Dezember 1940 eingezogen, durfte Walter zunächst noch zuhause bleiben, im Mai 1941 wurde er nach Westfrankreich versetzt. Der Fußball ruhte deswegen nicht, der Spielbetrieb wurde überall krampfhaft aufrechterhalten, es wurde zunehmend improvisiert. Und Fritz blieb der Star, der in jedem Spiel auftrumpfte. Beim unglaublichen 26:0 im März 1942 gegen FK Pirmasens schoss er 13 Tore, der FKP zog anschließend seine Mannschaft zurück.

"Auf die Sparkass' geh ich nimmer"

Dann zwang ihn der Krieg fremdzugehen. Er blieb zwar immer FCK-Mitglied, spielte aber dort, wo er stationiert war – so wie es damals erlaubt und gewünscht war, um die Truppenmoral zu erhalten. So lief er 1943 für TSG Diedenhofen (Lothringen) und die TSG Saargemünd auf, für das Wachbataillon Berlin und die Pariser Soldatenmannschaft. Nach seiner Malaria-Erkrankung 1943, auf Sardinien zugezogen, griff Sepp Herberger ein und vermittelte ihn zu einem Luftwaffengeschwader in Jever. Fliegen musste er nie, nur Fußball spielen – für die Roten Jäger, die vom fußballaffinen Major Graf betreut und weitgehend aus dem Schussfeld genommen wurden. So kam er durch den Krieg.

Durch wundersame Fügungen überstand er auch die relativ kurze russische Kriegsgefangenschaft und kehrte am 28. Oktober 1945, kurz vor seinem 25. Geburtstag, in seine Heimatstadt zurück. Auf der Straße begegnete ihm der spätere Fußballkommentator des SWR, Rudi Michel, und dem versprach er: "Auf die Sparkass' geh ich nimmer!"

Der Wiederaufbau

Nein, sein beinahe alleiniges Thema wurde der Wiederaufbau des FCK. Walter berichtete: "In meiner Vaterstadt begann ich – kaum dass ich einigermaßen zur Besinnung gekommen war – den 1. FCK systematisch wieder aufzubauen. Ich fasste alles zusammen, was an Talenten vorhanden war und zog ein zielbewusstes Training an. Langsam aber sicher rückten wir mit unserer zielstrebigen Aufbauarbeit in den Blickpunkt der Öffentlichkeit."

Er war Spieler, Trainer und Geschäftsführer in einem und beim Verein angestellt. Walter wohnte sogar im selben Haus, in der die Geschäftsstelle war. Nun begann die größte Zeit des Vereins mit und wegen Fritz Walter. Die Spieler kamen alle aus der Stadt oder dem näheren Umfeld und hatten es gut beim Fritz, der zweimal die Woche trainieren ließ – ohne eine entsprechende Lizenz – "egal, was für'n Wetter is". Seinen Standardspruch äfften die Spieler irgendwann nach.

Die Erfolgswelle

Herberger, sein väterlicher Freund und vor der Wiederzulassung der Nationalmannschaft 1950 mit reichlich Freizeit gesegnet, mischte sich beratend ein und bildete Walter schon zehn Jahre vor dem Erwerb seiner Lizenz (Juni 1957) aus. Die Erfolge blieben nicht aus. 1947 wurden sie Ligapokalsieger der "französischen Zone", 1948 Südwest-Meister. Wochen später stand der FCK im Finale um die Deutsche Meisterschaft (1:2 gegen Nürnberg) und bald sprach man auch bundesweit ehrfürchtig von der "Walter-Elf".

Dabei war er 1948/1949 nebenher noch Trainer bei Lokalrivale VfR, auf dessen "Erbsenberg" die Roten Teufel, wie sie nun hießen wegen ihrer von Fritz eingeführten Trikotfarbe, trainieren durften. Die Gegenleistung: Er musste sie vor dem Abstieg aus der 2. Liga bewahren und schaffte mehr als das – den Aufstieg in die Oberliga Südwest, in dem auch sein FCK spielte. Seit 1950 war Fritz dann nirgendwo mehr Trainer, nur noch Vertragsspieler. Richard Schneider übernahm – und hörte doch auf seinen Rat. Nun kam zum Lob auch der Lorbeer.

Von 1951 bis 1955 stand der FCK viermal im Finale um die Deutsche Meisterschaft und holte sie zweimal (1951 2:1 gegen Preußen Münster, 1953 4:1 gegen VfB Stuttgart). Die Stadt, stand auf einem Transparent zu lesen, hieß nun "Walterslautern", zumal Bruder Ottmar im Sturm eifrig zum Erfolg beitrug. Nun waren die in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsenen Walter-Brüder was sie nie sein wollten: Helden.

"Mit uns meinten sie es zu gut"

Nach dem zweiten Titel 1953 klagte Fritz, der seit Einführung der Rückennummern nach dem Krieg die 8 trug, geradezu über die Zuneigung der Massen: "Die Freude der Pfälzer ist ehrlich. Mit uns meinen sie es jedoch zu gut. Wir werden von Einladungen und Empfängen geradezu gejagt." 1954 wurde es noch "schlimmer", als Fritz mit Bruder Ottmar, Werner LiebrichWerner Kohlmeyer und Horst Eckel den Weltmeistertitel holte. Da platzte die Stadt vor lauter Stolz. Dass er den FCK nie verlassen hat, so viele Angebote auch hereinflogen, hat Fritz nie bereut: "Alles Geld der Welt würde mir die Freude, für meinen FCK zu spielen, nicht ersetzen können…"

So blieb er bis ins hohe Fußballalter ein roter Teufel. Das Alter schien sich auf ihn kaum auszuwirken, schon gar nicht auf seinen Fleiß. Eckel staunte: "Trotz seiner Berühmtheit trainierte er am härtesten von uns allen." 1952/1953 wurde Walter mit 32 Jahren Torschützenkönig im Südwesten mit 38 Treffern. Verletzt war er nur einmal ernstlich, drei Wochen musste er nach einer Bänderzerrung Gips tragen. Er lebte, nach damaligen Vorstellungen, hochprofessionell und genügsam. 1957 vertraute er dem kicker an: "Zuhause lebe ich nach einem ganz bestimmten Speisezettel, was bei auswärtigen Spielen leider nicht immer möglich ist. Ich halte aber eine strenge Diät für absolut erforderlich. Ich bin der Ansicht, dass der Speisezettel maßgeblich den Grad der körperlichen Leistung mitbestimmt."

Morgens nach dem Aufstehen machte er immer Gymnastik, an trainingsfreien Tagen absolvierte er Waldläufe. So hielt er bis 38 durch, ehe sie ihn am 20. Juni 1959 nach dem Abschiedsspiel gegen Racing Paris auf Schultern vom Platz trugen.

Ein fairer Sportsmann

Diese Karriere ließ sich wahrlich nicht nur in Zahlen messen, beeindruckend sind sie dennoch. Im Seniorenbereich kam er in 384 Spielen für den FCK, meist als hängende Spitze, zu 327 Toren. Das berühmteste fiel im Oktober 1956 mit der Hacke vor 120.000 Zuschauern in Leipzig – leider viel zu früh, um das Tor des Jahres werden zu können. Vom Platz flog er nie, und seine einzige Sperre handelte er sich in Pirmasens wegen deftiger Schiedsrichterschelte ein. Es war im November 1956, als er verletzt auf der Tribüne saß und nach der Niederlage wutentbrannt in die Kabine des Unparteiischen gerauscht war. Eine echte Ausnahme!

Leichte Dissonanzen gab es auch mal im Verhältnis zu seinem Klub. Weil der FCK ihm in zwei Tranchen 45.000 Mark lieh, um zunächst einen Waschsalon und danach das Kino übernehmen zu können – statt nach Madrid zu gehen –, musste Fritz Walter 1957 vors DFB-Sportgericht. Da keine Darlehensverträge geschlossen wurden, lag der Verdacht nahe, es habe sich um ein verdecktes Honorar und somit einen Verstoß gegen das Vertragsspielerstatut gehandelt. Der Angeklagte wurde freigesprochen, sein Klub musste 3000 Mark bezahlen – und die Verträge wurden nachgereicht. 1967 sollte er Technischer Direktor werden, aber Bundesligist und Ehrenspielführer konnten sich nicht einigen, ein Trennungsgrund war es nicht.

Der Mythos Fritz Walter

Allein sagenhafte 31 Jahre am Ball für seinen FCK, den er nie verlassen hat, machten den Mythos Fritz Walter aus. So einen macht man zum Ehrenspielführer, auch die Goldene Ehrennadel mit Brillanten trug er mit Stolz. Bis zu seinem Lebensende bangte er mit seinem FCK, dessen Spiele er oft vor Nervosität nicht im Stadion mitansehen konnte. Dann tigerte er daheim durch den Garten, und seine seit 1948 mit ihm vermählte Italia musste die telefonisch eingeholten Zwischenstände vermelden.

Stefan Kuntz, Kapitän der Meistermannschaft von 1991, sagte: "All sein Handeln war dem untergeordnet, dass der FCK immer davon profitieren muss. Für ihn stand der FCK über allem. Über jedem Spieler und über jeder handelnden Person.

Und so oft er der Mannschaft, die einer wie er in der Kabine aufsuchen durfte, auch aufmunternde Faxe schickte ("Männer! Euer Fritz!"), ein Optimist war er nicht. "Wenn mir mal absteische, komme mer nie mehr hoch", hat er oft geunkt. Zu seinen Lebzeiten hat sich das nicht bewahrheitet, dem Bundesligaabstieg 1996 folgte das Husarenstück, das der Spieler Fritz Walter schon 1940 erlebte: Meister als Aufsteiger! Dass sein FCK heute in der 3. Liga spielt und von wirtschaftlichen Sorgen geplagt wird, hätte auch er wohl nicht erwartet. Denn zu seiner Zeit war der Verein so wie der Spieler und Mensch Fritz Walter – einfach erstklassig.

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