Hrubesch zum 70.: Titel ebnen seinen Weg

August 2016, das Maracanã-Stadion in Rio: Zwei Jahre nach dem WM-Triumph schickt sich erneut eine deutsche Mannschaft an, einen Titel zu holen. Erstmals steht die Olympiaauswahl der BRD im Finale, Gastgeber Brasilien ist der Gegner. Der große Kampf wird erst im Elfmeterschießen entschieden. Nils Petersen verschießt, Neymar verwandelt den letzten Ball – Brasilien gewinnt. Aber alle applaudieren auch dem Verlierer, der gefühlt gar keiner ist.

So endet die Trainerkarriere von Horst Hrubesch, der die deutsche Olympiaauswahl in Rio betreut hat, mit einer Silbermedaille. Dankesworte werden gesprochen, Nachrufe geschrieben. Er selbst sagt ja: "Ehe einer fragt: Ich werde erst mal keine Mannschaft mehr trainieren." Muss er auch nicht. Niemand bezweifelt schon damals: Er geht als ein Großer in die Geschichte des DFB ein, sowohl als Trainer als auch als Spieler. Der damalige Präsident Reinhard Grindel sagte: "Ich habe mich bei Horst Hrubesch an seinem letzten Arbeitstag für seine beeindruckende Karriere bedankt."

"Meine Karriere wäre heute undenkbar"

Letzter Arbeitstag? Ein Irrtum, dem nur die erliegen, die ihn nicht wirklich gekannt haben. "Ich bin nicht der Typ dafür, zu Hause die Beine hochzulegen und nur noch angeln zu gehen. Irgendwas kommt bestimmt noch", sagte er schon damals und hielt Wort.

Horst Hrubesch wird heute 70 und ist wieder dick im Geschäft. 2020 kam er zurück von seinem Bauernhof in der Lüneburger Heide, ließ seine Pferde im Stich, das Angeln sein und die Leserschaft auf sein Buch übers Fliegenfischen noch etwas warten. Er konnte eben nicht anders, sein HSV hatte ihn ja gerufen, der Verein, "der mein Leben komplett verändert hat". Nun leitet er dessen Nachwuchszentrum und da passt der "Lange" trotz seiner nun 70 Jahre auch bestens hin. Nachwuchs, das ist sein Ding. Aber nicht nur. Er war ja selbst mal jung. Sein Karriereweg allerdings steht in keinem Drehbuch. "Meine Karriere wäre heute undenkbar", hat er oft betont. Grund genug, noch mal drauf zu schauen.

Auch dank seiner Tore: DFB-Team wird Europameister

Was der Spieler Hrubesch vollbracht hat, ist aller Ehren wert, auch wenn die Erinnerungen allmählich verblassen. Es sind Höhepunkte, die Jahrzehnte zurückliegen. Da war natürlich der Tag von Rom, als der 28 Jahre alte Turnierdebütant Hrubesch am 22. Juni 1980 das EM-Finale gegen Belgien (2:1) mit seinen ersten beiden Länderspieltoren entschied. Da war der Tag von Sevilla, als sein Elfmeter das WM-Halbfinale 1982 gegen Frankreich entschied, und da war der Tag von Athen, als er Kapitän der einzigen HSV-Mannschaft war, die je den Europapokal der Landesmeister gewann – 1983 gegen Juventus Turin.

Dreimal stand er auf dem Rathausbalkon in Hamburg und präsentierte den Fans die Meisterschale: 1979, 1982 und 1983. Es sind die die bis dato letzten Meistertitel des seit nun schon drei Jahren ehemaligen Bundesligisten. So einer wird Kult in der Hansestadt. Uwe Seeler mag der populärste und beste Mittelstürmer des HSV gewesen sein, Horst Hrubesch war gewiss der erfolgreichste. In dem Jahr, als er im WM-Finale stand, 1982, wurde er auch Torschützenkönig. Wie schon vier Jahre zuvor in der 2. Liga – mit einem Allzeitrekord von 41 Toren für Rot-Weiß Essen. Essen war seine erste Profistation. Sein erstes Gehalt: 1800 DM, brutto – "als Dachdecker habe ich mehr verdient".

Profikarriere startet erst mit 24

Er war das, was man einen Spätzünder nennt. Erst mit 24 begann seine Profikarriere, weshalb er "nur" auf 21 Länderspiele gekommen ist, nach dem WM-Finale 1982 trat er zurück. An ein WM-Finale war nicht zu denken, als Essen ihn 1974 für 18.000 DM vom westfälischen Bezirksligisten SC Westtünnen (5. Liga) direkt hoch in die Bundesliga zog. Dahinter steckte übrigens der spätere Bundesligatrainer Werner Lorant, der als RWE-Profi nebenbei die Amateure des SC trainierte und somit an Hrubeschs enormer Sprungkraft seinen Anteil hatte: Er ließ den 1,88-Meter-Hünen immer aus der Sandgrube nach Bällen springen.

Die Quälerei lohnte sich, im ersten Bundesligajahr schoss oder besser köpfte er in 22 Spielen gleich mal 18 Tore. Tore mit dem Fuß waren rarer, eigentlich war er ja "ein lausiger Kicker", wie sein Manager beim HSV, Günter Netzer, später gern witzelte. Das war etwas hart und im Laufe der Jahre bewies er oft genug das Gegenteil. Mitspieler Felix Magath befand neulich: "Horst war der wichtigste Spieler in unserem Team."

Aber sein Markenzeichen war (und ist) nun mal die breite Stirn, mit der er die Flankenbälle, ab 1978 in Hamburg in Bananenform meist von Manni Kaltz getreten, wie vom Katapult geschnellt, ins Tor köpfte. "Er wird der erste Spieler sein, der einen Elfmeter mit dem Kopf verwandelt", witzelte schon Sepp Maier.

136 Tore in 224 Bundesligaspielen

Der Boulevard taufte ihn eher respektvoll denn despektierlich "Kopfballungeheuer" - das in elf Jahren viele Opfer fand: 136 Tore stehen zu Buche in 224 Bundesligaspielen. Am 14. Dezember 1985 bestritt er sein letztes Bundesligaspiel, nun für Borussia Dortmund und ausgerechnet gegen seinen HSV. Dann begann seine Trainerkarriere – wieder bei Rot-Weiß Essen. Zum Start der Zweitliga-Saison 1986/1987 saß er auf der Bank, mit erst 35 Jahren. Parallel machte er noch seinen Fußball-Lehrer in Köln. Er führte den Aufsteiger auf Platz zehn.

Am 14. September 1987 aber war RWE nach schwachem Start 18. und der Vorstand entließ ihn. "Im Grunde eine völlig unsinnige Entscheidung, denn mit dieser Mannschaft hätte jeder Trainer Schwierigkeiten gehabt", kommentierte der kicker. Hrubeschs Aus bedeutete den Beginn der Trainerkarriere von Peter Neururer, der sein Assistent war und RWE rettete. Für Hrubesch ging es 1988 in Wolfsburg weiter, in der Oberliga Nord. Zweimal verpasste der VfL knapp den Aufstieg in die 2. Liga (3. und 4. Platz). Nach der Herbstmeisterschaft 1988/1989 vermisste Hrubesch die nötige Unterstützung von Volkswagen, wie in seiner Biographie zu lesen steht.

Nun zog es ihn über die Alpen, zu seinem großen Lehrmeister Ernst Happel. Der Wiener hatte ihm schon zu HSV-Zeiten das "Du" angeboten, das lehnte er fast geschockt ab: "Geht nicht Trainer, zu viel Respekt." Das hinderte ihn aber nicht, sein Assistent beim FC Swarovski Tirol (Innsbruck) zu werden, und im Dezember 1991 übergab ihm der schon tödlich erkrankte Happel das Kommando. Hrubesch führte die Tiroler auf Platz zwei, nur das Torverhältnis verhinderte den Gewinn der Meisterschaft. Doch anschließend wurde der Verein aufgelöst und der "Lange" ging wieder auf Wanderschaft.

Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus gab es in Europa viele neue Reiseziele für Fußballer, auch in Deutschland. So trat er am 4. Januar 1993 seinen Job bei Zweitligist Hansa Rostock an, strebte den Aufstieg an und konterte Skeptiker: "Geld und Angst haben wir nicht." Er unterschrieb nur bis Saisonende und schon am 26. Juni 1993 ging er, "spontan und ausschließlich aus meiner emotionalen Stimmungslage heraus". Hansa war nur Zehnter geworden, hätte ihn dennoch gern behalten.

15 Monate Arbeitslosigkeit verdankte er dieser Spontanität, die er nutzte, sein Haus selbst umzubauen. Dann kam sein einziges Engagement als Bundesliga-Trainer. Am 22. November 1994 übernahm er Schlusslicht Dynamo Dresden, hier ging er noch schneller wieder, aber nicht von selbst. Nach fünf sieglosen Spielen mit nur zwei Punkten kam das Aus für den "autoritären Kumpel", wie er sich selbst bezeichnete. Präsident Rolf-Jürgen Otto zog die Reißleine und Bilanz: "Er konnte nicht das umsetzen, was wir uns von ihm erwartet hatten." Nachfolger Ralf Minge aber gewann von den folgenden 15 Spielen nur noch eins - bis heute ist Dynamo nicht in die Bundesliga zurückgekehrt. Hrubesch auch nicht, Austria Wien (1995/1996) und Samsunspor (Juli bis September 1997) in der Türkei waren seine letzten Vereinsstationen.

2000 im Trainerstab von Bundestrainer Ribbeck

Schon dazwischen schnupperte er auf Vermittlung von Bundestrainer Berti Vogts in den U-Bereich des DFB hinein, war drei Monate Co-Trainer der U 16 und der U 17. Dort landete er nach der Rückkehr aus der Türkei wieder, und am 1. Mai 1999 übernahm er die neu geschaffene A2-Nationalmannschaft. Zwar blieb er in damals schweren Zeiten in sechs Spielen sieglos, führte aber Spieler wie Robert Enke, Bernd Schneider und Torsten Frings an die A-Mannschaft heran. Dann, im Mai 2000, rückte er nach Uli Stielikes Ausscheiden in den Stab von Bundestrainer Erich Ribbeck bei der verkorksten EM 2000. Zwanzig Jahre nach dem Triumph von Rom kam Hrubesch so zu seiner zweiten EM-Teilnahme. DFB-Präsident Egidius Braun lobte Hrubesch: "Er ist sicher kein Akademiker des Fußballs, aber er spricht die Sprache der Spieler."

Das verheerende Abschneiden mit dem Aus in der Vorrunde ging ihm aber näher als den Spielern, das Bild vom weinenden Co-Trainer auf der Ersatzbank nach dem 0:3 gegen Portugal ging um die Welt. Hrubesch sagte: "Ich finde keine Worte für das, was hier ablief. Ich bin geschockt, aber ich schäme mich meiner Tränen nicht." Während Ribbecks DFB-Zeit mit der EM endete, begann die von Hrubesch, nun als Chef-Trainer im U-Bereich.

Zwei EM-Titel als Trainer - einmalig

Die Europameisterschaft blieb sein Freund, trotz 2000. Er gewann sie noch zweimal: 2008 mit der U 19, 2009 mit U 21. Das kam so: Am 26. Juli 2008 erreicht eine DFB-Auswahl nach sechs Jahren wieder das EM-Finale im U 19-Wettbewerb, diesmal glückt der Sieg – wie zuvor nur 1981 unter Dietrich Weise. In Jablonec gibt es ein 3:1 über Italien. Es ist noch nicht die Goldene Generation, nur Torwart Ron-Robert Zieler wird im Weltmeister-Kader von 2014 stehen, auch die Bender-Zwillinge Lars und Sven sowie Stefan Reinartz bringen es zu A-Länderspiel-Ehren. Hrubesch sagt in der Stunde des Triumphs: "Das bleibt den Jungs für die Ewigkeit!" Der Titel ist mehr erkämpft als erspielt, Siege in Unterzahl, nach Rückständen. Die deutschen Tugenden eben. Hrubesch lobt: "Das ist die Mentalität, die Titel einbringt."

2009 bei der U 21-EM kommt ein Schuss Genialität dazu. Die Sieger von Malmö lösen eine kleine Euphorie aus. 4:0 gegen England im Finale, ein Erfolg, der sich erst im Nachhinein wie von selbst erklärt. Die Weltmeister von 2014 üben schon mal, Pokale gewinnen: Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mats Hummels, Mesut Özil, Benedikt Höwedes und Sami Khedira. Sie alle entwickeln ein vertrauensvolles Verhältnis zum Trainer, Jerome Boateng hat sogar einmal gesagt: "Horst Hrubesch hat meine Karriere gerettet!" Hrubesch erhält im selben Jahr den erstmals vom DFB vergebenen "Deutschen Trainer-Preis".

Nach einer Versetzung zur U 18 trainierte er ab 21. Juni 2013 wieder die U 21-Auswahl. Den Triumph von 2009 konnte er nicht wiederholen, 2015 war im EM-Halbfinale gegen Portugal Schluss – 0:5. Schön, dass es nicht das Ende war. In Rio 2016 bekam er also einen würdigen Abgang. Silbern glänzte die Medaille – mal abgesehen vom Gold der DDR-Auswahl 1976 die wertvollste in der deutschen Olympiageschichte im Männerfußball. Dank Hrubesch.

Den Erfolg von Rio honorierte auch die DFL – mit dem Ehrenpreis der Bundesliga. Was für ein Siegertyp! Er ist und bleibt der einzige Männer-DFB-Trainer, der zwei Europameisterschaften gewonnen hat – und als Spieler kommt noch eine dazu. Damals, in Rom. So einen muss man behalten, so lange es geht.

Erfolgreiches Intermezzo bei den DFB-Frauen

Nach einem kurzem Intermezzo als DFB-Sportdirektor 2017 gab er überraschend sein Comeback als Trainer – bei den Frauen! Im März 2018 übernahm er den Job von Steffi Jones, im November übergab er ihn Martina Voss-Tecklenburg. Nach einem Startrekord von sieben Siegen und mit einer makellosen WM-Qualifikation. Das war's nun aber wirklich, oder?

Irrtum. Als ihn sein HSV vergangenen Sommer rief, konnte er wieder nicht Nein sagen und zog noch mal den Trainingsanzug an. Trainer ist er zwar nicht mehr, sondern Chef aller Trainer*innen im Nachwuchsleistungszentrum. Offiziell als "Nachwuchsdirektor" tätig, hat er gleich eingeführt, dass die Trainer*innen mit ihren Spieler*innen in die nächst höhere Altersklasse gehen und über mindestens drei gemeinsame Jahre ein Verhältnis entstehen kann, denn es sei wichtig, "dass die Trainer auch darauf achten, dass in der Schule alles vernünftig läuft".

Da denkt einer weiter als bis zum nächsten Spiel. Auf all' seinen Stationen ist Hrubesch immer Mensch geblieben und hat auch in den Mitarbeiter*innen stets den Menschen gesehen. "Er war wie ein Pate für uns. Er war immer für uns da, hatte immer ein offenes Ohr", erzählte Leonie Maier, eine seiner Nationalspielerinnen über das halbe Jahr mit dem "Langen". "Ich war nie eine Ich-AG, sondern immer Teil einer Wir-AG. Es geht immer darum, wie wir miteinander umgehen", sagte er dem kicker. Sein Verständnis von Miteinander legte die Basis für ein erfülltes Sportlerleben, das immer noch ein Stückchen weiter geht. Weiter als gedacht. "Es macht mir einfach Spaß, riesigen Spaß. Ich komme jeden Morgen mit einem Lachen hierher."

Er lebt eine Zufriedenheit, die auch für das Private gilt. Der Vater von zwei Kindern, die ihm vier Enkel schenkten, kennt seine Angelika seit 56 Jahren. Eine Frau, "die schon mal an der richtigen Schraube gedreht hat, wenn ich abgehoben bin". Das sagte er schon 2014 und noch immer gilt: "Ich habe alles richtig gemacht und möchte keine Minute missen."

[um]

August 2016, das Maracanã-Stadion in Rio: Zwei Jahre nach dem WM-Triumph schickt sich erneut eine deutsche Mannschaft an, einen Titel zu holen. Erstmals steht die Olympiaauswahl der BRD im Finale, Gastgeber Brasilien ist der Gegner. Der große Kampf wird erst im Elfmeterschießen entschieden. Nils Petersen verschießt, Neymar verwandelt den letzten Ball – Brasilien gewinnt. Aber alle applaudieren auch dem Verlierer, der gefühlt gar keiner ist.

So endet die Trainerkarriere von Horst Hrubesch, der die deutsche Olympiaauswahl in Rio betreut hat, mit einer Silbermedaille. Dankesworte werden gesprochen, Nachrufe geschrieben. Er selbst sagt ja: "Ehe einer fragt: Ich werde erst mal keine Mannschaft mehr trainieren." Muss er auch nicht. Niemand bezweifelt schon damals: Er geht als ein Großer in die Geschichte des DFB ein, sowohl als Trainer als auch als Spieler. Der damalige Präsident Reinhard Grindel sagte: "Ich habe mich bei Horst Hrubesch an seinem letzten Arbeitstag für seine beeindruckende Karriere bedankt."

"Meine Karriere wäre heute undenkbar"

Letzter Arbeitstag? Ein Irrtum, dem nur die erliegen, die ihn nicht wirklich gekannt haben. "Ich bin nicht der Typ dafür, zu Hause die Beine hochzulegen und nur noch angeln zu gehen. Irgendwas kommt bestimmt noch", sagte er schon damals und hielt Wort.

Horst Hrubesch wird heute 70 und ist wieder dick im Geschäft. 2020 kam er zurück von seinem Bauernhof in der Lüneburger Heide, ließ seine Pferde im Stich, das Angeln sein und die Leserschaft auf sein Buch übers Fliegenfischen noch etwas warten. Er konnte eben nicht anders, sein HSV hatte ihn ja gerufen, der Verein, "der mein Leben komplett verändert hat". Nun leitet er dessen Nachwuchszentrum und da passt der "Lange" trotz seiner nun 70 Jahre auch bestens hin. Nachwuchs, das ist sein Ding. Aber nicht nur. Er war ja selbst mal jung. Sein Karriereweg allerdings steht in keinem Drehbuch. "Meine Karriere wäre heute undenkbar", hat er oft betont. Grund genug, noch mal drauf zu schauen.

Auch dank seiner Tore: DFB-Team wird Europameister

Was der Spieler Hrubesch vollbracht hat, ist aller Ehren wert, auch wenn die Erinnerungen allmählich verblassen. Es sind Höhepunkte, die Jahrzehnte zurückliegen. Da war natürlich der Tag von Rom, als der 28 Jahre alte Turnierdebütant Hrubesch am 22. Juni 1980 das EM-Finale gegen Belgien (2:1) mit seinen ersten beiden Länderspieltoren entschied. Da war der Tag von Sevilla, als sein Elfmeter das WM-Halbfinale 1982 gegen Frankreich entschied, und da war der Tag von Athen, als er Kapitän der einzigen HSV-Mannschaft war, die je den Europapokal der Landesmeister gewann – 1983 gegen Juventus Turin.

Dreimal stand er auf dem Rathausbalkon in Hamburg und präsentierte den Fans die Meisterschale: 1979, 1982 und 1983. Es sind die die bis dato letzten Meistertitel des seit nun schon drei Jahren ehemaligen Bundesligisten. So einer wird Kult in der Hansestadt. Uwe Seeler mag der populärste und beste Mittelstürmer des HSV gewesen sein, Horst Hrubesch war gewiss der erfolgreichste. In dem Jahr, als er im WM-Finale stand, 1982, wurde er auch Torschützenkönig. Wie schon vier Jahre zuvor in der 2. Liga – mit einem Allzeitrekord von 41 Toren für Rot-Weiß Essen. Essen war seine erste Profistation. Sein erstes Gehalt: 1800 DM, brutto – "als Dachdecker habe ich mehr verdient".

Profikarriere startet erst mit 24

Er war das, was man einen Spätzünder nennt. Erst mit 24 begann seine Profikarriere, weshalb er "nur" auf 21 Länderspiele gekommen ist, nach dem WM-Finale 1982 trat er zurück. An ein WM-Finale war nicht zu denken, als Essen ihn 1974 für 18.000 DM vom westfälischen Bezirksligisten SC Westtünnen (5. Liga) direkt hoch in die Bundesliga zog. Dahinter steckte übrigens der spätere Bundesligatrainer Werner Lorant, der als RWE-Profi nebenbei die Amateure des SC trainierte und somit an Hrubeschs enormer Sprungkraft seinen Anteil hatte: Er ließ den 1,88-Meter-Hünen immer aus der Sandgrube nach Bällen springen.

Die Quälerei lohnte sich, im ersten Bundesligajahr schoss oder besser köpfte er in 22 Spielen gleich mal 18 Tore. Tore mit dem Fuß waren rarer, eigentlich war er ja "ein lausiger Kicker", wie sein Manager beim HSV, Günter Netzer, später gern witzelte. Das war etwas hart und im Laufe der Jahre bewies er oft genug das Gegenteil. Mitspieler Felix Magath befand neulich: "Horst war der wichtigste Spieler in unserem Team."

Aber sein Markenzeichen war (und ist) nun mal die breite Stirn, mit der er die Flankenbälle, ab 1978 in Hamburg in Bananenform meist von Manni Kaltz getreten, wie vom Katapult geschnellt, ins Tor köpfte. "Er wird der erste Spieler sein, der einen Elfmeter mit dem Kopf verwandelt", witzelte schon Sepp Maier.

136 Tore in 224 Bundesligaspielen

Der Boulevard taufte ihn eher respektvoll denn despektierlich "Kopfballungeheuer" - das in elf Jahren viele Opfer fand: 136 Tore stehen zu Buche in 224 Bundesligaspielen. Am 14. Dezember 1985 bestritt er sein letztes Bundesligaspiel, nun für Borussia Dortmund und ausgerechnet gegen seinen HSV. Dann begann seine Trainerkarriere – wieder bei Rot-Weiß Essen. Zum Start der Zweitliga-Saison 1986/1987 saß er auf der Bank, mit erst 35 Jahren. Parallel machte er noch seinen Fußball-Lehrer in Köln. Er führte den Aufsteiger auf Platz zehn.

Am 14. September 1987 aber war RWE nach schwachem Start 18. und der Vorstand entließ ihn. "Im Grunde eine völlig unsinnige Entscheidung, denn mit dieser Mannschaft hätte jeder Trainer Schwierigkeiten gehabt", kommentierte der kicker. Hrubeschs Aus bedeutete den Beginn der Trainerkarriere von Peter Neururer, der sein Assistent war und RWE rettete. Für Hrubesch ging es 1988 in Wolfsburg weiter, in der Oberliga Nord. Zweimal verpasste der VfL knapp den Aufstieg in die 2. Liga (3. und 4. Platz). Nach der Herbstmeisterschaft 1988/1989 vermisste Hrubesch die nötige Unterstützung von Volkswagen, wie in seiner Biographie zu lesen steht.

Nun zog es ihn über die Alpen, zu seinem großen Lehrmeister Ernst Happel. Der Wiener hatte ihm schon zu HSV-Zeiten das "Du" angeboten, das lehnte er fast geschockt ab: "Geht nicht Trainer, zu viel Respekt." Das hinderte ihn aber nicht, sein Assistent beim FC Swarovski Tirol (Innsbruck) zu werden, und im Dezember 1991 übergab ihm der schon tödlich erkrankte Happel das Kommando. Hrubesch führte die Tiroler auf Platz zwei, nur das Torverhältnis verhinderte den Gewinn der Meisterschaft. Doch anschließend wurde der Verein aufgelöst und der "Lange" ging wieder auf Wanderschaft.

Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus gab es in Europa viele neue Reiseziele für Fußballer, auch in Deutschland. So trat er am 4. Januar 1993 seinen Job bei Zweitligist Hansa Rostock an, strebte den Aufstieg an und konterte Skeptiker: "Geld und Angst haben wir nicht." Er unterschrieb nur bis Saisonende und schon am 26. Juni 1993 ging er, "spontan und ausschließlich aus meiner emotionalen Stimmungslage heraus". Hansa war nur Zehnter geworden, hätte ihn dennoch gern behalten.

15 Monate Arbeitslosigkeit verdankte er dieser Spontanität, die er nutzte, sein Haus selbst umzubauen. Dann kam sein einziges Engagement als Bundesliga-Trainer. Am 22. November 1994 übernahm er Schlusslicht Dynamo Dresden, hier ging er noch schneller wieder, aber nicht von selbst. Nach fünf sieglosen Spielen mit nur zwei Punkten kam das Aus für den "autoritären Kumpel", wie er sich selbst bezeichnete. Präsident Rolf-Jürgen Otto zog die Reißleine und Bilanz: "Er konnte nicht das umsetzen, was wir uns von ihm erwartet hatten." Nachfolger Ralf Minge aber gewann von den folgenden 15 Spielen nur noch eins - bis heute ist Dynamo nicht in die Bundesliga zurückgekehrt. Hrubesch auch nicht, Austria Wien (1995/1996) und Samsunspor (Juli bis September 1997) in der Türkei waren seine letzten Vereinsstationen.

2000 im Trainerstab von Bundestrainer Ribbeck

Schon dazwischen schnupperte er auf Vermittlung von Bundestrainer Berti Vogts in den U-Bereich des DFB hinein, war drei Monate Co-Trainer der U 16 und der U 17. Dort landete er nach der Rückkehr aus der Türkei wieder, und am 1. Mai 1999 übernahm er die neu geschaffene A2-Nationalmannschaft. Zwar blieb er in damals schweren Zeiten in sechs Spielen sieglos, führte aber Spieler wie Robert Enke, Bernd Schneider und Torsten Frings an die A-Mannschaft heran. Dann, im Mai 2000, rückte er nach Uli Stielikes Ausscheiden in den Stab von Bundestrainer Erich Ribbeck bei der verkorksten EM 2000. Zwanzig Jahre nach dem Triumph von Rom kam Hrubesch so zu seiner zweiten EM-Teilnahme. DFB-Präsident Egidius Braun lobte Hrubesch: "Er ist sicher kein Akademiker des Fußballs, aber er spricht die Sprache der Spieler."

Das verheerende Abschneiden mit dem Aus in der Vorrunde ging ihm aber näher als den Spielern, das Bild vom weinenden Co-Trainer auf der Ersatzbank nach dem 0:3 gegen Portugal ging um die Welt. Hrubesch sagte: "Ich finde keine Worte für das, was hier ablief. Ich bin geschockt, aber ich schäme mich meiner Tränen nicht." Während Ribbecks DFB-Zeit mit der EM endete, begann die von Hrubesch, nun als Chef-Trainer im U-Bereich.

Zwei EM-Titel als Trainer - einmalig

Die Europameisterschaft blieb sein Freund, trotz 2000. Er gewann sie noch zweimal: 2008 mit der U 19, 2009 mit U 21. Das kam so: Am 26. Juli 2008 erreicht eine DFB-Auswahl nach sechs Jahren wieder das EM-Finale im U 19-Wettbewerb, diesmal glückt der Sieg – wie zuvor nur 1981 unter Dietrich Weise. In Jablonec gibt es ein 3:1 über Italien. Es ist noch nicht die Goldene Generation, nur Torwart Ron-Robert Zieler wird im Weltmeister-Kader von 2014 stehen, auch die Bender-Zwillinge Lars und Sven sowie Stefan Reinartz bringen es zu A-Länderspiel-Ehren. Hrubesch sagt in der Stunde des Triumphs: "Das bleibt den Jungs für die Ewigkeit!" Der Titel ist mehr erkämpft als erspielt, Siege in Unterzahl, nach Rückständen. Die deutschen Tugenden eben. Hrubesch lobt: "Das ist die Mentalität, die Titel einbringt."

2009 bei der U 21-EM kommt ein Schuss Genialität dazu. Die Sieger von Malmö lösen eine kleine Euphorie aus. 4:0 gegen England im Finale, ein Erfolg, der sich erst im Nachhinein wie von selbst erklärt. Die Weltmeister von 2014 üben schon mal, Pokale gewinnen: Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mats Hummels, Mesut Özil, Benedikt Höwedes und Sami Khedira. Sie alle entwickeln ein vertrauensvolles Verhältnis zum Trainer, Jerome Boateng hat sogar einmal gesagt: "Horst Hrubesch hat meine Karriere gerettet!" Hrubesch erhält im selben Jahr den erstmals vom DFB vergebenen "Deutschen Trainer-Preis".

Nach einer Versetzung zur U 18 trainierte er ab 21. Juni 2013 wieder die U 21-Auswahl. Den Triumph von 2009 konnte er nicht wiederholen, 2015 war im EM-Halbfinale gegen Portugal Schluss – 0:5. Schön, dass es nicht das Ende war. In Rio 2016 bekam er also einen würdigen Abgang. Silbern glänzte die Medaille – mal abgesehen vom Gold der DDR-Auswahl 1976 die wertvollste in der deutschen Olympiageschichte im Männerfußball. Dank Hrubesch.

Den Erfolg von Rio honorierte auch die DFL – mit dem Ehrenpreis der Bundesliga. Was für ein Siegertyp! Er ist und bleibt der einzige Männer-DFB-Trainer, der zwei Europameisterschaften gewonnen hat – und als Spieler kommt noch eine dazu. Damals, in Rom. So einen muss man behalten, so lange es geht.

Erfolgreiches Intermezzo bei den DFB-Frauen

Nach einem kurzem Intermezzo als DFB-Sportdirektor 2017 gab er überraschend sein Comeback als Trainer – bei den Frauen! Im März 2018 übernahm er den Job von Steffi Jones, im November übergab er ihn Martina Voss-Tecklenburg. Nach einem Startrekord von sieben Siegen und mit einer makellosen WM-Qualifikation. Das war's nun aber wirklich, oder?

Irrtum. Als ihn sein HSV vergangenen Sommer rief, konnte er wieder nicht Nein sagen und zog noch mal den Trainingsanzug an. Trainer ist er zwar nicht mehr, sondern Chef aller Trainer*innen im Nachwuchsleistungszentrum. Offiziell als "Nachwuchsdirektor" tätig, hat er gleich eingeführt, dass die Trainer*innen mit ihren Spieler*innen in die nächst höhere Altersklasse gehen und über mindestens drei gemeinsame Jahre ein Verhältnis entstehen kann, denn es sei wichtig, "dass die Trainer auch darauf achten, dass in der Schule alles vernünftig läuft".

Da denkt einer weiter als bis zum nächsten Spiel. Auf all' seinen Stationen ist Hrubesch immer Mensch geblieben und hat auch in den Mitarbeiter*innen stets den Menschen gesehen. "Er war wie ein Pate für uns. Er war immer für uns da, hatte immer ein offenes Ohr", erzählte Leonie Maier, eine seiner Nationalspielerinnen über das halbe Jahr mit dem "Langen". "Ich war nie eine Ich-AG, sondern immer Teil einer Wir-AG. Es geht immer darum, wie wir miteinander umgehen", sagte er dem kicker. Sein Verständnis von Miteinander legte die Basis für ein erfülltes Sportlerleben, das immer noch ein Stückchen weiter geht. Weiter als gedacht. "Es macht mir einfach Spaß, riesigen Spaß. Ich komme jeden Morgen mit einem Lachen hierher."

Er lebt eine Zufriedenheit, die auch für das Private gilt. Der Vater von zwei Kindern, die ihm vier Enkel schenkten, kennt seine Angelika seit 56 Jahren. Eine Frau, "die schon mal an der richtigen Schraube gedreht hat, wenn ich abgehoben bin". Das sagte er schon 2014 und noch immer gilt: "Ich habe alles richtig gemacht und möchte keine Minute missen."

###more###