Hansi Flick: "Wieder ein Spiel für die Geschichtsbücher"

Wenn die deutsche Nationalmannschaft heute (ab 21 Uhr, live in der ARD) zum Klassiker im Londoner Wembley-Stadion gegen England antritt, darf Hans-Dieter "Hansi" Flick praktisch ein Dienstjubiläum feiern. Fast genau ein Jahr zuvor wurde der heute 42-Jährige in Frankfurt als Assistenztrainer des Nationalteams vorgestellt - als Nachfolger von Joachim Löw, der wiederum kurz zuvor von Jürgen Klinsmann die Aufgabe als Bundestrainer übernommen hatte.

Flick, der seinerzeit eine Tätigkeit als sportlicher Koordinator und Assistenztrainer von Giovanni Trapattoni bei Red Bull Salzburg aufgab, um beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) zu beginnen, hatte rund eine Woche später beim 1:0 im EM-Qualifikationsspiel in Stuttgart gegen Irland gleich einen guten Einstand. Und der frühere Profi, der unter anderem bei Bayern München und dem 1. FC Köln aktiv gewesen war, beendete sein erstes Dienstjahr ebenso erfolgreich: Zum Ausklang der Saison 2006/2007 durfte er mit Löw und den Nationalspielern im vergangenen Juni in Hamburg über das 2:1 gegen die Slowakei jubeln.

Komfortable sechs Punkte Vorsprung hat die DFB-Auswahl dadurch in der EM-Qualifikationsgruppe auf die drittplatzierten Iren - die Teilnahme an der EURO 2008 in Österreich und der Schweiz soll so schnell wie möglich gesichert werden. Im aktuellen "DFB.de-Gespräch der Woche" mit DFB-Internetredakteur Christian Müller beurteilt Hansi Flick die Aussichten in der Qualifikation und für das erste Länderspiel der neuen Saison gegen England. Außerdem spricht er über Shootingstars wie Mario Gomez, Sami Khedira und Serdar Tasci, über seine Aufgaben als Löws Assistent und die Zusammenarbeit mit dem Bundestrainer.

Frage: Herr Flick, mit der Nationalmannschaft hatten Sie bis auf das Testländerspiel gegen Dänemark in Duisburg nur Erfolg. Wissen Sie überhaupt noch, wie Niederlagen zu verkraften sind?

Hansi Flick: Ja, klar. Ich habe in meiner Karriere als Spieler und als Trainer genügend Niederlagen erlebt. Und zu glauben, man sei unschlagbar, wäre ein riesiger Fehler und würde zur Selbstüberschätzung führen. Aber natürlich freuen wir uns über die Erfolgsserie und hoffen, dass sie noch eine Weile hält.

Frage: Zum Start der EM-Saison gibt es gleich den Klassiker im Wembley-Stadion gegen England. Sehen Sie die Gefahr, durch eine mögliche Niederlage gegen dieses hochkarätige Team in der EM-Qualifikation aus der Spur zu geraten?

Hansi Flick: Nein. Die Mannschaft ist absolut gefestigt. Was hier in den vergangenen drei Jahren aufgebaut wurde, ist eine hervorragende Basis. Natürlich werden wir auch wieder Länderspiele verlieren. Aber wir haben uns auf einem hohen Niveau festgesetzt.

Frage: Wie lassen sich gegen England die Ausfälle von Schlüsselspielern wie Michael Ballack, Miroslav Klose und Torsten Frings, aber auch der WM-erfahrenen Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski, Tim Borowski und Marcell Jansen sowie von Mario Gomez, dem frisch gekürten "Fußballer des Jahres 2007", kompensieren?

Hansi Flick: Die Verletzungen geben anderen Spielern die Möglichkeit, sich in einer solchen Atmosphäre zu beweisen. Aber es ist natürlich schade, dass wir bei diesem Klassiker auf Stammspieler verzichten müssen. Solche Ausfälle – vor allem, wenn es wie bei Ballack, Frings und Klose die Mittelachse betrifft – lassen sich nicht durch einfachen Personentausch kompensieren. Man wird bestimmte Aufgaben dann auf mehrere Schultern verteilen müssen. Aber es wird interessant zu sehen sein, wie junge Spieler mit dieser besonderen Atmosphäre im Wembley-Stadion zurechtkommen.

Frage: Sie sprechen auch den Stuttgarter Serdar Tasci oder Schalkes Christian Pander an, die erstmals im Kader des A-Teams für ein offizielles Länderspiel stehen.

Hansi Flick: Genau. Sie hatten - ebenso wie Stuttgarts Sami Khedira, der nominiert war, aber leider auch verletzungsbedingt absagen musste - eine gute Entwicklung in der vergangenen Saison und ihren Anteil an den Erfolgen ihrer Klubs. Deshalb haben sie ihre Chance im A-Team verdient.

Frage: Spielt es dabei auch eine Rolle, dass es in der Nationalmannschaft mittlerweile fast einen Block von Meister VfB Stuttgart gibt?

Hansi Flick: Das spielt keine Rolle. Für uns ist nicht Blockbildung wichtig bei der Nominierung - vielmehr müssen die berufenen Spieler zu unserer Philosophie passen. Und das versprechen wir uns auch von Khedira und Tasci.

Frage: Wie stark schätzen Sie die Engländer ein?

Hansi Flick: England war, ist und bleibt eine Weltklassemannschaft mit Spielern wie Steven Gerrard, Frank Lampard und einigen anderen. Man kann die Engländer nicht stark genug einschätzen. Sie werden alles tun, um eine erneute Niederlage im Wembley-Stadion gegen Deutschland zu vermeiden. Denn für die Engländer ist diese Begegnung wieder ein Spiel für die Geschichtsbücher.

Frage: Inwiefern ist dieser Test hilfreich für das EM-Qualifikationsspiel am 8. September in Cardiff gegen Wales, ebenfalls ein Team von der Insel mit typisch britischen Tugenden?

Hansi Flick: Wir freuen uns über alle Spiele gegen starke Teams, denn die bringen uns weiter. Und in der Tat ist es in London gerade von der Atmosphäre her ein guter Test für das Spiel im Millennium-Stadion von Cardiff.

Frage: Gehen wir ein wenig zurück: Vor fast genau einem Jahr haben Sie den Job Ihres jetzigen Chefs als Assistenztrainer übernommen. Joachim Löw war vom früheren Bundestrainer Jürgen Klinsmann mit weit reichenden Kompetenzen in der Trainingsarbeit ausgestattet worden – welche Gestaltungsmöglichkeiten räumt der Bundestrainer Löw denn seinem Assistenten Flick ein?

Hansi Flick: Teamarbeit wird bei uns groß geschrieben. In unserer Gruppe bringt jeder seine Stärken ein, und es gibt keinerlei Begrenzungen. Wir waren erst jetzt wieder drei Tage in einem Workshop zusammen, haben dort diskutiert und debattiert. Es herrscht eine ideale Arbeitsatmosphäre. Natürlich trifft der Bundestrainer letztendlich die Entscheidung – aber hier kann jeder in seinem Bereich arbeiten und auch die Dinge einbringen.

Frage: Was haben Sie von Bundestrainer Löw während Ihrer gemeinsamen Tätigkeit schon lernen können?

Hansi Flick: Sehr viel. Ich hatte ja auch schon während meiner aktiven Zeit das Glück, erstklassige Trainer zu haben, von denen ich immer etwas lernen konnte, Udo Lattek und Jupp Heynckes zum Beispiel. Oder zuletzt in Salzburg die Arbeit als Assistenztrainer von Giovanni Trapattoni – auch da konnte ich einiges mitnehmen. In den vergangenen Monaten konnte ich von Joachim Löw vor allem lernen, wie man eine Gruppe von Spezialisten führt und wie man die modernen Möglichkeiten in den Fußball einbringt.

Frage: Wie fällt die Bilanz Ihres ersten Jahres beim DFB aus?

Hansi Flick: Ausgesprochen positiv. Wir haben ideale Bedingungen im Trainerteam, im "Team hinter dem Team" und auch in der Zusammenarbeit mit dem DFB. Trotz aller Unkenrufe konnten wir die Begeisterung, die bei der WM 2006 entstanden ist, in die EM-Qualifikation hinübernehmen. Wir haben eine tolle Mannschaft mit lernwilligen Spielern. Wir haben gute Ergebnisse und gute Perspektiven - eine bessere Bilanz könnte es kaum geben.

Frage: Wie groß war die Umstellung von der eher beschaulichen österreichischen Bundesliga auf die Nationalmannschaft, die ständig im Fokus von Fans und Medien steht, deren Schritte von der Öffentlichkeit stets aufmerksam verfolgt werden?

Hansi Flick: Ich richte meine Arbeit nicht danach, ob ich im Fokus von Fans und Medien stehe. Ich versuche, meinen Job optimal auszuüben, die Mannschaft weiterzubringen. Ich beschäftige mich mit Trainingsinhalten, taktischen Überlegungen. Ich suche Möglichkeiten, um die Spieler zu verbessern - primäres Ziel ist immer die Weiterentwicklung der Mannschaft.  Natürlich freut es einen, wenn es Zuspruch gibt und Anerkennung, aber für mich ist es egal, ob draußen zwei oder hundert Journalisten zuschauen.

Frage: Sie mussten sich auch umstellen von täglichen Trainingsaufgaben in Salzburg auf die Arbeit mit einer Mannschaft, die nur alle paar Wochen für einige Tage zusammen kommt. Ist Ihnen das leicht gefallen?

Hansi Flick: Als Trainer muss man flexibel sein. Und ich habe ja bei der Vertragsunterschrift gewusst, welche Aufgaben auf mich zukommen. Ich beschäftige mich auch jetzt jeden Tag mit meiner Arbeit – es ist egal, ob ich mit einer Vereinsmannschaft auf dem Platz stehe oder am Schreibtisch die nächsten Aufgaben für die Nationalmannschaft vorbereite. Zudem kann ich meinen Job mit den besten Spielern Deutschlands, mit der wichtigsten Mannschaft, mit dem besten Trainerstab und mit dem besten Betreuerteam ausüben – ich könnte mir momentan keine schönere Arbeit vorstellen.

Frage: Sie sind regelmäßiger Tribünengast in der Bundesliga, haben sich am Wochenende Topspiel zwischen Bremen und Bayern angeschaut. Wieviele Spiele beobachten Sie zwischen den Länderspielphasen?

Hansi Flick: So viele wie notwendig. Wir waren schon am ersten Bundesliga-Wochenende unterwegs in Stuttgart und in Leverkusen, haben davor einige Ligapokalspiele gesehen. Und ich war auch im Trainingslager von Arsenal London mit Torhüter Jens Lehmann. Unser Kontakt zu Nationalspielern und Vereinen beschränkt sich ja nicht nur auf den Besuch von Spielen: Wir haben in der vergangenen Saison viele Bundesligisten beim Training besucht. Da herrscht eine konstruktive Atmosphäre, und es gibt mehr Ruhe als bei dem Besuch von Spielen. Dies wollen wir auch weiterhin fortsetzen.

Frage: Sie selbst haben sich nach der erfolgreichen WM 2006 nahtlos ins Trainerteam der Nationalmannschaft eingefügt - auch einigen jungen Spielern ist die Integration in den Kader reibungslos gelungen. Wie schwierig wird es jetzt für Shootingstars wie Mario Gomez, ihre Leistungen zu bestätigen und sich weiterzuentwickeln?

Hansi Flick: Es ist im Fußball nicht einfach, Leistungen zu bestätigen oder sich auf hohem Niveau noch weiterzuentwickeln. Da ist vor allem die richtige Einstellung eine Grundvoraussetzung. Es ist auch eines unserer wichtigsten Ziele, die Spieler zur Eigenverantwortung zu erziehen. Einer wie Mario Gomez gehört zu einer neuen Generation von Spielern - da ist keiner, der abhebt. Die wollen sich weiterentwickeln, wollen alle bei der Nationalmannschaft dabei sein oder dabeibleiben. Wir haben ein gemeinsames Ziel, nämlich die EURO 2008 – und diesem Ziel ordnen sich die Spieler unter. Es ist auch ein Verdienst des Trainerteams, das der Stellenwert der Nationalmannschaft bei den Spielern in den vergangenen drei Jahren so stark gestiegen ist.

Frage: Sie haben die EURO angesprochen: Mit welchen Zielen gehen Sie in die EM-Saison – und was nehmen Sie sich, Qualifikation vorausgesetzt, konkret für das kontinentale Turnier in Österreich und der Schweiz vor?

Hansi Flick: Ich bin keiner, der Verstecken spielt bei der Nennung von Zielen - auch wenn ich weiß, wie schwierig es im Fußball manchmal ist, diese dann auch zu erreichen. Es ist klar: Wir wollen uns möglichst schnell für die EM qualifizieren, damit wir uns in Ruhe vorbereiten können. Wir wollen nach Möglichkeit eine Nervenanspannung im letzten Qualifikationsspiel, wie wir es in Deutschland schon oft erlebt haben, vermeiden. Das Ziel für die EURO geben wir allerdings erst dann aus, wenn wir uns qualifiziert haben. Bereits jetzt Ziele zu formulieren, ist ein beliebtes Spiel in der Öffentlichkeit – aber der Trainerstab muss da nicht mitspielen. Denn man sollte im Fußball bei aller Offenheit immer erst einen Schritt nach dem anderen machen. Sonst kann man leicht ausrutschen.

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Wenn die deutsche Nationalmannschaft heute (ab 21 Uhr, live in der ARD) zum Klassiker im Londoner Wembley-Stadion gegen England antritt, darf Hans-Dieter "Hansi" Flick praktisch ein Dienstjubiläum feiern. Fast genau ein Jahr zuvor wurde der heute 42-Jährige in Frankfurt als Assistenztrainer des Nationalteams vorgestellt - als Nachfolger von Joachim Löw, der wiederum kurz zuvor von Jürgen Klinsmann die Aufgabe als Bundestrainer übernommen hatte.

Flick, der seinerzeit eine Tätigkeit als sportlicher Koordinator und Assistenztrainer von Giovanni Trapattoni bei Red Bull Salzburg aufgab, um beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) zu beginnen, hatte rund eine Woche später beim 1:0 im EM-Qualifikationsspiel in Stuttgart gegen Irland gleich einen guten Einstand. Und der frühere Profi, der unter anderem bei Bayern München und dem 1. FC Köln aktiv gewesen war, beendete sein erstes Dienstjahr ebenso erfolgreich: Zum Ausklang der Saison 2006/2007 durfte er mit Löw und den Nationalspielern im vergangenen Juni in Hamburg über das 2:1 gegen die Slowakei jubeln.

Komfortable sechs Punkte Vorsprung hat die DFB-Auswahl dadurch in der EM-Qualifikationsgruppe auf die drittplatzierten Iren - die Teilnahme an der EURO 2008 in Österreich und der Schweiz soll so schnell wie möglich gesichert werden. Im aktuellen "DFB.de-Gespräch der Woche" mit DFB-Internetredakteur Christian Müller beurteilt Hansi Flick die Aussichten in der Qualifikation und für das erste Länderspiel der neuen Saison gegen England. Außerdem spricht er über Shootingstars wie Mario Gomez, Sami Khedira und Serdar Tasci, über seine Aufgaben als Löws Assistent und die Zusammenarbeit mit dem Bundestrainer.

Frage: Herr Flick, mit der Nationalmannschaft hatten Sie bis auf das Testländerspiel gegen Dänemark in Duisburg nur Erfolg. Wissen Sie überhaupt noch, wie Niederlagen zu verkraften sind?

Hansi Flick: Ja, klar. Ich habe in meiner Karriere als Spieler und als Trainer genügend Niederlagen erlebt. Und zu glauben, man sei unschlagbar, wäre ein riesiger Fehler und würde zur Selbstüberschätzung führen. Aber natürlich freuen wir uns über die Erfolgsserie und hoffen, dass sie noch eine Weile hält.

Frage: Zum Start der EM-Saison gibt es gleich den Klassiker im Wembley-Stadion gegen England. Sehen Sie die Gefahr, durch eine mögliche Niederlage gegen dieses hochkarätige Team in der EM-Qualifikation aus der Spur zu geraten?

Hansi Flick: Nein. Die Mannschaft ist absolut gefestigt. Was hier in den vergangenen drei Jahren aufgebaut wurde, ist eine hervorragende Basis. Natürlich werden wir auch wieder Länderspiele verlieren. Aber wir haben uns auf einem hohen Niveau festgesetzt.

Frage: Wie lassen sich gegen England die Ausfälle von Schlüsselspielern wie Michael Ballack, Miroslav Klose und Torsten Frings, aber auch der WM-erfahrenen Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski, Tim Borowski und Marcell Jansen sowie von Mario Gomez, dem frisch gekürten "Fußballer des Jahres 2007", kompensieren?

Hansi Flick: Die Verletzungen geben anderen Spielern die Möglichkeit, sich in einer solchen Atmosphäre zu beweisen. Aber es ist natürlich schade, dass wir bei diesem Klassiker auf Stammspieler verzichten müssen. Solche Ausfälle – vor allem, wenn es wie bei Ballack, Frings und Klose die Mittelachse betrifft – lassen sich nicht durch einfachen Personentausch kompensieren. Man wird bestimmte Aufgaben dann auf mehrere Schultern verteilen müssen. Aber es wird interessant zu sehen sein, wie junge Spieler mit dieser besonderen Atmosphäre im Wembley-Stadion zurechtkommen.

Frage: Sie sprechen auch den Stuttgarter Serdar Tasci oder Schalkes Christian Pander an, die erstmals im Kader des A-Teams für ein offizielles Länderspiel stehen.

Hansi Flick: Genau. Sie hatten - ebenso wie Stuttgarts Sami Khedira, der nominiert war, aber leider auch verletzungsbedingt absagen musste - eine gute Entwicklung in der vergangenen Saison und ihren Anteil an den Erfolgen ihrer Klubs. Deshalb haben sie ihre Chance im A-Team verdient.

Frage: Spielt es dabei auch eine Rolle, dass es in der Nationalmannschaft mittlerweile fast einen Block von Meister VfB Stuttgart gibt?

Hansi Flick: Das spielt keine Rolle. Für uns ist nicht Blockbildung wichtig bei der Nominierung - vielmehr müssen die berufenen Spieler zu unserer Philosophie passen. Und das versprechen wir uns auch von Khedira und Tasci.

Frage: Wie stark schätzen Sie die Engländer ein?

Hansi Flick: England war, ist und bleibt eine Weltklassemannschaft mit Spielern wie Steven Gerrard, Frank Lampard und einigen anderen. Man kann die Engländer nicht stark genug einschätzen. Sie werden alles tun, um eine erneute Niederlage im Wembley-Stadion gegen Deutschland zu vermeiden. Denn für die Engländer ist diese Begegnung wieder ein Spiel für die Geschichtsbücher.

Frage: Inwiefern ist dieser Test hilfreich für das EM-Qualifikationsspiel am 8. September in Cardiff gegen Wales, ebenfalls ein Team von der Insel mit typisch britischen Tugenden?

Hansi Flick: Wir freuen uns über alle Spiele gegen starke Teams, denn die bringen uns weiter. Und in der Tat ist es in London gerade von der Atmosphäre her ein guter Test für das Spiel im Millennium-Stadion von Cardiff.

Frage: Gehen wir ein wenig zurück: Vor fast genau einem Jahr haben Sie den Job Ihres jetzigen Chefs als Assistenztrainer übernommen. Joachim Löw war vom früheren Bundestrainer Jürgen Klinsmann mit weit reichenden Kompetenzen in der Trainingsarbeit ausgestattet worden – welche Gestaltungsmöglichkeiten räumt der Bundestrainer Löw denn seinem Assistenten Flick ein?

Hansi Flick: Teamarbeit wird bei uns groß geschrieben. In unserer Gruppe bringt jeder seine Stärken ein, und es gibt keinerlei Begrenzungen. Wir waren erst jetzt wieder drei Tage in einem Workshop zusammen, haben dort diskutiert und debattiert. Es herrscht eine ideale Arbeitsatmosphäre. Natürlich trifft der Bundestrainer letztendlich die Entscheidung – aber hier kann jeder in seinem Bereich arbeiten und auch die Dinge einbringen.

Frage: Was haben Sie von Bundestrainer Löw während Ihrer gemeinsamen Tätigkeit schon lernen können?

Hansi Flick: Sehr viel. Ich hatte ja auch schon während meiner aktiven Zeit das Glück, erstklassige Trainer zu haben, von denen ich immer etwas lernen konnte, Udo Lattek und Jupp Heynckes zum Beispiel. Oder zuletzt in Salzburg die Arbeit als Assistenztrainer von Giovanni Trapattoni – auch da konnte ich einiges mitnehmen. In den vergangenen Monaten konnte ich von Joachim Löw vor allem lernen, wie man eine Gruppe von Spezialisten führt und wie man die modernen Möglichkeiten in den Fußball einbringt.

Frage: Wie fällt die Bilanz Ihres ersten Jahres beim DFB aus?

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Hansi Flick: Ausgesprochen positiv. Wir haben ideale Bedingungen im Trainerteam, im "Team hinter dem Team" und auch in der Zusammenarbeit mit dem DFB. Trotz aller Unkenrufe konnten wir die Begeisterung, die bei der WM 2006 entstanden ist, in die EM-Qualifikation hinübernehmen. Wir haben eine tolle Mannschaft mit lernwilligen Spielern. Wir haben gute Ergebnisse und gute Perspektiven - eine bessere Bilanz könnte es kaum geben.

Frage: Wie groß war die Umstellung von der eher beschaulichen österreichischen Bundesliga auf die Nationalmannschaft, die ständig im Fokus von Fans und Medien steht, deren Schritte von der Öffentlichkeit stets aufmerksam verfolgt werden?

Hansi Flick: Ich richte meine Arbeit nicht danach, ob ich im Fokus von Fans und Medien stehe. Ich versuche, meinen Job optimal auszuüben, die Mannschaft weiterzubringen. Ich beschäftige mich mit Trainingsinhalten, taktischen Überlegungen. Ich suche Möglichkeiten, um die Spieler zu verbessern - primäres Ziel ist immer die Weiterentwicklung der Mannschaft.  Natürlich freut es einen, wenn es Zuspruch gibt und Anerkennung, aber für mich ist es egal, ob draußen zwei oder hundert Journalisten zuschauen.

Frage: Sie mussten sich auch umstellen von täglichen Trainingsaufgaben in Salzburg auf die Arbeit mit einer Mannschaft, die nur alle paar Wochen für einige Tage zusammen kommt. Ist Ihnen das leicht gefallen?

Hansi Flick: Als Trainer muss man flexibel sein. Und ich habe ja bei der Vertragsunterschrift gewusst, welche Aufgaben auf mich zukommen. Ich beschäftige mich auch jetzt jeden Tag mit meiner Arbeit – es ist egal, ob ich mit einer Vereinsmannschaft auf dem Platz stehe oder am Schreibtisch die nächsten Aufgaben für die Nationalmannschaft vorbereite. Zudem kann ich meinen Job mit den besten Spielern Deutschlands, mit der wichtigsten Mannschaft, mit dem besten Trainerstab und mit dem besten Betreuerteam ausüben – ich könnte mir momentan keine schönere Arbeit vorstellen.

Frage: Sie sind regelmäßiger Tribünengast in der Bundesliga, haben sich am Wochenende Topspiel zwischen Bremen und Bayern angeschaut. Wieviele Spiele beobachten Sie zwischen den Länderspielphasen?

Hansi Flick: So viele wie notwendig. Wir waren schon am ersten Bundesliga-Wochenende unterwegs in Stuttgart und in Leverkusen, haben davor einige Ligapokalspiele gesehen. Und ich war auch im Trainingslager von Arsenal London mit Torhüter Jens Lehmann. Unser Kontakt zu Nationalspielern und Vereinen beschränkt sich ja nicht nur auf den Besuch von Spielen: Wir haben in der vergangenen Saison viele Bundesligisten beim Training besucht. Da herrscht eine konstruktive Atmosphäre, und es gibt mehr Ruhe als bei dem Besuch von Spielen. Dies wollen wir auch weiterhin fortsetzen.

Frage: Sie selbst haben sich nach der erfolgreichen WM 2006 nahtlos ins Trainerteam der Nationalmannschaft eingefügt - auch einigen jungen Spielern ist die Integration in den Kader reibungslos gelungen. Wie schwierig wird es jetzt für Shootingstars wie Mario Gomez, ihre Leistungen zu bestätigen und sich weiterzuentwickeln?

Hansi Flick: Es ist im Fußball nicht einfach, Leistungen zu bestätigen oder sich auf hohem Niveau noch weiterzuentwickeln. Da ist vor allem die richtige Einstellung eine Grundvoraussetzung. Es ist auch eines unserer wichtigsten Ziele, die Spieler zur Eigenverantwortung zu erziehen. Einer wie Mario Gomez gehört zu einer neuen Generation von Spielern - da ist keiner, der abhebt. Die wollen sich weiterentwickeln, wollen alle bei der Nationalmannschaft dabei sein oder dabeibleiben. Wir haben ein gemeinsames Ziel, nämlich die EURO 2008 – und diesem Ziel ordnen sich die Spieler unter. Es ist auch ein Verdienst des Trainerteams, das der Stellenwert der Nationalmannschaft bei den Spielern in den vergangenen drei Jahren so stark gestiegen ist.

Frage: Sie haben die EURO angesprochen: Mit welchen Zielen gehen Sie in die EM-Saison – und was nehmen Sie sich, Qualifikation vorausgesetzt, konkret für das kontinentale Turnier in Österreich und der Schweiz vor?

Hansi Flick: Ich bin keiner, der Verstecken spielt bei der Nennung von Zielen - auch wenn ich weiß, wie schwierig es im Fußball manchmal ist, diese dann auch zu erreichen. Es ist klar: Wir wollen uns möglichst schnell für die EM qualifizieren, damit wir uns in Ruhe vorbereiten können. Wir wollen nach Möglichkeit eine Nervenanspannung im letzten Qualifikationsspiel, wie wir es in Deutschland schon oft erlebt haben, vermeiden. Das Ziel für die EURO geben wir allerdings erst dann aus, wenn wir uns qualifiziert haben. Bereits jetzt Ziele zu formulieren, ist ein beliebtes Spiel in der Öffentlichkeit – aber der Trainerstab muss da nicht mitspielen. Denn man sollte im Fußball bei aller Offenheit immer erst einen Schritt nach dem anderen machen. Sonst kann man leicht ausrutschen.