Fritz Walter: Weltmeister-Kapitän und erster Ehrenspielführer

384 Spiele, 327 Tore, mehrfacher Deutscher Meister, Weltmeister und Ehrenspielführer: Friedrich "Fritz" Walter ist ein deutsche Fußballlegende. Am heutigen 31. Oktober würde der 2002 verstorbene Kapitän der "Helden von Bern" 100 Jahre alt. Zum Jubiläum würdigt DFB.de den ersten DFB-Ehrenspielführer mit einer Serie. Im zweiten Teil geht es um den Nationalspieler Fritz Walter.

"Länderspiele sind und bleiben die schönsten Erlebnisse." Das sagte Fritz Walter im Dezember 1957, als seine Karriere noch gar nicht beendet war. Erst im Juni 1958 trat er bei der WM in Schweden ab, als humpelnder Statist auf Rechtsaußen. Der Schwede Parling hatte ihn gefällt, beim Sturz wurde Walters Fuß eingeklemmt. "Ich werd' verrückt vor Schmerzen, alles ist kaputt", rief er den Helfern zu. Knöchel und Knie schwollen an. Er kam vor lauter Schmerz nicht in den Schuh, Masseur Erich Deuser legte ihm einen Verband an, dann stellten sie ihn quasi auf Rechtsaußen ab. Laufen konnte er nicht mehr. Am Ende stand also eine doppelt schmerzliche Niederlage (1:3) gegen die Gastgeber im Halbfinale von Göteborg. Der perfekte Abschied war ihm nicht vergönnt im DFB-Dress, das er seit 1940 genau 61-mal trug, aber schön war es doch. 

Wesentlich geprägt hat die Laufbahn des ersten DFB-Ehrenspielführers natürlich Sepp Herberger, in all den Jahren sein Trainer und väterlicher Freund und - nicht nur für ihn - "der Chef". Sie lernten sich fünf Monate vor Kriegsausbruch kennen. In Frankfurt fand vom 13. bis 18. März 1939 wieder mal ein DFB-Lehrgang statt, diesmal nur für Spieler aus den südlichen Gauen. 42 Kursisten hatte Sepp Herberger eingeladen, auf Empfehlung des Südwestverbandstrainers Karl Hohmann war auch der 18-jährige Fritz dabei. Erst wollte er gar nicht nach Frankfurt, bis Hohmann ihm versicherte, es seien noch "vier oder fünf Spieler aus Kaiserslautern dabei, die Sie kennen". Kaiserslautern war nicht gleichbedeutend mit dem FCK in jenen Tagen, in der damals zweitklassigen Bezirksliga Mittelpfalz spielten fünf (!) Klubs aus der Barbarossastadt. Ihr erster Nationalspieler aber wurde der junge Fritz, der beim Lehrgang einen guten Eindruck hinterließ.

"Sie stehen bereits in Herbergers Notizbuch"

"Sie haben Herberger sehr gefallen, Sie stehen bereits in seinem Notizbuch - nur an Ihnen liegt es jetzt weiterzukommen", schärfte Hohmann seinem Schützling ein, der von Herberger selbst kein Wort gehört hatte. Aber nun hatte er ihn an der Angel, lud ihn 1939 zu einem Test beim "Gausportfest" in Schweinfurt ein. Da durfte er erstmals für "Deutschland" spielen. Das 6:5 gegen eine Bayern-Auswahl war natürlich kein offizielles Länderspiel, aber es war eine Chance, eins zu machen. Fritz köpfte ein Tor und machte sich allmählich Hoffnungen auf mehr. Der kicker schrieb: "Walter ist ein großer Ballkünstler, er muss aber Obacht geben, dass er nicht zu verspielt wird."

Herberger, der ihn vier Wochen vor Kriegsausbruch noch zu einem Lehrgang nach Duisburg einlud, hatte eine andere Schwäche ausgemacht. Davon erfuhr Walter aber erst fast ein Jahr später, ehe ein Brief kam. "Dazwischen lagen neun Länderspiele, die ich nur am Radio miterlebte. Hatte er mich vergessen, oder war ich nicht gut genug?", grübelte der Teenager, der nach dem FCK-Aufstieg 1939 auch in der Gauliga Südwest für Furore sorgte. Herberger hatte ihn nicht vergessen, wollte aber seinen "Ehrgeiz testen", zudem musste Fritz zwei bis drei Kilo zunehmen.

Er arbeitete wie besessen an seiner Konstitution, kletterte schon morgens um halb sieben über den Zaun zum Betzenberg und machte Einzeltraining, ehe er um halb neun auf seinem Schemel in der Bank saß. Herbergers Worte an die Kursisten hatte er sich zu Herzen genommen. Herberger: "Wenn die anderen dienstags und donnerstags trainieren, dann muss ein Nationalspieler montags, mittwochs und freitags Überstunden machen. Wenn die anderen zum Tanzen gehen, geht ihr zum Training. Nur wer sich mit Haut und Haaren opfert, wird am Ende belohnt werden."

Länderspielnominierung per Post

Dann kam der schon erwähnte Brief ins Hause Walter, und da es nicht die befürchtete Einberufung in die Wehrmacht war, sondern nur ein Schreiben vom Fachamt Fußball, brachte die aufgeregte Mutter es direkt in die Bank. Erst abends öffnete der Fritz den Brief, da konnten die Kollegen noch so drängeln, und las von seiner ersten Länderspielnominierung zum 14. Juli 1940 in Frankfurt gegen die Rumänen. Noch etwas las er, von Herberger handschriftlich beigefügt: "Fußball wird nicht nur auf dem Boden gespielt." Da war sie, die die erwähnte Schwäche - das Kopfballspiel sollte Fritz noch verbessern. Und: "Seien Sie bis dahin recht fleißig, Sie brauchen für das Spiel die beste Form."

Nun ging sie los, die Jahrhundertkarriere. Wie zum Trotz glückten Walter beim 9:3-Kantersieg zwei seiner drei Tore per Kopf, Publikum und Kritiker waren begeistert. Der kicker schrieb: "Nicht minder gut war der junge Walter im Zentrum des Angriffs. Auch ein Techniker, auch einer, der das Spiel um des Spielens willen liebt, der auf Kombinationen eingeht, aber dank seiner Körperbeherrschung, seiner Fähigkeiten, seiner guten Ballbehandlung auch den richtigen Anschluß zu finden weiß… Müssen wir uns nicht besonders freuen, dass wir einen neuen Mittelstürmer entdeckt haben?"

Der Chef war auch beeindruckt, was nicht leicht war. Er ließ ihn wissen, er sei "einer von den wenigen weißen Raben, die auf Anhieb ihren Stammplatz in der Nationalmannschaft erhalten und ihn wohl auch behaupten werden." Fritz Walter trug das Lob im Herzen, frohlockend auf eine große Zukunft. 

Krieg und Fußball

Wie es bei jungen Spielern normal ist, gab es auch Rückschläge. Gegen Bulgarien, kurz vor seinem 20. Geburtstag, bestritt er schon sein viertes Länderspiel binnen drei Monaten, und es war sein schwächstes. "War das eigentlich der Walter? Nicht wiederzuerkennen. Bälle sprangen ihm weg, Zweikämpfe missglückten, kurzum es ritt ihn irgendwie der Teufel", schrieb der kicker nun, aber schon 1941 titulierte ihn dasselbe Magazin als "Spieler des Jahres". Der wurde damals noch nicht gewählt, es war nur das subjektive Empfinden des Redakteurs, aber Widerspruch regte sich nicht. 

Im April 1941 machte Walter nach eigener Ansicht eins seiner besten Länderspiele beim triumphalen 7:0 gegen die Ungarn, danach musste er an die Front, wurde dennoch immer wieder von Herberger berufen und damit buchstäblich für ein paar Tage aus der Schusslinie genommen. Auch am 3. Mai 1942 spielte er groß auf, schoss zwei Tore beim 5:3 in Budapest. Er ahnte nicht, wie wichtig dieses Spiel noch für ihn werden würde. Im Herbst 1942, als sich die Kriegswende bereits abzeichnete, trat Walter mit Deutschland in Bern an. Da wollten ihn Schweizer Fußballanhänger zur Flucht überreden. Er lehnte ab, einer wie er ging nicht von der Fahne.

Am 22. November 1942 war indes vorerst Schluss mit Fußball, nach dem 5:2 in Preßburg blieb der Zähler bei 24 Länderspielen und 19 Toren stehen. Fritz Walter war besonders traurig darüber, wollte er doch unbedingt 25 Spiele haben wie sein Auswahltrainer Karl Hohmann. Sepp Herberger versprach ihm: "Fritz, wir treffen uns wieder. Sie werden 25 Spiele machen und noch 25, und Sie werden Kapitän der deutschen Mannschaft." Fritz blieb skeptisch: "Ja, wenn kein Krieg wäre…"

"Das wichtigste Spiel meines Lebens" - in Kriegsgefangenschaft

Das Ende des Krieges erlebte Walter in sowjetischer Gefangenschaft, aus der ihn der Fußball befreite. Es ist eine wundersame Geschichte, die einen glauben lässt, dass es doch einen Fußballgott geben muss. In Hundertschaften wurden die deutschen Soldaten gen Sibirien transportiert, immer 100 für einen Zug. Beim Abzählen war Fritz der Hundertunderste und durfte mit 34 Kameraden noch eine Nacht bleiben, bis zum nächsten Transport. Abends sah er der Lagerpolizei beim Kicken zu, ging neugierig hin und plötzlich sprang ihm der Ball vor die Füße. Er schoss ihn in seinen Knobelbechern gekonnt zurück, was den Fußballer in ihm sogleich verriet - und so ließen sie ihn mitspielen. In der Halbzeit fragten sie ihn nach seinem Namen, und einer der Wärter erinnerte sich an seine Tore 1942 in Budapest.

Stolz auf ihren prominenten Gefangenen erwirkten die Wächter beim Lagerkommandanten, dass Walter nicht abtransportiert wurde. Für sie war er kein Nazi, sondern einfach nur ein guter Fußballer, den sie brauchen konnten. Als das Lager aufgelöst wurde, ließen sie ihn nach Hause ziehen. Als "Franzose", da Kaiserslautern ja zur französischen Besatzungszone zählte. Es war ein Trick, um ihm das Leben zu retten. Fritz Walter hat stets betont, dass er "das wichtigste Spiel meines Lebens" nicht in Bern, sondern in Marmaros-Sziget bestritten hat. Was aber wäre gewesen, wenn ihm der Ball nicht vor die Füße gesprungen wäre? 

Spielerkreis, Eid und Schlachtruf

Das Wunder von Bern, hätte es das überhaupt gegeben? Eine müßige Spekulation, ebenso wie die nach der Anzahl der Länderspiele, die Walter ohne den Krieg bestritten hätte. Unter normalen Umständen hätte er an fünf WM-Turnieren teilgenommen, so blieben nur zwei. Herberger baute ab 1950 eine Mannschaft auf, die es zur Endrunde in die Schweiz schaffen sollte. Im April 1951 war Fritz Walter erstmals Kapitän (insgesamt 30-mal), und nun bekam er seine Ehrennadel für 25 Spiele. Zur Feier des Tages gelang ihm ein spektakuläres Tor, artistisch aus 25 Metern. Wochenlang sprach die Fachwelt vom "Schuss von Zürich". Walter wurde zur rechten Hand Herbergers, der ihm vier Pfälzer Teamkameraden an die Seite stellte. Die kannten den Kreis, den Eid und den Schlachtruf "Männer, die putze mer weg" schon, die Walter beim DFB einführte. Herberger sagte dazu: "Der Fritz brauchte diesen Ansporn, weil er selber so arg sensibel und voller Lampenfieber war."

Ja, das war er - und voller Selbstzweifel. Im Oktober 1952 verlor Deutschland in Paris mit 1:3. Schlecht waren sie alle an diesem Tag, Fritz aber bezog alles auf sich und fand, es war "ein rabenschwarzer Tag, der schwärzeste vielleicht in meiner Laufbahn." Die Presse war kaum gnädiger. "Nachfolger für Fritz Walter gesucht, gerade diese Schlagzeile werde ich nie vergessen", gab er zu. Auf der Rückfahrt im Schlafwagen bot er Herberger seinen Rücktritt an, das sollte noch öfter passieren. Herberger lehnte rigoros ab, den Rest regelten die Freunde des FCK. "Acht Tage sperrte er sich ein. Die Rollläden blieben verschlossen. Am Sonntag holten wir ihn und besiegten Wormatia Worms mit 10:2", erinnerte sich sein Bruder Ottmar, Weltmeister und FCK-Idol wie er, der seinen "Friedrich" so gut wie kaum einer kannte: "Vor jedem wichtigen Spiel musste ich ihm in den Hintern treten."

Wichtige Spiele gab es noch viele, und der Wichtigste war er. "So lange ein Fritz Walter die Nationalmannschaft führt, und so lange seine jungen Kameraden ihm treu ergeben sind, wird sich am guten Geist der Nationalmannschaft nichts ändern", schrieb Bernhard Gnegel 1953 im kicker, ein Jahr vor dem Höhepunkt von Bern. Herberger sagte zu neuen Spielern im Kreis der Nationalmannschaft oft: "Schaue se erst, was de Fritz macht." Das galt auf und neben dem Platz. Für Blödsinn waren andere zuständig, um Walter gab es keine Skandale.

"Vom ersten Tag an" Herbergers Liebling

Herberger, der einmal zugab, Walter sei "vom ersten Tag an mein Liebling" gewesen, geriet regelrecht ins Schwärmen, wenn er über den Fußballer Fritz Walter sprechen sollte: "Ich habe keinen Fußballspieler mit einer besseren Technik kennengelernt. Er hatte stets eine glasklare Einsicht in die Erfordernisse eines jeden Spiels und jeder Spielphase. Dabei stellte er seine großartigen Mittel vollkommen in den Dienst der Mannschaftsleistung. Ich brauchte ihn von draußen nur anzublinzeln - und er wusste gleich, was zu tun war!" Weil er ihn so gut kannte, wusste Herberger auch, wenn sein Kapitän mal wieder einen Schuss Zuversicht brauchte. Vor der WM, als der FCK sein Meisterschaftsfinale gegen Hannover 96 mit 1:5 verlor, organisierte der Chef noch schnell einen Schornsteinfeger, der wie zufällig am Mannschaftsbus vorbeilief. Walter war abergläubisch und freute sich über den Glücksbringer. Auch die Zusammenlegung von Spaßvogel Helmut Rahn mit Bedenkenträger Fritz Walter im WM-Quartier in Spiez geschah aus purem Kalkül. 

In der Schweiz machte Fritz Walter wie sonst nur Horst Eckel alle sechs Spiele mit und verwandelte im zweiten Topspiel seiner Karriere - nach seiner Meinung - zwei Elfmeter beim 6:1 gegen Österreich. Es waren die einzigen unter seinen 33 Länderspieltreffern, die zum Zeitpunkt seines Abgangs 1958 Rekord bedeuteten. Walter sagte noch im Jahr 2000: "Für 1954 gibt es keinen Ersatz, nichts was ich tauschen würde. Es war die Krönung für uns alle." Darüber hat er damals ein Buch geschrieben (3:2), das 160.000-mal verkauft wurde und ein voller Erfolg war. 1957 sagte er anlässlich einer Leseraktion des kicker: "Ich war in allen Spielen in der Schweiz einschließlich des Endspiels ohne jede Nervosität und hatte keine Hemmungen. Mein ständiges Gefühl: Es kann nichts schiefgehen." Es ging bekanntlich nichts schief, am 4. Juli 1954 trugen sie ihn als Kapitän des Weltmeisters vom Platz, dann nahm er den Jules-Rimet-Pokal in Empfang. Mit einem artigen Diener. Noch am Abend wurde er zum ersten DFB-Ehrenspielführer ernannt.

"Schöpferische Pause" und Rückkehr nach WM-Triumph

Nun war er 33. Und soll man nicht gehen, wenn es am schönsten ist? Wieder sprach Fritz Walter von Rücktritt, hatte Filmpläne (mit der Nationalelf in der Hauptrolle) und es kam zur einzigen ernsthaften Verstimmung mit Sepp Herberger. Die ersten vier Spiele nach Bern machte er nicht mit, 1955 söhnten sie sich aus. Zum Glück. Im November 1956 verordnete sich Walter dann "eine schöpferische Pause", Herberger nahm es hin und im kompletten Jahr 1957 erschien der Fritz in keiner Aufstellung. Aber als die WM 1958 vor der Tür stand, kehrte er ein letztes Mal zurück. Nicht mehr als Kapitän, den Job hatte Hans Schäfer übernommen, doch immer noch als rechte Hand Herbergers. 

Dass der ihn 1962 sogar noch mit nach Chile nehmen wollte, obwohl Fritz seit 1959 inaktiv war, mutet heute schier wahnwitzig an. Beinahe wäre es dennoch so weit gekommen, Fritz trainierte ab Herbst 1961 wieder heimlich und saß im Frühjahr 1962 in der deutschen Kabine. Als Ehrenspielführer durfte er das, es störte ja keinen. Herberger wollte ihn jedoch bei einem internen Testspiel der WM-Fahrer zur Halbzeit einwechseln, alles war abgesprochen - nur nicht mit den Mitspielern. Da bekam Walter kalte Füße: "Bitte nicht, Chef. Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr."

Herberger war darüber "richtig böse". Aber er wusste selbst am besten, dass Fritz Walter, dessen Länderspielkarriere (17 Jahre, 11 Monate, 10 Tage) die zweitlängste überhaupt ist, schon mehr als genug für Deutschland geleistet hatte. Das Schlusswort gebührt dem Ehrenspielführer selbst: "Es waren schöne Jahre in der Nationalelf, und es herrschte ein guter Geist. Es war schön in der Nationalelf. Jedes Spiel ein großes Erlebnis, 61 große Erlebnisse."

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384 Spiele, 327 Tore, mehrfacher Deutscher Meister, Weltmeister und Ehrenspielführer: Friedrich "Fritz" Walter ist ein deutsche Fußballlegende. Am heutigen 31. Oktober würde der 2002 verstorbene Kapitän der "Helden von Bern" 100 Jahre alt. Zum Jubiläum würdigt DFB.de den ersten DFB-Ehrenspielführer mit einer Serie. Im zweiten Teil geht es um den Nationalspieler Fritz Walter.

"Länderspiele sind und bleiben die schönsten Erlebnisse." Das sagte Fritz Walter im Dezember 1957, als seine Karriere noch gar nicht beendet war. Erst im Juni 1958 trat er bei der WM in Schweden ab, als humpelnder Statist auf Rechtsaußen. Der Schwede Parling hatte ihn gefällt, beim Sturz wurde Walters Fuß eingeklemmt. "Ich werd' verrückt vor Schmerzen, alles ist kaputt", rief er den Helfern zu. Knöchel und Knie schwollen an. Er kam vor lauter Schmerz nicht in den Schuh, Masseur Erich Deuser legte ihm einen Verband an, dann stellten sie ihn quasi auf Rechtsaußen ab. Laufen konnte er nicht mehr. Am Ende stand also eine doppelt schmerzliche Niederlage (1:3) gegen die Gastgeber im Halbfinale von Göteborg. Der perfekte Abschied war ihm nicht vergönnt im DFB-Dress, das er seit 1940 genau 61-mal trug, aber schön war es doch. 

Wesentlich geprägt hat die Laufbahn des ersten DFB-Ehrenspielführers natürlich Sepp Herberger, in all den Jahren sein Trainer und väterlicher Freund und - nicht nur für ihn - "der Chef". Sie lernten sich fünf Monate vor Kriegsausbruch kennen. In Frankfurt fand vom 13. bis 18. März 1939 wieder mal ein DFB-Lehrgang statt, diesmal nur für Spieler aus den südlichen Gauen. 42 Kursisten hatte Sepp Herberger eingeladen, auf Empfehlung des Südwestverbandstrainers Karl Hohmann war auch der 18-jährige Fritz dabei. Erst wollte er gar nicht nach Frankfurt, bis Hohmann ihm versicherte, es seien noch "vier oder fünf Spieler aus Kaiserslautern dabei, die Sie kennen". Kaiserslautern war nicht gleichbedeutend mit dem FCK in jenen Tagen, in der damals zweitklassigen Bezirksliga Mittelpfalz spielten fünf (!) Klubs aus der Barbarossastadt. Ihr erster Nationalspieler aber wurde der junge Fritz, der beim Lehrgang einen guten Eindruck hinterließ.

"Sie stehen bereits in Herbergers Notizbuch"

"Sie haben Herberger sehr gefallen, Sie stehen bereits in seinem Notizbuch - nur an Ihnen liegt es jetzt weiterzukommen", schärfte Hohmann seinem Schützling ein, der von Herberger selbst kein Wort gehört hatte. Aber nun hatte er ihn an der Angel, lud ihn 1939 zu einem Test beim "Gausportfest" in Schweinfurt ein. Da durfte er erstmals für "Deutschland" spielen. Das 6:5 gegen eine Bayern-Auswahl war natürlich kein offizielles Länderspiel, aber es war eine Chance, eins zu machen. Fritz köpfte ein Tor und machte sich allmählich Hoffnungen auf mehr. Der kicker schrieb: "Walter ist ein großer Ballkünstler, er muss aber Obacht geben, dass er nicht zu verspielt wird."

Herberger, der ihn vier Wochen vor Kriegsausbruch noch zu einem Lehrgang nach Duisburg einlud, hatte eine andere Schwäche ausgemacht. Davon erfuhr Walter aber erst fast ein Jahr später, ehe ein Brief kam. "Dazwischen lagen neun Länderspiele, die ich nur am Radio miterlebte. Hatte er mich vergessen, oder war ich nicht gut genug?", grübelte der Teenager, der nach dem FCK-Aufstieg 1939 auch in der Gauliga Südwest für Furore sorgte. Herberger hatte ihn nicht vergessen, wollte aber seinen "Ehrgeiz testen", zudem musste Fritz zwei bis drei Kilo zunehmen.

Er arbeitete wie besessen an seiner Konstitution, kletterte schon morgens um halb sieben über den Zaun zum Betzenberg und machte Einzeltraining, ehe er um halb neun auf seinem Schemel in der Bank saß. Herbergers Worte an die Kursisten hatte er sich zu Herzen genommen. Herberger: "Wenn die anderen dienstags und donnerstags trainieren, dann muss ein Nationalspieler montags, mittwochs und freitags Überstunden machen. Wenn die anderen zum Tanzen gehen, geht ihr zum Training. Nur wer sich mit Haut und Haaren opfert, wird am Ende belohnt werden."

Länderspielnominierung per Post

Dann kam der schon erwähnte Brief ins Hause Walter, und da es nicht die befürchtete Einberufung in die Wehrmacht war, sondern nur ein Schreiben vom Fachamt Fußball, brachte die aufgeregte Mutter es direkt in die Bank. Erst abends öffnete der Fritz den Brief, da konnten die Kollegen noch so drängeln, und las von seiner ersten Länderspielnominierung zum 14. Juli 1940 in Frankfurt gegen die Rumänen. Noch etwas las er, von Herberger handschriftlich beigefügt: "Fußball wird nicht nur auf dem Boden gespielt." Da war sie, die die erwähnte Schwäche - das Kopfballspiel sollte Fritz noch verbessern. Und: "Seien Sie bis dahin recht fleißig, Sie brauchen für das Spiel die beste Form."

Nun ging sie los, die Jahrhundertkarriere. Wie zum Trotz glückten Walter beim 9:3-Kantersieg zwei seiner drei Tore per Kopf, Publikum und Kritiker waren begeistert. Der kicker schrieb: "Nicht minder gut war der junge Walter im Zentrum des Angriffs. Auch ein Techniker, auch einer, der das Spiel um des Spielens willen liebt, der auf Kombinationen eingeht, aber dank seiner Körperbeherrschung, seiner Fähigkeiten, seiner guten Ballbehandlung auch den richtigen Anschluß zu finden weiß… Müssen wir uns nicht besonders freuen, dass wir einen neuen Mittelstürmer entdeckt haben?"

Der Chef war auch beeindruckt, was nicht leicht war. Er ließ ihn wissen, er sei "einer von den wenigen weißen Raben, die auf Anhieb ihren Stammplatz in der Nationalmannschaft erhalten und ihn wohl auch behaupten werden." Fritz Walter trug das Lob im Herzen, frohlockend auf eine große Zukunft. 

Krieg und Fußball

Wie es bei jungen Spielern normal ist, gab es auch Rückschläge. Gegen Bulgarien, kurz vor seinem 20. Geburtstag, bestritt er schon sein viertes Länderspiel binnen drei Monaten, und es war sein schwächstes. "War das eigentlich der Walter? Nicht wiederzuerkennen. Bälle sprangen ihm weg, Zweikämpfe missglückten, kurzum es ritt ihn irgendwie der Teufel", schrieb der kicker nun, aber schon 1941 titulierte ihn dasselbe Magazin als "Spieler des Jahres". Der wurde damals noch nicht gewählt, es war nur das subjektive Empfinden des Redakteurs, aber Widerspruch regte sich nicht. 

Im April 1941 machte Walter nach eigener Ansicht eins seiner besten Länderspiele beim triumphalen 7:0 gegen die Ungarn, danach musste er an die Front, wurde dennoch immer wieder von Herberger berufen und damit buchstäblich für ein paar Tage aus der Schusslinie genommen. Auch am 3. Mai 1942 spielte er groß auf, schoss zwei Tore beim 5:3 in Budapest. Er ahnte nicht, wie wichtig dieses Spiel noch für ihn werden würde. Im Herbst 1942, als sich die Kriegswende bereits abzeichnete, trat Walter mit Deutschland in Bern an. Da wollten ihn Schweizer Fußballanhänger zur Flucht überreden. Er lehnte ab, einer wie er ging nicht von der Fahne.

Am 22. November 1942 war indes vorerst Schluss mit Fußball, nach dem 5:2 in Preßburg blieb der Zähler bei 24 Länderspielen und 19 Toren stehen. Fritz Walter war besonders traurig darüber, wollte er doch unbedingt 25 Spiele haben wie sein Auswahltrainer Karl Hohmann. Sepp Herberger versprach ihm: "Fritz, wir treffen uns wieder. Sie werden 25 Spiele machen und noch 25, und Sie werden Kapitän der deutschen Mannschaft." Fritz blieb skeptisch: "Ja, wenn kein Krieg wäre…"

"Das wichtigste Spiel meines Lebens" - in Kriegsgefangenschaft

Das Ende des Krieges erlebte Walter in sowjetischer Gefangenschaft, aus der ihn der Fußball befreite. Es ist eine wundersame Geschichte, die einen glauben lässt, dass es doch einen Fußballgott geben muss. In Hundertschaften wurden die deutschen Soldaten gen Sibirien transportiert, immer 100 für einen Zug. Beim Abzählen war Fritz der Hundertunderste und durfte mit 34 Kameraden noch eine Nacht bleiben, bis zum nächsten Transport. Abends sah er der Lagerpolizei beim Kicken zu, ging neugierig hin und plötzlich sprang ihm der Ball vor die Füße. Er schoss ihn in seinen Knobelbechern gekonnt zurück, was den Fußballer in ihm sogleich verriet - und so ließen sie ihn mitspielen. In der Halbzeit fragten sie ihn nach seinem Namen, und einer der Wärter erinnerte sich an seine Tore 1942 in Budapest.

Stolz auf ihren prominenten Gefangenen erwirkten die Wächter beim Lagerkommandanten, dass Walter nicht abtransportiert wurde. Für sie war er kein Nazi, sondern einfach nur ein guter Fußballer, den sie brauchen konnten. Als das Lager aufgelöst wurde, ließen sie ihn nach Hause ziehen. Als "Franzose", da Kaiserslautern ja zur französischen Besatzungszone zählte. Es war ein Trick, um ihm das Leben zu retten. Fritz Walter hat stets betont, dass er "das wichtigste Spiel meines Lebens" nicht in Bern, sondern in Marmaros-Sziget bestritten hat. Was aber wäre gewesen, wenn ihm der Ball nicht vor die Füße gesprungen wäre? 

Spielerkreis, Eid und Schlachtruf

Das Wunder von Bern, hätte es das überhaupt gegeben? Eine müßige Spekulation, ebenso wie die nach der Anzahl der Länderspiele, die Walter ohne den Krieg bestritten hätte. Unter normalen Umständen hätte er an fünf WM-Turnieren teilgenommen, so blieben nur zwei. Herberger baute ab 1950 eine Mannschaft auf, die es zur Endrunde in die Schweiz schaffen sollte. Im April 1951 war Fritz Walter erstmals Kapitän (insgesamt 30-mal), und nun bekam er seine Ehrennadel für 25 Spiele. Zur Feier des Tages gelang ihm ein spektakuläres Tor, artistisch aus 25 Metern. Wochenlang sprach die Fachwelt vom "Schuss von Zürich". Walter wurde zur rechten Hand Herbergers, der ihm vier Pfälzer Teamkameraden an die Seite stellte. Die kannten den Kreis, den Eid und den Schlachtruf "Männer, die putze mer weg" schon, die Walter beim DFB einführte. Herberger sagte dazu: "Der Fritz brauchte diesen Ansporn, weil er selber so arg sensibel und voller Lampenfieber war."

Ja, das war er - und voller Selbstzweifel. Im Oktober 1952 verlor Deutschland in Paris mit 1:3. Schlecht waren sie alle an diesem Tag, Fritz aber bezog alles auf sich und fand, es war "ein rabenschwarzer Tag, der schwärzeste vielleicht in meiner Laufbahn." Die Presse war kaum gnädiger. "Nachfolger für Fritz Walter gesucht, gerade diese Schlagzeile werde ich nie vergessen", gab er zu. Auf der Rückfahrt im Schlafwagen bot er Herberger seinen Rücktritt an, das sollte noch öfter passieren. Herberger lehnte rigoros ab, den Rest regelten die Freunde des FCK. "Acht Tage sperrte er sich ein. Die Rollläden blieben verschlossen. Am Sonntag holten wir ihn und besiegten Wormatia Worms mit 10:2", erinnerte sich sein Bruder Ottmar, Weltmeister und FCK-Idol wie er, der seinen "Friedrich" so gut wie kaum einer kannte: "Vor jedem wichtigen Spiel musste ich ihm in den Hintern treten."

Wichtige Spiele gab es noch viele, und der Wichtigste war er. "So lange ein Fritz Walter die Nationalmannschaft führt, und so lange seine jungen Kameraden ihm treu ergeben sind, wird sich am guten Geist der Nationalmannschaft nichts ändern", schrieb Bernhard Gnegel 1953 im kicker, ein Jahr vor dem Höhepunkt von Bern. Herberger sagte zu neuen Spielern im Kreis der Nationalmannschaft oft: "Schaue se erst, was de Fritz macht." Das galt auf und neben dem Platz. Für Blödsinn waren andere zuständig, um Walter gab es keine Skandale.

"Vom ersten Tag an" Herbergers Liebling

Herberger, der einmal zugab, Walter sei "vom ersten Tag an mein Liebling" gewesen, geriet regelrecht ins Schwärmen, wenn er über den Fußballer Fritz Walter sprechen sollte: "Ich habe keinen Fußballspieler mit einer besseren Technik kennengelernt. Er hatte stets eine glasklare Einsicht in die Erfordernisse eines jeden Spiels und jeder Spielphase. Dabei stellte er seine großartigen Mittel vollkommen in den Dienst der Mannschaftsleistung. Ich brauchte ihn von draußen nur anzublinzeln - und er wusste gleich, was zu tun war!" Weil er ihn so gut kannte, wusste Herberger auch, wenn sein Kapitän mal wieder einen Schuss Zuversicht brauchte. Vor der WM, als der FCK sein Meisterschaftsfinale gegen Hannover 96 mit 1:5 verlor, organisierte der Chef noch schnell einen Schornsteinfeger, der wie zufällig am Mannschaftsbus vorbeilief. Walter war abergläubisch und freute sich über den Glücksbringer. Auch die Zusammenlegung von Spaßvogel Helmut Rahn mit Bedenkenträger Fritz Walter im WM-Quartier in Spiez geschah aus purem Kalkül. 

In der Schweiz machte Fritz Walter wie sonst nur Horst Eckel alle sechs Spiele mit und verwandelte im zweiten Topspiel seiner Karriere - nach seiner Meinung - zwei Elfmeter beim 6:1 gegen Österreich. Es waren die einzigen unter seinen 33 Länderspieltreffern, die zum Zeitpunkt seines Abgangs 1958 Rekord bedeuteten. Walter sagte noch im Jahr 2000: "Für 1954 gibt es keinen Ersatz, nichts was ich tauschen würde. Es war die Krönung für uns alle." Darüber hat er damals ein Buch geschrieben (3:2), das 160.000-mal verkauft wurde und ein voller Erfolg war. 1957 sagte er anlässlich einer Leseraktion des kicker: "Ich war in allen Spielen in der Schweiz einschließlich des Endspiels ohne jede Nervosität und hatte keine Hemmungen. Mein ständiges Gefühl: Es kann nichts schiefgehen." Es ging bekanntlich nichts schief, am 4. Juli 1954 trugen sie ihn als Kapitän des Weltmeisters vom Platz, dann nahm er den Jules-Rimet-Pokal in Empfang. Mit einem artigen Diener. Noch am Abend wurde er zum ersten DFB-Ehrenspielführer ernannt.

"Schöpferische Pause" und Rückkehr nach WM-Triumph

Nun war er 33. Und soll man nicht gehen, wenn es am schönsten ist? Wieder sprach Fritz Walter von Rücktritt, hatte Filmpläne (mit der Nationalelf in der Hauptrolle) und es kam zur einzigen ernsthaften Verstimmung mit Sepp Herberger. Die ersten vier Spiele nach Bern machte er nicht mit, 1955 söhnten sie sich aus. Zum Glück. Im November 1956 verordnete sich Walter dann "eine schöpferische Pause", Herberger nahm es hin und im kompletten Jahr 1957 erschien der Fritz in keiner Aufstellung. Aber als die WM 1958 vor der Tür stand, kehrte er ein letztes Mal zurück. Nicht mehr als Kapitän, den Job hatte Hans Schäfer übernommen, doch immer noch als rechte Hand Herbergers. 

Dass der ihn 1962 sogar noch mit nach Chile nehmen wollte, obwohl Fritz seit 1959 inaktiv war, mutet heute schier wahnwitzig an. Beinahe wäre es dennoch so weit gekommen, Fritz trainierte ab Herbst 1961 wieder heimlich und saß im Frühjahr 1962 in der deutschen Kabine. Als Ehrenspielführer durfte er das, es störte ja keinen. Herberger wollte ihn jedoch bei einem internen Testspiel der WM-Fahrer zur Halbzeit einwechseln, alles war abgesprochen - nur nicht mit den Mitspielern. Da bekam Walter kalte Füße: "Bitte nicht, Chef. Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr."

Herberger war darüber "richtig böse". Aber er wusste selbst am besten, dass Fritz Walter, dessen Länderspielkarriere (17 Jahre, 11 Monate, 10 Tage) die zweitlängste überhaupt ist, schon mehr als genug für Deutschland geleistet hatte. Das Schlusswort gebührt dem Ehrenspielführer selbst: "Es waren schöne Jahre in der Nationalelf, und es herrschte ein guter Geist. Es war schön in der Nationalelf. Jedes Spiel ein großes Erlebnis, 61 große Erlebnisse."

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