Europameister Förster: "Der Sieger von Marseille holt den Titel"

Karlheinz Förster - Europameister 1980, Vizeweltmeister 1982 und 1986 sowie Deutscher Meister mit dem VfB Stuttgart 1984 - verbrachte zwischen 1986 und 1990 vier erfolgreiche Jahre bei Olympique Marseille. In Südfrankreich avancierte der 81-malige Nationalspieler als überragender Abwehrchef mit zwei nationalen Pokaltriumphen und dem Gewinn des französischen Meistertitels 1989 zum "König von Marseille".

Eben dort steigt am Donnerstag (ab 21 Uhr, live im ZDF und im Fan-Club-Radio) das EM-Halbfinale zwischen Frankreich und Deutschland. Vor dem 28. Duell der großen Fußballnationen spricht der 57-Jährige im DFB.de-Interview mit Redakteur Wolfgang Tobien über seine Zeit in der Hafenstadt am Mittelmeer, seine besonderen Erfahrungen mit der Equipe tricolore, über das denkwürdige Elfmeterschießen 1982 beim WM-Halbfinale in Sevilla und das aktuelle Elfmeterdrama gegen Italien. Und natürlich beurteilt der heutige Spielerberater die sportliche Ausgangssituation beim Kampf ums Finale am Sonntag (ab 21 Uhr, live in der ARD) in Saint-Denis.

DFB.de: Frankreich gegen Deutschland in Marseille, dieses Halbfinale der EURO 2016 kann ohne Karlheinz Förster wohl nicht stattfinden - oder?

Karlheinz Förster: Anscheinend doch. So wie aussieht ist das so, leider. Ich habe intensiv darüber nachgedacht, weil dieses Spiel und diese Stadt ungemein reizvoll wären. Doch da ich in der Spielerberatungsbranche tätig bin, hätte ich es mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt zeitlich nicht einrichten können, nach Marseille zu fliegen. Auch wenn das Stadion jetzt komplett anders aussieht als zu meiner Zeit, steht es immer noch an der selben Stelle.

DFB.de: Nach dem VfB Stuttgart und neben der deutschen Nationalmannschaft war Olympique vier Jahre lang wichtigster Fixpunkt Ihrer sportlichen Karriere. Was erwartet das Team von Bundestrainer Joachim Löw in Marseille aus Ihrer Kenntnis der dortigen Verhältnisse?

Förster: Das wird ein totaler Hexenkessel mit einer unglaublich intensiven Atmosphäre. In jedem anderen französischen Stadion würde es für unsere Mannschaft erträglicher werden. Dort aber erwartet sie Frankreichs mit Abstand heißestes Publikum mit total fanatischen Fans. Allein schon deswegen wird es für uns extrem schwer werden am Donnerstagabend.

DFB.de: Wie beurteilen Sie die sportliche Ausgangssituation zwischen den Europameistern von 2000 und 1996?

Förster: Ohne den beiden Mannschaften des anderen Halbfinales zu nahe zu treten, muss ich sagen, dieses Spiel ist das vorweggenommene Finale. Okay, wir haben jetzt im Viertelfinale gegen Italien endlich mal diesen jahrzehntelangen Bann gebrochen. Und umgekehrt sind wir für die Franzosen nach unseren siegreichen letzten drei Turnierspielen 1982, 1986 und 2014 so etwas wie ein Trauma. Doch aus heutiger Sicht wird das eine ganz, ganz schwere Aufgabe. Chancenlos sind aber wir auf keinen Fall. Weil wir, wenn es darauf ankommt, vor allem kämpferisch immer noch was zulegen können.

DFB.de: Wie sieht es bei Frankreich aus?

Förster: Die Franzosen haben mich zu Beginn der EM etwas enttäuscht. Doch jetzt sind sie vor allem im Spiel nach vorne auf einem Topniveau. Aber auch bei uns hat man in jedem der vier Spiele eine Weiterentwicklung gesehen. Mit Marseille als Heimspiel hätten es die Franzosen jetzt allerdings nicht besser antreffen können. Das ist ein großer Vorteil für sie.

DFB.de: Im Viertelfinale hat Deutschland gegen Italien vor allem taktisch beeindruckt, Frankreich gegen Island spielerisch überzeugt. Welche Linie wird sich jetzt beim Kampf um den Eintritt ins Finale durchsetzen?

Förster: Aus dem Mittelfeld heraus sind die Franzosen nach vorne richtig stark. Hinten haben sie aber ein bisschen ihre Probleme. Um so ein Halbfinale zu gewinnen, brauchst du alles. Kampfgeist, Kreativität, die richtige Taktik. Und ohne das nötige Quäntchen Glück geht es auch nicht. Doch vor allem Kampfgeist ohne Ende ist unerlässlich. Gegen die Italiener haben wir gezeigt, dass wir auch für eine absolute Härteprüfung gut gerüstet sind. Es war schon gerecht, dass wir gewonnen haben.

DFB.de: Auch wegen der richtigen Taktik, die Mehmet Scholl als ARD-Experte ja massiv angezweifelt hat?

Förster: Was Mehmet Scholl an Kritik von sich gegeben hat, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Jogi Löw ist ein ganz erfahrener Bundestrainer mit einem ausgezeichneten Trainerteam. Heute gehört es ganz einfach dazu, dass eine Mannschaft mehrere taktische Systeme beherrscht. Da muss man schon variabler sein als früher. Jogi Löw versteht sein Handwerk exzellent, wenn er die Mannschaft taktisch immer wieder hervorragend auf den Gegner einstellt. Das macht er wirklich gut. Doch unabhängig davon wird Frankreich gegen Deutschland ein ungeheuer schweres und ganz enges Spiel auf unglaublich interessantem und hohem Niveau.

DFB.de: Wird der Sieger von Marseille auch das Endspiel gewinnen?

Förster: Davon gehe ich aus. Der Sieger von Marseille wird der neue Europameister werden.

DFB.de: Zunächst einmal aber muss die deutsche Mannschaft vor dem Halbfinale um den Einsatz von Bastian Schweinsteiger bangen sowie auf jeden Fall Sami Khedira, den Gelb-gesperrten Mats Hummels und den für den weiteren Turnierverlauf verletzt ausfallenden Mario Gomez ersetzen. Wie schwer wiegen diese Handicaps?

Förster: Diese schwer wiegenden Ausfälle sind auf jeden Fall ein Nachteil für uns. Die Innenverteidigung mit Jerome Boateng und Mats Hummels hat sich bisher als fast unüberwindbare Barriere präsentiert. Ebenfalls eine wirkliche Schwächung ist zudem das Fehlen von Mario Gomez. Er war mit seiner Statur und Klasse als echter Mittelstürmer extrem wichtig, weil er zwei Gegenspieler gebunden und immer Torgefahr ausgestrahlt hat. Und auch Khedira wird mit seiner großen internationalen Erfahrung sehr vermisst werden. Doch auch unter diesen erschwerten Bedingungen ist es möglich, Frankreich zu schlagen.

DFB.de: Wie wird Ihrer Meinung nach Jogi Löw diese Problematik taktisch und personell zu lösen versuchen?

Förster: Ein echter zentraler Stürmer steht ihm vorne jetzt nicht mehr zu Verfügung. Vielleicht wird Thomas Müller mehr ins Zentrum rücken, flankiert von Julian Draxler und/oder Mario Götze. Das hat ja auch schon geklappt. Mit Gomez und Hummels hat sich die Mannschaft hervorragend ins Turnier reingespielt. Jetzt müssen wieder Shkodran Mustafi oder Benedikt Höwedes neben Jerome Boeteng ran oder sogar beide.

DFB.de: Und wie wird er das Problem im defensiven Mittelfeld anpacken, falls Schweinsteiger ausfallen oder nur bedingt einsatzfähig sein sollte?

Förster: Theoretisch könnte er zum Beispiel auch Joshua Kimmich auf die Sechs stellen. Oder Julian Weigl oder den robusten Emre Can. Löw hat einen Kader, in dem ihm trotz der Ausfälle gute Alternativen für eine sehr schlagkräftige Mannschaft zur Verfügung stehen.

DFB.de: Welche Erfahrungen haben Sie als langjähriger Nationalspieler mit Frankreich im Allgemeinen und speziell mit der Equipe tricolore gemacht?

Förster: Als Nationalspieler verbindet mich mit Frankreich als Land eine echte Enttäuschung, als wir dort 1984 bei der EM in der Vorrunde gescheitert sind. Damals war Jupp Derwall als Bundestrainer schon vor Turnierbeginn quasi abgesägt. Dementsprechend ging das Turnier für uns in die Hose. Als Gegner aber haben wir die Franzosen mit ihrer damals hervorragenden Mannschaft bei WM-Turnieren zweimal geschlagen, 1986 in Mexiko und 1982 in Spanien, jeweils im Halbfinale.

DFB.de: Dramatisch ging es zweifellos 1982 in Sevilla zu.

Förster: Das kann man schon mit Fug und Recht sagen. Als wir in der Verlängerung mit 1:3 gegen Frankreich zurücklagen, dann zurückschlugen und danach auch noch das Elfmeterschießen gewannen - so ein Spiel behält man ewig in Erinnerung.

DFB.de: Haben sie schon mal ein Elfmeterschießen wie am vergangenen Samstag gegen Italien erlebt oder bewusst gesehen?

Förster: Dass zwei hochkarätige Mannschaften wie Deutschland und Italien 18 Elfmeter benötigen, um die Entscheidung herbeizuführen, daran kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Das war ein fast unerträglicher Nervenkrimi.

DFB.de: Vor allem weil Routiniers wie Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller und Mesut Özil ihre Elfmeter vergeben, Youngster wie Julian Draxler, Joshua Kimmich und Jonas Hector dagegen getroffen haben. Wie ist das zu erklären?

Förster: Für mich ist das unerklärlich. Da hilft nur der Satz fürs Phrasenschwein weiter: So ist Fußball. Unberechenbar! Man muss ganz einfach sagen: Hut ab vor den jungen Spielern. Wie sie dem immensen Druck standgehalten haben, unter dem natürlich auch die erfahrenen Spieler, gerade auch bei den Italienern, standen. Vor allem bei so einem Elfmeterschießen im Halbfinale eines großen Turniers. Da wackeln schon manchem etablierten Spieler die Knie.

DFB.de: Deshalb hat man Sie 1982 beim Thriller von Sevilla gegen Frankreich und auch sonst nie am Elfmeterpunkt gesehen?

Förster: (lacht) Qualität ist, wenn man genau weiß, was man kann und was man nicht kann. Daher habe ich mich in Sevilla nicht nach vorne gedrängt. In meiner langen Karriere habe ich nur zwei Elfmeter geschossen. In einem Freundschaftsspiel vor gefühlt 100 Jahren gegen den VfR Mannheim und in einem Pokalspiele mit dem VfB in Saarbrücken. Beide Male hat's nicht geklappt. Ich war ja kein schlechter Fußballer, doch Elfmeter waren nicht mein Ding. Da habe ich lieber die Finger, das heißt die Füße, davongelassen.

DFB.de: Zehn Jahre spielten Sie als Profi für den VfB Stuttgart und vier Jahre für Marseille. Welcher Erfolg hat für Sie im Rückblick den höheren Stellenwert - der deutsche Meistertitel mit dem VfB 1984 oder das Double 1989 mit Olympique?

Förster: Nach wie vor die deutsche Meisterschaft mit dem VfB, obwohl der Gewinn des Doubles in Frankreich noch ein Stück höher angesiedelt ist als bei uns in Deutschland. Nach Meisterschaft und Pokalgewinn fiebern die französischen Fans unglaublich intensiv, darauf sind sie total verrückt. Doch 1984 war ich beim VfB auch Kapitän, und uns alle verband damals mit dem Verein eine ganz starke Identität, die bei den heutigen Spielern nicht mehr so ausgeprägt ist.

DFB.de: Wie kam es eigentlich 1986 zu Ihrem Wechsel nach Marseille?

Förster: Zwei Vermittler hatten kurz vor der WM in Mexiko die ersten Kontakte hergestellt. Und einen Tag vor unserem Abflug kam Präsident Bernard Tapie persönlich angereist, verhandelte so lange mit mir und ließ nicht locker, bis der Transfer in trockenen Tüchern war.

DFB.de: Als Sportinvalide mussten Sie schließlich 1990 dort Ihre Profilaufbahn beenden. Was verbindet Sie heute noch mit der Hafenstadt am Mittelmeer?

Förster: Es gibt immer noch einige Kontakte zu dem einen oder anderen im Verein und zu guten Bekannten in der Stadt. Doch meine Besuche in Marseille sind selten geworden, zumal ja Olympique seit einiger Zeit nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Leider, wie ich betonen muss! Im Nachhinein kann ich aber bis heute immer wieder feststellen, dass die vier Jahre in Marseille eine ganz tolle Zeit waren. Mit meiner engagierten Spielweise war ich der Liebling der Fans und kam überhaupt in der Öffentlichkeit sehr gut an. Und auch sportlich waren wir ungemein erfolgreich.

DFB.de: Besitzen Sie eigentlich noch Ihren französischen Pass, nachdem Sie 1989 die dortige Staatsangehörigkeit angenommen hatten?

Förster: Damals hatte ich klar vereinbart, dass ich nach dem Ende meiner Tätigkeit in Frankreich sofort wieder die deutsche Staatsangehörigkeit bekomme. Die Aktion mit dem französischen Pass für mich wurde ja nur durchgezogen, damit Olympique einen weiteren Ausländer unter Vertrag nehmen konnte, in diesem Fall Abédi Pelé, der hervorragende Spielmacher aus Ghana.

DFB.de: Der Verein Ihres Herzens war, ist und bleibt wohl immer der VfB. Wie sehen Sie Stuttgarts Chancen für den anvisierten Wiederaufstieg in die Bundesliga?

Förster: Nach elf Jahren als Spieler und weiteren fünf Jahren in verschiedenen Positionen im Verein fühlt man sich schon als echter VfBler. Die letzten paar Jahre mit dem immerwährenden Kampf gegen den Abstieg haben einem wirklich richtig wehgetan. Und irgendwann erwischt es einen halt, so wie am Ende der vergangenen Saison. Doch darin sehe ich jetzt wieder eine neue Chance für den Verein. So wie der Dauerkartenverkauf inzwischen angelaufen ist, wird es in der neuen Saison eine Riesenunterstützung durch die Fans geben. Ich rechne mit 30.000 bis 35.000 Zuschauern pro Heimspiel in der 2. Bundesliga und denke, dass es schon in dieser Saison zusammen mit Hannover für den Wiederaufstieg hinhauen wird.

DFB.de: Abschließend Ihr Tipp fürs EM-Halbfinale in Marseille?

Förster: 2:1 für uns, ohne Verlängerung. Vielleicht schießen Jogis Jungs sogar noch ein drittes Tor.

[wt]

Karlheinz Förster - Europameister 1980, Vizeweltmeister 1982 und 1986 sowie Deutscher Meister mit dem VfB Stuttgart 1984 - verbrachte zwischen 1986 und 1990 vier erfolgreiche Jahre bei Olympique Marseille. In Südfrankreich avancierte der 81-malige Nationalspieler als überragender Abwehrchef mit zwei nationalen Pokaltriumphen und dem Gewinn des französischen Meistertitels 1989 zum "König von Marseille".

Eben dort steigt am Donnerstag (ab 21 Uhr, live im ZDF und im Fan-Club-Radio) das EM-Halbfinale zwischen Frankreich und Deutschland. Vor dem 28. Duell der großen Fußballnationen spricht der 57-Jährige im DFB.de-Interview mit Redakteur Wolfgang Tobien über seine Zeit in der Hafenstadt am Mittelmeer, seine besonderen Erfahrungen mit der Equipe tricolore, über das denkwürdige Elfmeterschießen 1982 beim WM-Halbfinale in Sevilla und das aktuelle Elfmeterdrama gegen Italien. Und natürlich beurteilt der heutige Spielerberater die sportliche Ausgangssituation beim Kampf ums Finale am Sonntag (ab 21 Uhr, live in der ARD) in Saint-Denis.

DFB.de: Frankreich gegen Deutschland in Marseille, dieses Halbfinale der EURO 2016 kann ohne Karlheinz Förster wohl nicht stattfinden - oder?

Karlheinz Förster: Anscheinend doch. So wie aussieht ist das so, leider. Ich habe intensiv darüber nachgedacht, weil dieses Spiel und diese Stadt ungemein reizvoll wären. Doch da ich in der Spielerberatungsbranche tätig bin, hätte ich es mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt zeitlich nicht einrichten können, nach Marseille zu fliegen. Auch wenn das Stadion jetzt komplett anders aussieht als zu meiner Zeit, steht es immer noch an der selben Stelle.

DFB.de: Nach dem VfB Stuttgart und neben der deutschen Nationalmannschaft war Olympique vier Jahre lang wichtigster Fixpunkt Ihrer sportlichen Karriere. Was erwartet das Team von Bundestrainer Joachim Löw in Marseille aus Ihrer Kenntnis der dortigen Verhältnisse?

Förster: Das wird ein totaler Hexenkessel mit einer unglaublich intensiven Atmosphäre. In jedem anderen französischen Stadion würde es für unsere Mannschaft erträglicher werden. Dort aber erwartet sie Frankreichs mit Abstand heißestes Publikum mit total fanatischen Fans. Allein schon deswegen wird es für uns extrem schwer werden am Donnerstagabend.

DFB.de: Wie beurteilen Sie die sportliche Ausgangssituation zwischen den Europameistern von 2000 und 1996?

Förster: Ohne den beiden Mannschaften des anderen Halbfinales zu nahe zu treten, muss ich sagen, dieses Spiel ist das vorweggenommene Finale. Okay, wir haben jetzt im Viertelfinale gegen Italien endlich mal diesen jahrzehntelangen Bann gebrochen. Und umgekehrt sind wir für die Franzosen nach unseren siegreichen letzten drei Turnierspielen 1982, 1986 und 2014 so etwas wie ein Trauma. Doch aus heutiger Sicht wird das eine ganz, ganz schwere Aufgabe. Chancenlos sind aber wir auf keinen Fall. Weil wir, wenn es darauf ankommt, vor allem kämpferisch immer noch was zulegen können.

DFB.de: Wie sieht es bei Frankreich aus?

Förster: Die Franzosen haben mich zu Beginn der EM etwas enttäuscht. Doch jetzt sind sie vor allem im Spiel nach vorne auf einem Topniveau. Aber auch bei uns hat man in jedem der vier Spiele eine Weiterentwicklung gesehen. Mit Marseille als Heimspiel hätten es die Franzosen jetzt allerdings nicht besser antreffen können. Das ist ein großer Vorteil für sie.

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DFB.de: Im Viertelfinale hat Deutschland gegen Italien vor allem taktisch beeindruckt, Frankreich gegen Island spielerisch überzeugt. Welche Linie wird sich jetzt beim Kampf um den Eintritt ins Finale durchsetzen?

Förster: Aus dem Mittelfeld heraus sind die Franzosen nach vorne richtig stark. Hinten haben sie aber ein bisschen ihre Probleme. Um so ein Halbfinale zu gewinnen, brauchst du alles. Kampfgeist, Kreativität, die richtige Taktik. Und ohne das nötige Quäntchen Glück geht es auch nicht. Doch vor allem Kampfgeist ohne Ende ist unerlässlich. Gegen die Italiener haben wir gezeigt, dass wir auch für eine absolute Härteprüfung gut gerüstet sind. Es war schon gerecht, dass wir gewonnen haben.

DFB.de: Auch wegen der richtigen Taktik, die Mehmet Scholl als ARD-Experte ja massiv angezweifelt hat?

Förster: Was Mehmet Scholl an Kritik von sich gegeben hat, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Jogi Löw ist ein ganz erfahrener Bundestrainer mit einem ausgezeichneten Trainerteam. Heute gehört es ganz einfach dazu, dass eine Mannschaft mehrere taktische Systeme beherrscht. Da muss man schon variabler sein als früher. Jogi Löw versteht sein Handwerk exzellent, wenn er die Mannschaft taktisch immer wieder hervorragend auf den Gegner einstellt. Das macht er wirklich gut. Doch unabhängig davon wird Frankreich gegen Deutschland ein ungeheuer schweres und ganz enges Spiel auf unglaublich interessantem und hohem Niveau.

DFB.de: Wird der Sieger von Marseille auch das Endspiel gewinnen?

Förster: Davon gehe ich aus. Der Sieger von Marseille wird der neue Europameister werden.

DFB.de: Zunächst einmal aber muss die deutsche Mannschaft vor dem Halbfinale um den Einsatz von Bastian Schweinsteiger bangen sowie auf jeden Fall Sami Khedira, den Gelb-gesperrten Mats Hummels und den für den weiteren Turnierverlauf verletzt ausfallenden Mario Gomez ersetzen. Wie schwer wiegen diese Handicaps?

Förster: Diese schwer wiegenden Ausfälle sind auf jeden Fall ein Nachteil für uns. Die Innenverteidigung mit Jerome Boateng und Mats Hummels hat sich bisher als fast unüberwindbare Barriere präsentiert. Ebenfalls eine wirkliche Schwächung ist zudem das Fehlen von Mario Gomez. Er war mit seiner Statur und Klasse als echter Mittelstürmer extrem wichtig, weil er zwei Gegenspieler gebunden und immer Torgefahr ausgestrahlt hat. Und auch Khedira wird mit seiner großen internationalen Erfahrung sehr vermisst werden. Doch auch unter diesen erschwerten Bedingungen ist es möglich, Frankreich zu schlagen.

DFB.de: Wie wird Ihrer Meinung nach Jogi Löw diese Problematik taktisch und personell zu lösen versuchen?

Förster: Ein echter zentraler Stürmer steht ihm vorne jetzt nicht mehr zu Verfügung. Vielleicht wird Thomas Müller mehr ins Zentrum rücken, flankiert von Julian Draxler und/oder Mario Götze. Das hat ja auch schon geklappt. Mit Gomez und Hummels hat sich die Mannschaft hervorragend ins Turnier reingespielt. Jetzt müssen wieder Shkodran Mustafi oder Benedikt Höwedes neben Jerome Boeteng ran oder sogar beide.

DFB.de: Und wie wird er das Problem im defensiven Mittelfeld anpacken, falls Schweinsteiger ausfallen oder nur bedingt einsatzfähig sein sollte?

Förster: Theoretisch könnte er zum Beispiel auch Joshua Kimmich auf die Sechs stellen. Oder Julian Weigl oder den robusten Emre Can. Löw hat einen Kader, in dem ihm trotz der Ausfälle gute Alternativen für eine sehr schlagkräftige Mannschaft zur Verfügung stehen.

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DFB.de: Welche Erfahrungen haben Sie als langjähriger Nationalspieler mit Frankreich im Allgemeinen und speziell mit der Equipe tricolore gemacht?

Förster: Als Nationalspieler verbindet mich mit Frankreich als Land eine echte Enttäuschung, als wir dort 1984 bei der EM in der Vorrunde gescheitert sind. Damals war Jupp Derwall als Bundestrainer schon vor Turnierbeginn quasi abgesägt. Dementsprechend ging das Turnier für uns in die Hose. Als Gegner aber haben wir die Franzosen mit ihrer damals hervorragenden Mannschaft bei WM-Turnieren zweimal geschlagen, 1986 in Mexiko und 1982 in Spanien, jeweils im Halbfinale.

DFB.de: Dramatisch ging es zweifellos 1982 in Sevilla zu.

Förster: Das kann man schon mit Fug und Recht sagen. Als wir in der Verlängerung mit 1:3 gegen Frankreich zurücklagen, dann zurückschlugen und danach auch noch das Elfmeterschießen gewannen - so ein Spiel behält man ewig in Erinnerung.

DFB.de: Haben sie schon mal ein Elfmeterschießen wie am vergangenen Samstag gegen Italien erlebt oder bewusst gesehen?

Förster: Dass zwei hochkarätige Mannschaften wie Deutschland und Italien 18 Elfmeter benötigen, um die Entscheidung herbeizuführen, daran kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Das war ein fast unerträglicher Nervenkrimi.

DFB.de: Vor allem weil Routiniers wie Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller und Mesut Özil ihre Elfmeter vergeben, Youngster wie Julian Draxler, Joshua Kimmich und Jonas Hector dagegen getroffen haben. Wie ist das zu erklären?

Förster: Für mich ist das unerklärlich. Da hilft nur der Satz fürs Phrasenschwein weiter: So ist Fußball. Unberechenbar! Man muss ganz einfach sagen: Hut ab vor den jungen Spielern. Wie sie dem immensen Druck standgehalten haben, unter dem natürlich auch die erfahrenen Spieler, gerade auch bei den Italienern, standen. Vor allem bei so einem Elfmeterschießen im Halbfinale eines großen Turniers. Da wackeln schon manchem etablierten Spieler die Knie.

DFB.de: Deshalb hat man Sie 1982 beim Thriller von Sevilla gegen Frankreich und auch sonst nie am Elfmeterpunkt gesehen?

Förster: (lacht) Qualität ist, wenn man genau weiß, was man kann und was man nicht kann. Daher habe ich mich in Sevilla nicht nach vorne gedrängt. In meiner langen Karriere habe ich nur zwei Elfmeter geschossen. In einem Freundschaftsspiel vor gefühlt 100 Jahren gegen den VfR Mannheim und in einem Pokalspiele mit dem VfB in Saarbrücken. Beide Male hat's nicht geklappt. Ich war ja kein schlechter Fußballer, doch Elfmeter waren nicht mein Ding. Da habe ich lieber die Finger, das heißt die Füße, davongelassen.

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DFB.de: Zehn Jahre spielten Sie als Profi für den VfB Stuttgart und vier Jahre für Marseille. Welcher Erfolg hat für Sie im Rückblick den höheren Stellenwert - der deutsche Meistertitel mit dem VfB 1984 oder das Double 1989 mit Olympique?

Förster: Nach wie vor die deutsche Meisterschaft mit dem VfB, obwohl der Gewinn des Doubles in Frankreich noch ein Stück höher angesiedelt ist als bei uns in Deutschland. Nach Meisterschaft und Pokalgewinn fiebern die französischen Fans unglaublich intensiv, darauf sind sie total verrückt. Doch 1984 war ich beim VfB auch Kapitän, und uns alle verband damals mit dem Verein eine ganz starke Identität, die bei den heutigen Spielern nicht mehr so ausgeprägt ist.

DFB.de: Wie kam es eigentlich 1986 zu Ihrem Wechsel nach Marseille?

Förster: Zwei Vermittler hatten kurz vor der WM in Mexiko die ersten Kontakte hergestellt. Und einen Tag vor unserem Abflug kam Präsident Bernard Tapie persönlich angereist, verhandelte so lange mit mir und ließ nicht locker, bis der Transfer in trockenen Tüchern war.

DFB.de: Als Sportinvalide mussten Sie schließlich 1990 dort Ihre Profilaufbahn beenden. Was verbindet Sie heute noch mit der Hafenstadt am Mittelmeer?

Förster: Es gibt immer noch einige Kontakte zu dem einen oder anderen im Verein und zu guten Bekannten in der Stadt. Doch meine Besuche in Marseille sind selten geworden, zumal ja Olympique seit einiger Zeit nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Leider, wie ich betonen muss! Im Nachhinein kann ich aber bis heute immer wieder feststellen, dass die vier Jahre in Marseille eine ganz tolle Zeit waren. Mit meiner engagierten Spielweise war ich der Liebling der Fans und kam überhaupt in der Öffentlichkeit sehr gut an. Und auch sportlich waren wir ungemein erfolgreich.

DFB.de: Besitzen Sie eigentlich noch Ihren französischen Pass, nachdem Sie 1989 die dortige Staatsangehörigkeit angenommen hatten?

Förster: Damals hatte ich klar vereinbart, dass ich nach dem Ende meiner Tätigkeit in Frankreich sofort wieder die deutsche Staatsangehörigkeit bekomme. Die Aktion mit dem französischen Pass für mich wurde ja nur durchgezogen, damit Olympique einen weiteren Ausländer unter Vertrag nehmen konnte, in diesem Fall Abédi Pelé, der hervorragende Spielmacher aus Ghana.

DFB.de: Der Verein Ihres Herzens war, ist und bleibt wohl immer der VfB. Wie sehen Sie Stuttgarts Chancen für den anvisierten Wiederaufstieg in die Bundesliga?

Förster: Nach elf Jahren als Spieler und weiteren fünf Jahren in verschiedenen Positionen im Verein fühlt man sich schon als echter VfBler. Die letzten paar Jahre mit dem immerwährenden Kampf gegen den Abstieg haben einem wirklich richtig wehgetan. Und irgendwann erwischt es einen halt, so wie am Ende der vergangenen Saison. Doch darin sehe ich jetzt wieder eine neue Chance für den Verein. So wie der Dauerkartenverkauf inzwischen angelaufen ist, wird es in der neuen Saison eine Riesenunterstützung durch die Fans geben. Ich rechne mit 30.000 bis 35.000 Zuschauern pro Heimspiel in der 2. Bundesliga und denke, dass es schon in dieser Saison zusammen mit Hannover für den Wiederaufstieg hinhauen wird.

DFB.de: Abschließend Ihr Tipp fürs EM-Halbfinale in Marseille?

Förster: 2:1 für uns, ohne Verlängerung. Vielleicht schießen Jogis Jungs sogar noch ein drittes Tor.

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