Eilenberger: "Die schönste Form, auf der Welt zu sein"

Trainerlegende Otto Rehhagel hat es geschafft, mit einem Aufsteiger Meister und mit den Griechen Europameister zu werden. Nun stellt sich der 81-jährige Rehhagel nochmal einer besonderen Aufgabe: die sportliche Leitung der deutschen Autoren-Nationalmannschaft. Am Samstag (ab 18 Uhr auf dem Platz der SG Bornheim, Berger Straße 385 B) trifft die "Autonama" auf Einladung der DFB-Kulturstiftung im Rahmenprogramm der Frankfurter Buchmesse auf die norwegische Schriftstellerelf. Mit dabei: Wolfram Eilenberger, dessen aktuelles Buch "Zeit der Zauberer" sieben Monate lang auf der Spiegel-Bestseller-Liste stand. DFB.de-Mitarbeiterin Anna Priester spricht mit dem Spielgestalter der deutschen Autorennationalmannschaft über Philosophie und Fußball.

DFB.de: Fußball spielt in Ihrem Leben eine wichtige Rolle: Sie sind Nationalspieler bei der "Autonama", haben einen DFB-Trainerschein und thematisieren aktuelle Themen im Fußball in Ihrer Kolumne "Eilenbergers Kabinenpredigt". Wie alt waren Sie, als der Fußball Sie erstmals faszinierte?

Wolfram Eilenberger: Was für den DFB noch erwähnenswert ist: Ich gehöre dem gegründeten Direktionsbeirat der Nationalmannschaften und der DFB-Akademie an. Mit dem Fußball, das war für mich die ganz normale Karriere eines Jungen aus der Vorstadt, der 1972 bei Freiburg auf die Welt kam. Fußball war der dominante Sport. Ich habe ihn seit dem 5. Lebensjahr aktiv betrieben. Er war mit dem Ball die große Liebe meines Lebens. Für mich war der Fußball tatsächlich auch so etwas, wie ein Tor zur Welt. Durch diesen Mannschaftssport habe ich viele neue Menschen getroffen, bin gereist und habe allerlei Anerkennung und Festigung erfahren. Es ist für mich eigentlich immer noch die schönste Form auf der Welt zu sein, Fußball zu spielen.

DFB.de: Auf welcher Position haben Sie angefangen?

Eilenberger: Ich bin Linksfüßer und habe eigentlich immer im linken Mittelfeld gespielt. Das nannte man früher einen 10er, den es heute in dieser Weise nicht mehr gibt. Aber im Prinzip, der Mann, der den Spitzen den entscheidenden Pass zuspielt - wenn es gut geht.

DFB.de: Sie haben einst behauptet: "Fußball hat gar nichts mit Philosophie zu tun, es sein denn, man versteht etwas davon" Wo sehen Sie Parallelen zwischen dem Spiel und der Geisteswissenschaft?

Eilenberger: Na ja, beim Fußball geht es ja zunächst um Unverfügbarkeit. Das ist ja ein seltsames Spiel, in dem Menschen dazu angehalten werden, Dinge zu tun, die sie nicht tun können: nämlich den Ball mit dem Fuß zu kontrollieren. Kein Mensch kann das, das ist ja eine absurde Forderung. Insofern kreiert der Fußball ständig Phänomene: die Phänomene der Perplexität, des Nichtverstehens, des Staunens. Und dieses Staunen über die Dinge, dass sie so sind, wie sie sind, ist auch der Anfang der Philosophie. Dann ist die Frage, wie man sich dem Verstehen nähert. Ich glaube, in der Philosophie wie im Fußball gibt es zwei Impulse. Der erste ist, dass dort sehr viel mehr zu verstehen ist, als wir bisher verstanden haben. Der zweite ist, dass es Grenzen des Verstehens gibt. Am Ende bleibt dort etwas Undurchdringliches, Nichterklärliches, letztlich Mythisches, wo der menschliche Verstand nie richtig rankommt und nicht durchdringen kann. Auf diese Grenzen stößt man in der Philosophie und ebenso spürt man sie im Fußball, sobald man versucht, ein Spiel wirklich vollständig zu erklären. Da hört man die Musik des Zufalls und das reißt tiefe Lücken in unsere Erklärungsnetze.

DFB.de: Auch Sie können sich den Fußball oder ein einzelnes Spiel nicht vollständig erklären?

Eilenberger: Nein, ich glaube, dass ist auch das Schöne am Fußball. Die Unverfügbarkeit, wie einst ein Philosoph sagte, ist im Herzen des Spiels eingeschrieben.

DFB.de: Wie prägt der Fußball unsere Vorstellung von Leistung, Arbeit, Wettbewerb?

Eilenberger: Der Fußball ist so eine Art Totalmetapher geworden, mit der wir fast die ganze Welt deuten, die Gesellschaft beschreiben und Demokratie verstehen. Insofern hat der Fußball eine ungebührlich hohe rhetorische oder metaphorische Kraft in unserer Gesellschaft eingenommen - die auch nicht immer gut tut, weil es eben doch größere Unterschiede gibt zwischen einem Gesellschaftssystem und einem Spiel, wie dem Fußball. Ich glaube, man muss eher vorsichtiger und bremsend damit umgehen, wie Fußball eingesetzt wird, um uns der Welt zu nähern. Der Fußball ist wahrscheinlich derzeit zu stark, zu dominant in seiner Rolle für die Gesellschaft und auch in der Art und Weise, wie wir über Gesellschaft sprechen. Vielleicht sollten wir da ein bisschen weniger auf die Tube drücken in der Publizistik, als wir es derzeit tun.

DFB.de: Nehmen Sie sich gerade selbst in die Mangel?

Eilenberger: Es ist ja so, in dem was man schreibt - auch in dem was ich schreibe - gibt es immer den Impuls zu sagen: Übertreib das mal nicht, das hat auch Grenzen.

DFB.de: Auch über Nationalspieler und deren Leistungen wird viel geschrieben. Das erhöht den Druck enorm.

Eilenberger: Genau, und auch das, was sie repräsentieren sollen oder müssen. Es gibt ja oftmals den Effekt, dass da Spielern in fantastischer Weise ein Image angedichtet wird, dem sie persönlich gar nicht entsprechen.

DFB.de: Harter Schnitt. Kommen wir von den sehr talentierten Fußballspielern zur "Autonama". Wer kann unter den ganzen Edelfedern nun wirklich Fußball spielen?

Eilenberger: Das hängt davon ab, was Sie unter Können verstehen. Aber, wir sind alle passionierte Fußballer, so möchte ich das sagen. Zirka die Hälfte von uns hat eine Vereinsschulung, das kann man natürlich klar sehen. Was man die ersten 15 Jahre nicht gelernt hat, das holt man dann im Erwachsenenalter nicht mehr auf. Es gibt da Verständnisstrukturen, Bewegungsstrukturen, die man entweder gelernt hat oder nicht. Das ist vielleicht so, wie die Grammatik einer Sprache. Wenn man zweisprachig aufwächst, kann man eine Sprache anders, als wenn man sie erst mit 25 Jahren lernt. Wir haben sowohl vielsprachige Spieler, als auch diejenigen, die gerade noch anfangen zu sprechen. Der Reiz dieser Mannschaft ist, dass extrem verschiedene Leistungsniveaus miteinander gleichzeitig Fußball spielen. Das ist voller Schönheiten und manchmal auch voller Frustration. Generell kann man aber sagen, dass sich das Niveau über die letzten zehn Jahre sehr stark zum Positiven entwickelt hat. Wir spielen schon lange miteinander und mittlerweile glaube ich, dass wir als Mannschaft etwas tun, was man dann auch wirklich Fußballspielen nennen kann.

DFB.de: Ist Moritz Rinke wirklich so gut, wie es immer heißt?

Eilenberger: Derzeit haben wir eine ganz junge Generation von Spielern, die eher so 30, 35 Jahre alt sind. Die Spieler, die jetzt auf die 50 zugehen, wie Moritz und ich, wir blicken sozusagen in den Sonnenuntergang unserer Karriere. (lacht) Aber, das heißt nicht, dass man nicht noch sehen kann, was wir einst vermochten und manchmal noch vermögen.

DFB.de: Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben über die lange Zeit bei der "Autonama"?

Eilenberger: Das Schöne an dieser Mannschaft ist ja, dass Menschen zusammenkommen, die eine Tätigkeit ausführen, die gar nicht sozial ist. Beim Schreiben lernt man niemanden kennen, das ist etwas sehr Einsames. Die Freundschaften, das Soziale, das Miteinander, das ist das eigentlich Wunderbare. Das betrifft nicht nur unsere Mannschaft, sondern auch das Netz von Freundschaften und Bekanntschaften, welches durch die Writers' League und die anderen Nationalmannschaften entstanden ist. Diese Form der Gemeinschaft von Einzelgängern, die ist ganz wunderbar und unübertreffbar. Aber natürlich sind das auch die Reisen, etwa nach Brasilien und Saudi-Arabien, wo man mit extremer Fremdheit konfrontiert wird. Und ich glaube, ein Schriftsteller, der diese Fremdheit nicht genießt, der ist keiner.

DFB.de: Auch sportlich kann die "Autonama" einiges vorweisen.

Eilenberger: Sportlich gibt es natürlich große Erfolge, wie die Europameisterschaft 2010. Ich würde sagen, bei uns ist jedes Spiel in diesem Sinne ein Meisterschaftsspiel, weil Spiele nicht so häufig sind. Wir sind jetzt in dem Alter, bei dem jedes Spiel das letzte sein kann (lacht). Insofern, glaube ich, gehen wir jedes Spiel als ein Finale an. Und so wird das auch am Samstag in Frankfurt gegen Norwegen sein.

DFB.de: Wie bereitet sich die Mannschaft auf das Spiel vor?

Eilenberger: Mental hat diese Vorbereitung, glaube ich, schon vor zwölf Monaten begonnen. Das von der DFB-Kulturstiftung veranstaltete Spiel zur Buchmesse ist für uns ganz klar der Saisonhöhepunkt, auf den wir zusteuern. Es wird kaum über etwas anderes gesprochen. Der Druck ist hoch, kann ich nur sagen. Wir wissen, dass das eine ganz harte Prüfung für uns wird, weil Norwegen mit einer jungen, gierigen, auch hart spielenden Mannschaft antritt.

DFB: Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?

Eilenberger: Im Norwegischen heißt das Spielfeld Kampen, was das gleiche Wort ist für Spielfeld und Kampf. Insofern stellen wir uns auf so ein Spiel ein.

DFB.de: Viel Erfolg dafür. Vergangenen Sonntag hat die Nationalmannschaft das EM-Qualifikationsspiel gegen Estland mit 3:0 gewonnen. Was halten Sie von dem bisherigen Auftritt des jungen Teams während der EM-Qualifikation?

Eilenberger: Das ist im besten Falle gemischt. Die Transformationsprozesse haben sich als erwartet schwierig erwiesen. Die stilistische Ausrichtung ist unrund bisher. Man kann nur hoffen, dass die Mannschaft sich bis zur EM weiter stabilisiert.

DFB.de: Wie weit kommt die Mannschaft in dem Turnier?

Eilenberger: Wir sind derzeit Weltranglisten 15., wenn ich das richtig einschätze. Davon sind sicher neun europäische Mannschaften vor uns. Das heißt ja dann, dass der Einzug ins Viertelfinale ein Erfolg wäre.

DFB.de: In welchem jungen Spieler sehen Sie das größte Potenzial?

Eilenberger: Ich denke, dass Kai Havertz, der Spieler ist, der am meisten mitbringt, um wirklich Exzellenz auszustrahlen. Mentalitätsmäßig tut Joshua Kimmich auch einiges und vorne gibt es sicher zwei, drei kluge, gute Spieler, die das auch können. Aber, wenn ich jetzt einen Spieler hätte, auf den ich die nächsten zehn Jahre in einer tragenden, unangetasteten Position setzen müsste, würde ich wahrscheinlich Kai Havertz nennen.

DFB.de: Sie als Fußballfan, werden Sie in München bei der EURO 2020 dabei sein?

Eilenberger: Das könnte sich ergeben, das würde ich jetzt nicht ausschließen wollen. Ich schaue mir schon gerne Spiele live an. Man sieht ja so ein Spiel live ganz anders.

DFB.de: Wird die EM auch Thema in Ihrer Fußballkolumne sein?

Eilenberger: Ja, ich glaube, das kann nicht ausbleiben.

[ap]

Trainerlegende Otto Rehhagel hat es geschafft, mit einem Aufsteiger Meister und mit den Griechen Europameister zu werden. Nun stellt sich der 81-jährige Rehhagel nochmal einer besonderen Aufgabe: die sportliche Leitung der deutschen Autoren-Nationalmannschaft. Am Samstag (ab 18 Uhr auf dem Platz der SG Bornheim, Berger Straße 385 B) trifft die "Autonama" auf Einladung der DFB-Kulturstiftung im Rahmenprogramm der Frankfurter Buchmesse auf die norwegische Schriftstellerelf. Mit dabei: Wolfram Eilenberger, dessen aktuelles Buch "Zeit der Zauberer" sieben Monate lang auf der Spiegel-Bestseller-Liste stand. DFB.de-Mitarbeiterin Anna Priester spricht mit dem Spielgestalter der deutschen Autorennationalmannschaft über Philosophie und Fußball.

DFB.de: Fußball spielt in Ihrem Leben eine wichtige Rolle: Sie sind Nationalspieler bei der "Autonama", haben einen DFB-Trainerschein und thematisieren aktuelle Themen im Fußball in Ihrer Kolumne "Eilenbergers Kabinenpredigt". Wie alt waren Sie, als der Fußball Sie erstmals faszinierte?

Wolfram Eilenberger: Was für den DFB noch erwähnenswert ist: Ich gehöre dem gegründeten Direktionsbeirat der Nationalmannschaften und der DFB-Akademie an. Mit dem Fußball, das war für mich die ganz normale Karriere eines Jungen aus der Vorstadt, der 1972 bei Freiburg auf die Welt kam. Fußball war der dominante Sport. Ich habe ihn seit dem 5. Lebensjahr aktiv betrieben. Er war mit dem Ball die große Liebe meines Lebens. Für mich war der Fußball tatsächlich auch so etwas, wie ein Tor zur Welt. Durch diesen Mannschaftssport habe ich viele neue Menschen getroffen, bin gereist und habe allerlei Anerkennung und Festigung erfahren. Es ist für mich eigentlich immer noch die schönste Form auf der Welt zu sein, Fußball zu spielen.

DFB.de: Auf welcher Position haben Sie angefangen?

Eilenberger: Ich bin Linksfüßer und habe eigentlich immer im linken Mittelfeld gespielt. Das nannte man früher einen 10er, den es heute in dieser Weise nicht mehr gibt. Aber im Prinzip, der Mann, der den Spitzen den entscheidenden Pass zuspielt - wenn es gut geht.

DFB.de: Sie haben einst behauptet: "Fußball hat gar nichts mit Philosophie zu tun, es sein denn, man versteht etwas davon" Wo sehen Sie Parallelen zwischen dem Spiel und der Geisteswissenschaft?

Eilenberger: Na ja, beim Fußball geht es ja zunächst um Unverfügbarkeit. Das ist ja ein seltsames Spiel, in dem Menschen dazu angehalten werden, Dinge zu tun, die sie nicht tun können: nämlich den Ball mit dem Fuß zu kontrollieren. Kein Mensch kann das, das ist ja eine absurde Forderung. Insofern kreiert der Fußball ständig Phänomene: die Phänomene der Perplexität, des Nichtverstehens, des Staunens. Und dieses Staunen über die Dinge, dass sie so sind, wie sie sind, ist auch der Anfang der Philosophie. Dann ist die Frage, wie man sich dem Verstehen nähert. Ich glaube, in der Philosophie wie im Fußball gibt es zwei Impulse. Der erste ist, dass dort sehr viel mehr zu verstehen ist, als wir bisher verstanden haben. Der zweite ist, dass es Grenzen des Verstehens gibt. Am Ende bleibt dort etwas Undurchdringliches, Nichterklärliches, letztlich Mythisches, wo der menschliche Verstand nie richtig rankommt und nicht durchdringen kann. Auf diese Grenzen stößt man in der Philosophie und ebenso spürt man sie im Fußball, sobald man versucht, ein Spiel wirklich vollständig zu erklären. Da hört man die Musik des Zufalls und das reißt tiefe Lücken in unsere Erklärungsnetze.

DFB.de: Auch Sie können sich den Fußball oder ein einzelnes Spiel nicht vollständig erklären?

Eilenberger: Nein, ich glaube, dass ist auch das Schöne am Fußball. Die Unverfügbarkeit, wie einst ein Philosoph sagte, ist im Herzen des Spiels eingeschrieben.

DFB.de: Wie prägt der Fußball unsere Vorstellung von Leistung, Arbeit, Wettbewerb?

Eilenberger: Der Fußball ist so eine Art Totalmetapher geworden, mit der wir fast die ganze Welt deuten, die Gesellschaft beschreiben und Demokratie verstehen. Insofern hat der Fußball eine ungebührlich hohe rhetorische oder metaphorische Kraft in unserer Gesellschaft eingenommen - die auch nicht immer gut tut, weil es eben doch größere Unterschiede gibt zwischen einem Gesellschaftssystem und einem Spiel, wie dem Fußball. Ich glaube, man muss eher vorsichtiger und bremsend damit umgehen, wie Fußball eingesetzt wird, um uns der Welt zu nähern. Der Fußball ist wahrscheinlich derzeit zu stark, zu dominant in seiner Rolle für die Gesellschaft und auch in der Art und Weise, wie wir über Gesellschaft sprechen. Vielleicht sollten wir da ein bisschen weniger auf die Tube drücken in der Publizistik, als wir es derzeit tun.

DFB.de: Nehmen Sie sich gerade selbst in die Mangel?

Eilenberger: Es ist ja so, in dem was man schreibt - auch in dem was ich schreibe - gibt es immer den Impuls zu sagen: Übertreib das mal nicht, das hat auch Grenzen.

DFB.de: Auch über Nationalspieler und deren Leistungen wird viel geschrieben. Das erhöht den Druck enorm.

Eilenberger: Genau, und auch das, was sie repräsentieren sollen oder müssen. Es gibt ja oftmals den Effekt, dass da Spielern in fantastischer Weise ein Image angedichtet wird, dem sie persönlich gar nicht entsprechen.

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DFB.de: Harter Schnitt. Kommen wir von den sehr talentierten Fußballspielern zur "Autonama". Wer kann unter den ganzen Edelfedern nun wirklich Fußball spielen?

Eilenberger: Das hängt davon ab, was Sie unter Können verstehen. Aber, wir sind alle passionierte Fußballer, so möchte ich das sagen. Zirka die Hälfte von uns hat eine Vereinsschulung, das kann man natürlich klar sehen. Was man die ersten 15 Jahre nicht gelernt hat, das holt man dann im Erwachsenenalter nicht mehr auf. Es gibt da Verständnisstrukturen, Bewegungsstrukturen, die man entweder gelernt hat oder nicht. Das ist vielleicht so, wie die Grammatik einer Sprache. Wenn man zweisprachig aufwächst, kann man eine Sprache anders, als wenn man sie erst mit 25 Jahren lernt. Wir haben sowohl vielsprachige Spieler, als auch diejenigen, die gerade noch anfangen zu sprechen. Der Reiz dieser Mannschaft ist, dass extrem verschiedene Leistungsniveaus miteinander gleichzeitig Fußball spielen. Das ist voller Schönheiten und manchmal auch voller Frustration. Generell kann man aber sagen, dass sich das Niveau über die letzten zehn Jahre sehr stark zum Positiven entwickelt hat. Wir spielen schon lange miteinander und mittlerweile glaube ich, dass wir als Mannschaft etwas tun, was man dann auch wirklich Fußballspielen nennen kann.

DFB.de: Ist Moritz Rinke wirklich so gut, wie es immer heißt?

Eilenberger: Derzeit haben wir eine ganz junge Generation von Spielern, die eher so 30, 35 Jahre alt sind. Die Spieler, die jetzt auf die 50 zugehen, wie Moritz und ich, wir blicken sozusagen in den Sonnenuntergang unserer Karriere. (lacht) Aber, das heißt nicht, dass man nicht noch sehen kann, was wir einst vermochten und manchmal noch vermögen.

DFB.de: Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben über die lange Zeit bei der "Autonama"?

Eilenberger: Das Schöne an dieser Mannschaft ist ja, dass Menschen zusammenkommen, die eine Tätigkeit ausführen, die gar nicht sozial ist. Beim Schreiben lernt man niemanden kennen, das ist etwas sehr Einsames. Die Freundschaften, das Soziale, das Miteinander, das ist das eigentlich Wunderbare. Das betrifft nicht nur unsere Mannschaft, sondern auch das Netz von Freundschaften und Bekanntschaften, welches durch die Writers' League und die anderen Nationalmannschaften entstanden ist. Diese Form der Gemeinschaft von Einzelgängern, die ist ganz wunderbar und unübertreffbar. Aber natürlich sind das auch die Reisen, etwa nach Brasilien und Saudi-Arabien, wo man mit extremer Fremdheit konfrontiert wird. Und ich glaube, ein Schriftsteller, der diese Fremdheit nicht genießt, der ist keiner.

DFB.de: Auch sportlich kann die "Autonama" einiges vorweisen.

Eilenberger: Sportlich gibt es natürlich große Erfolge, wie die Europameisterschaft 2010. Ich würde sagen, bei uns ist jedes Spiel in diesem Sinne ein Meisterschaftsspiel, weil Spiele nicht so häufig sind. Wir sind jetzt in dem Alter, bei dem jedes Spiel das letzte sein kann (lacht). Insofern, glaube ich, gehen wir jedes Spiel als ein Finale an. Und so wird das auch am Samstag in Frankfurt gegen Norwegen sein.

DFB.de: Wie bereitet sich die Mannschaft auf das Spiel vor?

Eilenberger: Mental hat diese Vorbereitung, glaube ich, schon vor zwölf Monaten begonnen. Das von der DFB-Kulturstiftung veranstaltete Spiel zur Buchmesse ist für uns ganz klar der Saisonhöhepunkt, auf den wir zusteuern. Es wird kaum über etwas anderes gesprochen. Der Druck ist hoch, kann ich nur sagen. Wir wissen, dass das eine ganz harte Prüfung für uns wird, weil Norwegen mit einer jungen, gierigen, auch hart spielenden Mannschaft antritt.

DFB: Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?

Eilenberger: Im Norwegischen heißt das Spielfeld Kampen, was das gleiche Wort ist für Spielfeld und Kampf. Insofern stellen wir uns auf so ein Spiel ein.

DFB.de: Viel Erfolg dafür. Vergangenen Sonntag hat die Nationalmannschaft das EM-Qualifikationsspiel gegen Estland mit 3:0 gewonnen. Was halten Sie von dem bisherigen Auftritt des jungen Teams während der EM-Qualifikation?

Eilenberger: Das ist im besten Falle gemischt. Die Transformationsprozesse haben sich als erwartet schwierig erwiesen. Die stilistische Ausrichtung ist unrund bisher. Man kann nur hoffen, dass die Mannschaft sich bis zur EM weiter stabilisiert.

DFB.de: Wie weit kommt die Mannschaft in dem Turnier?

Eilenberger: Wir sind derzeit Weltranglisten 15., wenn ich das richtig einschätze. Davon sind sicher neun europäische Mannschaften vor uns. Das heißt ja dann, dass der Einzug ins Viertelfinale ein Erfolg wäre.

DFB.de: In welchem jungen Spieler sehen Sie das größte Potenzial?

Eilenberger: Ich denke, dass Kai Havertz, der Spieler ist, der am meisten mitbringt, um wirklich Exzellenz auszustrahlen. Mentalitätsmäßig tut Joshua Kimmich auch einiges und vorne gibt es sicher zwei, drei kluge, gute Spieler, die das auch können. Aber, wenn ich jetzt einen Spieler hätte, auf den ich die nächsten zehn Jahre in einer tragenden, unangetasteten Position setzen müsste, würde ich wahrscheinlich Kai Havertz nennen.

DFB.de: Sie als Fußballfan, werden Sie in München bei der EURO 2020 dabei sein?

Eilenberger: Das könnte sich ergeben, das würde ich jetzt nicht ausschließen wollen. Ich schaue mir schon gerne Spiele live an. Man sieht ja so ein Spiel live ganz anders.

DFB.de: Wird die EM auch Thema in Ihrer Fußballkolumne sein?

Eilenberger: Ja, ich glaube, das kann nicht ausbleiben.

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