Dauerbrenner Kimmich: Der Jo-Effekt

Joshua Kimmich ist ein Vorbild in Sachen Einsatz und Einstellung. In der DFB-Auswahl ist er die große Konstante - als Einziger war der 24-Jährige in diesem Jahr bei jedem Spiel von Anfang bis Ende dabei. Wo soll das noch hinführen? DFB.de porträtiert den Defensivallrounder vom FC Bayern München vor dem letzten EM-Qualifikationsspiel heute (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) in Frankfurt gegen Nordirland.

Kimmich ist Joachim Löws Immer-Spieler. Sein Debüt feierte er am 29. Mai 2016 beim 1:3 im EM-Test gegen die Slowakei. Danach sah Kimmich die EM-Generalprobe gegen Ungarn (2:0) tatenlos von der Bank aus wie auch die beiden ersten Turnierspiele in Frankeich gegen die Ukraine (2:0) und Polen (0:0). Danach schlug Kimmichs Stunde - und sie hört und hört nicht auf zu schlagen. Seit dem 1:0 im dritten Gruppenspiel gegen Nordirland, als Löw Kimmich als Rechtsverteidiger aufbot, ist der Mann eine Bank.

Die nahezu unglaubliche Bilanz des Dauer(b)renners: In den folgenden dreieinhalb Jahren verpasste Kimmich lediglich ein (!) Länderspiel, den Test im November 2017 gegen Frankreich (2:2) - weil er geschont wurde. Macht unterm Strich: Von den letzten 51 Länderspielen stand Kimmich 47-mal in der Startelf, fehlte dabei nie verletzt oder gesperrt und wurde nach seiner 74-Minuten-Premiere gegen die Slowakei lediglich noch ein weiteres Mal ausgewechselt. Weil's so besonders war, auch hier die Erwähnung: Bei der Generalprobe vor der Weltmeisterschaft im Juni 2018 gegen Saudi-Arabien (2:1) war für ihn nach 80 Minuten Schluss.

Leistungsträger, Fixpunkt, Wortführer

Kimmich gilt in der Nationalmannschaft als Fixpunkt, der nicht nur Leistungsträger, sondern mittlerweile auch Wortführer geworden ist, nicht mehr wegzudenken. Beim 2:2 in Dortmund gegen Argentinien führte er das DFB-Team erstmals als Kapitän aufs Feld. Zuvor hatte Kimmich beim Gewinn des Confed-Cup 2017 bereits in zwei Partien die Kapitänsbinde übernommen, jedoch in der damaligen Perspektivmannschaft ohne die Stammspieler. "Es war ein sehr besonderer Moment in meiner Karriere", bekannte Kimmich und lieferte im folgenden Satz den Beleg für eine seiner Qualitäten, für den unbändigen Ehrgeiz, für die Gier nach Erfolg: "Ich hätte das Spiel gerne gewonnen, dann wäre es ein perfekter Abend gewesen."

Der Blick aufs "Wir" zeichnet den gebürtigen Schwaben aus, der aus Rottweil, 90 Kilometer südlich von Stuttgart, stammt. Nicht der Blick auf sich und das wertvolle Stück Stoff. Obwohl er jenes im Oktober gegen Argentinien beinahe mehr im Auge haben musste als seine Gegenspieler. "Um ehrlich zu sein, war die Binde ein bisschen groß, sie ist ein paarmal gerutscht", erzählte Kimmich lachend. "Ich glaube, ich muss den linken Oberarm noch ein bisschen aufpumpen." Muskeln zeigen kann man im übertragenen Sinne auch verbal. Klare Kante. Auch das ist Kimmich.

Immer 100 Prozent

Bei Bayern entwickelte er sich speziell in dieser Saison zum schonungslosen Kritiker. Nach dem 0:2 gegen Borussia Dortmund im Supercup sprach er offen aus: "Es stand nicht nur ein Spieler neben sich. Es war ein Fehlerfestival." Als Kimmich nach dem Saisonauftakt gegen Hertha (2:2) die für ihn zu späten Auswechslungen in der Kabine offen kritisierte, gab es tags darauf eine Aussprache mit seinem damaligen Trainer Niko Kovac samt Entschuldigung von Seiten des Spielers. Nach dem glücklichen 3:2 der Münchner in Paderborn meinte Kimmich ehrlich: "Kein Spieler ist zufrieden mit der Art und Weise, wie wir spielen. Wir laufen unserem Anspruch hinterher." Keinen ärgert das mehr als ihn.

Bereits vor ein paar Jahren sagte Kimmich über sich: "Ich bin ein 100-Prozent-Mensch." Egal, in welche Rolle er schlüpft. Egal, welche Position er spielt. Nach dem Vorrunden-Aus bei der WM 2018 in Russland rückte er in der Nationalmannschaft von der Rechtsverteidigerposition ins Zentrum des Spiels, agiert nun als Sechser im Mittelfeld. Die Rolle liegt ihm, er präferiert sie, möchte aber kein großes Ding mehr aus dem Thema machen - zu oft wurde darüber diskutiert. Beim 3:0 in der EM-Qualifikation in Estland musste er nach der Roten Karte für Emre Can als Innenverteidiger aushelfen. Auch kein Problem für ihn, den Vielseitigkeitskicker.

Bei Bayern musste er in der laufenden Hinrunde immer wieder umswitchen. Erstens, weil das Mittelfeld nicht so dominant und passsicher auftrat. Und zweitens, weil er nach den langfristigen Verletzungen der Abwehrspieler Niklas Süle (Kreuzbandriss) und Lucas Hernández (Sprunggelenksoperation) als Rechtsverteidiger gebraucht wurde. Kimmich bestritt in dieser Saison jedes Spiel der Bayern - natürlich! - von Beginn an und über 90 Minuten, er wurde lediglich beim 4:0 gegen Köln im September vorzeitig ausgewechselt.

Löw: "Joshua ist ein Vorbild an Einsatz"

Von allen Seiten prasseln Lobeshymnen auf ihn herein. "Joshua ist jemand, der immens variabel ist und sechs, sieben Positionen auf Champions-League-Niveau spielen kann", meint Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann. Für Rekordnationalspieler Lothar Matthäus ist Kimmich "ein intelligenter Spieler wie früher Philipp Lahm. Er ist sehr ehrgeizig, will sich immer verbessern."

Und einer, der sich nicht scheut, künftig noch mehr Verantwortung zu übernehmen. "Es macht mir Spaß, auch jüngere Spieler oder Debütanten zu führen", so Kimmich nach dem Argentinien-Spiel. Die folgende Lobeshymne stammt von Bundestrainer Löw: "Joshua ist ein Vorbild an Einsatz. Und er hat mittlerweile auch eine gewisse Erfahrung, kann auch verbal eine Mannschaft auf dem Platz führen. Er ist in der Organisation sehr klug und gibt Anweisungen. Er ist immer omnipräsent auf dem Platz." All das sind Anlagen, die ihn eines Tages zum Kapitän bei Bayern und im DFB-Team machen könnten.

Kimmich: "Wir können mit diesem Kader um den EM-Titel mitspielen"

Wichtiger aber ist Kimmich das Abschneiden der Nationalmannschaft bei der EURO 2020, seinem dann schon dritten Turnier. "Wir können mit diesem Kader um den Titel mitspielen", sagte er bei einem Auftritt im aktuellen sportstudio des ZDF. Er weiß: "Die meisten Weltmeister sind nicht mehr da. Jetzt ist unsere Generation gefragt." Der zum Abwehrchef auserkorene Süle, der Einzige außer Kimmich, der bis zu seiner Verletzung in allen Länderspielen 2019 jeweils 90 Minuten auf dem Platz stand, wird in den kommenden Monaten fehlen. Umso schwerer wiegt die Last der "New Generation" auf Kimmichs Schultern. Dafür wird er jedoch keine Extraschichten im Fitnessstudio einlegen müssen.

Was früher unter Trainer Louis van Gaal für Thomas Müller beim FC Bayern ("Müller spielt immer") galt und heute in der Nationalmannschaft unter Löw für Serge Gnabry ("Der Serge spielt bei mir immer") gilt, müsste eigentlich auf Kimmich gemünzt werden: "Der Jo", so nennt ihn Löw, "spielt immer." Sein 50. Länderspiel könnte er im Frühjahr noch vor der EM bestreiten. Und wenn er in dieser hohen Taktung weitermacht, muss Matthäus in acht, neun Jahren - Kimmich wäre dann erst Anfang 30 - angesichts seiner 150 DFB-Einsätze um seinen Status als Rekordnationalspieler bangen. Der hatte, als er so alt war wie Kimmich jetzt, elf Einsätze weniger.

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Joshua Kimmich ist ein Vorbild in Sachen Einsatz und Einstellung. In der DFB-Auswahl ist er die große Konstante - als Einziger war der 24-Jährige in diesem Jahr bei jedem Spiel von Anfang bis Ende dabei. Wo soll das noch hinführen? DFB.de porträtiert den Defensivallrounder vom FC Bayern München vor dem letzten EM-Qualifikationsspiel heute (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) in Frankfurt gegen Nordirland.

Kimmich ist Joachim Löws Immer-Spieler. Sein Debüt feierte er am 29. Mai 2016 beim 1:3 im EM-Test gegen die Slowakei. Danach sah Kimmich die EM-Generalprobe gegen Ungarn (2:0) tatenlos von der Bank aus wie auch die beiden ersten Turnierspiele in Frankeich gegen die Ukraine (2:0) und Polen (0:0). Danach schlug Kimmichs Stunde - und sie hört und hört nicht auf zu schlagen. Seit dem 1:0 im dritten Gruppenspiel gegen Nordirland, als Löw Kimmich als Rechtsverteidiger aufbot, ist der Mann eine Bank.

Die nahezu unglaubliche Bilanz des Dauer(b)renners: In den folgenden dreieinhalb Jahren verpasste Kimmich lediglich ein (!) Länderspiel, den Test im November 2017 gegen Frankreich (2:2) - weil er geschont wurde. Macht unterm Strich: Von den letzten 51 Länderspielen stand Kimmich 47-mal in der Startelf, fehlte dabei nie verletzt oder gesperrt und wurde nach seiner 74-Minuten-Premiere gegen die Slowakei lediglich noch ein weiteres Mal ausgewechselt. Weil's so besonders war, auch hier die Erwähnung: Bei der Generalprobe vor der Weltmeisterschaft im Juni 2018 gegen Saudi-Arabien (2:1) war für ihn nach 80 Minuten Schluss.

Leistungsträger, Fixpunkt, Wortführer

Kimmich gilt in der Nationalmannschaft als Fixpunkt, der nicht nur Leistungsträger, sondern mittlerweile auch Wortführer geworden ist, nicht mehr wegzudenken. Beim 2:2 in Dortmund gegen Argentinien führte er das DFB-Team erstmals als Kapitän aufs Feld. Zuvor hatte Kimmich beim Gewinn des Confed-Cup 2017 bereits in zwei Partien die Kapitänsbinde übernommen, jedoch in der damaligen Perspektivmannschaft ohne die Stammspieler. "Es war ein sehr besonderer Moment in meiner Karriere", bekannte Kimmich und lieferte im folgenden Satz den Beleg für eine seiner Qualitäten, für den unbändigen Ehrgeiz, für die Gier nach Erfolg: "Ich hätte das Spiel gerne gewonnen, dann wäre es ein perfekter Abend gewesen."

Der Blick aufs "Wir" zeichnet den gebürtigen Schwaben aus, der aus Rottweil, 90 Kilometer südlich von Stuttgart, stammt. Nicht der Blick auf sich und das wertvolle Stück Stoff. Obwohl er jenes im Oktober gegen Argentinien beinahe mehr im Auge haben musste als seine Gegenspieler. "Um ehrlich zu sein, war die Binde ein bisschen groß, sie ist ein paarmal gerutscht", erzählte Kimmich lachend. "Ich glaube, ich muss den linken Oberarm noch ein bisschen aufpumpen." Muskeln zeigen kann man im übertragenen Sinne auch verbal. Klare Kante. Auch das ist Kimmich.

Immer 100 Prozent

Bei Bayern entwickelte er sich speziell in dieser Saison zum schonungslosen Kritiker. Nach dem 0:2 gegen Borussia Dortmund im Supercup sprach er offen aus: "Es stand nicht nur ein Spieler neben sich. Es war ein Fehlerfestival." Als Kimmich nach dem Saisonauftakt gegen Hertha (2:2) die für ihn zu späten Auswechslungen in der Kabine offen kritisierte, gab es tags darauf eine Aussprache mit seinem damaligen Trainer Niko Kovac samt Entschuldigung von Seiten des Spielers. Nach dem glücklichen 3:2 der Münchner in Paderborn meinte Kimmich ehrlich: "Kein Spieler ist zufrieden mit der Art und Weise, wie wir spielen. Wir laufen unserem Anspruch hinterher." Keinen ärgert das mehr als ihn.

Bereits vor ein paar Jahren sagte Kimmich über sich: "Ich bin ein 100-Prozent-Mensch." Egal, in welche Rolle er schlüpft. Egal, welche Position er spielt. Nach dem Vorrunden-Aus bei der WM 2018 in Russland rückte er in der Nationalmannschaft von der Rechtsverteidigerposition ins Zentrum des Spiels, agiert nun als Sechser im Mittelfeld. Die Rolle liegt ihm, er präferiert sie, möchte aber kein großes Ding mehr aus dem Thema machen - zu oft wurde darüber diskutiert. Beim 3:0 in der EM-Qualifikation in Estland musste er nach der Roten Karte für Emre Can als Innenverteidiger aushelfen. Auch kein Problem für ihn, den Vielseitigkeitskicker.

Bei Bayern musste er in der laufenden Hinrunde immer wieder umswitchen. Erstens, weil das Mittelfeld nicht so dominant und passsicher auftrat. Und zweitens, weil er nach den langfristigen Verletzungen der Abwehrspieler Niklas Süle (Kreuzbandriss) und Lucas Hernández (Sprunggelenksoperation) als Rechtsverteidiger gebraucht wurde. Kimmich bestritt in dieser Saison jedes Spiel der Bayern - natürlich! - von Beginn an und über 90 Minuten, er wurde lediglich beim 4:0 gegen Köln im September vorzeitig ausgewechselt.

Löw: "Joshua ist ein Vorbild an Einsatz"

Von allen Seiten prasseln Lobeshymnen auf ihn herein. "Joshua ist jemand, der immens variabel ist und sechs, sieben Positionen auf Champions-League-Niveau spielen kann", meint Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann. Für Rekordnationalspieler Lothar Matthäus ist Kimmich "ein intelligenter Spieler wie früher Philipp Lahm. Er ist sehr ehrgeizig, will sich immer verbessern."

Und einer, der sich nicht scheut, künftig noch mehr Verantwortung zu übernehmen. "Es macht mir Spaß, auch jüngere Spieler oder Debütanten zu führen", so Kimmich nach dem Argentinien-Spiel. Die folgende Lobeshymne stammt von Bundestrainer Löw: "Joshua ist ein Vorbild an Einsatz. Und er hat mittlerweile auch eine gewisse Erfahrung, kann auch verbal eine Mannschaft auf dem Platz führen. Er ist in der Organisation sehr klug und gibt Anweisungen. Er ist immer omnipräsent auf dem Platz." All das sind Anlagen, die ihn eines Tages zum Kapitän bei Bayern und im DFB-Team machen könnten.

Kimmich: "Wir können mit diesem Kader um den EM-Titel mitspielen"

Wichtiger aber ist Kimmich das Abschneiden der Nationalmannschaft bei der EURO 2020, seinem dann schon dritten Turnier. "Wir können mit diesem Kader um den Titel mitspielen", sagte er bei einem Auftritt im aktuellen sportstudio des ZDF. Er weiß: "Die meisten Weltmeister sind nicht mehr da. Jetzt ist unsere Generation gefragt." Der zum Abwehrchef auserkorene Süle, der Einzige außer Kimmich, der bis zu seiner Verletzung in allen Länderspielen 2019 jeweils 90 Minuten auf dem Platz stand, wird in den kommenden Monaten fehlen. Umso schwerer wiegt die Last der "New Generation" auf Kimmichs Schultern. Dafür wird er jedoch keine Extraschichten im Fitnessstudio einlegen müssen.

Was früher unter Trainer Louis van Gaal für Thomas Müller beim FC Bayern ("Müller spielt immer") galt und heute in der Nationalmannschaft unter Löw für Serge Gnabry ("Der Serge spielt bei mir immer") gilt, müsste eigentlich auf Kimmich gemünzt werden: "Der Jo", so nennt ihn Löw, "spielt immer." Sein 50. Länderspiel könnte er im Frühjahr noch vor der EM bestreiten. Und wenn er in dieser hohen Taktung weitermacht, muss Matthäus in acht, neun Jahren - Kimmich wäre dann erst Anfang 30 - angesichts seiner 150 DFB-Einsätze um seinen Status als Rekordnationalspieler bangen. Der hatte, als er so alt war wie Kimmich jetzt, elf Einsätze weniger.

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