"Brillant und lässig": Beckenbauer wird 75

Als Teamchef führte Franz Beckenbauer die Nationalmannschaft 1990 zum WM-Titel, den er bereits 1974 als Spieler gewonnen hatte. Deutschland hat vielleicht nie einen besseren Fußballer gehabt. Ihm schien fast alles zu gelingen. Doch seine Rolle in der sogenannten Sommermärchen-Affäre ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Am heutigen Freitag wird Franz Beckenbauer 75 Jahre alt. DFB.de blickt auf seine besondere Karriere als Spieler und Trainer zurück.

Namen trug er viele. "Kaiser" allen voran, "Lichtgestalt" oder, weniger wohlmeinend, "Firle-Franz". Für den kicker war er "das Glückskind, das perfekt sein wollte." Franz Beckenbauer ist auf der ganzen Welt bekannt. Einen eleganteren Fußballer hat Deutschland vor und nach ihm nicht gesehen, und dazu war der Mann, der den Libero zwar nicht erfand, aber hoffähig machte, enorm erfolgreich in fast allem, was er tat.

FC Bayern statt 1860

1945 in den ersten Nachkriegsmonaten geboren, gehörte der Sohn eines Postangestellten zu jener Generation von Straßenfußballern, der der deutsche Fußball seine größten Erfolge verdankt. Die Kinder hatten nichts anderes als Fußbälle oder Lumpen, aus denen sie Bälle machten. Als Tore dienten Kellerfenster, der Gegner war die Bande aus der Nachbarstraße. So wuchs auch Franz Beckenbauer auf, in einfachen Verhältnissen in München-Giesing. Er war erblich vorbelastet, der Onkel gehörte zum Kader der ersten Meistermannschaft des FC Bayern von 1932. Der Vater zahlte ihm die ersten Fußballschuhe, denn das Talent drängte in den Verein. Beim SC München 06 ragte er heraus und als sich dessen Jugend auflöste, stellte sich die Frage: zu den Roten oder den Blauen? Die Blauen des TSV 1860 waren populärer aber Klein-Franz hatte seine Wahl schon getroffen, als ihn die berühmte Watschn eines "Löwen"- Spielers mitten auf dem Platz traf, den Franz allzu genervt hatte mit seiner Brillanz und Lässigkeit. "Zu dem Klub geh‘ ich nicht", sagte er sich und ging 1958 zu den roten Bayern.

Was in den folgenden 19 Jahren geschah, ist längst Vereinsgeschichte, goldumrahmt. Mit 17 durfte er schon in der ersten Mannschaft spielen, er begann seine Karriere als Linksaußen, dann spielte er im Mittelfeld. Jeder seiner Trainer suchte und fand ein Plätzchen für das Supertalent, das drei Jugendländerspiele machte und unter besonderer Aufsicht von DFB-Trainer Dettmar Cramer stand. Denn Franz war schon mit 17 Vater geworden, damals ein Riesenskandal. Zur Jugendnationalmannschaft fuhr er als einziger Roter mit sechs Blauen hin, wie er immer wieder gern erzählt. Aber die große Bayern-Zeit sollte kommen und damit die Wachablösung im Münchner Fußball.

Nach Aufstieg mit Bayern: Platz drei und Pokalsieger

1965 kamen auch die Bayern in die Bundesliga, seitdem sind sie dabei. Die Elf von "Tschik" Cajkovski, die im Aufstiegsjahr 146 Tore erzielt hatte, strotzte nur so vor Selbstvertrauen. Kein normaler Aufsteiger, gewiss nicht. Platz drei auf Anhieb und gleich DFB-Pokalsieger. Und Beckenbauer, der Überflieger, kam schon nach sechs Bundesligaspielen zu seinem Länderspieldebüt beim wichtigen 2:1 in Stockholm, das Deutschland die WM-Fahrkarte sicherte. Starthilfe leistete der große Uwe Seeler, bei dem sich Bundestrainer Helmut Schön Rat holte und erhielt: "Dann nehmen Sie doch den Beckenbauer!" Schön nahm ihn und fand in ihm einen immer loyalen Ansprechpartner. Er wurde sein Kapitän und Libero. In 103 Länderspielen setzte er ihn stets von Beginn an ein, davon 60-mal in Folge (vom 9. September 1970 bis zum 23. Februar 1977) – bis heute DFB-Rekord.

Dass er nicht überheblich sei, teilten nicht alle. Es lag an seiner lässigen Spielweise. Er machte eigentlich keine Fehler und spielte auch in höchster Bedrängnis präzise Pässe mit dem Außenrist. Wo andere den Ball traten, streichelte er ihn. Solchen Zuspielen haftet der Hauch von Arroganz an, man lernt sie nicht in der E-Jugend. Erst kommt die Innenseite, dann der Spannstoß. Das muss genügen für den Normalgebrauch. Wer den Außenrist nimmt, arbeitet Fußball nicht, er zelebriert ihn. Und schaut auf die anderen herab. So das Klischee.

"Sie pfeifen schon, wenn ich auf den Platz komme"

"Bei mir pfeifen sie schon, wenn ich auf den Platz komme. Meine Art auf dem Platz kommt bei einzelnen Bevölkerungsschichten nicht an; ich winke oft auch ab. Dann wirkt das so, als ob ich unzufrieden sei und über meine Kameraden schimpfe oder über die Zuschauer. Dabei schimpfe ich in Wirklichkeit über mich selbst", sagte Beckenbauer einst.

Der junge Beckenbauer polarisierte, ohne Frage. Besonders im Westen waren die Bayern-Stars unbeliebt. In Oberhausen wurde er nach Abpfiff mal mit einer Fahnenstange geschlagen und konnte sich gerade noch in den Bus retten. Es war durchaus auch Neid auf einen, der schon in jungen Jahren Millionär wurde. Dabei nutzte er nur die Chancen, die ihm das Leben bot, ohne zu vergessen, wie es einmal war. Einmal die Woche besuchte er Mutter Antonia, die auch seine Autogrammpost beantwortete und die Karten versandte. Deshalb gab er deren Adresse auch als Autogramm-Anschrift an – und genoss ansonsten die Vorzüge des Ruhms.

Er war der erste Profi, der einen Manager hatte: Robert Schwan, zugleich Bayern-Manager. Eine heikle Konstruktion, die in der Mannschaft kritisch beäugt wurde. Schwan machte seinen Schützling zu einem der ersten Werbestars der Liga. Dann fing Beckenbauer auch noch an zu singen: "Gute Freunde kann niemand trennen", trällerte er 1967 im Mannschaftskreis. Er im Fokus, die anderen als Staffage. Das kann sich nur leisten, wer auf dem Platz voranging. Nun, das tat er.

Dreimaliger Fußballer des Jahres

1966 stand er mit seinen 20 Jahren bereits im legendären WM-Finale von Wembley und wurde zu Deutschlands "Fußballer des Jahres" gewählt, wie noch dreimal (1968, 1974, 1976) und damit so oft wie kein Zweiter. 1967 holten die Bayern ihren ersten Europapokal (der Pokalsieger), 1969 das erste Double. 1970 wurde Beckenbauer mit der Nationalmannschaft bei der WM in Mexiko Dritter und mancher leistete Abbitte, als der vermeintliche Schönspieler gegen Italien mit angeknackster Schulter durchhielt. Das Bild vom Arm, der in der Schlinge hängt, erinnerte eine englische Zeitung an einen "verwundeten, besiegten, aber stolzen preußischen Offizier" (Evening Standard). Es war sein letztes Turnier im Mittelfeld, nach Mexiko bekam er auch im DFB-Team die Rolle, die er sich im Verein längst verdient hatte: die des freien Mannes vor und hinter der Abwehr, des Liberos.

Die glorreichen Bayern der Siebziger brauchten deshalb keinen Spielmacher, es reichte, wenn ihr Abwehrchef gelegentlich nach vorne kam und mit dem "Bomber der Nation", Gerd Müller, die gefürchteten Doppelpässe spielte, gegen die es kein Rezept gab. Da war sie, die von ihm angestrebte Perfektion, die auch die DFB-Auswahl im Frühsommer 1972 streifte, als sie in Brüssel Europameister wurde. Dank der Regisseure Beckenbauer und Günter Netzer, die im Wechsel die Angriffe vorantrieben. Mit Ramba-Zamba-Fußball in ein neues Zeitalter, von "Fußball 2000" schwärmte L’Équipe. Und der Kapitän der angeblich besten deutschen Nationalmannschaft wurde "Europas Fußballer des Jahres", wiederholte das Kunststück 1976. Auch das schaffte bis dahin kein Deutscher, später zog Karl-Heinz Rummenigge (1980 und 1981) nach.

Die Siebziger waren Beckenbauers Jahrzehnt, 1974 sein größtes Jahr. Mit 28 wurde er in München Weltmeister, sechs Wochen nach dem Gewinn des Landesmeisterpokals, auf den die Bayern noch zwei weitere folgen ließen. Meister wurde er auch, perfekt war der erste Hattrick der Bundesligageschichte (1972 bis 1974). Es war die Zeit, als die Bundesliga als die beste Liga der Welt galt und "Kaiser Franz" war der Beste der Besten.

Bayern-Einbruch nach Beckenbauer-Wechsel in die USA

Es gibt das Foto mit ihm (1971) vor einer Büste von Kaiser Franz Joseph I. in Wien. Und es gibt die Geschichte aus dem Pokalfinale 1969, in dem Bayern die Schalker 2:1 besiegte. Schalkes Stan Libuda galt als "König von Westfalen", Beckenbauer foulte ihn und blieb ungestraft, die Schalker Fans tobten, weshalb er vor ihren Augen den Ball rund 40 Sekunden jonglierte. "Der Schalker Anhang versuchte, Kaiser Franz von Bayern vom Thron zu stoßen", schrieb die Bild, die ihn schon in der Woche zuvor zum "Kaiser von Bayern" ernannt hatte, weil er zum dritten Mal in Folge notenbester Spieler der Saison geworden war. Verständlich, keiner war souveräner auf dem Platz, obwohl er zuweilen aus der Haut fuhr. Aber er war trotz seines Jähzorns nie gesperrt. Kein Platzverweis in 30 Jahren, dabei "war ich so oft nahe dran." Auch das erstaunt: Franz galt als schier unverwundbar, verpasste in zwölf Bundesligajahren für Bayern München nur zwölf Spiele.

Nach seinem Wechsel zu Cosmos New York brachen seine Bayern förmlich zusammen – zwölfter Platz, monatelanger Abstiegskampf. Der Wechsel in die USA beendete Beckenbauers Länderspielkarriere, obwohl er kurz vor der WM 1978 zu einem Comeback bereit war. Doch Cosmos wiederum war nicht bereit, ihn zu Testspielen freizugeben, und das war dem DFB zu riskant.

"Geht's raus und spielt's Fußball"

Dass er zumindest noch Bundesliganiveau hatte, bewies er später. 1980 kehrte er zurück, Günter Netzer (damals Manager) holte ihn zum HSV. Ende 1979 versuchte er es erstmals. Erste Reaktion: "Günter, willst du mich verarschen?" Netzer ließ nicht locker, rief an und flog auch nach New York. Beckenbauer gab nach und kam mit 35 in die Liga zurück. Vor dem ersten Training war ein Riesenaufruhr am Rothenbaum, 3000 Zuschauer waren eine damals unvorstellbare Zahl. Einer hielt ein Transparent: "Kaiser Franz, hol‘ die Bayern vom Thron!" Im ersten Jahr misslang das. Aber 1982 trat er als Meister ab.

Noch einmal ging er nach New York, im Oktober 1983 hängte er die Schuhe an den Nagel. 424 Bundesligaspiele, 132 Erstligaspiele in der MLS, 76-mal Europapokal und 103 A-Länderspiele. Weltmeister, Europameister, viermaliger Europapokalsieger, Weltpokalsieger, vier DFB-Pokalsiege, achtmal Meister (dreimal in den USA). Er trägt das Bundesverdienstkreuz und ist Ehrenspielführer des DFB. Alles errungen in kurzen Hosen. Aber einen wie ihn ließ der Fußball nicht los.

1984 übernahm er in der Stunde der Not die Nationalmannschaft. Er wollte nur für ein Jahr bleiben, eigentlich hatte er ja nie Trainer werden wollen. Weil er auch nie einer geworden war, ernannte ihn der DFB zum Teamchef und stellte ihm Horst Köppel zur Seite, um dem Protest des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer die Spitze zu brechen. Offiziell war Köppel Bundestrainer, was heute keiner mehr weiß und schon damals keiner beachtete. Novize Beckenbauer, damals 38, machte Anfängerfehler und zahlte Lehrgeld, doch schon bei seiner ersten WM landete er wieder mal im Finale. Sie verloren gegen Argentinien mit 2:3, niemand war ihnen böse. In der Halbzeit des Schottland-Spiels soll erstmals der berühmte Satz gefallen sein, den nur einer wie er sich leisten konnte: "Burschen, geht’s raus und spielt‘s Fußball." Worte eines Praktikers, der alles erlebt hatte und die Skeptiker eindrucksvoll widerlegte.

Weltmeister 1990: Beckenbauer gelingt Historisches

Der Kaiser also blieb im Amt, regierte noch vier Jahre, lernte dazu im Umgang mit Spielern und Medien und profitierte von seiner Aura. Einen wie ihn stürzte man nicht nach einem Halbfinal-Aus bei der Heim-EM 1988 gegen die Niederländer. Das machte sich bezahlt. Die Deutschen zogen 1990 mit ihm über den Brenner, und er bekam noch ein Endspiel gegen Argentinien. Nun gewannen sie, und Beckenbauer trat ab im italienischen Mondschein. Der einsame Wanderer am Mittelkreis – vielleicht das Bild seines Lebens, und kein Fotograf hat es seinerzeit festgehalten. Nun war er Lichtgestalt, und die Historiker stellten fest: Als Spieler und Trainer Weltmeister, das schaffte nur Mario Zagallo. 2018 kam Didier Deschamps hinzu.

Sommermärchen-Affäre um WM 2006

Wieder eine Zäsur, ein Moment des Innehaltens, aber kein Rückzug aus dem Rampenlicht. Nach einem Intermezzo als Technischer Direktor bei Olympique Marseille stieg er bei seinen kriselnden Bayern ein – als Vizepräsident, Präsident, Aufsichtsratsvorsitzender, bis heute Ehrenpräsident. Und zwischendurch sogar wieder Trainer: 1994 und 1996 sprang er in der Rückrunde ein, holte Meisterschaft und UEFA-Pokal. Als ihn der DFB in sein WM-Organisationskomitee holte, fand Beckenbauer, neben all seinen Tätigkeiten für Werbepartner und als Experte fürs Fernsehen, Zeit, um die ganze Welt zu reisen. Am 6. Juli 2000 wurde Deutschland die WM 2006 zugesprochen. Und der Fußball erlebte sein Sommermärchen.

Was er außerdem dazu beigetragen hat, beschäftigte Jahre später die Gerichte und überschattet das Lebenswerk des Kaisers, dessen Schicksal seine vielen Freunde in der Fußballwelt gleichermaßen irritiert wie rührt. Weil ihn im Grunde alle mochten, die ihn näher kannten. Weil er jedem freundlich gegenübertrat und er einer Wies’n-Wirtin schon mal 100 Mark zusteckte aus Respekt vor ihrer harten Arbeit. Weil er mit seiner Stiftung seit Jahrzehnten Gutes tut. Weil er halt der Franz ist.

Welche Rolle spielte Beckenbauer, der einmal bekannte, alles zu unterschreiben, was ihm ein Freund hinlege, nun in der "Sommermärchen-Affäre"? Zur Aufklärung hat er nicht viel beigetragen. Die Frage nach dem Zweck der ominösen 6,7-Millionen-Euro-Leihe bei seinem Freund Robert Louis-Dreyfus schwebt noch immer über ihm und dem DFB.

Endlich Zeit zu lesen

Auch gesundheitlich ging es Beckenbauer schon besser. Er ist ein Mann von nun 75 Jahren, der sich nach etlichen medizinischen Eingriffen über die Endlichkeit des Lebens Gedanken macht. "Man muss den Tod als einen Freund betrachten", sagte er schon, als er noch keinen Bypass hatte.

Zu Hause in Salzburg hat er seinen Horizont erweitert, seit er endlich mehr Zeit hat. "Hermann Hesse, Konfuzius, Schopenhauer, Laotse, Hegel - ich habe alles gelesen", sagt er. "Leider bleibt nur 0,5 Prozent hängen." Aber das kann wirklich nur einen Perfektionisten ärgern.

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Als Teamchef führte Franz Beckenbauer die Nationalmannschaft 1990 zum WM-Titel, den er bereits 1974 als Spieler gewonnen hatte. Deutschland hat vielleicht nie einen besseren Fußballer gehabt. Ihm schien fast alles zu gelingen. Doch seine Rolle in der sogenannten Sommermärchen-Affäre ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Am heutigen Freitag wird Franz Beckenbauer 75 Jahre alt. DFB.de blickt auf seine besondere Karriere als Spieler und Trainer zurück.

Namen trug er viele. "Kaiser" allen voran, "Lichtgestalt" oder, weniger wohlmeinend, "Firle-Franz". Für den kicker war er "das Glückskind, das perfekt sein wollte." Franz Beckenbauer ist auf der ganzen Welt bekannt. Einen eleganteren Fußballer hat Deutschland vor und nach ihm nicht gesehen, und dazu war der Mann, der den Libero zwar nicht erfand, aber hoffähig machte, enorm erfolgreich in fast allem, was er tat.

FC Bayern statt 1860

1945 in den ersten Nachkriegsmonaten geboren, gehörte der Sohn eines Postangestellten zu jener Generation von Straßenfußballern, der der deutsche Fußball seine größten Erfolge verdankt. Die Kinder hatten nichts anderes als Fußbälle oder Lumpen, aus denen sie Bälle machten. Als Tore dienten Kellerfenster, der Gegner war die Bande aus der Nachbarstraße. So wuchs auch Franz Beckenbauer auf, in einfachen Verhältnissen in München-Giesing. Er war erblich vorbelastet, der Onkel gehörte zum Kader der ersten Meistermannschaft des FC Bayern von 1932. Der Vater zahlte ihm die ersten Fußballschuhe, denn das Talent drängte in den Verein. Beim SC München 06 ragte er heraus und als sich dessen Jugend auflöste, stellte sich die Frage: zu den Roten oder den Blauen? Die Blauen des TSV 1860 waren populärer aber Klein-Franz hatte seine Wahl schon getroffen, als ihn die berühmte Watschn eines "Löwen"- Spielers mitten auf dem Platz traf, den Franz allzu genervt hatte mit seiner Brillanz und Lässigkeit. "Zu dem Klub geh‘ ich nicht", sagte er sich und ging 1958 zu den roten Bayern.

Was in den folgenden 19 Jahren geschah, ist längst Vereinsgeschichte, goldumrahmt. Mit 17 durfte er schon in der ersten Mannschaft spielen, er begann seine Karriere als Linksaußen, dann spielte er im Mittelfeld. Jeder seiner Trainer suchte und fand ein Plätzchen für das Supertalent, das drei Jugendländerspiele machte und unter besonderer Aufsicht von DFB-Trainer Dettmar Cramer stand. Denn Franz war schon mit 17 Vater geworden, damals ein Riesenskandal. Zur Jugendnationalmannschaft fuhr er als einziger Roter mit sechs Blauen hin, wie er immer wieder gern erzählt. Aber die große Bayern-Zeit sollte kommen und damit die Wachablösung im Münchner Fußball.

Nach Aufstieg mit Bayern: Platz drei und Pokalsieger

1965 kamen auch die Bayern in die Bundesliga, seitdem sind sie dabei. Die Elf von "Tschik" Cajkovski, die im Aufstiegsjahr 146 Tore erzielt hatte, strotzte nur so vor Selbstvertrauen. Kein normaler Aufsteiger, gewiss nicht. Platz drei auf Anhieb und gleich DFB-Pokalsieger. Und Beckenbauer, der Überflieger, kam schon nach sechs Bundesligaspielen zu seinem Länderspieldebüt beim wichtigen 2:1 in Stockholm, das Deutschland die WM-Fahrkarte sicherte. Starthilfe leistete der große Uwe Seeler, bei dem sich Bundestrainer Helmut Schön Rat holte und erhielt: "Dann nehmen Sie doch den Beckenbauer!" Schön nahm ihn und fand in ihm einen immer loyalen Ansprechpartner. Er wurde sein Kapitän und Libero. In 103 Länderspielen setzte er ihn stets von Beginn an ein, davon 60-mal in Folge (vom 9. September 1970 bis zum 23. Februar 1977) – bis heute DFB-Rekord.

Dass er nicht überheblich sei, teilten nicht alle. Es lag an seiner lässigen Spielweise. Er machte eigentlich keine Fehler und spielte auch in höchster Bedrängnis präzise Pässe mit dem Außenrist. Wo andere den Ball traten, streichelte er ihn. Solchen Zuspielen haftet der Hauch von Arroganz an, man lernt sie nicht in der E-Jugend. Erst kommt die Innenseite, dann der Spannstoß. Das muss genügen für den Normalgebrauch. Wer den Außenrist nimmt, arbeitet Fußball nicht, er zelebriert ihn. Und schaut auf die anderen herab. So das Klischee.

"Sie pfeifen schon, wenn ich auf den Platz komme"

"Bei mir pfeifen sie schon, wenn ich auf den Platz komme. Meine Art auf dem Platz kommt bei einzelnen Bevölkerungsschichten nicht an; ich winke oft auch ab. Dann wirkt das so, als ob ich unzufrieden sei und über meine Kameraden schimpfe oder über die Zuschauer. Dabei schimpfe ich in Wirklichkeit über mich selbst", sagte Beckenbauer einst.

Der junge Beckenbauer polarisierte, ohne Frage. Besonders im Westen waren die Bayern-Stars unbeliebt. In Oberhausen wurde er nach Abpfiff mal mit einer Fahnenstange geschlagen und konnte sich gerade noch in den Bus retten. Es war durchaus auch Neid auf einen, der schon in jungen Jahren Millionär wurde. Dabei nutzte er nur die Chancen, die ihm das Leben bot, ohne zu vergessen, wie es einmal war. Einmal die Woche besuchte er Mutter Antonia, die auch seine Autogrammpost beantwortete und die Karten versandte. Deshalb gab er deren Adresse auch als Autogramm-Anschrift an – und genoss ansonsten die Vorzüge des Ruhms.

Er war der erste Profi, der einen Manager hatte: Robert Schwan, zugleich Bayern-Manager. Eine heikle Konstruktion, die in der Mannschaft kritisch beäugt wurde. Schwan machte seinen Schützling zu einem der ersten Werbestars der Liga. Dann fing Beckenbauer auch noch an zu singen: "Gute Freunde kann niemand trennen", trällerte er 1967 im Mannschaftskreis. Er im Fokus, die anderen als Staffage. Das kann sich nur leisten, wer auf dem Platz voranging. Nun, das tat er.

Dreimaliger Fußballer des Jahres

1966 stand er mit seinen 20 Jahren bereits im legendären WM-Finale von Wembley und wurde zu Deutschlands "Fußballer des Jahres" gewählt, wie noch dreimal (1968, 1974, 1976) und damit so oft wie kein Zweiter. 1967 holten die Bayern ihren ersten Europapokal (der Pokalsieger), 1969 das erste Double. 1970 wurde Beckenbauer mit der Nationalmannschaft bei der WM in Mexiko Dritter und mancher leistete Abbitte, als der vermeintliche Schönspieler gegen Italien mit angeknackster Schulter durchhielt. Das Bild vom Arm, der in der Schlinge hängt, erinnerte eine englische Zeitung an einen "verwundeten, besiegten, aber stolzen preußischen Offizier" (Evening Standard). Es war sein letztes Turnier im Mittelfeld, nach Mexiko bekam er auch im DFB-Team die Rolle, die er sich im Verein längst verdient hatte: die des freien Mannes vor und hinter der Abwehr, des Liberos.

Die glorreichen Bayern der Siebziger brauchten deshalb keinen Spielmacher, es reichte, wenn ihr Abwehrchef gelegentlich nach vorne kam und mit dem "Bomber der Nation", Gerd Müller, die gefürchteten Doppelpässe spielte, gegen die es kein Rezept gab. Da war sie, die von ihm angestrebte Perfektion, die auch die DFB-Auswahl im Frühsommer 1972 streifte, als sie in Brüssel Europameister wurde. Dank der Regisseure Beckenbauer und Günter Netzer, die im Wechsel die Angriffe vorantrieben. Mit Ramba-Zamba-Fußball in ein neues Zeitalter, von "Fußball 2000" schwärmte L’Équipe. Und der Kapitän der angeblich besten deutschen Nationalmannschaft wurde "Europas Fußballer des Jahres", wiederholte das Kunststück 1976. Auch das schaffte bis dahin kein Deutscher, später zog Karl-Heinz Rummenigge (1980 und 1981) nach.

Die Siebziger waren Beckenbauers Jahrzehnt, 1974 sein größtes Jahr. Mit 28 wurde er in München Weltmeister, sechs Wochen nach dem Gewinn des Landesmeisterpokals, auf den die Bayern noch zwei weitere folgen ließen. Meister wurde er auch, perfekt war der erste Hattrick der Bundesligageschichte (1972 bis 1974). Es war die Zeit, als die Bundesliga als die beste Liga der Welt galt und "Kaiser Franz" war der Beste der Besten.

Bayern-Einbruch nach Beckenbauer-Wechsel in die USA

Es gibt das Foto mit ihm (1971) vor einer Büste von Kaiser Franz Joseph I. in Wien. Und es gibt die Geschichte aus dem Pokalfinale 1969, in dem Bayern die Schalker 2:1 besiegte. Schalkes Stan Libuda galt als "König von Westfalen", Beckenbauer foulte ihn und blieb ungestraft, die Schalker Fans tobten, weshalb er vor ihren Augen den Ball rund 40 Sekunden jonglierte. "Der Schalker Anhang versuchte, Kaiser Franz von Bayern vom Thron zu stoßen", schrieb die Bild, die ihn schon in der Woche zuvor zum "Kaiser von Bayern" ernannt hatte, weil er zum dritten Mal in Folge notenbester Spieler der Saison geworden war. Verständlich, keiner war souveräner auf dem Platz, obwohl er zuweilen aus der Haut fuhr. Aber er war trotz seines Jähzorns nie gesperrt. Kein Platzverweis in 30 Jahren, dabei "war ich so oft nahe dran." Auch das erstaunt: Franz galt als schier unverwundbar, verpasste in zwölf Bundesligajahren für Bayern München nur zwölf Spiele.

Nach seinem Wechsel zu Cosmos New York brachen seine Bayern förmlich zusammen – zwölfter Platz, monatelanger Abstiegskampf. Der Wechsel in die USA beendete Beckenbauers Länderspielkarriere, obwohl er kurz vor der WM 1978 zu einem Comeback bereit war. Doch Cosmos wiederum war nicht bereit, ihn zu Testspielen freizugeben, und das war dem DFB zu riskant.

"Geht's raus und spielt's Fußball"

Dass er zumindest noch Bundesliganiveau hatte, bewies er später. 1980 kehrte er zurück, Günter Netzer (damals Manager) holte ihn zum HSV. Ende 1979 versuchte er es erstmals. Erste Reaktion: "Günter, willst du mich verarschen?" Netzer ließ nicht locker, rief an und flog auch nach New York. Beckenbauer gab nach und kam mit 35 in die Liga zurück. Vor dem ersten Training war ein Riesenaufruhr am Rothenbaum, 3000 Zuschauer waren eine damals unvorstellbare Zahl. Einer hielt ein Transparent: "Kaiser Franz, hol‘ die Bayern vom Thron!" Im ersten Jahr misslang das. Aber 1982 trat er als Meister ab.

Noch einmal ging er nach New York, im Oktober 1983 hängte er die Schuhe an den Nagel. 424 Bundesligaspiele, 132 Erstligaspiele in der MLS, 76-mal Europapokal und 103 A-Länderspiele. Weltmeister, Europameister, viermaliger Europapokalsieger, Weltpokalsieger, vier DFB-Pokalsiege, achtmal Meister (dreimal in den USA). Er trägt das Bundesverdienstkreuz und ist Ehrenspielführer des DFB. Alles errungen in kurzen Hosen. Aber einen wie ihn ließ der Fußball nicht los.

1984 übernahm er in der Stunde der Not die Nationalmannschaft. Er wollte nur für ein Jahr bleiben, eigentlich hatte er ja nie Trainer werden wollen. Weil er auch nie einer geworden war, ernannte ihn der DFB zum Teamchef und stellte ihm Horst Köppel zur Seite, um dem Protest des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer die Spitze zu brechen. Offiziell war Köppel Bundestrainer, was heute keiner mehr weiß und schon damals keiner beachtete. Novize Beckenbauer, damals 38, machte Anfängerfehler und zahlte Lehrgeld, doch schon bei seiner ersten WM landete er wieder mal im Finale. Sie verloren gegen Argentinien mit 2:3, niemand war ihnen böse. In der Halbzeit des Schottland-Spiels soll erstmals der berühmte Satz gefallen sein, den nur einer wie er sich leisten konnte: "Burschen, geht’s raus und spielt‘s Fußball." Worte eines Praktikers, der alles erlebt hatte und die Skeptiker eindrucksvoll widerlegte.

Weltmeister 1990: Beckenbauer gelingt Historisches

Der Kaiser also blieb im Amt, regierte noch vier Jahre, lernte dazu im Umgang mit Spielern und Medien und profitierte von seiner Aura. Einen wie ihn stürzte man nicht nach einem Halbfinal-Aus bei der Heim-EM 1988 gegen die Niederländer. Das machte sich bezahlt. Die Deutschen zogen 1990 mit ihm über den Brenner, und er bekam noch ein Endspiel gegen Argentinien. Nun gewannen sie, und Beckenbauer trat ab im italienischen Mondschein. Der einsame Wanderer am Mittelkreis – vielleicht das Bild seines Lebens, und kein Fotograf hat es seinerzeit festgehalten. Nun war er Lichtgestalt, und die Historiker stellten fest: Als Spieler und Trainer Weltmeister, das schaffte nur Mario Zagallo. 2018 kam Didier Deschamps hinzu.

Sommermärchen-Affäre um WM 2006

Wieder eine Zäsur, ein Moment des Innehaltens, aber kein Rückzug aus dem Rampenlicht. Nach einem Intermezzo als Technischer Direktor bei Olympique Marseille stieg er bei seinen kriselnden Bayern ein – als Vizepräsident, Präsident, Aufsichtsratsvorsitzender, bis heute Ehrenpräsident. Und zwischendurch sogar wieder Trainer: 1994 und 1996 sprang er in der Rückrunde ein, holte Meisterschaft und UEFA-Pokal. Als ihn der DFB in sein WM-Organisationskomitee holte, fand Beckenbauer, neben all seinen Tätigkeiten für Werbepartner und als Experte fürs Fernsehen, Zeit, um die ganze Welt zu reisen. Am 6. Juli 2000 wurde Deutschland die WM 2006 zugesprochen. Und der Fußball erlebte sein Sommermärchen.

Was er außerdem dazu beigetragen hat, beschäftigte Jahre später die Gerichte und überschattet das Lebenswerk des Kaisers, dessen Schicksal seine vielen Freunde in der Fußballwelt gleichermaßen irritiert wie rührt. Weil ihn im Grunde alle mochten, die ihn näher kannten. Weil er jedem freundlich gegenübertrat und er einer Wies’n-Wirtin schon mal 100 Mark zusteckte aus Respekt vor ihrer harten Arbeit. Weil er mit seiner Stiftung seit Jahrzehnten Gutes tut. Weil er halt der Franz ist.

Welche Rolle spielte Beckenbauer, der einmal bekannte, alles zu unterschreiben, was ihm ein Freund hinlege, nun in der "Sommermärchen-Affäre"? Zur Aufklärung hat er nicht viel beigetragen. Die Frage nach dem Zweck der ominösen 6,7-Millionen-Euro-Leihe bei seinem Freund Robert Louis-Dreyfus schwebt noch immer über ihm und dem DFB.

Endlich Zeit zu lesen

Auch gesundheitlich ging es Beckenbauer schon besser. Er ist ein Mann von nun 75 Jahren, der sich nach etlichen medizinischen Eingriffen über die Endlichkeit des Lebens Gedanken macht. "Man muss den Tod als einen Freund betrachten", sagte er schon, als er noch keinen Bypass hatte.

Zu Hause in Salzburg hat er seinen Horizont erweitert, seit er endlich mehr Zeit hat. "Hermann Hesse, Konfuzius, Schopenhauer, Laotse, Hegel - ich habe alles gelesen", sagt er. "Leider bleibt nur 0,5 Prozent hängen." Aber das kann wirklich nur einen Perfektionisten ärgern.

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