3:8 gegen Ungarn: Herbergers großer Bluff

Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

20. Juni in Basel - Vorrunde: Deutschland - Ungarn 3:8

Vor dem Spiel: 

Sepp Herberger rechnete sich nur geringe Chancen gegen die seit vier Jahren ungeschlagenen Ungarn aus und schonte einige Leistungsträger. So fanden sich Toni Turek, Fritz Laband, Berni Klodt, Max Morlock, Ottmar Walter und Hans Schäfer auf der Tribüne wieder. Karl Mai blieb in Spiez, er hatte 39,5 Grad Fieber, sonst hätte er gespielt. So musste Horst Eckel doch ran. Fritz Walter sollte auch geschont werden, doch er überredete den "Chef" zu seinem Einsatz und durfte Bruder Ottmar als Mittelstürmer vertreten. Herberger sagt der Mannschaft am Vorabend: "Ihr habt durchaus die Chance, Unentschieden zu spielen. Dann braucht ihr nicht mehr gegen die Türken anzutreten und habt eine achttägige Pause."

Am selben Tag aber stand ein Interview mit Fritz Walter zu lesen, in dem er sagte: "Weil wir normalerweise gegen die Ungarn keine Chance haben, legen wir keinen Wert darauf, um jeden Preis Unentschieden zu spielen…Wenn sich herausstellen sollte, daß wir ihnen nicht gewachsen sind, werden wir nicht auf Biegen und Brechen kämpfen." Eine Niederlage war also einkalkuliert, der "Chef" informierte DFB-Vize Hans Huber darüber schon in einem Brief am 20. April 1954. Alle Konzentration galt dem wahrscheinlichen Entscheidungsspiel - erneut gegen die Türkei. Dafür kamen Heinrich Kwiatkowski, Paul Mebus, Richard Herrmann und Alfred Pfaff zu ihrem einzigen Turniereinsatz. Auch Hans Bauer, Werner Liebrich (als Mittelläufer) und Rahn debütierten.

Die Aufstellung stand schon am Spieltag in einer westdeutschen Zeitung, weshalb Herberger ungehalten war und den Maulwurf (vergeblich) suchte. Die Spieler waren für damalige Verhältnisse optimal auf den Gegner vorbereitet, zeigte Herberger ihnen doch schon am 28. Mai in der Sportschule Grünwald das Spiel zwischen England und Ungarn vom November 1953 (3:6) in voller Länge. Auch wegen dieses historischen ersten Sieges einer Kontinentalmannschaft in Wembley galten die Ungarn als haushoher Favorit. "Einer 7:1-Niederlage bräuchten wir uns nicht zu schämen", schrieb der Kicker. Südkorea hatten sie 9:0 schließlich abgefertigt.

Wesentlich optimistischer waren die deutschen Fans, die in Sonderzügen nach Basel anreisten und gut die Hälfte der rund 60.000 Zuschauer im offiziell mit 51.844 Plätzen ausverkauften St. Jakob-Stadion ausmachten. Viele übernachten in ihren Autos, Basel ist ausgebucht. Herberger erinnerte sich später: "Alle waren in der frohen Erwartung, von unserer Mannschaft ein großes Spiel zu sehen. Von allen Seiten und in allen Dialekten unserer Sprache drangen mir ermunternde Zurufe in die Ohren. ‚Seppl, wir packen sie!‘ Auch an ermunternden Klapsen und Schlägen auf den Rücken hat es dabei nicht gefehlt. Ich kam mir vor wie beim Spießrutenlaufen. Ach Gott, wenn die alle von meiner Aufstellung wüssten…"



Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

20. Juni in Basel - Vorrunde: Deutschland - Ungarn 3:8

Vor dem Spiel: 

Sepp Herberger rechnete sich nur geringe Chancen gegen die seit vier Jahren ungeschlagenen Ungarn aus und schonte einige Leistungsträger. So fanden sich Toni Turek, Fritz Laband, Berni Klodt, Max Morlock, Ottmar Walter und Hans Schäfer auf der Tribüne wieder. Karl Mai blieb in Spiez, er hatte 39,5 Grad Fieber, sonst hätte er gespielt. So musste Horst Eckel doch ran. Fritz Walter sollte auch geschont werden, doch er überredete den "Chef" zu seinem Einsatz und durfte Bruder Ottmar als Mittelstürmer vertreten. Herberger sagt der Mannschaft am Vorabend: "Ihr habt durchaus die Chance, Unentschieden zu spielen. Dann braucht ihr nicht mehr gegen die Türken anzutreten und habt eine achttägige Pause."

Am selben Tag aber stand ein Interview mit Fritz Walter zu lesen, in dem er sagte: "Weil wir normalerweise gegen die Ungarn keine Chance haben, legen wir keinen Wert darauf, um jeden Preis Unentschieden zu spielen…Wenn sich herausstellen sollte, daß wir ihnen nicht gewachsen sind, werden wir nicht auf Biegen und Brechen kämpfen." Eine Niederlage war also einkalkuliert, der "Chef" informierte DFB-Vize Hans Huber darüber schon in einem Brief am 20. April 1954. Alle Konzentration galt dem wahrscheinlichen Entscheidungsspiel - erneut gegen die Türkei. Dafür kamen Heinrich Kwiatkowski, Paul Mebus, Richard Herrmann und Alfred Pfaff zu ihrem einzigen Turniereinsatz. Auch Hans Bauer, Werner Liebrich (als Mittelläufer) und Rahn debütierten.

Die Aufstellung stand schon am Spieltag in einer westdeutschen Zeitung, weshalb Herberger ungehalten war und den Maulwurf (vergeblich) suchte. Die Spieler waren für damalige Verhältnisse optimal auf den Gegner vorbereitet, zeigte Herberger ihnen doch schon am 28. Mai in der Sportschule Grünwald das Spiel zwischen England und Ungarn vom November 1953 (3:6) in voller Länge. Auch wegen dieses historischen ersten Sieges einer Kontinentalmannschaft in Wembley galten die Ungarn als haushoher Favorit. "Einer 7:1-Niederlage bräuchten wir uns nicht zu schämen", schrieb der Kicker. Südkorea hatten sie 9:0 schließlich abgefertigt.

Wesentlich optimistischer waren die deutschen Fans, die in Sonderzügen nach Basel anreisten und gut die Hälfte der rund 60.000 Zuschauer im offiziell mit 51.844 Plätzen ausverkauften St. Jakob-Stadion ausmachten. Viele übernachten in ihren Autos, Basel ist ausgebucht. Herberger erinnerte sich später: "Alle waren in der frohen Erwartung, von unserer Mannschaft ein großes Spiel zu sehen. Von allen Seiten und in allen Dialekten unserer Sprache drangen mir ermunternde Zurufe in die Ohren. ‚Seppl, wir packen sie!‘ Auch an ermunternden Klapsen und Schlägen auf den Rücken hat es dabei nicht gefehlt. Ich kam mir vor wie beim Spießrutenlaufen. Ach Gott, wenn die alle von meiner Aufstellung wüssten…"

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Das Spiel:

Diesmal ist das Fernsehen dabei, der einzige deutsche Sender überträgt live ab 16.45 Uhr, fünf Minuten später wird angepfiffen. Vorher pfeifen indes die deutschen Zuschauer, als die Aufstellung verlesen wird, nur für Fritz Walter und Jupp Posipal, der nun Verteidiger spielt, gibt es Beifall. WELT-Redakteur Dr. Joachim Besser kann sie verstehen: "Sie waren gekommen, um die beste deutsche National-Elf zu sehen, und mussten enttäuscht heimkehren. Ist das noch Sport, wenn man die Menschen aus taktischer Überlegung an der Nase herumführt?"

Am Nasenring wird auch die deutsche Mannschaft über den Parcours geführt. Zwar hat Helmut Rahn die erste Chance, aber wieder geraten sie nach drei Minuten in Rückstand. Nach einer Ecke behindern sich Kwiatkowski und Bauer gegenseitig, der Dortmunder Torwart lässt den Ball fallen, Kocsis bedankt sich. Diesmal gibt es keine Wende, nach 25 Minuten steht es schon 3:0. Pfaff, dem zuvor ein Tor wegen Abseits aberkannt worden ist, verkürzt, als auch den Ungarn ein Missverständnis (zwischen Grosics und Zakarias) unterläuft. Die Kombinationsmaschine der Ungarn bremst das nicht, auch wenn sie sich mit weiteren Toren bis nach der Pause Zeit lassen. Schiedsrichter Ling pfeift zu früh ab, der Kicker rät ihm, "er möge sich doch einmal eine richtiggehende Stoppuhr kaufen. Er ist doch jetzt im Uhrenland Schweiz!"

Überraschend: Weil die Deutschen streckenweise gut mithalten, bekommen sie "Beifall auf offener Szene" (Kicker), ebenso bei der Rückkehr auf den Platz. Doch ein Doppelschlag von Hidegkuti beseitigt die letzten Zweifel, Kwiatkowski gibt nicht immer eine glückliche Figur ab, fühlt sich wie in einer Schießbude. Auch als Liebrich Puskas zum dritten Mal hart attackiert und den "Major" zum Ausscheiden zwingt (62./Bänderdehnung am Knöchel), ändern sich die Kräfteverhältnisse nicht. Puskas beklagt sich hinterher: "Warum muss Liebrich so derb dreinfahren. Das kann ich bei einem 2:2 verstehen, aber nicht beim Stand von 5:1."

Allerdings humpelt Mebus auch nur noch herum, als Gegenspieler fällt er aus. In Unterzahl erhöhen Kocsis und Toth auf 7:1, ehe Rahn Grosics ausspielt und mit einem linken Lupfer ein echtes Glanzlicht setzt, das niemanden mehr versöhnen kann. Auf den vierten Treffer von Kocsis, den Mebus zu keiner Zeit in den Griff bekommt, lässt der zweite Frankfurter auf dem Feld, Richard Herrmann (FSV) nach einem gelungen Dribbling gegen Gyula Lorant das 8:3 folgen.

Mit einem Eishockey-Ergebnis endet das zweite deutsche Spiel in der Schweiz, es ist das torreichste der DFB-Historie bei einer WM. Es ist auch die höchste Pflichtspielniederlage und das Spiel mit den zweitmeisten Gegentoren (nach einem 0:9 in England 1909). Walter und Liebrich erkundigen sich in der ungarischen Kabine nach Puskas und bedauern seine Verletzung. Herberger beginnt schon bei der Abfahrt des Mannschaftsbusses mit der psychologischen Aufbauarbeit und flüstert jedem, den er für das Entscheidungsspiel vorgesehen hat, ins Ohr: "Am Mittwoch! Am Mittwoch!" Auf der dreieinhalbstündigen Rückfahrt fordert er ein Lied von den geknickten Verlierern ein - und bekommt es.

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Aufstellung: Kwiatkowski - Bauer, Kohlmeyer - Posipal, Liebrich, Mebus - Eckel, Pfaff - Rahn, F. Walter, Herrmann.

Tore: 1:0 Kocsis (3.), 2:0 Puskas (17.), 3:0 Kocsis (21.), 3:1 Pfaff (25.), 4:1, 5:1 Hidegkuti (50., 55.), 6:1 Kocsis (68.), 7:1 J. Toth (75.), 7:2 Rahn (77.), 8:2 Kocsis (78.), 8:3 Herrmann (84.).

Zuschauer: 55.531

Stimmen zum Spiel:

Sepp Herberger: "Und wenn mich alle Kritikaster steinigen: Die aufgestellte Mannschaft hat die ihr übertragene Aufgabe so gelöst, wie es nach Lage der Dinge, das heißt bei der einmaligen Extraklasse der ungarischen Ballartisten und bei dem durch den Austragungsmodus vorgezeichneten Weg, doch noch einmal gegen die Türken antreten zu müssen, überhaupt möglich war... Was mir nahe ging, war die auch in der Höhe katastrophale Niederlage, die zu schlucken uns allen sicherlich schwer fallen wird."

Peco Bauwens (DFB-Präsident): "Man sollte der Mannschaft keinen Vorwurf machen. Sie hat sich alle Mühe gegeben, aber diesem Gegner war nicht beizukommen. Die deutsche Elf wird es gegen die Türkei wiedergutmachen."

Richard Herrmann: "Man hatte es immer mit zwei Gegnern zu tun. Es war mit einem Wort: grausam!"

Heinrich Kwiatkowski: "Einen solchen Länderspielstart hätte ich mir nie träumen lassen. Was sollte ich aber machen?"

Gustav Sebes (Trainer der Ungarn): "Die Deutschen machte einen riesigen Fehler. Wie konnten sie bei dieser Hitze das Tempo forcieren? Mit diesem schnellen Tempo taten sie uns den größten Gefallen."

Josef Boszik (Ungarn): Wir haben uns das Spiel gegen die deutsche Mannschaft schwerer vorgestellt. Aber die Fehler, die unserer Abwehr heute unterliefen, dürfen in den nächsten Spielen nicht vorkommen."

Sandor Kocsis (Ungarn): "Es gab nur wenige gute Spieler in der deutschen Elf."

"Noch nie hat man eine Nationalmannschaft so hilflos agieren gesehen wie diese, noch nie sind wir auch in so einer schwachen Besetzung in einen so großen Kampf gegangen…Für 60.000 Zuschauer, von denen 30.000 Deutsche waren, war dieses Spiel ein Betrug." (Die Welt)

"Schwerster Schlag für Deutschlands Fußball - 3:8. Gegen diese Ungarn-Elf ist kein Kraut gewachsen." (Bild)

"Auch mit Laband, Schäfer, Mai, Ottmar, Klodt, Morlock, Turek oder Kubsch wären wir heute einer Niederlage schwerlich entgangen. Vielleicht wäre sie gnädiger ausgefallen." (Kicker)

"Die ungarische Mannschaft hat bei großer Überlegenheit, besonders in der zweiten Halbzeit eine glänzende Leistung gezeigt und ihrem Ruhm entsprechend gespielt." (Nepsport/Budapest)

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