1954: Der Anfang des Wunders von Bern

Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

17. Juni in Bern - Vorrunde: Deutschland – Türkei 4:1

Vor dem Spiel:

Ungeschlagen war die Herberger-Elf durch die Qualifikation gekommen (Gegner Norwegen und das Saarland), doch niemand zählte sie zu den Favoriten. Sie war international ein unbeschriebenes Blatt. Als Kriegsschuldiger durfte Deutschland nach 1945 zunächst weder an WM-Turnieren noch an Olympia teilnehmen und war auch kein FIFA-Mitglied. 1949 gründete sich der DFB neu. Erst seit Ende 1950 gab es wieder Länderspiele, die WM in Uruguay lief noch ohne deutsche Beteiligung ab. Die Endrunde 1954 war für alle Spieler die erste WM, im Schnitt hatten sie die Erfahrung von 6,7 Länderspielen. "Hoffen wir auf ein Wunder!", titelte der kicker vor der Abreise und meinte damit lediglich das Überstehen der Vorrunde. Herberger setzte vor allem auf den Block von Vize-Meister Kaiserslautern, von dem vier in der ersten Elf standen – nur Werner Liebrich musste noch warten. Von Meister Hannover 96 war niemand dabei. Kurz vor der Abreise fiel der Stuttgarter Verteidiger Erich Retter aus, der fest eingeplant war. In der Torwartfrage entschied er sich erst im letzten Moment für den Düsseldorfer Toni Turek, obwohl Kwiatkowski "offenbar der stärkste der drei in Spiez weilenden Tormänner" sei. Doch Turek habe die besten Nerven. Am 11. Juni traf die 29-köpfige Delegation in der Schweiz ein, man nahm den Zug von Karlsruhe bis Basel und von dort einen grünen VW-Bus. Das Ziel war das Hotel Belvedere in Spiez. Nach drei Trainingstagen am Thuner See stand die Elf endgültig. Fritz Laband (HSV) vertrat Retter, obwohl er erst ein Länderspiel hatte. Aber für ihn sprach, in Stopper Jupp Posipal auf einen Vereinskameraden neben sich zu wissen. Auf Rechtsaußen erhielt der Schalker Berni Klodt den Vorzug vor dem Essener Helmut Rahn, kurioserweise gab das Wetter den Ausschlag. Wäre es allzu diesig gewesen, hätte der schlechter sehende Klodt Rahn den Vorzug lassen müssen. Aber über Bern schien die Sonne.

Das merkwürdige Reglement sah vor, dass es innerhalb einer Vierergruppe zwei gesetzte und zwei ungesetzte Teams gab und dass die Gesetzten nur gegen die Ungesetzten spielten. So gingen sich die Ungarn und die Türkei aus dem Weg, Deutschland bekam es nicht mit Fußballexot Südkorea zu tun. Um weiter kommen zu können, mussten die Türken unbedingt geschlagen werden. Wobei es dann noch eines Entscheidungsspiels gegen sie bedurfte, sollten die anderen Spiele "normal" verlaufen, sprich die Türken Südkorea und die Ungarn die Deutschen schlagen. Bei Punktgleichheit würde das Torverhältnis keine Rolle spielen. Herberger teilt die Aufstellung vor dem Mittagessen mit - wie immer gibt es am Spieltag Hähnchen. Er bestimmt auch den Elfmeterschützen (Fritz Walter), die Eckballschützen (Fritz Walter von links, Berni Klodt von rechts) und die Ersatztorhüter (Ottmar Walter bei Führung oder Remis, Werner Kohlmeyer bei Rückstand). An alles ist gedacht. Die Marschroute: "Ihr dürft euch in der ersten Viertelstunde auf keinen Fall überrumpeln lassen. Versucht, möglichst bald ein Tor zu machen." So zitiert Fritz Walter in seinem WM-Buch "3:2" den Chef.

Gegen die Türken, die in der Qualifikation überraschend Spanien ausgeschaltet hatten, wenn auch letztlich per Losentscheid, hatte es erst zwei Spiele gegeben: ein 2:0 in Istanbul und ein 1:2 in Berlin – beides im Jahre 1951. Hans Schäfer: "Diesmal werden wir sie nicht unterschätzten." Ihre Stärke: die Defensive und das Konterspiel, dem schon die feldüberlegenen Spanier zum Opfer fielen. Es wurde beobachtet, dass sie "täglich eine Stunde scharf mit Ball" trainieren würden. Für den kicker haben sie nur drei Spieler von internationaler Klasse, allen voran "Wunderstürmer" Suat.

Spielbericht:

Ein Donnerstag und doch kein Werktag ist dieser 17. Juni. Zum einen weil erstmals in Gedenken an den Arbeiteraufstand in der DDR 1953 „Tag der Deutschen Einheit“ ist, zudem fällt er auf Fronleichnam. Da bietet sich ein verlängertes Wochenende und so kommen 20.000 Deutsche mit nach Bern. Anpfiff ist um 18 Uhr. Vorher muss ein Los gezogen werden. Da beide am liebsten in weißen Trikots spielen, muss einer verzichten. DFB-Präsident Peco Bauwens hat ein glückliches Händchen und lässt sich dafür in der Kabine feiern. Fußballer sind eben abergläubisch.

Die Deutschen gewinnen auch die Seitenwahl. Fritz Walter wünscht Kapitänskollege Turgay ein freundliches "Hals- und Beinbruch", ehe er sich fragt, ob der das wohl verstehe. Turgay antwortet lächelnd auf Französisch mit "bonne chance". Und Anpfiff! Gleich der erste Ball ist drin, schlechter kann das Turnier für die Deutschen beginnen. Suat schießt "ein varietereifes Prachttor", spielt Kohlmeyer aus, tunnelt Posipal, überrascht Turek mit einem Roller. Das 0:1 nach 160 Sekunden ist der bis dahin schnellste WM-Treffer überhaupt und nimmt "den Spielern jede Illusion, sich unnötigerweise als Favorit zu fühlen“ (kicker). Fritz Walter fasst sich als erster und zwingt Turgay zu einer Glanzparade (7.). Hans Schäfer sorgt schon nach 13 Minuten für den Ausgleich, Fritz Walter hat ihn mit einem Volleypass in die Gasse geschickt, die die Türken nicht mehr abgeriegelt bekommen. "Brausender Beifall belohnt diese großartige Kombinationsleistung", registriert das Sport Magazin. Mehr Tore fallen nicht, jedenfalls keine gültigen. Ottmar Walters Jubel wird vom Abseitspfiff jäh unterbrochen (40.) – und Max Morlock köpft den Ball nach Klodts Flanke an die Latte. Da auch Turek keine weiteren Schwächen mehr zeigt, geht es mit 1:1 in die Kabinen. In der Halbzeit trinken sie Tee und kauen Zitronenscheibchen, während Deuser Oberschenkel einreibt und Zeugwart Dassler die Stollen kontrolliert. Herberger verlangt vom Sturm schlicht ein Tor und mahnt die Abwehr, insbesondere Posipal zu mehr Konzentration.

Ab der zweiten Halbzeit ist das Radio (Südwestfunk) live dabei. Sprecher Rudi Michel meldet der Heimat Tore, Tore, Tore – und den ersten Sieg in der Schweiz. Denn die zweite Hälfte gehört eindeutig den Deutschen. Turek muss nur noch einen Ball halten, nach einem Schuss von Lefter (58.). Da steht es schon 2:1. Das Tor schießt der einzige Mann, den die Experten nicht unbedingt in der Elf erwartet haben: Schalkes Rechtsaußen Berni Klodt. Er stürmt nach einem schönen Zuspiel von Ottmar Walter allein auf Turgay zu und vollstreckt flach. Der kicker-Reporter fragt: "Wird Berni Klodt je diese vorentscheidende 52. Minute in Bern vergessen? Seinen begeisternden Spurt, zwei verzweifelte Türken im Schlepptau?" Schon acht Minuten später die Vorentscheidung: Fritz Walter auf Morlock, dessen Linksflanke erreicht Turgay nicht, auch Schäfer ist sie zu hoch, aber Ottmar Walters Kopf kommt heran – 3:1! "Wie ein Kinderspiel sah das Ganze aus." Nun bedankt sich Ottmar bei Morlock und legt ihm von links das 4:1 auf (84.), belohnt ihn spontan mit einem Küsschen. Da lässt sich die blutende Platzwunde des Nürnbergers gleich viel leichter verschmerzen. Das 4:1 ist aufgrund der Steigerung nach der Pause verdient. Es hätte noch besser kommen können, aber Morlock wird ein Elfmeter verweigert (55.) und Fritz Walter schiebt einen Ball zu leicht auf das leerstehende Tor, so dass der zurückeilende Turgay ihn noch fängt (72.). Gute Kritiken bekommen insbesondere Laband, der an allen Treffern beteiligte Kapitän Fritz Walter und der rechte Flügel (Morlock/Klodt). Schwach werden Turek, Eckel und überraschend Weltauswahlspieler Posipal bewertet. Er "schien von der ersten Minute wie von einem bösen Traum verfolgt. Er war gar nicht wie Posipal", findet der kicker. Posipal macht Masseur Deuser nach dem Spiel die meiste Arbeit, nach einem Zusammenprall mit Turek nach einer Stunde muss er sich drei Minuten behandeln lassen, kommt aber wieder. Hans Schäfer scheidet dagegen in der 88. Minute leicht verletzt aus. An diesem Tag spielt das keine Rolle.

Aufstellung: Turek – Laband, Kohlmeyer – Eckel, Posipal, Mai – Morlock, F. Walter – Klodt, O. Walter, Schäfer.

Tore: 0:1 Suat (2.), 1:1 Schäfer (14.), 2:1 Klodt (52.), 3:1 O. Walter (60.), 4:1 Morlock (84.).

Zuschauer: 24.458

Stimmen zum Spiel:

Peco Bauwens (DFB-Präsident): "Eine Schwalbe macht auch bei einem Weltmeisterschaftsturnier noch keinen Sommer."

Yenal Ulvi (türkischer Verbandspräsident): "Die Deutschen, die wir in Berlin 1951 schlugen, waren viel stärker als die von heute."

Sepp Herberger: "Das Tor brauchte absolut nicht zu fallen. Weder in der Entwicklung noch in der Vollendung. Aber dann ging durch die gesamte Mannschaft ein spürbarer Ruck. Als Fritz Walters erste haargenauen Vorlagen die Nebenspieler erreichten und wir mit Schnellpässen Unordnung in die Aktionen der hart an den Mann gehenden türkischen Abwehrspielern brachten, sah ich wieder hoffnungsvoller voraus."

Berni Klodt: "Ich freute mich, Maxl Morlocks Maßvorlage in unaufhaltsamem Durchmarsch zum Führungstor verwandeln zu können. Aber noch froher wäre ich gewesen, wenn Fritz Walter einen Treffer erzielt hätte. Wie sehr hat doch die gesamte Mannschaft von seiner Strategie im Mittelfeld und millimetergenau kommenden Pässen profitiert."

Derselbe (in der Kabine): "Wenn wir Weltmeister werden, springe ich mit den Kleidern kopfüber in den Thuner See."

"Wir gratulieren der deutschen Elf: In ihren brillanten Zügen hielten sie jeden Vergleich mit den vielbeklatschten Glanzeinlagen der Südamerikaner aus." (Sport Magazin)

"Die deutsche Mannschaft imponierte (und beruhigte) vor allem durch ihre kämpferische Frische und taktische Klugheit." (kicker)

"Dieser große Gegner wurde zermürbt von der deutschen Kondition, niedergehalten im Strudel der Kombinationen." (Fußball Woche)

"Das kam modernem Fußball schon sehr nahe" (Neue Fußballwoche/ DDR)

"Die türkische Mannschaft spielte unerwartet schlecht. Die Deutschen dagegen spielten einen äußerst disziplinierten und durchdachten Fußball, eine Spielweise, die mit der unseren nicht zu vergleichen war. Das Spiel wurde von einer harten Gangart geprägt, bei der sich die deutsche Mannschaft besonders hervortat."(Turkiye Sport)

"Unser Führungstor durch Suat hielt nur zehn Minuten, danach drehte sich das Spiel. Deutschland war uns eindeutig überlegen." (Hürriyet)

"Die deutsche Mannschaft durfte ihrem Sturm danken, der von großer Klasse war" (L’Equipe/Frankreich)

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Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

17. Juni in Bern - Vorrunde: Deutschland – Türkei 4:1

Vor dem Spiel:

Ungeschlagen war die Herberger-Elf durch die Qualifikation gekommen (Gegner Norwegen und das Saarland), doch niemand zählte sie zu den Favoriten. Sie war international ein unbeschriebenes Blatt. Als Kriegsschuldiger durfte Deutschland nach 1945 zunächst weder an WM-Turnieren noch an Olympia teilnehmen und war auch kein FIFA-Mitglied. 1949 gründete sich der DFB neu. Erst seit Ende 1950 gab es wieder Länderspiele, die WM in Uruguay lief noch ohne deutsche Beteiligung ab. Die Endrunde 1954 war für alle Spieler die erste WM, im Schnitt hatten sie die Erfahrung von 6,7 Länderspielen. "Hoffen wir auf ein Wunder!", titelte der kicker vor der Abreise und meinte damit lediglich das Überstehen der Vorrunde. Herberger setzte vor allem auf den Block von Vize-Meister Kaiserslautern, von dem vier in der ersten Elf standen – nur Werner Liebrich musste noch warten. Von Meister Hannover 96 war niemand dabei. Kurz vor der Abreise fiel der Stuttgarter Verteidiger Erich Retter aus, der fest eingeplant war. In der Torwartfrage entschied er sich erst im letzten Moment für den Düsseldorfer Toni Turek, obwohl Kwiatkowski "offenbar der stärkste der drei in Spiez weilenden Tormänner" sei. Doch Turek habe die besten Nerven. Am 11. Juni traf die 29-köpfige Delegation in der Schweiz ein, man nahm den Zug von Karlsruhe bis Basel und von dort einen grünen VW-Bus. Das Ziel war das Hotel Belvedere in Spiez. Nach drei Trainingstagen am Thuner See stand die Elf endgültig. Fritz Laband (HSV) vertrat Retter, obwohl er erst ein Länderspiel hatte. Aber für ihn sprach, in Stopper Jupp Posipal auf einen Vereinskameraden neben sich zu wissen. Auf Rechtsaußen erhielt der Schalker Berni Klodt den Vorzug vor dem Essener Helmut Rahn, kurioserweise gab das Wetter den Ausschlag. Wäre es allzu diesig gewesen, hätte der schlechter sehende Klodt Rahn den Vorzug lassen müssen. Aber über Bern schien die Sonne.

Das merkwürdige Reglement sah vor, dass es innerhalb einer Vierergruppe zwei gesetzte und zwei ungesetzte Teams gab und dass die Gesetzten nur gegen die Ungesetzten spielten. So gingen sich die Ungarn und die Türkei aus dem Weg, Deutschland bekam es nicht mit Fußballexot Südkorea zu tun. Um weiter kommen zu können, mussten die Türken unbedingt geschlagen werden. Wobei es dann noch eines Entscheidungsspiels gegen sie bedurfte, sollten die anderen Spiele "normal" verlaufen, sprich die Türken Südkorea und die Ungarn die Deutschen schlagen. Bei Punktgleichheit würde das Torverhältnis keine Rolle spielen. Herberger teilt die Aufstellung vor dem Mittagessen mit - wie immer gibt es am Spieltag Hähnchen. Er bestimmt auch den Elfmeterschützen (Fritz Walter), die Eckballschützen (Fritz Walter von links, Berni Klodt von rechts) und die Ersatztorhüter (Ottmar Walter bei Führung oder Remis, Werner Kohlmeyer bei Rückstand). An alles ist gedacht. Die Marschroute: "Ihr dürft euch in der ersten Viertelstunde auf keinen Fall überrumpeln lassen. Versucht, möglichst bald ein Tor zu machen." So zitiert Fritz Walter in seinem WM-Buch "3:2" den Chef.

Gegen die Türken, die in der Qualifikation überraschend Spanien ausgeschaltet hatten, wenn auch letztlich per Losentscheid, hatte es erst zwei Spiele gegeben: ein 2:0 in Istanbul und ein 1:2 in Berlin – beides im Jahre 1951. Hans Schäfer: "Diesmal werden wir sie nicht unterschätzten." Ihre Stärke: die Defensive und das Konterspiel, dem schon die feldüberlegenen Spanier zum Opfer fielen. Es wurde beobachtet, dass sie "täglich eine Stunde scharf mit Ball" trainieren würden. Für den kicker haben sie nur drei Spieler von internationaler Klasse, allen voran "Wunderstürmer" Suat.

Spielbericht:

Ein Donnerstag und doch kein Werktag ist dieser 17. Juni. Zum einen weil erstmals in Gedenken an den Arbeiteraufstand in der DDR 1953 „Tag der Deutschen Einheit“ ist, zudem fällt er auf Fronleichnam. Da bietet sich ein verlängertes Wochenende und so kommen 20.000 Deutsche mit nach Bern. Anpfiff ist um 18 Uhr. Vorher muss ein Los gezogen werden. Da beide am liebsten in weißen Trikots spielen, muss einer verzichten. DFB-Präsident Peco Bauwens hat ein glückliches Händchen und lässt sich dafür in der Kabine feiern. Fußballer sind eben abergläubisch.

Die Deutschen gewinnen auch die Seitenwahl. Fritz Walter wünscht Kapitänskollege Turgay ein freundliches "Hals- und Beinbruch", ehe er sich fragt, ob der das wohl verstehe. Turgay antwortet lächelnd auf Französisch mit "bonne chance". Und Anpfiff! Gleich der erste Ball ist drin, schlechter kann das Turnier für die Deutschen beginnen. Suat schießt "ein varietereifes Prachttor", spielt Kohlmeyer aus, tunnelt Posipal, überrascht Turek mit einem Roller. Das 0:1 nach 160 Sekunden ist der bis dahin schnellste WM-Treffer überhaupt und nimmt "den Spielern jede Illusion, sich unnötigerweise als Favorit zu fühlen“ (kicker). Fritz Walter fasst sich als erster und zwingt Turgay zu einer Glanzparade (7.). Hans Schäfer sorgt schon nach 13 Minuten für den Ausgleich, Fritz Walter hat ihn mit einem Volleypass in die Gasse geschickt, die die Türken nicht mehr abgeriegelt bekommen. "Brausender Beifall belohnt diese großartige Kombinationsleistung", registriert das Sport Magazin. Mehr Tore fallen nicht, jedenfalls keine gültigen. Ottmar Walters Jubel wird vom Abseitspfiff jäh unterbrochen (40.) – und Max Morlock köpft den Ball nach Klodts Flanke an die Latte. Da auch Turek keine weiteren Schwächen mehr zeigt, geht es mit 1:1 in die Kabinen. In der Halbzeit trinken sie Tee und kauen Zitronenscheibchen, während Deuser Oberschenkel einreibt und Zeugwart Dassler die Stollen kontrolliert. Herberger verlangt vom Sturm schlicht ein Tor und mahnt die Abwehr, insbesondere Posipal zu mehr Konzentration.

Ab der zweiten Halbzeit ist das Radio (Südwestfunk) live dabei. Sprecher Rudi Michel meldet der Heimat Tore, Tore, Tore – und den ersten Sieg in der Schweiz. Denn die zweite Hälfte gehört eindeutig den Deutschen. Turek muss nur noch einen Ball halten, nach einem Schuss von Lefter (58.). Da steht es schon 2:1. Das Tor schießt der einzige Mann, den die Experten nicht unbedingt in der Elf erwartet haben: Schalkes Rechtsaußen Berni Klodt. Er stürmt nach einem schönen Zuspiel von Ottmar Walter allein auf Turgay zu und vollstreckt flach. Der kicker-Reporter fragt: "Wird Berni Klodt je diese vorentscheidende 52. Minute in Bern vergessen? Seinen begeisternden Spurt, zwei verzweifelte Türken im Schlepptau?" Schon acht Minuten später die Vorentscheidung: Fritz Walter auf Morlock, dessen Linksflanke erreicht Turgay nicht, auch Schäfer ist sie zu hoch, aber Ottmar Walters Kopf kommt heran – 3:1! "Wie ein Kinderspiel sah das Ganze aus." Nun bedankt sich Ottmar bei Morlock und legt ihm von links das 4:1 auf (84.), belohnt ihn spontan mit einem Küsschen. Da lässt sich die blutende Platzwunde des Nürnbergers gleich viel leichter verschmerzen. Das 4:1 ist aufgrund der Steigerung nach der Pause verdient. Es hätte noch besser kommen können, aber Morlock wird ein Elfmeter verweigert (55.) und Fritz Walter schiebt einen Ball zu leicht auf das leerstehende Tor, so dass der zurückeilende Turgay ihn noch fängt (72.). Gute Kritiken bekommen insbesondere Laband, der an allen Treffern beteiligte Kapitän Fritz Walter und der rechte Flügel (Morlock/Klodt). Schwach werden Turek, Eckel und überraschend Weltauswahlspieler Posipal bewertet. Er "schien von der ersten Minute wie von einem bösen Traum verfolgt. Er war gar nicht wie Posipal", findet der kicker. Posipal macht Masseur Deuser nach dem Spiel die meiste Arbeit, nach einem Zusammenprall mit Turek nach einer Stunde muss er sich drei Minuten behandeln lassen, kommt aber wieder. Hans Schäfer scheidet dagegen in der 88. Minute leicht verletzt aus. An diesem Tag spielt das keine Rolle.

Aufstellung: Turek – Laband, Kohlmeyer – Eckel, Posipal, Mai – Morlock, F. Walter – Klodt, O. Walter, Schäfer.

Tore: 0:1 Suat (2.), 1:1 Schäfer (14.), 2:1 Klodt (52.), 3:1 O. Walter (60.), 4:1 Morlock (84.).

Zuschauer: 24.458

Stimmen zum Spiel:

Peco Bauwens (DFB-Präsident): "Eine Schwalbe macht auch bei einem Weltmeisterschaftsturnier noch keinen Sommer."

Yenal Ulvi (türkischer Verbandspräsident): "Die Deutschen, die wir in Berlin 1951 schlugen, waren viel stärker als die von heute."

Sepp Herberger: "Das Tor brauchte absolut nicht zu fallen. Weder in der Entwicklung noch in der Vollendung. Aber dann ging durch die gesamte Mannschaft ein spürbarer Ruck. Als Fritz Walters erste haargenauen Vorlagen die Nebenspieler erreichten und wir mit Schnellpässen Unordnung in die Aktionen der hart an den Mann gehenden türkischen Abwehrspielern brachten, sah ich wieder hoffnungsvoller voraus."

Berni Klodt: "Ich freute mich, Maxl Morlocks Maßvorlage in unaufhaltsamem Durchmarsch zum Führungstor verwandeln zu können. Aber noch froher wäre ich gewesen, wenn Fritz Walter einen Treffer erzielt hätte. Wie sehr hat doch die gesamte Mannschaft von seiner Strategie im Mittelfeld und millimetergenau kommenden Pässen profitiert."

Derselbe (in der Kabine): "Wenn wir Weltmeister werden, springe ich mit den Kleidern kopfüber in den Thuner See."

"Wir gratulieren der deutschen Elf: In ihren brillanten Zügen hielten sie jeden Vergleich mit den vielbeklatschten Glanzeinlagen der Südamerikaner aus." (Sport Magazin)

"Die deutsche Mannschaft imponierte (und beruhigte) vor allem durch ihre kämpferische Frische und taktische Klugheit." (kicker)

"Dieser große Gegner wurde zermürbt von der deutschen Kondition, niedergehalten im Strudel der Kombinationen." (Fußball Woche)

"Das kam modernem Fußball schon sehr nahe" (Neue Fußballwoche/ DDR)

"Die türkische Mannschaft spielte unerwartet schlecht. Die Deutschen dagegen spielten einen äußerst disziplinierten und durchdachten Fußball, eine Spielweise, die mit der unseren nicht zu vergleichen war. Das Spiel wurde von einer harten Gangart geprägt, bei der sich die deutsche Mannschaft besonders hervortat."(Turkiye Sport)

"Unser Führungstor durch Suat hielt nur zehn Minuten, danach drehte sich das Spiel. Deutschland war uns eindeutig überlegen." (Hürriyet)

"Die deutsche Mannschaft durfte ihrem Sturm danken, der von großer Klasse war" (L’Equipe/Frankreich)