Gegen Südkorea 1994: Zitterspiel nach 3:0

In diesem Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

27. Juni 1994 in Dallas - Gruppenspiel: Deutschland - Südkorea 3:2

Vor dem Spiel:

Die massive Kritik aus der Heimat und den eigenen Reihen nach dem 1:1 gegen Spanien hatte die Stimmung im Oak Brook Hils-Hotel nicht gehoben. "Es war ein Klima gegenseitiger Schuldzuweisungen, das nichts Gutes erahnen ließ", analysierte die Süddeutsche Zeitung in ihrem 2006 erschienenen WM-Buch. Matthias Sammer sprach sich mit Andreas Brehme aus, weil der ihm öffentlich die Schuld am Gegentor gegen Spanien gegeben hatte. Bild erfuhr zudem von einer "Krisensitzung um Mitternacht" nach besagtem Spiel und fragte in großen Lettern: "Hat Berti noch alles im Griff?" Dabei hatten die Spieler nur eine Forderung von Lothar Matthäus ("Es wird zu wenig geredet in dieser Mannschaft") erfüllt. Thomas Berthold forderte die Abschaffung des Libero und eine Matthäus-Versetzung ins Mittelfeld, Guido Buchwald endlich seinen Einsatz, dem Vogts ihm doch schon gegen Bolivien versprochen haben soll.

Die bohrenden Fragen zur Stimmung im Team provozierten Bundestrainer Vogts derart, dass er die Pressekonferenz mit einem Türenknallen verließ, weshalb die Brille eines Dolmetschers in DFB-Diensten zu Bruch ging. Vorher gestand Vogts noch ein: "Wir wollten die Wolke der Begeisterung erklimmen, aber wir haben sie nicht erreicht. Der Funke springt nicht über." Dicke Luft in Chicago, das das Team zum Abschluss der Vorrunde verlassen musste. In einer Forsa-Umfrage glaubten nur noch 37 Prozent der Deutschen an den Titel. In Dallas sollte zumindest der Gruppensieg klar gemacht werden. Bisher hatte Südkorea zweimal Remis gespielt und noch alle Chancen aufs Weiterkommen. Trainer Kim Ho: "Einmal die Vorrunde überstehen, das wäre das Größte für uns." Die Prämie dafür betrug umgerechnet 63.000 Mark pro Kopf. Der für den VfL Bochum spielende Kim Yoo-Sung verglich die Partie mit "einem DFB-Pokalspiel - da kann auch der Außenseite den Favoriten schlagen. Im Fußball ist alles möglich. Auf keinen Fall werden wir es den Deutschen leicht machen."

Vogts änderte nichts an der Ausrichtung und wenig an der Aufstellung des Teams. Der schwache, aber auch wieder angeschlagene Thomas Strunz musste wieder raus, Guido Buchwald gab sein Debüt bei dieser WM. Und für Rückkehrer Karl-Heinz Riedle opferte Vogts seinen Lieblingsspieler Möller. Aber Matthäus blieb Libero. Vogts: "Es gibt keinen Grund, unser System zu ändern. Der deutsche Fußball basiert auf Ordnung. Aber Lothar muss mehr nach vorne marschieren, ich kann keinen Ausputzer gebrauchen."



In diesem Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

27. Juni 1994 in Dallas - Gruppenspiel: Deutschland - Südkorea 3:2

Vor dem Spiel:

Die massive Kritik aus der Heimat und den eigenen Reihen nach dem 1:1 gegen Spanien hatte die Stimmung im Oak Brook Hils-Hotel nicht gehoben. "Es war ein Klima gegenseitiger Schuldzuweisungen, das nichts Gutes erahnen ließ", analysierte die Süddeutsche Zeitung in ihrem 2006 erschienenen WM-Buch. Matthias Sammer sprach sich mit Andreas Brehme aus, weil der ihm öffentlich die Schuld am Gegentor gegen Spanien gegeben hatte. Bild erfuhr zudem von einer "Krisensitzung um Mitternacht" nach besagtem Spiel und fragte in großen Lettern: "Hat Berti noch alles im Griff?" Dabei hatten die Spieler nur eine Forderung von Lothar Matthäus ("Es wird zu wenig geredet in dieser Mannschaft") erfüllt. Thomas Berthold forderte die Abschaffung des Libero und eine Matthäus-Versetzung ins Mittelfeld, Guido Buchwald endlich seinen Einsatz, dem Vogts ihm doch schon gegen Bolivien versprochen haben soll.

Die bohrenden Fragen zur Stimmung im Team provozierten Bundestrainer Vogts derart, dass er die Pressekonferenz mit einem Türenknallen verließ, weshalb die Brille eines Dolmetschers in DFB-Diensten zu Bruch ging. Vorher gestand Vogts noch ein: "Wir wollten die Wolke der Begeisterung erklimmen, aber wir haben sie nicht erreicht. Der Funke springt nicht über." Dicke Luft in Chicago, das das Team zum Abschluss der Vorrunde verlassen musste. In einer Forsa-Umfrage glaubten nur noch 37 Prozent der Deutschen an den Titel. In Dallas sollte zumindest der Gruppensieg klar gemacht werden. Bisher hatte Südkorea zweimal Remis gespielt und noch alle Chancen aufs Weiterkommen. Trainer Kim Ho: "Einmal die Vorrunde überstehen, das wäre das Größte für uns." Die Prämie dafür betrug umgerechnet 63.000 Mark pro Kopf. Der für den VfL Bochum spielende Kim Yoo-Sung verglich die Partie mit "einem DFB-Pokalspiel - da kann auch der Außenseite den Favoriten schlagen. Im Fußball ist alles möglich. Auf keinen Fall werden wir es den Deutschen leicht machen."

Vogts änderte nichts an der Ausrichtung und wenig an der Aufstellung des Teams. Der schwache, aber auch wieder angeschlagene Thomas Strunz musste wieder raus, Guido Buchwald gab sein Debüt bei dieser WM. Und für Rückkehrer Karl-Heinz Riedle opferte Vogts seinen Lieblingsspieler Möller. Aber Matthäus blieb Libero. Vogts: "Es gibt keinen Grund, unser System zu ändern. Der deutsche Fußball basiert auf Ordnung. Aber Lothar muss mehr nach vorne marschieren, ich kann keinen Ausputzer gebrauchen."

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"Das war brasilianisch, Klinsi"

Der Spielbericht

Bei der Ankunft in Texas am Tag vor dem Spiel sind es 42 Grad, die Hoffnungen auf etwas angenehmere Bedingungen zerschlagen sich. Die auf eine sportliche Steigerung leben noch, Matthäus verspricht: "Wir werden uns den Frust von der Seele schießen." Anpfiff ist an diesem Montag um 15 Uhr, Marcel Reif (ZDF) kommentiert erneut. 19,72 Millionen bleiben in der Heimat wach. Matthias Sammer läuft entgegen der Prognose einiger Blätter doch auf. Rothaarige leiden besonders unter der Hitze, wie es heißt. Diesmal sind es fast 50 Grad (!) auf dem Platz, über den fegt ein Wind mit 46 Stundenkilometern. Stürmisch sind auch die Deutschen, vor denen die Südkoreaner fast in Ehrfurcht erstarren. Die ersten Flanken kommen noch zu ungenau, mal kommt Sammer nicht an den Ball, mal Klinsmann. Aber man sieht: Sie wollen, sie brennen! In der neunten Minute hat Klinsmann schon seine zweite Chance, umspielt den Torwart und trifft das Außennetz. In der zwölften macht er es besser. Die Zuschauer springen von ihren Sitzen, so schön ist das erste Tor. Nach Häßler-Zuspiel lupft sich der Stürmer den Ball mit rechts auf den Linken, dreht sich zum Tor und schießt volley ein. Ein Traumtor per Selbstvorlage - "das war brasilianisch, Klinsi", feiert ihn die Bild.

Der Gegner ist geschockt, nun wird er ausgeknockt. Buchwald schlenzt im Fallen und in Bedrängnis an den Pfosten, der Abpraller fällt Riedle vor die Füße – sein erstes WM-Tor ist ein Kinderspiel. 2:0 nach 20 Minuten. Nun nimmt auch Südkorea am Spiel teil, ehe es ganz verloren ist. Kim-Joo Sung spielt Matthäus aus und prüft Illgner aus 17 Metern, der wehrt zur Ecke ab. Nach einer kurzen Verschnaufpause legt der Weltmeister noch einen drauf: Thomas Häßler tritt einen Freistoß von rechts, über Umwege kommt der Ball zu Klinsmann, der einen eher schwachen Volleyschuss absetzt, ziemlich genau auf Torwart Choi In-Young, doch der patzt – 3:0 nach 37 Minuten. Wo soll das enden? Ärgerlich an der zufriedenstellenden Halbzeitbilanz sind nur die Gelben Karten für Brehme und Effenberg, der damit fürs Achtelfinale gesperrt ist. Was sich auf seine Laune auswirkt.

Südkorea wechselt den Torwart, es gilt das vermeintliche Debakel in Grenzen zu halten. Deutschland wechselt nur die Spielweise und die Einstellung. Nachdem Klinsmann etwas leichtfertig das 4:0 vergibt, spielt fast nur noch Südkorea. Die Pärchen sind keine, Berthold zankt sich rechts mit Effenberg, links kracht es wieder zwischen Brehme und Sammer. Es kommt, was keiner fassen kann: Über die rechte Abwehrseite dringt der Ex-Wuppertaler Sun-Hong Hwang in den Strafraum ein und schießt den Ball unhaltbar ins lange Eck – 3:1! Ein Schönheitsfehler – oder mehr? Der Faden reißt, die Südkoreaner spielen groß auf und haben das Glück des Tüchtigen. Verteidiger Myung-Bo Hong riskiert einen 25-Meter-Schuss, Illgner sieht ihn wohl zu spät und nicht gut aus – 3:2.

Zu allem Übel muss auch noch Matthäus raus mit einer Risswunde am Fuß. Das Spiel droht ganz zu kippen, die deutschen Fans sind sauer und konzentrieren ihre Wut auf Reizfigur Effenberg, die einen besonders schwachen Tag hat. "Seine Arroganz erneut eine Zumutung", schreibt Bild in der Einzelkritik. Auch er muss raus. Zunächst weiß keiner, dass es ein Abschied ist – für vier Jahre. Als Reaktion auf die Fan-Rufe hat Effenberg, von keiner Kamera je aufgezeichnet, den Mittelfinger gezeigt, was er gar nicht bestreitet, aber "einmal und nur für höchstens zwei Sekunden. Die meisten Leute im Stadion sahen das gar nicht. Ich selbst registrierte es eigentlich auch nicht. Ein schlechtes Gewissen hatte ich daher überhaupt nicht." So heißt es in seiner Biographie An mir kommt keiner vorbei (2003). Der Eklat, der sich daraus ergeben wird, ist zunächst kein Thema. Das Thema ist das am Ende kraftlose deutsche Spiel, das dennoch mit drei Punkten und dem Gruppensieg belohnt wird.

Aufstellung: Illgner – Berthold, Matthäus (64. Möller), Kohler – Effenberg (75. Helmer), Buchwald, Brehme, Häßler, Sammer – Riedle, Klinsmann.

Tore: 1:0 Klinsmann (11.), 2:0, Riedle (18.), 3:0 Klinsmann (35.), 3:1 Hwang (52.), 3:2 Hong (63.).

Zuschauer: 63.998 in Dallas.

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"Das war eine Schwimmstunde"

Stimmen zum Spie

Berti Vogts: "Wir wollten das Spiel gewinnen. Doch nur mit der ersten Halbzeit kann man zufrieden sein. In der 46. Minute hatten wir die große Chance, das 4:0 zu machen. Danach passierten zu viele Fehler in der Defensive. Wir haben selbst den Gegner stark gemacht. Zum Schluss muss man sogar von einem sehr glücklichen Sieg sprechen."

Thomas Berthold: "Die Ordnung war nicht mehr da, weil wir keine Kraft hatten. Wir waren stehend k.o. – unwahrscheinlich, wie die Koreaner bei dieser Hitze noch gerannt sind."

Guido Buchwald: "An den ersten 45 Minuten müssen wir uns nun orientieren. Auch wenn der Gegner sich ein paar Chancen erspielt hat, war das unsere bisher beste Halbzeit bei diesem Turnier. Jetzt müssen wir 70 oder 80 Minuten auf hohem Niveau spielen."

Andreas Brehme: "Wir waren total platt – plötzlich stand es 3:2!"

Stefan Effenberg (zu seiner Geste): "Im Nachhinein tut es mir leid, bereuen würde ich nicht sagen. Ich bin provoziert worden, das muss man schon verstehen."

Jürgen Kohler: "Wir haben 60 Minuten lang hervorragend gespielt. Nach so einem Gegentor wachsen solche Teams immer über sich hinaus, da sie ja nichts zu verlieren haben."

Lothar Matthäus: "Wir haben in der ersten Halbzeit überzeugt, in der zweiten ist uns die Ordnung verloren gegangen. Wir können wesentlich mehr und daran müssen wir uns orientieren."

Kim Yoo-Sung (Südkorea): "Wir hatten sogar die Chance zu gewinnen, haben sie aber leider nicht genutzt. Wir haben den Fußball Südkoreas bei dieser WM gut verkauft. Es ist meine dritte WM, so gut haben wir noch nie gespielt."

"Das war eine Schwimmstunde, was die deutsche Abwehr nach der Pause erlebte. Hätten die Asiaten ihre fünf, sechs, sieben klare Torchancen verwertet - es wäre die größte Blamage dieser WM geworden. Es war, wieder einmal, ein Sieg zum Weinen." (Bild)

"Es ist schier unglaublich, wie die deutsche Mannschaft ein Spiel, das sie eine Halbzeit lang beinahe nach Belieben beherrschte, einfach aus der Hand gab…Am Montag in Dallas lebten beide Mannschaften überwiegend von den Fehlern des Gegners (...) Aus eigenen Fehlern zu lernen, hat deutsche Nationalmannschaften immer wieder stark gemacht. Es wird höchste Zeit, daß auch diese Mannschaft aus ihren Fehlern lernt." (Kicker)

"Ganz kleine Teutonen. Titelverteidiger ließ sich herumschubsen." (L’Equipe/Frankreich)

"Wie will Deutschland es mit so vielen alten Herren bei der Hitze aushalten?" (La Stampa/Italien)

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