Der erste Drittligist: Als die Hertha-Bubis ins Pokalfinale einzogen

Genau heute vor 30 Jahren stand schon vor Anpfiff des ersten Halbfinales am 31. März 1993 fest, dass ein unterklassiger Verein das Finale erreichen würde. Wie im Vorjahr, als mit Hannover 96 erstmals ein Zweitligist sogar den DFB-Pokal gewonnen hatte. Nun winkte das nächste Novum: Das Los hatte die drittklassigen Hertha-Amateure aus der Oberliga Nordost mit Zweitligist Chemnitzer FC zusammengeführt. Drittligisten hatten es noch nie ins Endspiel gepackt, aber dieser Sensationstruppe traute man allmählich alles zu.

Das Interesse an der ungewöhnlichen Paarung war in der Hauptstadt so groß, dass schon das Halbfinale im Olympiastadion stattfand - quasi zur Generalprobe. Für die "Bubis", wie die im Schnitt 20,1 Jahre jungen Berliner liebevoll genannt wurden, war es schon das dritte "Heimstadion". Begannen sie ihren Siegeszug in der zweiten und dritten Runde nach einem Freilos in der ersten noch wie im Ligaalltag an der "Osloer Straße" im Wedding, zogen sie für Achtel- und Viertelfinale ins Mommsen-Stadion, eigentlich Heimat von Tennis Borussia um.

Für das Halbfinale war auch das Stadion zu klein, nun durften sie schon ins Finalstadion, und 56.540 Zuschauer drückten mehrheitlich der kleinen Hertha die Daumen. Die Amateure beschämten die eigene, damals zweitklassige Profiabteilung, der es bis heute nicht gelungen ist, das Pokalfinale zu erreichen. Die Bubis von Trainer Jochem Ziegert, im Hauptberuf Finanzbeamter, aber hatten alle Hürden genommen, wobei allerdings mit dem 1. FC Nürnberg nur ein Bundesligist ihren Weg kreuzte.

"Berlin, Berlin, wir bleiben in Berlin!"

Aber jeder Sieg war eine Sensation, auch gegen die Zweitligisten VfB Leipzig (4:2), dem späteren Aufsteiger, und Titelverteidiger Hannover 96 (4:3). Nach dem Sieg über Hannover dichteten die Spieler den Finalsong um: "Berlin, Berlin, wir bleiben in Berlin!"

Nach dem Viertelfinale, nun schon vor 13.700 Zuschauern, gegen Bundesligist 1. FC Nürnberg (2:1) sagte Nationalspieler Dieter Eckstein: "Schlimm daran ist, dass Hertha verdient weitergekommen ist."

Nicht ganz so schlimm war der spontane Rücktritt von BSC-Trainer Ziegert wegen beruflicher Überlastung ("So geht’s nicht weiter, auf meinem Schreibtisch stapeln sich die Aktenberge"), man konnte ihn beruhigen. Für seine Spieler, einer Rasselbande aus Schülern, Studenten und Azubis, über die niemand etwas wusste, sagte Ziegert stolz: "Alles intelligente Jungs, da ist keiner darunter der wegen dem Fußball seine Lehre abgebrochen hat. Die wissen alle, was sie wollen."

Vor dem Spiel in die Pizzeria

Das Ziel "Profi" hatten trotzdem alle: Am weitesten brachte es Carsten Ramelow, der 2002 im WM-Finale stand. Auch der damals 18 Jahre alte Torwart Christian Fiedler oder die Schmidt-Zwillinge Andreas und Oliver wurden im eigenen Verein Bundesligaspieler. Im Halbfinale gegen die von Hans Meyer trainierten Chemnitzer waren sie fast schon Favorit. Trainer Ziegert hielt an seinen Ritualen fest, ging mit der Mannschaft am Vorabend in die Weddinger Pizzeria "San Remo" und erlaubte "Spaghetti bis zum Abwinken". Der Nudelabend vor jedem Pokalspiel hatte schließlich Glück gebracht.

Diesmal gab es noch eine Zugabe, die man zwar nicht essen konnte, aber trotzdem allen gut schmeckte: Pressesprecher Klaus-Dieter Vollrath trug den jugendlichen Helden der Stadt ein Gedicht vor: "Ihr seid keine Übermenschen, keine Helden, wie es die Medien derzeit gern vermelden. Ihr seid Herthaner, die den Fußball lieben, von der Nummer eins bis zur Nummer sieben. Von der acht bis hin zur Nummer 25, bekannt vom Bodensee und auch in Danzig."

Ramelow und Meyer treffen fürs Finale

Zu ihrer Premiere im Olympiastadion bekamen sie erstmals eine Polizeieskorte, es war einfach zu viel los auf Berlins Straßen an diesem denkwürdigen Pokalabend. Auch in der Kabine war einiges los, es lief die Filmmusik aus den Rocky-Filmen mit Sylvester Stallone - "Eye of the tiger".

Wie Raubtiere stürzten sich die Berliner dann auf die Chemnitzer. Carsten Ramelow glückte nach Kopfballvorlage von Oliver Schmidt das frühe 1:0 (5.), das Sven Meyer per Kopf nach einer Ecke ausbaute (22.). Steffen Heidrichs Foulelfmeter (36.) bedeutete schon den Endstand der Partie, die von RTL übertragen wurde. "Der Erfolg der Amateure war hochverdient gegen die höherklassigen Gäste, die ideenlos auftraten", meldete der kicker.

Hans Meyer, nach den Gründen der Niederlage befragt, knurrte: "Fragt mich mal was Leichteres nach den Ursachen für unser schmerzhaftes Ausscheiden und dem Vergeben der für unseren Verein wohl einmaligen Chance auf ein deutsches Endspiel. Entscheidend sicherlich die große kämpferische Einstellung der Herthaner, die sich mit dem anerkannt guten spielerischen Niveau gekonnt paarte - und mit der Schlafmützigkeit unserer Mannschaft in den ersten 20 Minuten, als sie von allen guten Geistern verlassen war."

Erst Leverkusen beendet den Traum im Finale

Der Erfolg kam für die Bubis so unerwartet, dass sie gar keine Prämien ausgehandelt hatten. Geld aber war plötzlich reichlich da: Die Gesamteinnahmen übertrafen alles, was die Hertha-Profis je im Pokal verdient hatten: 860.000 Mark. Wie ging es weiter?

Die jugendlichen Helden nahmen eine Platte auf mit dem Titel "Schuss-Tor-Hurra". Auch ein Buch erschien über den ungewöhnlichsten Finalisten der DFB-Historie. Mit dem hatte auch Bayer Leverkusens Starensemble seine Mühe, nur ein Tor von Ulf Kirsten gelang dem Bundesligisten. Aber es reichte zum 1:0. Doch selten war der Beifall für einen Zweiten lauter. 

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Genau heute vor 30 Jahren stand schon vor Anpfiff des ersten Halbfinales am 31. März 1993 fest, dass ein unterklassiger Verein das Finale erreichen würde. Wie im Vorjahr, als mit Hannover 96 erstmals ein Zweitligist sogar den DFB-Pokal gewonnen hatte. Nun winkte das nächste Novum: Das Los hatte die drittklassigen Hertha-Amateure aus der Oberliga Nordost mit Zweitligist Chemnitzer FC zusammengeführt. Drittligisten hatten es noch nie ins Endspiel gepackt, aber dieser Sensationstruppe traute man allmählich alles zu.

Das Interesse an der ungewöhnlichen Paarung war in der Hauptstadt so groß, dass schon das Halbfinale im Olympiastadion stattfand - quasi zur Generalprobe. Für die "Bubis", wie die im Schnitt 20,1 Jahre jungen Berliner liebevoll genannt wurden, war es schon das dritte "Heimstadion". Begannen sie ihren Siegeszug in der zweiten und dritten Runde nach einem Freilos in der ersten noch wie im Ligaalltag an der "Osloer Straße" im Wedding, zogen sie für Achtel- und Viertelfinale ins Mommsen-Stadion, eigentlich Heimat von Tennis Borussia um.

Für das Halbfinale war auch das Stadion zu klein, nun durften sie schon ins Finalstadion, und 56.540 Zuschauer drückten mehrheitlich der kleinen Hertha die Daumen. Die Amateure beschämten die eigene, damals zweitklassige Profiabteilung, der es bis heute nicht gelungen ist, das Pokalfinale zu erreichen. Die Bubis von Trainer Jochem Ziegert, im Hauptberuf Finanzbeamter, aber hatten alle Hürden genommen, wobei allerdings mit dem 1. FC Nürnberg nur ein Bundesligist ihren Weg kreuzte.

"Berlin, Berlin, wir bleiben in Berlin!"

Aber jeder Sieg war eine Sensation, auch gegen die Zweitligisten VfB Leipzig (4:2), dem späteren Aufsteiger, und Titelverteidiger Hannover 96 (4:3). Nach dem Sieg über Hannover dichteten die Spieler den Finalsong um: "Berlin, Berlin, wir bleiben in Berlin!"

Nach dem Viertelfinale, nun schon vor 13.700 Zuschauern, gegen Bundesligist 1. FC Nürnberg (2:1) sagte Nationalspieler Dieter Eckstein: "Schlimm daran ist, dass Hertha verdient weitergekommen ist."

Nicht ganz so schlimm war der spontane Rücktritt von BSC-Trainer Ziegert wegen beruflicher Überlastung ("So geht’s nicht weiter, auf meinem Schreibtisch stapeln sich die Aktenberge"), man konnte ihn beruhigen. Für seine Spieler, einer Rasselbande aus Schülern, Studenten und Azubis, über die niemand etwas wusste, sagte Ziegert stolz: "Alles intelligente Jungs, da ist keiner darunter der wegen dem Fußball seine Lehre abgebrochen hat. Die wissen alle, was sie wollen."

Vor dem Spiel in die Pizzeria

Das Ziel "Profi" hatten trotzdem alle: Am weitesten brachte es Carsten Ramelow, der 2002 im WM-Finale stand. Auch der damals 18 Jahre alte Torwart Christian Fiedler oder die Schmidt-Zwillinge Andreas und Oliver wurden im eigenen Verein Bundesligaspieler. Im Halbfinale gegen die von Hans Meyer trainierten Chemnitzer waren sie fast schon Favorit. Trainer Ziegert hielt an seinen Ritualen fest, ging mit der Mannschaft am Vorabend in die Weddinger Pizzeria "San Remo" und erlaubte "Spaghetti bis zum Abwinken". Der Nudelabend vor jedem Pokalspiel hatte schließlich Glück gebracht.

Diesmal gab es noch eine Zugabe, die man zwar nicht essen konnte, aber trotzdem allen gut schmeckte: Pressesprecher Klaus-Dieter Vollrath trug den jugendlichen Helden der Stadt ein Gedicht vor: "Ihr seid keine Übermenschen, keine Helden, wie es die Medien derzeit gern vermelden. Ihr seid Herthaner, die den Fußball lieben, von der Nummer eins bis zur Nummer sieben. Von der acht bis hin zur Nummer 25, bekannt vom Bodensee und auch in Danzig."

Ramelow und Meyer treffen fürs Finale

Zu ihrer Premiere im Olympiastadion bekamen sie erstmals eine Polizeieskorte, es war einfach zu viel los auf Berlins Straßen an diesem denkwürdigen Pokalabend. Auch in der Kabine war einiges los, es lief die Filmmusik aus den Rocky-Filmen mit Sylvester Stallone - "Eye of the tiger".

Wie Raubtiere stürzten sich die Berliner dann auf die Chemnitzer. Carsten Ramelow glückte nach Kopfballvorlage von Oliver Schmidt das frühe 1:0 (5.), das Sven Meyer per Kopf nach einer Ecke ausbaute (22.). Steffen Heidrichs Foulelfmeter (36.) bedeutete schon den Endstand der Partie, die von RTL übertragen wurde. "Der Erfolg der Amateure war hochverdient gegen die höherklassigen Gäste, die ideenlos auftraten", meldete der kicker.

Hans Meyer, nach den Gründen der Niederlage befragt, knurrte: "Fragt mich mal was Leichteres nach den Ursachen für unser schmerzhaftes Ausscheiden und dem Vergeben der für unseren Verein wohl einmaligen Chance auf ein deutsches Endspiel. Entscheidend sicherlich die große kämpferische Einstellung der Herthaner, die sich mit dem anerkannt guten spielerischen Niveau gekonnt paarte - und mit der Schlafmützigkeit unserer Mannschaft in den ersten 20 Minuten, als sie von allen guten Geistern verlassen war."

Erst Leverkusen beendet den Traum im Finale

Der Erfolg kam für die Bubis so unerwartet, dass sie gar keine Prämien ausgehandelt hatten. Geld aber war plötzlich reichlich da: Die Gesamteinnahmen übertrafen alles, was die Hertha-Profis je im Pokal verdient hatten: 860.000 Mark. Wie ging es weiter?

Die jugendlichen Helden nahmen eine Platte auf mit dem Titel "Schuss-Tor-Hurra". Auch ein Buch erschien über den ungewöhnlichsten Finalisten der DFB-Historie. Mit dem hatte auch Bayer Leverkusens Starensemble seine Mühe, nur ein Tor von Ulf Kirsten gelang dem Bundesligisten. Aber es reichte zum 1:0. Doch selten war der Beifall für einen Zweiten lauter. 

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