30 Jahre Pokalfinale in Berlin: Zum Auftakt eine Sensation

Heute vor 30 Jahren, 1985 war das der Pfingstsonntag, wurde erstmals seit 1943 wieder ein Pokalendspiel in Berlin ausgetragen. Nun sollte es keine Unterbrechungen mehr geben, seit jenem 26. Mai ist Berlin auch die deutsche Pokal-Hauptstadt. Vor dem 72. DFB-Pokalfinale am Samstag (ab 20 Uhr, live in der ARD und bei Sky) zwischen Borussia Dortmund und dem VfL Wolfsburg wirft der Historiker Udo Muras für DFB.de einen Blick zurück in die Geschichte.

1985 war die Stadt noch ebenso geteilt wie das Land. Genau deshalb aber bekam Berlin das Endspiel, denn auf Druck der Ostblock-Staaten sollte es nicht Austragungsort bei der EM 1988 sein. Der DFB gab schweren Herzens nach, dafür Berlin aber das Pokalfinale. Zunächst vorläufig, mittlerweile steht es außer Frage, wohin die Reise für die Finalisten geht. Und so singen die Fans von Mannschaften, die in Pokalspielen in Führung liegen, ob in der ersten Runde oder im Halbfinale, allerorten euphorisch: "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!"

Uerdingen auf PR-Tour in Berlin

1985 waren es die von Titelverteidiger Bayern München und Außenseiter Bayer Uerdingen, der erstmals in einem Pokalfinale stand. Immerhin waren die Krefelder (Uerdingen ist ein Stadtteil) in der Bundesliga damals Fünfter und keine ganz graue Maus mehr. Trotzdem fürchtete der Klub, dass er fast das ganze Stadion gegen sich haben könnte, und so reiste Manager Reinhard Roder schon Wochen vor dem Finale nach Berlin. Mehrmals sogar. Er machte PR-Termine in den Medien der Metropole, und Bayer verschenkte 20.000 Aufkleber und einige Hundert Tröten an die Berliner. Roder sagte: "Ich hoffe, dass die Berliner hinter dem vermeintlich Schwächeren stehen. Wir werden versuchen, durch unseren Angriffsfußball die Fans zu begeistern, der Funke muss schon in den ersten zehn Minuten überspringen."

Die Bayern hatten gerade in Karlsruhe 4:0 gewonnen und brauchten nur noch einen Sieg für die Meisterschaft, ganz München träumte vom Double. Klaus Augenthaler warnte noch vergeblich: "Wir sind die Favoriten in Berlin, darauf gebe ich aber nichts. Wir haben die Uerdinger in der Bundesliga zwar zweimal geschlagen, aber uns jedesmal schwer getan."

So sah es auch Uerdingens Nationallibero Matthias Herget: "Die Bayern sind keine Ausnahmemannschaft. Wir haben bisher kein Glück gegen sie gehabt, aber das kann sich in Berlin ja ändern." Sein Trainer Kalli Feldkamp prophezeite: "Wir gewinnen 2:1!" Woher er das nur wusste? Kollege Udo Lattek lag naturgemäß schief, er setzte ja auf seine Bayern: "2:1, nach Verlängerung."

Pokalfinaltradition in Berlin beginnt mit 70.398 Zuschauern

Als die Mannschaften am 26. Mai 1985 den Platz betraten, über den die Uerdinger zuvor noch heftig geschimpft hatten (Schäfer: "Was ist das für ein Acker!"), waren die Ränge nicht vollbesetzt. Und doch hatten die Spieler beider Teams nicht oft Gelegenheit, vor exakt 70.398 Zuschauern zu spielen. Die Bayern sicher etwas häufiger als die Werkself-Kicker, und so fingen sie auch couragierter an. Der Favorit ging durch Dieter Hoeneß schon nach acht Minuten in Führung, aber bereits im Gegenzug glich Horst Feilzer aus (9.). Um Feilzer rankte sich eine amüsante, aber auch leicht unappetitliche Geschichte. Wie viele Spieler kaute er gegen die Trockenheit im Mund Kaugummi, aber den verlor er beim Torjubel. Weshalb er seinen Jubellauf abbrach und das gute Stück auf der Tartanbahn suchte, fand, provisorisch säuberte und sich wieder zu Munde führte.

Die Uerdinger bekamen nun Oberwasser, Verteidiger Norbert Brinkmann sagte zu Dieter Hoeneß: "So Langer, das war's. Das Ding könnt ihr heute nicht mehr gewinnen." Und so kam es wirklich. "Die Bayern kontrollierten nie das Spiel", stellte der Kicker fest. Als dann Mittelfeldspieler Wolfgang Dremmler kurz nach der Pause nach Foul an Wolfgang Funkel vom Platz flog (48.), lag die Sensation schon in der Luft. "Jetzt packen wir sie", brüllte Herget.

Einer hatte ganz genau hingehört. Wolfgang Schäfer verwandelte nach 66 Minuten eine Flanke zum überfälligen 2:1, das zuvor schon Larus Gudmundsson und Peter Loontiens auf dem Fuß gehabt hatten. Es war die Entscheidung, in Unterzahl und bei Gluthitze kamen die Bayern nicht mehr zurück. Nach dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Werner Föckler aus Bad Dürkheim war der Jubel groß, auch bei den neutralen Zuschauern, und das Spottlied mit den Lederhosen, die man den Bayern ausziehen möge, hatte Hochkonjunktur.

Als Schäfer den Spitznamen "Cup" bekam

"Ich bin sehr enttäuscht", gab Lattek zu Protokoll. "Wenn Sie wollen, können Sie auch sagen ich bin stocksauer. Nach dem 1:0 waren unsere Spieler doch schon auf dem Weg zur Siegerehrung." Den gingen nun die Uerdinger, die erste Ehrung in Berlin nahm Bundesinnenminister Zimmermann vor. Dann fuhren die Uerdinger mit ihrem Mannschaftsbus auf dem Ku'damm herum und präsentierten stolz den Pokal. Den Siegesschützen zum 2:1 lernte an diesem 26. Mai 1985 ganz Deutschland kennen: Wolfgang Schäfer hieß jetzt nur noch "Cup". Der Legende nach ging der Stürmer nämlich mit dem Pokal ins Bett, und nur wenige interessierte die Wahrheit. Schäfer: "Da lag meine Freundin Rita, der Pokal stand auf dem Tisch."

Bayer Uerdingen hat ihn nie mehr gewonnen und ist gerade in die fünfte Liga abgestiegen. Auch das macht den Tag vor 30 Jahren so besonders. Auf dem Empfang in der Heimatstadt am Niederrhein fiel dann ein Begriff, der treffender nicht sein konnte. Wer ihn geprägt hat, ist unsicher, dass es ein kluger Mann war, ist dagegen gewiss: "Berlin kann das deutsche Wembley werden." Eine weise Voraussage, wie wir 30 Jahre später wissen.

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Heute vor 30 Jahren, 1985 war das der Pfingstsonntag, wurde erstmals seit 1943 wieder ein Pokalendspiel in Berlin ausgetragen. Nun sollte es keine Unterbrechungen mehr geben, seit jenem 26. Mai ist Berlin auch die deutsche Pokal-Hauptstadt. Vor dem 72. DFB-Pokalfinale am Samstag (ab 20 Uhr, live in der ARD und bei Sky) zwischen Borussia Dortmund und dem VfL Wolfsburg wirft der Historiker Udo Muras für DFB.de einen Blick zurück in die Geschichte.

1985 war die Stadt noch ebenso geteilt wie das Land. Genau deshalb aber bekam Berlin das Endspiel, denn auf Druck der Ostblock-Staaten sollte es nicht Austragungsort bei der EM 1988 sein. Der DFB gab schweren Herzens nach, dafür Berlin aber das Pokalfinale. Zunächst vorläufig, mittlerweile steht es außer Frage, wohin die Reise für die Finalisten geht. Und so singen die Fans von Mannschaften, die in Pokalspielen in Führung liegen, ob in der ersten Runde oder im Halbfinale, allerorten euphorisch: "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!"

Uerdingen auf PR-Tour in Berlin

1985 waren es die von Titelverteidiger Bayern München und Außenseiter Bayer Uerdingen, der erstmals in einem Pokalfinale stand. Immerhin waren die Krefelder (Uerdingen ist ein Stadtteil) in der Bundesliga damals Fünfter und keine ganz graue Maus mehr. Trotzdem fürchtete der Klub, dass er fast das ganze Stadion gegen sich haben könnte, und so reiste Manager Reinhard Roder schon Wochen vor dem Finale nach Berlin. Mehrmals sogar. Er machte PR-Termine in den Medien der Metropole, und Bayer verschenkte 20.000 Aufkleber und einige Hundert Tröten an die Berliner. Roder sagte: "Ich hoffe, dass die Berliner hinter dem vermeintlich Schwächeren stehen. Wir werden versuchen, durch unseren Angriffsfußball die Fans zu begeistern, der Funke muss schon in den ersten zehn Minuten überspringen."

Die Bayern hatten gerade in Karlsruhe 4:0 gewonnen und brauchten nur noch einen Sieg für die Meisterschaft, ganz München träumte vom Double. Klaus Augenthaler warnte noch vergeblich: "Wir sind die Favoriten in Berlin, darauf gebe ich aber nichts. Wir haben die Uerdinger in der Bundesliga zwar zweimal geschlagen, aber uns jedesmal schwer getan."

So sah es auch Uerdingens Nationallibero Matthias Herget: "Die Bayern sind keine Ausnahmemannschaft. Wir haben bisher kein Glück gegen sie gehabt, aber das kann sich in Berlin ja ändern." Sein Trainer Kalli Feldkamp prophezeite: "Wir gewinnen 2:1!" Woher er das nur wusste? Kollege Udo Lattek lag naturgemäß schief, er setzte ja auf seine Bayern: "2:1, nach Verlängerung."

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Pokalfinaltradition in Berlin beginnt mit 70.398 Zuschauern

Als die Mannschaften am 26. Mai 1985 den Platz betraten, über den die Uerdinger zuvor noch heftig geschimpft hatten (Schäfer: "Was ist das für ein Acker!"), waren die Ränge nicht vollbesetzt. Und doch hatten die Spieler beider Teams nicht oft Gelegenheit, vor exakt 70.398 Zuschauern zu spielen. Die Bayern sicher etwas häufiger als die Werkself-Kicker, und so fingen sie auch couragierter an. Der Favorit ging durch Dieter Hoeneß schon nach acht Minuten in Führung, aber bereits im Gegenzug glich Horst Feilzer aus (9.). Um Feilzer rankte sich eine amüsante, aber auch leicht unappetitliche Geschichte. Wie viele Spieler kaute er gegen die Trockenheit im Mund Kaugummi, aber den verlor er beim Torjubel. Weshalb er seinen Jubellauf abbrach und das gute Stück auf der Tartanbahn suchte, fand, provisorisch säuberte und sich wieder zu Munde führte.

Die Uerdinger bekamen nun Oberwasser, Verteidiger Norbert Brinkmann sagte zu Dieter Hoeneß: "So Langer, das war's. Das Ding könnt ihr heute nicht mehr gewinnen." Und so kam es wirklich. "Die Bayern kontrollierten nie das Spiel", stellte der Kicker fest. Als dann Mittelfeldspieler Wolfgang Dremmler kurz nach der Pause nach Foul an Wolfgang Funkel vom Platz flog (48.), lag die Sensation schon in der Luft. "Jetzt packen wir sie", brüllte Herget.

Einer hatte ganz genau hingehört. Wolfgang Schäfer verwandelte nach 66 Minuten eine Flanke zum überfälligen 2:1, das zuvor schon Larus Gudmundsson und Peter Loontiens auf dem Fuß gehabt hatten. Es war die Entscheidung, in Unterzahl und bei Gluthitze kamen die Bayern nicht mehr zurück. Nach dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Werner Föckler aus Bad Dürkheim war der Jubel groß, auch bei den neutralen Zuschauern, und das Spottlied mit den Lederhosen, die man den Bayern ausziehen möge, hatte Hochkonjunktur.

Als Schäfer den Spitznamen "Cup" bekam

"Ich bin sehr enttäuscht", gab Lattek zu Protokoll. "Wenn Sie wollen, können Sie auch sagen ich bin stocksauer. Nach dem 1:0 waren unsere Spieler doch schon auf dem Weg zur Siegerehrung." Den gingen nun die Uerdinger, die erste Ehrung in Berlin nahm Bundesinnenminister Zimmermann vor. Dann fuhren die Uerdinger mit ihrem Mannschaftsbus auf dem Ku'damm herum und präsentierten stolz den Pokal. Den Siegesschützen zum 2:1 lernte an diesem 26. Mai 1985 ganz Deutschland kennen: Wolfgang Schäfer hieß jetzt nur noch "Cup". Der Legende nach ging der Stürmer nämlich mit dem Pokal ins Bett, und nur wenige interessierte die Wahrheit. Schäfer: "Da lag meine Freundin Rita, der Pokal stand auf dem Tisch."

Bayer Uerdingen hat ihn nie mehr gewonnen und ist gerade in die fünfte Liga abgestiegen. Auch das macht den Tag vor 30 Jahren so besonders. Auf dem Empfang in der Heimatstadt am Niederrhein fiel dann ein Begriff, der treffender nicht sein konnte. Wer ihn geprägt hat, ist unsicher, dass es ein kluger Mann war, ist dagegen gewiss: "Berlin kann das deutsche Wembley werden." Eine weise Voraussage, wie wir 30 Jahre später wissen.