Marcell Jansen: "Ein lachendes und ein weinendes Auge"

Marcell Jansen ist die Vorfreude anzumerken. Der 31-Jährige verbringt die Karnevalstage zunächst im Rheinland. Natürlich, denn als gebürtiger Gladbacher ist der Ex-Profi damit aufgewachsen. Aschermittwoch wird er allerdings wieder in seiner neuen Heimat sein, in Hamburg. "Ein guter Zeitpunkt, um sich wieder um Fußball zu kümmern", wie er im Interview mit DFB.de erklärt. Denn dann treffen im Viertelfinale des DFB-Pokals der Hamburger SV und Borussia Mönchengladbach (ab 18.30 Uhr, live auf Sky) aufeinander. Also die beiden Klubs, die ihn geprägt haben. In Gladbach ist er geboren und dort reifte er zum Profi. Die letzten Jahre seiner Laufbahn spielte er schließlich für den HSV, bei dem er im Juli 2015 im Alter von 29 Jahren seine Karriere überraschend beendete.

Jansen absolvierte in seiner Karriere 242 Bundesliga-Spiele (25 Tore) für die Borussia, den HSV und den FC Bayern. Mit den Münchnern wurde er 2008 Meister und Pokalsieger. Zwischen 2005 und 2014 trug der Linksfuß insgesamt 45 Mal das Trikot der Nationalmannschaft und wurde mit der DFB-Auswahl 2006 und 2010 jeweils WM-Dritter sowie 2008 Vize-Europameister.

Im Interview mit DFB.de-Mitarbeiter Andreas Reiners spricht Jansen über das Viertelfinale, seinen frühen Abschied, die Liebe zum Fußball, Emotionen bei seinem Pokalsieg mit dem FC Bayern, die Nationalmannschaft und seine Karriere nach der Karriere.

DFB.de: Marcell Jansen, der HSV empfängt die Borussia zum Viertelfinale im DFB-Pokal. Wem drücken Sie am Mittwoch die Daumen?

Marcell Jansen: Ich versuche es positiv zu sehen. Es ist ein Spiel, bei dem eine der beiden Mannschaften auf jeden Fall weiterkommt. Ich bin dem HSV emotional einen Tick mehr verbunden, aber die Jungs müssen sich das im Spiel verdienen. Die Mannschaft, die am Ende die bessere ist, hat es an dem Tag dann auch verdient. Egal wie es ausgeht: Ich habe am Ende ein lachendes und ein weinendes Auge.

DFB.de: Wer wird es aus rein sportlichen Gesichtspunkten machen? Die Generalprobe hat der HSV bei den Bayern ja ordentlich vergeigt ...

Jansen: Das ist schwer zu sagen, vor dem 0:8 in München hatte sich der HSV eigentlich wieder gefangen. Aber gerade die Borussia hat wieder zu ihrer spielerischen Stärke gefunden. Aber den Hamburgern dürfte die Borussia grundsätzlich gut liegen, weil Gladbach das Spiel macht. Und wenn der HSV gut gegen den Ball und auf Konter spielt, kann ich mir vorstellen, dass er mit den Fans im Rücken trotzdem einen kleinen Vorteil hat.

DFB.de: Wenn Sie auf der Tribüne sitzen: Erwischen Sie sich dabei, dass Sie gerne selbst noch mitmischen würden?

Jansen: Wenn du dein Leben lang Fußballer warst, juckt es immer in den Füßen, wenn du im Stadion bist und die Atmosphäre schnupperst. Unabhängig von dem Zeitpunkt, an dem man aufhört, fehlt einem der Fußball immer. Ich gehe aber noch ein- bis zweimal in der Woche kicken. Es ist mir wichtig, dass ich die Pille immer wieder am Fuß habe und mit meinen Jungs spielen kann.

DFB.de: Ihren frühzeitigen Abschied vom Profifußball haben Sie noch keine Sekunde bereut?

Jansen: Nein. Das war gut überlegt. Ich bin sehr dankbar für zwölf intensive Jahre. Was viele nicht sehen: Für meine Familie, für meine Freunde und für mich war der Weg ja noch viel länger. Von der Jugend an, wo man viel aufgeben, schnell erwachsen sein muss und jeden Tag trainiert mit dem Ziel, immer besser zu werden. Das hat mir irgendwann gereicht und ich wollte eigene Entscheidungen hinsichtlich meiner Zeiteinteilung treffen können. Eine Plattform legen, um Dinge zu lernen, die mich in den nächsten 20, 30 Jahren interessieren. Ich wollte mich selber positiv unter Druck setzen, dass ich nicht aus einer zu großen Bequemlichkeit heraus agiere. Irgendwo mit 30 hinzugehen der Kohle wegen – so ticke ich nicht.

DFB.de: Rudi Völler sagte damals, sie hätten den Fußball nie geliebt. Sie sagten, Sie hätten das Fußball-Geschäft nie geliebt. Was hat Ihnen daran missfallen?

Jansen: Du bist 18 Jahre alt und darfst am Anfang in eine schöne Fußball-Welt eintauchen. Du bist als Profi ein privilegierter Mensch, der viel Geld verdient. Aber es ist ein Business. Du musst funktionieren, hast kein Privatleben mehr und wenn du nicht mehr funktionierst, wirst du vom System ausgespuckt. Ich bin damit klargekommen und mir war das auch bewusst, aber das war nicht die Passion, wegen der ich ursprünglich mal mit dem Fußball angefangen habe. Mit Rudi Völler ist das auch längst geklärt. Es war eine bewusste Entscheidung, einen anderen Weg zu gehen und das auch authentisch zu machen. Denn ich finde: Wenn man nur für die Kohle weiterspielt – dann hat man den Fußball nie geliebt.

DFB.de: Wann haben Sie angefangen, über den Sinn und Unsinn Ihrer Karriere als Profi nachzudenken?

Jansen: Sehr früh, aber nachdenklich im positiven Sinn. Ich komme aus einer Familie, die nicht viel Geld hatte und ihr ganzes Leben lang hart arbeiten musste, aber trotzdem glücklich war. Ich war nicht auf den Bundesliga-Zirkus angewiesen, der mein Leben besser macht, denn ich war auch vorher glücklich. Aber mit Anfang 20 habe ich mich gefragt: Was ist, wenn mir morgen jemand beide Kreuzbänder durchtritt? Interessiert sich dann noch jemand dafür, dass ich ein großes Talent war? Interessiert es überhaupt Menschen, wenn man Weltmeister war und dann ins Dschungelcamp geht oder gehen muss? Was ist das alles noch wert? Der eigene, authentische Weg war für mich wichtiger als mit Ach und Krach eine geile Karriere zu haben und dieser danach Tribut zollen zu müssen. Deshalb habe ich früh angefangen, Projekte zu starten, zu experimentieren und auf anderen Ebenen zu lernen, die für mich noch relevant werden.

DFB.de: Was macht denn Ihre Karriere nach der Fußball-Karriere?

Jansen: Gut. Es läuft bis jetzt so, wie ich mir das vorgestellt habe. Wir bauen im Moment viele Projekte auf und haben einige Beteiligungen. Ich hoffe, dass es in den kommenden Jahren noch mehr zu hören gibt. Ein paar Dinge sind bereits auf dem Markt wie ein Lifestyle-Sanitätshaus, eine Sport-Onlinemarke oder das eine oder andere Start-up. Daneben hoffe ich, dass ich meine App verwirklichen kann. Ich habe viel zu tun und bin von der Auslastung gut in meinem neuen Leben angekommen.

DFB.de: Was hat Sie als Profi glücklich gemacht?

Jansen: Wenn der Schiedsrichter angepfiffen hat und ich bei einem Heimspiel oder unter Flutlicht Fußball spielen konnte. Das ist das Geilste, was es gibt. Oder wenn bei einem Länderspiel die Nationalhymne ertönt und es danach auf den Platz geht. Das hat mich glücklich gemacht. Alles andere hat mich relativ wenig beeindruckt.

DFB.de: Sind das auch die Dinge, die Sie am meisten vermissen?

Jansen: Ja, definitiv. Aber das kann ich mir immer noch ein Stück weit zurückholen, ob nun bei einem Hallenturnier für einen guten Zweck oder einem Kick in einer Soccer-Halle. Das ist zwar nicht das Gleiche, aber die Profizeit ist sowieso irgendwann vorbei, auch wenn ich es noch ein paar Jahre hinausgezögert hätte. Aber es waren auch die kleinen Momente, ob Gespräche mit großen Persönlichkeiten wie Ottmar Hitzfeld oder Oliver Kahn, die mich berührt haben. Oder die Meisterfeier mit dem FC Bayern. Der dritte Platz bei der WM war mit das Bewegendste, weil das Turnier Veränderungen für das ganze Land gebracht hat. Aber auch die schwierigen Phasen wie der Abstiegskampf haben mich stark gemacht.

DFB.de: Wie sehen Sie denn die jüngsten Entwicklungen mit den Aktionen gegen RB Leipzig, Ausschreitungen, Südtribünen-Sperrung und auch die Spuck-Affäre um Carlo Ancelotti?

Jansen: Das aktuelle Weltbild geht leider immer mehr auf den Fußball über: Mehr Gewalt, mehr Neid, mehr Hass, mehr Egoismus. Das finde ich sehr, sehr schade und kann das nicht nachvollziehen. Wenn man Fan eines Traditionsvereins ist, braucht man doch gar nicht nach links oder rechts zu schauen, da kann man viel mehr stolz sein, dass man 25.000 Fans in einer Kurve hat. Da ist es mir doch völlig egal, was RB macht. Dann freue ich mich, wie geil mein Verein ist.

DFB.de: Wie sehen Sie die Entwicklung beim HSV seit Ihrem Abschied?

Jansen: Es ist immer noch der anlaufende Umbruch, immer verbunden mit der Hoffnung, dass die Dinge greifen. Aktuell mit einem kleinen Aufwind, aber auch immer noch in einer brandgefährlichen Situation. Der HSV hat noch extrem viel Arbeit vor sich in den nächsten Jahren, um einen Neustart zu finden. Da müssen sich viele gute Leute finden, die den Verein dahin bringen, wo er hingehört. Vielleicht wird jetzt der Anfang gemacht.

DFB.de: Die Borussia hat sich in den vergangenen Jahren genau dahin entwickelt, wo der HSV gerne wäre. Überrascht Sie das?

Jansen: Nein. Bei Borussia war die wirtschaftliche Situation, seitdem Rolf Königs Präsident ist, vorbildlich in Europa. Man muss großem Respekt davor haben, wie das Konstrukt über Jahre entwickelt und aufgebaut wurde. Ich habe es ab der E-Jugend erleben dürfen, wie es gewachsen ist, mit welch einem Konzept vom Fohlenstall über die Trainingsplätze bis hin zu dem Hotel, dort entsteht etwas, was einzigartig ist. Diese Ruhe und Kompetenz wünsche ich dem HSV auch, um in der Gesamtstruktur so etwas zu schaffen wie die Borussia.

DFB.de: Beiden Teams winkt nun das Pokal-Halbfinale, das Endspiel in Berlin ist nicht mehr weit. Sie saßen damals zwar nur auf der Bank, aber wie haben Sie die Atmosphäre erlebt?

Jansen: Ich stand leider nicht auf dem Platz, aber es war ein riesiges Erlebnis, den Pokal hochzuhalten. Und das als junger Spieler, der ein Jahr vorher von Borussia Mönchengladbach gekommen ist und bis dato vor allem gegen den Abstieg gespielt hatte.

DFB.de: Wie würden Sie das jemandem beschreiben, der das noch nie erlebt hat?

Jansen: Das ist echt schwierig, weil in dem Moment alle Emotionen zusammenkommen. Wie will man das erklären, wenn man mit dem Pokal und auch der Meisterschale vor den Fans steht und sie nach oben hält? Das kann man nur schwer erklären. Das muss man erlebt haben. Aber ein Fan, der mit seinem Verein mal einen Titel gewonnen hat, kann das nachvollziehen. Von den Emotionen her ist das gar nicht so ein großer Unterschied.

DFB.de: Welche Erinnerungen haben Sie noch an den DFB-Pokal?

Jansen: Die Tingeltouren zu den kleinen Vereinen fand ich immer geil, die machen den Pokal auch ein Stück weit aus. Diese Atmosphäre, die man von früher kennt und mit der man aufgewachsen ist. Die Stimmung war dann immer besonders hitzig, dazu gab es auch oft Sprüche von der Tribüne wie 'Hey Marcell, nach dem Spiel gehen wir ein Bierchen trinken'. Das mag ich sehr, denn der Fußball kommt ja von diesen Sportplätzen.

DFB.de: Sie sind WM-Dritter 2006 und 2010 geworden, Vize-Europameister 2008. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der Nationalmannschaft?

Jansen: Sehr viele. Das EM-Finale gemeinsam mit den Großen des Fußballs. Oder die WM im eigenen Land, das kann nichts toppen. Für mich wird es auch immer das Sommermärchen bleiben, egal, was Drumherum passiert ist. Dazu das tolle Umfeld beim DFB: viele Gesichter, die über die Jahre dort geblieben sind. Es war alles eingespielt und wie eine Familie. Ich glaube, dass dies auch der Grund ist, warum der DFB so erfolgreich ist.

DFB.de: 2014 sind Sie kurz vor der WM aus dem Kader gerutscht. Hatten Sie lange daran zu knabbern?

Jansen: Nein, überhaupt nicht. Die Entscheidung war ja auch absolut nachvollziehbar. Ich hatte mir im Vorfeld eine schwere Bänderverletzung zugezogen, und eigentlich habe ich nur aufgrund der Situation beim HSV mit der Relegation die Saison nicht beendet. Das hat funktioniert, aber für ein Turnier hätte es hinten raus nicht gereicht. Ich war auch nicht traurig, ich bin beim Tor von Mario Götze im Finale dann auch genauso ausgerastet, als wenn ich dabei gewesen wäre.

DFB.de: Können Sie sich denn eine Rückkehr in den Fußball vorstellen?

Jansen: Das würde ich nicht ausschließen. Es kommt darauf an, wie. Ich habe schon ganz klare Vorstellungen davon, was ich kann und was ich nicht kann. In der visionären und vertrieblichen Art und Weise schon, da müsste man schauen, was das für Positionen oder Funktionen wären. Aber ich bin ganz glücklich, dass ich ein wenig abseits vom Fußball Dinge lerne und versuche, Projekte auf die Straße zu bringen.

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Marcell Jansen ist die Vorfreude anzumerken. Der 31-Jährige verbringt die Karnevalstage zunächst im Rheinland. Natürlich, denn als gebürtiger Gladbacher ist der Ex-Profi damit aufgewachsen. Aschermittwoch wird er allerdings wieder in seiner neuen Heimat sein, in Hamburg. "Ein guter Zeitpunkt, um sich wieder um Fußball zu kümmern", wie er im Interview mit DFB.de erklärt. Denn dann treffen im Viertelfinale des DFB-Pokals der Hamburger SV und Borussia Mönchengladbach (ab 18.30 Uhr, live auf Sky) aufeinander. Also die beiden Klubs, die ihn geprägt haben. In Gladbach ist er geboren und dort reifte er zum Profi. Die letzten Jahre seiner Laufbahn spielte er schließlich für den HSV, bei dem er im Juli 2015 im Alter von 29 Jahren seine Karriere überraschend beendete.

Jansen absolvierte in seiner Karriere 242 Bundesliga-Spiele (25 Tore) für die Borussia, den HSV und den FC Bayern. Mit den Münchnern wurde er 2008 Meister und Pokalsieger. Zwischen 2005 und 2014 trug der Linksfuß insgesamt 45 Mal das Trikot der Nationalmannschaft und wurde mit der DFB-Auswahl 2006 und 2010 jeweils WM-Dritter sowie 2008 Vize-Europameister.

Im Interview mit DFB.de-Mitarbeiter Andreas Reiners spricht Jansen über das Viertelfinale, seinen frühen Abschied, die Liebe zum Fußball, Emotionen bei seinem Pokalsieg mit dem FC Bayern, die Nationalmannschaft und seine Karriere nach der Karriere.

DFB.de: Marcell Jansen, der HSV empfängt die Borussia zum Viertelfinale im DFB-Pokal. Wem drücken Sie am Mittwoch die Daumen?

Marcell Jansen: Ich versuche es positiv zu sehen. Es ist ein Spiel, bei dem eine der beiden Mannschaften auf jeden Fall weiterkommt. Ich bin dem HSV emotional einen Tick mehr verbunden, aber die Jungs müssen sich das im Spiel verdienen. Die Mannschaft, die am Ende die bessere ist, hat es an dem Tag dann auch verdient. Egal wie es ausgeht: Ich habe am Ende ein lachendes und ein weinendes Auge.

DFB.de: Wer wird es aus rein sportlichen Gesichtspunkten machen? Die Generalprobe hat der HSV bei den Bayern ja ordentlich vergeigt ...

Jansen: Das ist schwer zu sagen, vor dem 0:8 in München hatte sich der HSV eigentlich wieder gefangen. Aber gerade die Borussia hat wieder zu ihrer spielerischen Stärke gefunden. Aber den Hamburgern dürfte die Borussia grundsätzlich gut liegen, weil Gladbach das Spiel macht. Und wenn der HSV gut gegen den Ball und auf Konter spielt, kann ich mir vorstellen, dass er mit den Fans im Rücken trotzdem einen kleinen Vorteil hat.

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DFB.de: Wenn Sie auf der Tribüne sitzen: Erwischen Sie sich dabei, dass Sie gerne selbst noch mitmischen würden?

Jansen: Wenn du dein Leben lang Fußballer warst, juckt es immer in den Füßen, wenn du im Stadion bist und die Atmosphäre schnupperst. Unabhängig von dem Zeitpunkt, an dem man aufhört, fehlt einem der Fußball immer. Ich gehe aber noch ein- bis zweimal in der Woche kicken. Es ist mir wichtig, dass ich die Pille immer wieder am Fuß habe und mit meinen Jungs spielen kann.

DFB.de: Ihren frühzeitigen Abschied vom Profifußball haben Sie noch keine Sekunde bereut?

Jansen: Nein. Das war gut überlegt. Ich bin sehr dankbar für zwölf intensive Jahre. Was viele nicht sehen: Für meine Familie, für meine Freunde und für mich war der Weg ja noch viel länger. Von der Jugend an, wo man viel aufgeben, schnell erwachsen sein muss und jeden Tag trainiert mit dem Ziel, immer besser zu werden. Das hat mir irgendwann gereicht und ich wollte eigene Entscheidungen hinsichtlich meiner Zeiteinteilung treffen können. Eine Plattform legen, um Dinge zu lernen, die mich in den nächsten 20, 30 Jahren interessieren. Ich wollte mich selber positiv unter Druck setzen, dass ich nicht aus einer zu großen Bequemlichkeit heraus agiere. Irgendwo mit 30 hinzugehen der Kohle wegen – so ticke ich nicht.

DFB.de: Rudi Völler sagte damals, sie hätten den Fußball nie geliebt. Sie sagten, Sie hätten das Fußball-Geschäft nie geliebt. Was hat Ihnen daran missfallen?

Jansen: Du bist 18 Jahre alt und darfst am Anfang in eine schöne Fußball-Welt eintauchen. Du bist als Profi ein privilegierter Mensch, der viel Geld verdient. Aber es ist ein Business. Du musst funktionieren, hast kein Privatleben mehr und wenn du nicht mehr funktionierst, wirst du vom System ausgespuckt. Ich bin damit klargekommen und mir war das auch bewusst, aber das war nicht die Passion, wegen der ich ursprünglich mal mit dem Fußball angefangen habe. Mit Rudi Völler ist das auch längst geklärt. Es war eine bewusste Entscheidung, einen anderen Weg zu gehen und das auch authentisch zu machen. Denn ich finde: Wenn man nur für die Kohle weiterspielt – dann hat man den Fußball nie geliebt.

DFB.de: Wann haben Sie angefangen, über den Sinn und Unsinn Ihrer Karriere als Profi nachzudenken?

Jansen: Sehr früh, aber nachdenklich im positiven Sinn. Ich komme aus einer Familie, die nicht viel Geld hatte und ihr ganzes Leben lang hart arbeiten musste, aber trotzdem glücklich war. Ich war nicht auf den Bundesliga-Zirkus angewiesen, der mein Leben besser macht, denn ich war auch vorher glücklich. Aber mit Anfang 20 habe ich mich gefragt: Was ist, wenn mir morgen jemand beide Kreuzbänder durchtritt? Interessiert sich dann noch jemand dafür, dass ich ein großes Talent war? Interessiert es überhaupt Menschen, wenn man Weltmeister war und dann ins Dschungelcamp geht oder gehen muss? Was ist das alles noch wert? Der eigene, authentische Weg war für mich wichtiger als mit Ach und Krach eine geile Karriere zu haben und dieser danach Tribut zollen zu müssen. Deshalb habe ich früh angefangen, Projekte zu starten, zu experimentieren und auf anderen Ebenen zu lernen, die für mich noch relevant werden.

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DFB.de: Was macht denn Ihre Karriere nach der Fußball-Karriere?

Jansen: Gut. Es läuft bis jetzt so, wie ich mir das vorgestellt habe. Wir bauen im Moment viele Projekte auf und haben einige Beteiligungen. Ich hoffe, dass es in den kommenden Jahren noch mehr zu hören gibt. Ein paar Dinge sind bereits auf dem Markt wie ein Lifestyle-Sanitätshaus, eine Sport-Onlinemarke oder das eine oder andere Start-up. Daneben hoffe ich, dass ich meine App verwirklichen kann. Ich habe viel zu tun und bin von der Auslastung gut in meinem neuen Leben angekommen.

DFB.de: Was hat Sie als Profi glücklich gemacht?

Jansen: Wenn der Schiedsrichter angepfiffen hat und ich bei einem Heimspiel oder unter Flutlicht Fußball spielen konnte. Das ist das Geilste, was es gibt. Oder wenn bei einem Länderspiel die Nationalhymne ertönt und es danach auf den Platz geht. Das hat mich glücklich gemacht. Alles andere hat mich relativ wenig beeindruckt.

DFB.de: Sind das auch die Dinge, die Sie am meisten vermissen?

Jansen: Ja, definitiv. Aber das kann ich mir immer noch ein Stück weit zurückholen, ob nun bei einem Hallenturnier für einen guten Zweck oder einem Kick in einer Soccer-Halle. Das ist zwar nicht das Gleiche, aber die Profizeit ist sowieso irgendwann vorbei, auch wenn ich es noch ein paar Jahre hinausgezögert hätte. Aber es waren auch die kleinen Momente, ob Gespräche mit großen Persönlichkeiten wie Ottmar Hitzfeld oder Oliver Kahn, die mich berührt haben. Oder die Meisterfeier mit dem FC Bayern. Der dritte Platz bei der WM war mit das Bewegendste, weil das Turnier Veränderungen für das ganze Land gebracht hat. Aber auch die schwierigen Phasen wie der Abstiegskampf haben mich stark gemacht.

DFB.de: Wie sehen Sie denn die jüngsten Entwicklungen mit den Aktionen gegen RB Leipzig, Ausschreitungen, Südtribünen-Sperrung und auch die Spuck-Affäre um Carlo Ancelotti?

Jansen: Das aktuelle Weltbild geht leider immer mehr auf den Fußball über: Mehr Gewalt, mehr Neid, mehr Hass, mehr Egoismus. Das finde ich sehr, sehr schade und kann das nicht nachvollziehen. Wenn man Fan eines Traditionsvereins ist, braucht man doch gar nicht nach links oder rechts zu schauen, da kann man viel mehr stolz sein, dass man 25.000 Fans in einer Kurve hat. Da ist es mir doch völlig egal, was RB macht. Dann freue ich mich, wie geil mein Verein ist.

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DFB.de: Wie sehen Sie die Entwicklung beim HSV seit Ihrem Abschied?

Jansen: Es ist immer noch der anlaufende Umbruch, immer verbunden mit der Hoffnung, dass die Dinge greifen. Aktuell mit einem kleinen Aufwind, aber auch immer noch in einer brandgefährlichen Situation. Der HSV hat noch extrem viel Arbeit vor sich in den nächsten Jahren, um einen Neustart zu finden. Da müssen sich viele gute Leute finden, die den Verein dahin bringen, wo er hingehört. Vielleicht wird jetzt der Anfang gemacht.

DFB.de: Die Borussia hat sich in den vergangenen Jahren genau dahin entwickelt, wo der HSV gerne wäre. Überrascht Sie das?

Jansen: Nein. Bei Borussia war die wirtschaftliche Situation, seitdem Rolf Königs Präsident ist, vorbildlich in Europa. Man muss großem Respekt davor haben, wie das Konstrukt über Jahre entwickelt und aufgebaut wurde. Ich habe es ab der E-Jugend erleben dürfen, wie es gewachsen ist, mit welch einem Konzept vom Fohlenstall über die Trainingsplätze bis hin zu dem Hotel, dort entsteht etwas, was einzigartig ist. Diese Ruhe und Kompetenz wünsche ich dem HSV auch, um in der Gesamtstruktur so etwas zu schaffen wie die Borussia.

DFB.de: Beiden Teams winkt nun das Pokal-Halbfinale, das Endspiel in Berlin ist nicht mehr weit. Sie saßen damals zwar nur auf der Bank, aber wie haben Sie die Atmosphäre erlebt?

Jansen: Ich stand leider nicht auf dem Platz, aber es war ein riesiges Erlebnis, den Pokal hochzuhalten. Und das als junger Spieler, der ein Jahr vorher von Borussia Mönchengladbach gekommen ist und bis dato vor allem gegen den Abstieg gespielt hatte.

DFB.de: Wie würden Sie das jemandem beschreiben, der das noch nie erlebt hat?

Jansen: Das ist echt schwierig, weil in dem Moment alle Emotionen zusammenkommen. Wie will man das erklären, wenn man mit dem Pokal und auch der Meisterschale vor den Fans steht und sie nach oben hält? Das kann man nur schwer erklären. Das muss man erlebt haben. Aber ein Fan, der mit seinem Verein mal einen Titel gewonnen hat, kann das nachvollziehen. Von den Emotionen her ist das gar nicht so ein großer Unterschied.

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DFB.de: Welche Erinnerungen haben Sie noch an den DFB-Pokal?

Jansen: Die Tingeltouren zu den kleinen Vereinen fand ich immer geil, die machen den Pokal auch ein Stück weit aus. Diese Atmosphäre, die man von früher kennt und mit der man aufgewachsen ist. Die Stimmung war dann immer besonders hitzig, dazu gab es auch oft Sprüche von der Tribüne wie 'Hey Marcell, nach dem Spiel gehen wir ein Bierchen trinken'. Das mag ich sehr, denn der Fußball kommt ja von diesen Sportplätzen.

DFB.de: Sie sind WM-Dritter 2006 und 2010 geworden, Vize-Europameister 2008. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der Nationalmannschaft?

Jansen: Sehr viele. Das EM-Finale gemeinsam mit den Großen des Fußballs. Oder die WM im eigenen Land, das kann nichts toppen. Für mich wird es auch immer das Sommermärchen bleiben, egal, was Drumherum passiert ist. Dazu das tolle Umfeld beim DFB: viele Gesichter, die über die Jahre dort geblieben sind. Es war alles eingespielt und wie eine Familie. Ich glaube, dass dies auch der Grund ist, warum der DFB so erfolgreich ist.

DFB.de: 2014 sind Sie kurz vor der WM aus dem Kader gerutscht. Hatten Sie lange daran zu knabbern?

Jansen: Nein, überhaupt nicht. Die Entscheidung war ja auch absolut nachvollziehbar. Ich hatte mir im Vorfeld eine schwere Bänderverletzung zugezogen, und eigentlich habe ich nur aufgrund der Situation beim HSV mit der Relegation die Saison nicht beendet. Das hat funktioniert, aber für ein Turnier hätte es hinten raus nicht gereicht. Ich war auch nicht traurig, ich bin beim Tor von Mario Götze im Finale dann auch genauso ausgerastet, als wenn ich dabei gewesen wäre.

DFB.de: Können Sie sich denn eine Rückkehr in den Fußball vorstellen?

Jansen: Das würde ich nicht ausschließen. Es kommt darauf an, wie. Ich habe schon ganz klare Vorstellungen davon, was ich kann und was ich nicht kann. In der visionären und vertrieblichen Art und Weise schon, da müsste man schauen, was das für Positionen oder Funktionen wären. Aber ich bin ganz glücklich, dass ich ein wenig abseits vom Fußball Dinge lerne und versuche, Projekte auf die Straße zu bringen.