Janotta: "Antisemitismus ist kein Teil unserer Meinungsvielfalt"

Windböen lassen die Acrylsilhouetten erzittern. Das kalte Maiwetter will nicht enden, auch jetzt hier am Wiesbadener Hauptbahnhof, wo gleich eine Ausstellung, die an 17 jüdische Sportlerinnen und Sportler erinnert, eröffnet werden soll. 2015 entstand die Ausstellung "Zwischen Erfolg und Verfolgung" auf Initiative der DFB-Kulturstiftung und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Wiesbaden ist bereits die 19. Station. Das Zeichen gegen Antisemitismus in Deutschland aber war seit dem Beginn vor sechs Jahren nie so aktuell wie heute. "Der Kampf gegen Antisemitismus ist eine Daueraufgabe, die in den letzten Tagen traurige Aktualität bekommen hat", sagt Hessens Innenminister Peter Beuth. Es ist 11 Uhr. Vor neun Stunden begann die Waffenruhe im Nahen Osten.

Zuvor waren laut Angaben der israelischen Armee 4300 Raketen auf Israel abgefeuert worden. Die israelische Luftwaffe hatte ihrerseits Bomben auf Ziele im Gazastreifen abgeworfen. Zivilisten starben auf beiden Seiten. Und in Deutschland fanden tagelang Protestkundgebungen statt. Der Zentralrat der Juden veröffentlichte den Videoschnipsel einer Kundgebung in Gelsenkirchen, die Menge skandierte "Scheiß Juden". Steine wurden auf Synagogen geworfen, Israels Flagge in Brand gesteckt. Antisemitische Ausschreitungen wurden in Berlin, Mannheim, Freiburg und Stuttgart beobachtet. Die Maccabi-Sportvereine melden eine Zunahme antisemitischer Anfeindungen.

Geschichte des Antisemitismus endete nicht mit Auschwitz-Befreiung

DFB-Vizepräsident Dirk Janotta ist nach Wiesbaden gekommen. Er hält ein Grußwort zur Eröffnung. "Vor uns stehen die Denkmäler von 17 Menschen, die aus einem einzigen Grund stigmatisiert und verfolgt wurden. Weil sie Jüdinnen und Juden waren." Der Jurist aus dem Rheinland koordiniert im DFB-Präsidium die Stiftungsarbeit. Als junger Mann war er nach Polen gereist, er hatte damals die Spuren des Holocaust mit eigenen Augen sehen wollen. "Wir alle wissen", fährt er fort, "dass die Geschichte des Antisemitismus nicht mit der Befreiung von Auschwitz 1945 endete. Nicht in Deutschland. Nirgendwo." Janotta erinnert daran, dass die Ausstellung mehrfach Zielscheibe antisemitischer Anschläge wurde, zuletzt am Jahrestag der Reichspogromnacht, am 9. November 2020 in Bochum. Figuren wurden umgestoßen, beschmiert, beschädigt.

Auf den Rückseiten der Figuren stehen die Lebensläufe. Man muss etwas Zeit mitbringen, will man alle 17 Biografien durchlesen. Aber jeder kann natürlich auch auswählen, nach Namen oder den Sportarten. Jede*r Ausstellungebesucher*in bestimmt selbst Auswahl der Objekte und Dauer des Rundgangs. Es braucht keine Eintrittskarte.

Vorgestellt werden die Biografien des Fußballpioniers Walther Bensemann, der zehnfachen Deutschen Leichtathletikmeisterin Lilli Henoch, des Fußballnationalspielers Julius Hirsch, des israelischen, später deutschen Basketball-Nationaltrainer Ralph Klein, der Fechtolympiasiegerin Helene Mayer, des Schachweltmeisters Emanuel Lasker, des Meisterboxers Erich Seelig, der Deutschen Tennismeisterin Nelly Neppach, der Deutschen Speerwurfmeisterin Martha Jacob, der Leichtathletin Gretel Bergmann, der Turnolympiasieger Alfred und Gustav Felix Flatow, der Europameister im Gewichtheben beziehungsweise im Ringen Julius und Hermann Baruch, des Eishockeyspielers Rudi Ball und des deutschen Fußballnationalspielers Gottfried Fuchs. Die Ausstellung bietet mit der Schwimmerin Sarah Poewe aber auch einen Ausblick und stellt eine wichtige Verbindung zur Gegenwart her. Poewe gewann als erste jüdische Athletin nach Ende des Zweiten Weltkrieges für Deutschland eine olympische Bronze-Medaille 2004 in Athen.

"Grenzüberschreitung, die wir nicht akzeptieren werden"

Dirk Janotta ist am Ende seines Grußworts angelangt. Er sagt noch: "Wer unser Recht auf freie Meinungsäußerung missbraucht, um Judenhass zu legitimieren, begeht eine Grenzüberschreitung, die wir nicht akzeptieren werden, die wir niemals akzeptieren können. Antisemitismus ist kein Teil unserer Meinungsvielfalt."

Die Polizisten, die zur Eröffnung geschickt wurden, stehen im Grüppchen zum Plausch zusammen, die Bodyguards des Innenministers ziehen die Schultern nicht mehr ganz so hoch. Die Sonne ist rausgekommen, ein bisschen wenigstens.

Die Ausstellung ist noch bis zum 20. Juni auf dem Vorplatz des Wiesbadener Hauptbahnhofs zu sehen.

[th]

Windböen lassen die Acrylsilhouetten erzittern. Das kalte Maiwetter will nicht enden, auch jetzt hier am Wiesbadener Hauptbahnhof, wo gleich eine Ausstellung, die an 17 jüdische Sportlerinnen und Sportler erinnert, eröffnet werden soll. 2015 entstand die Ausstellung "Zwischen Erfolg und Verfolgung" auf Initiative der DFB-Kulturstiftung und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Wiesbaden ist bereits die 19. Station. Das Zeichen gegen Antisemitismus in Deutschland aber war seit dem Beginn vor sechs Jahren nie so aktuell wie heute. "Der Kampf gegen Antisemitismus ist eine Daueraufgabe, die in den letzten Tagen traurige Aktualität bekommen hat", sagt Hessens Innenminister Peter Beuth. Es ist 11 Uhr. Vor neun Stunden begann die Waffenruhe im Nahen Osten.

Zuvor waren laut Angaben der israelischen Armee 4300 Raketen auf Israel abgefeuert worden. Die israelische Luftwaffe hatte ihrerseits Bomben auf Ziele im Gazastreifen abgeworfen. Zivilisten starben auf beiden Seiten. Und in Deutschland fanden tagelang Protestkundgebungen statt. Der Zentralrat der Juden veröffentlichte den Videoschnipsel einer Kundgebung in Gelsenkirchen, die Menge skandierte "Scheiß Juden". Steine wurden auf Synagogen geworfen, Israels Flagge in Brand gesteckt. Antisemitische Ausschreitungen wurden in Berlin, Mannheim, Freiburg und Stuttgart beobachtet. Die Maccabi-Sportvereine melden eine Zunahme antisemitischer Anfeindungen.

Geschichte des Antisemitismus endete nicht mit Auschwitz-Befreiung

DFB-Vizepräsident Dirk Janotta ist nach Wiesbaden gekommen. Er hält ein Grußwort zur Eröffnung. "Vor uns stehen die Denkmäler von 17 Menschen, die aus einem einzigen Grund stigmatisiert und verfolgt wurden. Weil sie Jüdinnen und Juden waren." Der Jurist aus dem Rheinland koordiniert im DFB-Präsidium die Stiftungsarbeit. Als junger Mann war er nach Polen gereist, er hatte damals die Spuren des Holocaust mit eigenen Augen sehen wollen. "Wir alle wissen", fährt er fort, "dass die Geschichte des Antisemitismus nicht mit der Befreiung von Auschwitz 1945 endete. Nicht in Deutschland. Nirgendwo." Janotta erinnert daran, dass die Ausstellung mehrfach Zielscheibe antisemitischer Anschläge wurde, zuletzt am Jahrestag der Reichspogromnacht, am 9. November 2020 in Bochum. Figuren wurden umgestoßen, beschmiert, beschädigt.

Auf den Rückseiten der Figuren stehen die Lebensläufe. Man muss etwas Zeit mitbringen, will man alle 17 Biografien durchlesen. Aber jeder kann natürlich auch auswählen, nach Namen oder den Sportarten. Jede*r Ausstellungebesucher*in bestimmt selbst Auswahl der Objekte und Dauer des Rundgangs. Es braucht keine Eintrittskarte.

Vorgestellt werden die Biografien des Fußballpioniers Walther Bensemann, der zehnfachen Deutschen Leichtathletikmeisterin Lilli Henoch, des Fußballnationalspielers Julius Hirsch, des israelischen, später deutschen Basketball-Nationaltrainer Ralph Klein, der Fechtolympiasiegerin Helene Mayer, des Schachweltmeisters Emanuel Lasker, des Meisterboxers Erich Seelig, der Deutschen Tennismeisterin Nelly Neppach, der Deutschen Speerwurfmeisterin Martha Jacob, der Leichtathletin Gretel Bergmann, der Turnolympiasieger Alfred und Gustav Felix Flatow, der Europameister im Gewichtheben beziehungsweise im Ringen Julius und Hermann Baruch, des Eishockeyspielers Rudi Ball und des deutschen Fußballnationalspielers Gottfried Fuchs. Die Ausstellung bietet mit der Schwimmerin Sarah Poewe aber auch einen Ausblick und stellt eine wichtige Verbindung zur Gegenwart her. Poewe gewann als erste jüdische Athletin nach Ende des Zweiten Weltkrieges für Deutschland eine olympische Bronze-Medaille 2004 in Athen.

"Grenzüberschreitung, die wir nicht akzeptieren werden"

Dirk Janotta ist am Ende seines Grußworts angelangt. Er sagt noch: "Wer unser Recht auf freie Meinungsäußerung missbraucht, um Judenhass zu legitimieren, begeht eine Grenzüberschreitung, die wir nicht akzeptieren werden, die wir niemals akzeptieren können. Antisemitismus ist kein Teil unserer Meinungsvielfalt."

Die Polizisten, die zur Eröffnung geschickt wurden, stehen im Grüppchen zum Plausch zusammen, die Bodyguards des Innenministers ziehen die Schultern nicht mehr ganz so hoch. Die Sonne ist rausgekommen, ein bisschen wenigstens.

Die Ausstellung ist noch bis zum 20. Juni auf dem Vorplatz des Wiesbadener Hauptbahnhofs zu sehen.

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