"Als Promi hat man hier keine dicke Hose"

Am heutigen Montag endet das Internationale Fußballfilm-Festival 11mm, das in Berlin an fünf Tagen über 50 Spielfilme, Dokumentationen, Serien, Kinder- und Jugendfilme im Kult-Kino "Babylon" gezeigt hat. Die DFB-Kulturstiftung ist seit mehr als zehn Jahren Hauptförderer des weltweit größten Festivals seiner Art. Im DFB.de-Interview sprechen die Künstlerin und Ex-Nationalspielerin Josephine Henning, die neben ihrer Funktion in der Jury auch das diesjährige Festivalmotiv entworfen hat, und Festivalgründer Birger Schmidt mit Mitarbeiterin Fabienne Kraus über Sepp Maier als Regisseur, unglamouröse Promiauftritte und die emotionalen Hintergründe des Festivalmotivs.

DFB.de: Herr Schmidt, im Laufe des Festivals haben einige Besucher gefragt, woher der Festivalname "11mm" stammt.

Birger Schmidt: Das war ein Geistesblitz eines Teammitglieds und hat etwas mit acht und 35 Millimeter Film zu tun und die Zahl "11" spielt ja auch im Fußball eine herausragende Rolle - ob bei Spieler*innen oder beim Elfmeterschuss. Außerdem sollen 11 Meter Entfernung zur Kinoleinwand ideal sein, um den besten Blick zu haben.

DFB.de: Sie feiern in diesem Jahr ganze 18 Jahre "11mm". Wie entstand die Festivalidee?

Schmidt: In aller Bescheidenheit: Die Idee kam von mir und entstand in England. Dort gab es zur WM 2006 ein Fußballkulturprogramm. Zu dieser Zeit war ich für den British Council tätig, wo ich mir Projekte rund um Fußball und Soziales/Kultur/Bildung anschauen durfte. In diesem Zug wurde ich auf etliche DVDs über Spiele und das Drumherum aufmerksam, welche es in Deutschland nicht gab. Daraufhin habe ich mich mit Freunden vom Verein "Brot und Spiele e.V." zusammengesetzt und ein Festival entworfen, das in seinem ersten Jahr vom British Council finanziert wurde, weswegen auch nur britische Filme liefen. Während und nach dem Festival erreichten uns Fußballfilmtipps aus aller Welt und wir machten uns auch eigenständig auf die Suche nach internationalen Fußballfilmen. Die meisten Kolleg*innen aus der Anfangsphase sind heute noch dabei. Quasi viele Nerds auf einer Stelle. (lacht)

DFB.de: Schauen Sie selbst auch alle Filme an?

Schmidt: Ich schaue mir erschreckend viele Filme an. (lacht) Ich liebe Filme, aber ich freue mich auch, wenn die Sichtungsphase vorbei ist und ich mal wieder andere Filme oder eine Serie schauen kann. Ich gebe auch meine Punkte, stehe aber auch für besondere Filme ein, die meiner Meinung nach unbedingt ins Programm gehören, wie in diesem Jahr beispielsweise für den zweieinhalbstündigen georgischen Film "Was sehen wir, wenn wir in den Himmel schauen?". Klar weiß man, dass da der Kinosaal nicht brechend voll sein wird, aber der Film hat so wunderschöne Fußballmomente, z.B. werden göttliche Zeitlupenaufnahmen von Kindern auf dem Bolzplatz gezeigt, die den Film zu einem Fußballfilm machen, obwohl die Story eigentlich ein Liebesmärchen ist. Sowas darf sein. Nicht nur Ibrahimovic und Maradona, sondern sehr gerne auch sowas.

DFB.de: Fußballfilme gibt es einige. Wie entscheiden Sie, welcher Film es ins Festivalprogramm schafft?

Schmidt: Einerseits entscheidet der Qualitätsanspruch und andererseits versetzen wir uns in die Köpfe der Zuschauer*innen, denn für einen Sportfilm Interesse zu wecken, ist nicht so einfach. Natürlich laufen manche Namen und Geschichten besser, allerdings stoßen wir immer mehr auf gesellschaftspolitisch relevante Filme. Wir haben einen Sichtungskreis und zum Schluss wird abgestimmt. Aus diesem Fundus suchen wir anschließend eine "Shortlist" an Filmen aus, die wir für preiswürdig halten und die unseren Juroren gezeigt werden. Da setzen wir einen guten Filter.

DFB.de: Frau Henning, Sie sind dieses Jahr als Jurymitglied dabei. Würden Sie das mit dem "guten Filter" so unterschreiben?

Josephine Henning: Auf jeden Fall. Ich war positiv überrascht und finde vor allem die Varianz der Filme unglaublich, denn jeder einzelne ist kulturtechnisch wertvoll. So viele Filme zu suchen und auszusortieren, um schließlich ein Programm zu basteln, das von Donnerstag bis Montag solch eine Wertschöpfungskette für alle Zuschauer*innen bietet, ist eine Kunst für sich. Ich war von Anfang an Fan und wollte unbedingt mitmachen.

DFB.de: Überwiegt für Sie als Ex-Fußballerin die fußballerische Leistung oder mehr Logik und Schnitt?

Henning: Ich kenne mich sowohl im Amateur- als auch Profifußball aus und wenn da etwas nicht logisch wäre, würde es mir auffallen und mich auch sehr stören. Am schwierigsten ist es bei Fußballfilmen, das schnelle Spiel einzufangen. Meiner Meinung nach hat es noch niemand geschafft, das abzubilden. Das hat immer etwas mit Zeit und Kameraschnitt zu tun, aber ich würde sagen, beim Anschauen achte ich schon sehr auf das Fußballerische.

DFB.de: Wenn Sie sagen, dass alle Filme großartig sind, wie gelingt es Ihnen, den Siegerfilm zu ermitteln? Wie stimmt die Jury ab?

Henning: Ich habe einen Link bekommen, mit dem ich Zugang zu allen Filmen des Festivals habe und über den ich bis zu fünf Punkte pro Film vergeben kann. Das habe ich allerdings nicht direkt nach dem Anschauen gemacht, sondern ganz am Ende, als ich alle Filme gesehen habe. Ich glaube dadurch, dass mein Papa Schauspieler war und ich viele Theaterstücke im Nachgang nach der Aufnahme nochmal angeschaut habe, schaue ich mir Filme öfters zweimal an. Das erste Mal ist es meist die Emotion, das zweite Mal eher Kameraschnitt oder Szenenbild. Es ist ja nicht einmal geschaut und alles eingefangen, deswegen ist die Punktevergabe für mich mehr als nur ein Gefühl. Deswegen ist es wichtig, die Jury so divers wie möglich aufzustellen, um ein tolles Ergebnis zu erzielen.

DFB.de: Stichwort "Junge Jury". Sie haben in diesem Jahr zum ersten Mal eine siebenköpfige, junge Jury mit an Bord. Warum?

Schmidt: Ich komme aus der pädagogischen Arbeit und habe dort erlebt, wie großartig es ist, Veranstaltungen mit jungen Erwachsenen zu planen, nicht immer nur für sie. Das war bei 11mm jetzt auch an der Zeit. Wir haben ein eigenes Kinder- und Jugendfestival, das im nächsten Jahr wieder stattfinden soll und dort haben wir gemerkt, dass nach den Filmen ganz andere Fragen gestellt werden als von Erwachsenen. Deswegen haben wir dieses Jahr eine "junge Jury" im Alter von 18-23 Jahren zusammengestellt. Kinder- und Jugendjurys sind zwar in einige Festivals eingespannt, allerdings werden denen meistens nur Kinder- und Jugendfilme gezeigt. Bei uns sieht die junge Jury die gleichen Filme wie die Erwachsenen-Jury. Bei der Abstimmung zwischen den beiden Jurys gibt es durch die verschiedenen Sichtweisen sicherlich einige spannende Gespräche.

DFB.de: Wenn Sie auf die letzten 18 Jahre zurückblicken, was war das absolute Highlight und unvergesslich?

Schmidt: Es gab zwei absolute Highlights, die uns sicherlich vorangebracht und den Bekanntheitsgrad des Festivals gesteigert haben. Das war einerseits dem Film mit Sepp Maier (2012, Anm.d.Red.) zu verdanken, der Privataufnahmen von der WM 1990 hatte und diese erstmals bei uns gezeigt hat. Das war Wahnsinn! Wir hatten zwei Vorstellungen mit jeweils 500 Zuschauern ausverkauft und diverse Leute, die immer noch rein wollten. Sepp Maier hat das mit großem Genuss verfolgt und sich an dem Abend nicht als Torwart, sondern als Regisseur gesehen. (lacht) Das zweite Highlight war vor allem ein persönliches. Vor einem Festival hatte ich noch gesagt, wenn es mal einen Film über Heinz Flohe geben würde, wäre das für mich das Allergrößte. Flohe war Mittelfeldspieler beim 1. FC Köln und mein absolutes Idol. Dann kriegen wir 2015 eine E-Mail, wo jemand schreibt, er hätte einen Film über Flohe gedreht und der war auch noch richtig gut! "Der mit dem Ball tanzte" hat den zweiten Preis bekommen und ist mein persönlicher Lieblingsfilm.

DFB.de: Gäste erzählen immer wieder vom tollen Austausch mit anderen Kinobesucher*innen. Würden Sie sagen, das ist das Alleinstellungsmerkmal von 11mm?

Henning: 11mm bietet Geschichten über das pure Leben und das spürt man vor Ort. Deswegen kommen die Leute hier hin. Wenn ein Film aus ist und die Reihe vor dir über den Film spricht, man in berührte Gesichter blickt und sich auf dem Weg nach draußen auch einfach in andere Gespräche einmischt, um gemeinsam zu diskutieren, dann ist das der Unterschied zum "standardmäßigen" Kinobesuch und ein riesiger Mehrwert.

Schmidt: Über die Fußballkulturschiene hat man die Möglichkeit, Menschen ganz anders anzusprechen und für das Festival zu begeistern. Das sind sowohl Leute nur aus dem Fußballbereich, aber auch nur aus der Filmszene. Die Atmosphäre ist dieses Jahr besonders schön. Man kann bei den lauen Temperaturen bis in die Nacht draußen sitzen und gemeinsam über Filme plaudern.

DFB.de: Kommt man durch diese entspannte Stimmung leichter ins Gespräch?

Henning: In den letzten Tagen hier war es meist so, dass ich aus dem Augenwinkel beobachten konnte, dass mich jemand gerne ansprechen würde, sich aber nicht traut. Wenn man dann gemeinsam aus einem Film kommt und danach locker im Foyer steht, entwickelt sich auf einmal ein Gespräch, weil sich die Person dann doch traut oder ich sie anspreche und das ist etwas Schönes. Otto Rehhagel zum Beispiel ist sicherlich ein großer Star, aber natürlich ist er in einer solchen Menschenmenge auch eingeschüchtert. Zum 11mm begegnet er aber allen Besucher*innen auf Augenhöhe, hat keine drei Bodyguards dabei, durch die man mit ihm sprechen muss und genau diese Nähe ist hier total toll und besonders. Ein weiterer Punkt ist für mich persönlich auch der Kontakt zu anderen Kunstschaffenden, denen ich hier begegnet bin. Es hat sich schon einiges ergeben bzgl. zukünftiger Projekte, wo man z.B. für den guten Zweck, im Fußball- oder Kunstkontext oder einer Ausstellung zusammenkommt und man kann oftmals auch den Vermittler spielen, weil man viel hört und Personen kennenlernt, die man für bestimmte Vorhaben miteinander in Kontakt bringen kann, um neue Projekte anzustoßen und zu realisieren. Das macht Birger total gut.

DFB.de: Ist durch diese "Verknüpfung" auch das diesjährige Festivalmotiv entstanden?

Schmidt: Kann man so sagen. Wir haben uns durch berufliche Meetings per Bildschirm kennengelernt. Ich wusste, dass Josephine Künstlerin ist und wir suchen Jahr für Jahr ein Festivalmotiv und diesmal war es eine ganz schnelle Geschichte. Ich habe Josephine beim 11mm als Künstlerin vorgeschlagen, daraufhin haben wir uns telefonisch ausgetauscht und währenddessen ist der Krieg in der Ukraine ausgebrochen. Damit war für Josephine schnell klar, was für ein Fokus das Motiv haben soll. Wir fanden es toll und nun hängt dieses meterlange Plakat hier über dem Babylon.

DFB.de: Was für ein Gefühl ist es für Sie, wenn Sie das sehen?

Henning: Das ist ziemlich beeindruckend. Auch die meterlange Leinwand im Kinosaal. Wenn ich im Saal sitze, muss ich zwischendurch immer Mal hochschauen und innehalten. (lacht) Ich bin wirklich sehr dankbar, dass das funktioniert hat.

DFB.de: War es für Sie direkt klar, dass Sie die Ukraine-Thematik aufgreifen, als die Anfrage kam?

Henning: Durch 11mm war eine große Offenheit und viel Vertrauen da. Wir hatten die Thematik kommuniziert, das Motiv musste allerdings noch entstehen und da war ich gefragt. Zur Friedensdemo in Köln habe ich ein großes Plakat gemalt, das dieses Mädchen zeigt, was jetzt 11mm ziert. Weil ich während der Demo leider Corona hatte, haben meine Freunde das Plakat neun Stunden lang durch ganz Köln getragen. Danach haben sie es mir zurückgebracht und ich habe daran weitergemalt. Anschließend wurde es gescannt und nun hängt es hier als riesiges Festivalplakat.

DFB.de: Welche Reaktionen erhalten Sie von Gästen?

Henning: Gestern waren zwei Frauen vom Ukrainischen Filmfestival hier, mit denen ich über mein Bild gesprochen habe. Ich versuche ja etwas einzufangen, was ich nicht tagtäglich erlebe, sondern nur aus den Medien oder durch Freunde kenne. Obwohl ich sehr empathisch auf die Situation schaue, kann es dennoch sein, dass der Ausdruck sehr pathetisch ist. Wenn man dann im Austausch mit diesen Menschen, die tagtäglich damit zu kämpfen haben, merkt, man hat die Thematik getroffen, dann ist das sehr schön.

Schmidt: Für uns ist die Herausforderung wiederum, auf das Motiv auch im Programm Bezug zu nehmen. Das kleine Mädchen mit dem Ukraine-Shirt wäre auch schön gewesen, aber mit dem Hintergrund, dass es auf dieser riesigen Wiese sitzt, schließt sich der Kreis. Somit haben wir nicht nur die Sonderreihe mit den Ukraine-Filmen im Angebot, sondern auch den Themenschwerpunkt "Fußball und Heimat" aufgegriffen. Das muss beides zusammenpassen.

DFB.de: War das auch Ihr Gedanke dahinter, Frau Henning?

Henning: Klar. Ich habe für mich überlegt, was ist für mich Heimat in Bezug auf Fußball: Diese riesige Bolzplatzwiese, auf der ganz im Hintergrund ein Tor angedeutet ist.

DFB.de: Und das passt ja wiederum perfekt zum Rollrasen am Eingangsbereich des Kinos.

Schmidt: Genau. Als Prominenter hat man keine "dicke Hose", wenn man hierherkommt. Genau das ist mit dem grünen Rasen statt dem roten Teppich zu verstehen. Auf dem Rasen wird ein ehrliches Wort gesprochen. Hier geben und begegnen sich die Menschen anders, als wenn sie "glamourlike" über den roten Teppich schreiten. Das gehört zur Seele des Festivals.

DFB.de: Was würden Sie sagen, warum muss man mindestens einmal beim 11mm gewesen sein?

Henning: Ganz klar: Weil du sowas noch nie irgendwo gesehen hast. Wenn du vorher noch nie bei 11mm warst, kannst du das, was hier geboten wird, in Summe und Qualität noch nie erlebt haben. Du wirst absolut nicht enttäuscht, sondern super überrascht sein und so viel mitnehmen, wenn du vorbeikommst.

Schmidt: Es ist wirklich einmalig. Zwar gibt es in anderen Ländern einige Partnerfestivals, die das aber wirtschaftlich so nicht umsetzen können, weil z.B. Kinos den Festivalbetrieb über mehrere Tage nicht zulassen. Die Umsetzung ist auch großartig, der Umfang ist aber anders. Die Initiatoren der anderen Länder kommen hier her, um sich das Programm anzuschauen, aber auch um mit Darstellern und Regisseuren ins Gespräch zu kommen. Für uns ist es eine tolle Sache, die Idee weiterzugeben.

DFB.de: Das hat ja anscheinend funktioniert, wie z.B. Gäste aus Amerika, Australien, Ungarn und Dänemark zeigen.

Schmidt: Kann man so sagen. (lacht) Mittlerweile gibt es weltweit 16 Fußballfilmfestivals, was für uns als Festivalmacher natürlich toll ist, da wir die alle besuchen können. Die weiteste Anreise hat wohl der Kollege aus Sydney, der dieses Jahr schon zum zweiten Mal hier ist. Ein Festivalbetreiber, der fußballbegeistert ist und entsprechend ein zweitägiges Festival auf die Beine gestellt hat. Dadurch habe ich jetzt Freunde auf der ganzen Welt, was ich mir früher nie hätte träumen lassen.

DFB.de: Was wünschen Sie sich für die nächsten Ausgaben?

Schmidt: Mein Traum wäre es, einmal eine eigene "Rolle" mit 60 bis 90 Minuten der schönsten Fußballszenen, die jemals in Fußballfilmen aufgetaucht sind, zu entwerfen.

[fk]

Am heutigen Montag endet das Internationale Fußballfilm-Festival 11mm, das in Berlin an fünf Tagen über 50 Spielfilme, Dokumentationen, Serien, Kinder- und Jugendfilme im Kult-Kino "Babylon" gezeigt hat. Die DFB-Kulturstiftung ist seit mehr als zehn Jahren Hauptförderer des weltweit größten Festivals seiner Art. Im DFB.de-Interview sprechen die Künstlerin und Ex-Nationalspielerin Josephine Henning, die neben ihrer Funktion in der Jury auch das diesjährige Festivalmotiv entworfen hat, und Festivalgründer Birger Schmidt mit Mitarbeiterin Fabienne Kraus über Sepp Maier als Regisseur, unglamouröse Promiauftritte und die emotionalen Hintergründe des Festivalmotivs.

DFB.de: Herr Schmidt, im Laufe des Festivals haben einige Besucher gefragt, woher der Festivalname "11mm" stammt.

Birger Schmidt: Das war ein Geistesblitz eines Teammitglieds und hat etwas mit acht und 35 Millimeter Film zu tun und die Zahl "11" spielt ja auch im Fußball eine herausragende Rolle - ob bei Spieler*innen oder beim Elfmeterschuss. Außerdem sollen 11 Meter Entfernung zur Kinoleinwand ideal sein, um den besten Blick zu haben.

DFB.de: Sie feiern in diesem Jahr ganze 18 Jahre "11mm". Wie entstand die Festivalidee?

Schmidt: In aller Bescheidenheit: Die Idee kam von mir und entstand in England. Dort gab es zur WM 2006 ein Fußballkulturprogramm. Zu dieser Zeit war ich für den British Council tätig, wo ich mir Projekte rund um Fußball und Soziales/Kultur/Bildung anschauen durfte. In diesem Zug wurde ich auf etliche DVDs über Spiele und das Drumherum aufmerksam, welche es in Deutschland nicht gab. Daraufhin habe ich mich mit Freunden vom Verein "Brot und Spiele e.V." zusammengesetzt und ein Festival entworfen, das in seinem ersten Jahr vom British Council finanziert wurde, weswegen auch nur britische Filme liefen. Während und nach dem Festival erreichten uns Fußballfilmtipps aus aller Welt und wir machten uns auch eigenständig auf die Suche nach internationalen Fußballfilmen. Die meisten Kolleg*innen aus der Anfangsphase sind heute noch dabei. Quasi viele Nerds auf einer Stelle. (lacht)

DFB.de: Schauen Sie selbst auch alle Filme an?

Schmidt: Ich schaue mir erschreckend viele Filme an. (lacht) Ich liebe Filme, aber ich freue mich auch, wenn die Sichtungsphase vorbei ist und ich mal wieder andere Filme oder eine Serie schauen kann. Ich gebe auch meine Punkte, stehe aber auch für besondere Filme ein, die meiner Meinung nach unbedingt ins Programm gehören, wie in diesem Jahr beispielsweise für den zweieinhalbstündigen georgischen Film "Was sehen wir, wenn wir in den Himmel schauen?". Klar weiß man, dass da der Kinosaal nicht brechend voll sein wird, aber der Film hat so wunderschöne Fußballmomente, z.B. werden göttliche Zeitlupenaufnahmen von Kindern auf dem Bolzplatz gezeigt, die den Film zu einem Fußballfilm machen, obwohl die Story eigentlich ein Liebesmärchen ist. Sowas darf sein. Nicht nur Ibrahimovic und Maradona, sondern sehr gerne auch sowas.

DFB.de: Fußballfilme gibt es einige. Wie entscheiden Sie, welcher Film es ins Festivalprogramm schafft?

Schmidt: Einerseits entscheidet der Qualitätsanspruch und andererseits versetzen wir uns in die Köpfe der Zuschauer*innen, denn für einen Sportfilm Interesse zu wecken, ist nicht so einfach. Natürlich laufen manche Namen und Geschichten besser, allerdings stoßen wir immer mehr auf gesellschaftspolitisch relevante Filme. Wir haben einen Sichtungskreis und zum Schluss wird abgestimmt. Aus diesem Fundus suchen wir anschließend eine "Shortlist" an Filmen aus, die wir für preiswürdig halten und die unseren Juroren gezeigt werden. Da setzen wir einen guten Filter.

DFB.de: Frau Henning, Sie sind dieses Jahr als Jurymitglied dabei. Würden Sie das mit dem "guten Filter" so unterschreiben?

Josephine Henning: Auf jeden Fall. Ich war positiv überrascht und finde vor allem die Varianz der Filme unglaublich, denn jeder einzelne ist kulturtechnisch wertvoll. So viele Filme zu suchen und auszusortieren, um schließlich ein Programm zu basteln, das von Donnerstag bis Montag solch eine Wertschöpfungskette für alle Zuschauer*innen bietet, ist eine Kunst für sich. Ich war von Anfang an Fan und wollte unbedingt mitmachen.

DFB.de: Überwiegt für Sie als Ex-Fußballerin die fußballerische Leistung oder mehr Logik und Schnitt?

Henning: Ich kenne mich sowohl im Amateur- als auch Profifußball aus und wenn da etwas nicht logisch wäre, würde es mir auffallen und mich auch sehr stören. Am schwierigsten ist es bei Fußballfilmen, das schnelle Spiel einzufangen. Meiner Meinung nach hat es noch niemand geschafft, das abzubilden. Das hat immer etwas mit Zeit und Kameraschnitt zu tun, aber ich würde sagen, beim Anschauen achte ich schon sehr auf das Fußballerische.

DFB.de: Wenn Sie sagen, dass alle Filme großartig sind, wie gelingt es Ihnen, den Siegerfilm zu ermitteln? Wie stimmt die Jury ab?

Henning: Ich habe einen Link bekommen, mit dem ich Zugang zu allen Filmen des Festivals habe und über den ich bis zu fünf Punkte pro Film vergeben kann. Das habe ich allerdings nicht direkt nach dem Anschauen gemacht, sondern ganz am Ende, als ich alle Filme gesehen habe. Ich glaube dadurch, dass mein Papa Schauspieler war und ich viele Theaterstücke im Nachgang nach der Aufnahme nochmal angeschaut habe, schaue ich mir Filme öfters zweimal an. Das erste Mal ist es meist die Emotion, das zweite Mal eher Kameraschnitt oder Szenenbild. Es ist ja nicht einmal geschaut und alles eingefangen, deswegen ist die Punktevergabe für mich mehr als nur ein Gefühl. Deswegen ist es wichtig, die Jury so divers wie möglich aufzustellen, um ein tolles Ergebnis zu erzielen.

DFB.de: Stichwort "Junge Jury". Sie haben in diesem Jahr zum ersten Mal eine siebenköpfige, junge Jury mit an Bord. Warum?

Schmidt: Ich komme aus der pädagogischen Arbeit und habe dort erlebt, wie großartig es ist, Veranstaltungen mit jungen Erwachsenen zu planen, nicht immer nur für sie. Das war bei 11mm jetzt auch an der Zeit. Wir haben ein eigenes Kinder- und Jugendfestival, das im nächsten Jahr wieder stattfinden soll und dort haben wir gemerkt, dass nach den Filmen ganz andere Fragen gestellt werden als von Erwachsenen. Deswegen haben wir dieses Jahr eine "junge Jury" im Alter von 18-23 Jahren zusammengestellt. Kinder- und Jugendjurys sind zwar in einige Festivals eingespannt, allerdings werden denen meistens nur Kinder- und Jugendfilme gezeigt. Bei uns sieht die junge Jury die gleichen Filme wie die Erwachsenen-Jury. Bei der Abstimmung zwischen den beiden Jurys gibt es durch die verschiedenen Sichtweisen sicherlich einige spannende Gespräche.

DFB.de: Wenn Sie auf die letzten 18 Jahre zurückblicken, was war das absolute Highlight und unvergesslich?

Schmidt: Es gab zwei absolute Highlights, die uns sicherlich vorangebracht und den Bekanntheitsgrad des Festivals gesteigert haben. Das war einerseits dem Film mit Sepp Maier (2012, Anm.d.Red.) zu verdanken, der Privataufnahmen von der WM 1990 hatte und diese erstmals bei uns gezeigt hat. Das war Wahnsinn! Wir hatten zwei Vorstellungen mit jeweils 500 Zuschauern ausverkauft und diverse Leute, die immer noch rein wollten. Sepp Maier hat das mit großem Genuss verfolgt und sich an dem Abend nicht als Torwart, sondern als Regisseur gesehen. (lacht) Das zweite Highlight war vor allem ein persönliches. Vor einem Festival hatte ich noch gesagt, wenn es mal einen Film über Heinz Flohe geben würde, wäre das für mich das Allergrößte. Flohe war Mittelfeldspieler beim 1. FC Köln und mein absolutes Idol. Dann kriegen wir 2015 eine E-Mail, wo jemand schreibt, er hätte einen Film über Flohe gedreht und der war auch noch richtig gut! "Der mit dem Ball tanzte" hat den zweiten Preis bekommen und ist mein persönlicher Lieblingsfilm.

DFB.de: Gäste erzählen immer wieder vom tollen Austausch mit anderen Kinobesucher*innen. Würden Sie sagen, das ist das Alleinstellungsmerkmal von 11mm?

Henning: 11mm bietet Geschichten über das pure Leben und das spürt man vor Ort. Deswegen kommen die Leute hier hin. Wenn ein Film aus ist und die Reihe vor dir über den Film spricht, man in berührte Gesichter blickt und sich auf dem Weg nach draußen auch einfach in andere Gespräche einmischt, um gemeinsam zu diskutieren, dann ist das der Unterschied zum "standardmäßigen" Kinobesuch und ein riesiger Mehrwert.

Schmidt: Über die Fußballkulturschiene hat man die Möglichkeit, Menschen ganz anders anzusprechen und für das Festival zu begeistern. Das sind sowohl Leute nur aus dem Fußballbereich, aber auch nur aus der Filmszene. Die Atmosphäre ist dieses Jahr besonders schön. Man kann bei den lauen Temperaturen bis in die Nacht draußen sitzen und gemeinsam über Filme plaudern.

DFB.de: Kommt man durch diese entspannte Stimmung leichter ins Gespräch?

Henning: In den letzten Tagen hier war es meist so, dass ich aus dem Augenwinkel beobachten konnte, dass mich jemand gerne ansprechen würde, sich aber nicht traut. Wenn man dann gemeinsam aus einem Film kommt und danach locker im Foyer steht, entwickelt sich auf einmal ein Gespräch, weil sich die Person dann doch traut oder ich sie anspreche und das ist etwas Schönes. Otto Rehhagel zum Beispiel ist sicherlich ein großer Star, aber natürlich ist er in einer solchen Menschenmenge auch eingeschüchtert. Zum 11mm begegnet er aber allen Besucher*innen auf Augenhöhe, hat keine drei Bodyguards dabei, durch die man mit ihm sprechen muss und genau diese Nähe ist hier total toll und besonders. Ein weiterer Punkt ist für mich persönlich auch der Kontakt zu anderen Kunstschaffenden, denen ich hier begegnet bin. Es hat sich schon einiges ergeben bzgl. zukünftiger Projekte, wo man z.B. für den guten Zweck, im Fußball- oder Kunstkontext oder einer Ausstellung zusammenkommt und man kann oftmals auch den Vermittler spielen, weil man viel hört und Personen kennenlernt, die man für bestimmte Vorhaben miteinander in Kontakt bringen kann, um neue Projekte anzustoßen und zu realisieren. Das macht Birger total gut.

DFB.de: Ist durch diese "Verknüpfung" auch das diesjährige Festivalmotiv entstanden?

Schmidt: Kann man so sagen. Wir haben uns durch berufliche Meetings per Bildschirm kennengelernt. Ich wusste, dass Josephine Künstlerin ist und wir suchen Jahr für Jahr ein Festivalmotiv und diesmal war es eine ganz schnelle Geschichte. Ich habe Josephine beim 11mm als Künstlerin vorgeschlagen, daraufhin haben wir uns telefonisch ausgetauscht und währenddessen ist der Krieg in der Ukraine ausgebrochen. Damit war für Josephine schnell klar, was für ein Fokus das Motiv haben soll. Wir fanden es toll und nun hängt dieses meterlange Plakat hier über dem Babylon.

DFB.de: Was für ein Gefühl ist es für Sie, wenn Sie das sehen?

Henning: Das ist ziemlich beeindruckend. Auch die meterlange Leinwand im Kinosaal. Wenn ich im Saal sitze, muss ich zwischendurch immer Mal hochschauen und innehalten. (lacht) Ich bin wirklich sehr dankbar, dass das funktioniert hat.

DFB.de: War es für Sie direkt klar, dass Sie die Ukraine-Thematik aufgreifen, als die Anfrage kam?

Henning: Durch 11mm war eine große Offenheit und viel Vertrauen da. Wir hatten die Thematik kommuniziert, das Motiv musste allerdings noch entstehen und da war ich gefragt. Zur Friedensdemo in Köln habe ich ein großes Plakat gemalt, das dieses Mädchen zeigt, was jetzt 11mm ziert. Weil ich während der Demo leider Corona hatte, haben meine Freunde das Plakat neun Stunden lang durch ganz Köln getragen. Danach haben sie es mir zurückgebracht und ich habe daran weitergemalt. Anschließend wurde es gescannt und nun hängt es hier als riesiges Festivalplakat.

DFB.de: Welche Reaktionen erhalten Sie von Gästen?

Henning: Gestern waren zwei Frauen vom Ukrainischen Filmfestival hier, mit denen ich über mein Bild gesprochen habe. Ich versuche ja etwas einzufangen, was ich nicht tagtäglich erlebe, sondern nur aus den Medien oder durch Freunde kenne. Obwohl ich sehr empathisch auf die Situation schaue, kann es dennoch sein, dass der Ausdruck sehr pathetisch ist. Wenn man dann im Austausch mit diesen Menschen, die tagtäglich damit zu kämpfen haben, merkt, man hat die Thematik getroffen, dann ist das sehr schön.

Schmidt: Für uns ist die Herausforderung wiederum, auf das Motiv auch im Programm Bezug zu nehmen. Das kleine Mädchen mit dem Ukraine-Shirt wäre auch schön gewesen, aber mit dem Hintergrund, dass es auf dieser riesigen Wiese sitzt, schließt sich der Kreis. Somit haben wir nicht nur die Sonderreihe mit den Ukraine-Filmen im Angebot, sondern auch den Themenschwerpunkt "Fußball und Heimat" aufgegriffen. Das muss beides zusammenpassen.

DFB.de: War das auch Ihr Gedanke dahinter, Frau Henning?

Henning: Klar. Ich habe für mich überlegt, was ist für mich Heimat in Bezug auf Fußball: Diese riesige Bolzplatzwiese, auf der ganz im Hintergrund ein Tor angedeutet ist.

DFB.de: Und das passt ja wiederum perfekt zum Rollrasen am Eingangsbereich des Kinos.

Schmidt: Genau. Als Prominenter hat man keine "dicke Hose", wenn man hierherkommt. Genau das ist mit dem grünen Rasen statt dem roten Teppich zu verstehen. Auf dem Rasen wird ein ehrliches Wort gesprochen. Hier geben und begegnen sich die Menschen anders, als wenn sie "glamourlike" über den roten Teppich schreiten. Das gehört zur Seele des Festivals.

DFB.de: Was würden Sie sagen, warum muss man mindestens einmal beim 11mm gewesen sein?

Henning: Ganz klar: Weil du sowas noch nie irgendwo gesehen hast. Wenn du vorher noch nie bei 11mm warst, kannst du das, was hier geboten wird, in Summe und Qualität noch nie erlebt haben. Du wirst absolut nicht enttäuscht, sondern super überrascht sein und so viel mitnehmen, wenn du vorbeikommst.

Schmidt: Es ist wirklich einmalig. Zwar gibt es in anderen Ländern einige Partnerfestivals, die das aber wirtschaftlich so nicht umsetzen können, weil z.B. Kinos den Festivalbetrieb über mehrere Tage nicht zulassen. Die Umsetzung ist auch großartig, der Umfang ist aber anders. Die Initiatoren der anderen Länder kommen hier her, um sich das Programm anzuschauen, aber auch um mit Darstellern und Regisseuren ins Gespräch zu kommen. Für uns ist es eine tolle Sache, die Idee weiterzugeben.

DFB.de: Das hat ja anscheinend funktioniert, wie z.B. Gäste aus Amerika, Australien, Ungarn und Dänemark zeigen.

Schmidt: Kann man so sagen. (lacht) Mittlerweile gibt es weltweit 16 Fußballfilmfestivals, was für uns als Festivalmacher natürlich toll ist, da wir die alle besuchen können. Die weiteste Anreise hat wohl der Kollege aus Sydney, der dieses Jahr schon zum zweiten Mal hier ist. Ein Festivalbetreiber, der fußballbegeistert ist und entsprechend ein zweitägiges Festival auf die Beine gestellt hat. Dadurch habe ich jetzt Freunde auf der ganzen Welt, was ich mir früher nie hätte träumen lassen.

DFB.de: Was wünschen Sie sich für die nächsten Ausgaben?

Schmidt: Mein Traum wäre es, einmal eine eigene "Rolle" mit 60 bis 90 Minuten der schönsten Fußballszenen, die jemals in Fußballfilmen aufgetaucht sind, zu entwerfen.

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