Pascal Bauer: "Beim Hackathon spannende Erkenntnisse gewonnen"

Im September 2019 veranstaltete die DFB-Akademie rund um das Länderspiel gegen die Niederlande den ersten Fußball-Taktik-Hackathon. Im Februar folgte gemeinsam mit Eintracht Frankfurt und Sportec Solutions der Kick-Off zum zweiten Hackathon, der mit dem Abschlussevent an diesem Freitag zu Ende geht. Pascal Bauer, Manager Datenanalyse und maschinelles Lernen bei der Akademie, spricht mit DFB.de über den neugewählten Ansatz, die Arbeit während der Corona-Pandemie und aktuelle Entwicklungen im Bereich "Machine Learning" und "Data Science".

DFB.de: Herr Bauer, gemeinsam mit der DFL und ihrer Tochterfirma Sportec Solutions sowie mit Eintracht Frankfurt organisiert die DFB-Akademie am Freitag das Abschlussevent des "Hackathons". Klären Sie uns bitte auf: Was genau ist ein "Hackathon"?

Pascal Bauer: Originär "sperren" sich bei einem "Hackathon" mehrere Computerexperten für bis zu 72 Stunden ein, um gemeinsam zu "hacken" - also zu programmieren. Mit der DFB-Akademie organisierten wir eine solche "Übernacht"-Aktion mit wenig Schlaf erstmals beim Länderspiel im September 2019 in Hamburg. Diesmal haben wir einen ganz neuen Ansatz gewählt: Unsere IT-Experten arbeiten in Teams mit jeweils einem professionellen Fußball-Spielanalysten gemeinsam an einer taktischen Fragestellung. Über sieben Monate hinweg haben sie sämtliche Partien von Eintracht Frankfurt - unserem Kooperationspartner bei dem Projekt - aus der Saison 2017/2018 und 2018/2019 analysiert. Darüber hinaus stellte die DFL mit der Sportec Solutions GmbH, unserem zweiten Kooperationspartner, für diese Spiele sämtliche Daten zur Verfügung.

DFB.de: Das klingt nach jeder Menge Material, das es zu sichten und auszuwerten galt…

Bauer: Das stimmt, und dann kam noch die Corona-Pandemie hinzu. Nach dem gemeinsamen Kick-Off im Februar mussten wir aufgrund der Kontaktbeschränkungen umplanen. Wir haben es geschafft, insgesamt vier digitale Events zu organisieren. Dabei kamen unsere Experten immer wieder mit Datenspezialisten aus Spitzenvereinen - wie dem FC Barcelona, Benfica Lissabon oder auch Leicester City - in Videokonferenzen in den Austausch. Aus dem Homeoffice heraus wurde an den taktischen Fragestellungen weitergearbeitet. Wir haben spannende Erkenntnisse gewonnen.

DFB.de: Welche Praxisrelevanz haben die gewonnenen Erkenntnisse für Trainer und Mannschaften?

Bauer: Unser größter Erfolg war, dass viele Bundesliga-Klubs sowie Trainer und Analysten unserer Nationalmannschaften aktiv beteiligt waren und auch mit internationalen Experten zusammenarbeiteten. Unabhängig von den Ergebnissen war es uns wichtig, die "Praktiker" mit der aufkommenden "Datenthematik" zu konfrontieren - vielen Beteiligten wurden dadurch Chancen und Grenzen im Umgang mit Daten zur taktischen Spielanalyse verdeutlicht.

DFB.de: Welche Beispiele können Sie nennen?

Bauer: Die meisten Problemstellungen, an denen gearbeitet wurde, zielten darauf ab, den Spielanalysten ihre tägliche Arbeit zum Beispiel in der Gegneranalyse zu vereinfachen. Nehmen wir als Beispiel die Analyse von Eckbällen: Für unser bevorstehendes UEFA-Nations-League-Match in Stuttgart möchte unser Trainerteam wissen, mit welcher Strategie die Eckbälle der Spanier zu erwarten sind. Verteidigen sie im Raum oder mit fester Zuordnung? Werden Spieler an die Pfosten gestellt? Wie wird auf kurzgespielte Eckbälle reagiert? Dazu schaut man sich natürlich an, wie sie es die letzten Spiele praktiziert wurde, und zwar durch aufwändige Sichtung des Videomaterials. Auch wenn die qualitative Bewertung des Videomaterials durch unsere Trainer und Analysten weiterhin der wichtigste und am Ende entscheidende Bestandteil in der Gegnervorbereitung sein wird, können datengetriebene Ansätze hierbei zumindest unterstützen.

DFB.de: Inwiefern?

Bauer: Die benötigten Informationen sind per se in den Daten enthalten. Wenn diese Prozesse dann erstmal automatisiert sind, kann man sich per Knopfdruck mehrere 100.000 Eckbälle anschauen, auswerten und feste Strategien erkennen. Händisch wäre das logischerweise nicht mehr möglich beziehungsweise ein immenser Zeitaufwand. Es war beeindruckend, wie viel Fleiß und Detailliebe die einzelnen Hackathon-Teams in die unterschiedlichen taktischen Fragestellungen investiert haben. Wir sind wieder einen Schritt weitergekommen auf dem Weg, im Fußball aus Big Data zunehmend Smart Data zu machen.

DFB.de: Wagen wir zum Abschluss noch einen Ausblick: Was sind generell aktuelle Entwicklungen, die im Bereich "Data Science" und "Machine Learning" in der DFB-Akademie verfolgt werden?

Bauer: Derzeit liegt unser Fokus auf der Auswertung von Belastungsdaten unserer Nationalspieler*innen. Die Corona-Pandemie hat alle Spielpläne durcheinandergewirbelt und für unsere Athletiktrainer*innen ist es quasi unmöglich, im Detail zu wissen, in welchem Fitnesszustand unsere Spieler*innen im September zum DFB kommen. Auch hier stecken fast alle benötigten Informationen in vorhandenen Daten. Prinzipiell ist - bei Verein und Nationalmannschaft - jeder Lauf eines jeden Spielers in Training und Spiel erfasst. Dies geschieht beispielsweise über das Tragen von GPS-Sensoren. Da jeder Verein aber seine eigenen Sensoren verwendet und in Spielen in der Regel der Wettbewerbsveranstalter für die Erhebung von Daten zuständig ist, ist es unsere größte Herausforderung, alle Daten in ein einheitliches System zu bringen und vergleichbar zu machen. Ist das geschafft, können wir unseren Athletiktrainer*innen konkret aufbereiten, welcher Spieler und welche Spielerin innerhalb der vergangenen Wochen wie beansprucht wurde, wodurch sie sehr schnell einen ersten Überblick erhalten.

DFB.de: Was ist noch möglich?

Bauer: Auch Liveszenarien während eines Spiels sind denkbar. Angenommen, Joshua Kimmich sprintet ab der 70. Minute in gewissen Situationen um zwei, drei Kilometer pro Stunde langsamer als üblich, dann wäre das mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen. Aus den Daten könnten wir allerdings ein Warnsignal ableiten und an die Experten geben, die dann zumindest genauer hinschauen können. Auch das ist ein Beispiel, wie Daten die Entscheidungen eines Trainers unterstützen können – oder wie sie sogar helfen, mögliche Risiken frühzeitig zu erkennen.

[rz]

Im September 2019 veranstaltete die DFB-Akademie rund um das Länderspiel gegen die Niederlande den ersten Fußball-Taktik-Hackathon. Im Februar folgte gemeinsam mit Eintracht Frankfurt und Sportec Solutions der Kick-Off zum zweiten Hackathon, der mit dem Abschlussevent an diesem Freitag zu Ende geht. Pascal Bauer, Manager Datenanalyse und maschinelles Lernen bei der Akademie, spricht mit DFB.de über den neugewählten Ansatz, die Arbeit während der Corona-Pandemie und aktuelle Entwicklungen im Bereich "Machine Learning" und "Data Science".

DFB.de: Herr Bauer, gemeinsam mit der DFL und ihrer Tochterfirma Sportec Solutions sowie mit Eintracht Frankfurt organisiert die DFB-Akademie am Freitag das Abschlussevent des "Hackathons". Klären Sie uns bitte auf: Was genau ist ein "Hackathon"?

Pascal Bauer: Originär "sperren" sich bei einem "Hackathon" mehrere Computerexperten für bis zu 72 Stunden ein, um gemeinsam zu "hacken" - also zu programmieren. Mit der DFB-Akademie organisierten wir eine solche "Übernacht"-Aktion mit wenig Schlaf erstmals beim Länderspiel im September 2019 in Hamburg. Diesmal haben wir einen ganz neuen Ansatz gewählt: Unsere IT-Experten arbeiten in Teams mit jeweils einem professionellen Fußball-Spielanalysten gemeinsam an einer taktischen Fragestellung. Über sieben Monate hinweg haben sie sämtliche Partien von Eintracht Frankfurt - unserem Kooperationspartner bei dem Projekt - aus der Saison 2017/2018 und 2018/2019 analysiert. Darüber hinaus stellte die DFL mit der Sportec Solutions GmbH, unserem zweiten Kooperationspartner, für diese Spiele sämtliche Daten zur Verfügung.

DFB.de: Das klingt nach jeder Menge Material, das es zu sichten und auszuwerten galt…

Bauer: Das stimmt, und dann kam noch die Corona-Pandemie hinzu. Nach dem gemeinsamen Kick-Off im Februar mussten wir aufgrund der Kontaktbeschränkungen umplanen. Wir haben es geschafft, insgesamt vier digitale Events zu organisieren. Dabei kamen unsere Experten immer wieder mit Datenspezialisten aus Spitzenvereinen - wie dem FC Barcelona, Benfica Lissabon oder auch Leicester City - in Videokonferenzen in den Austausch. Aus dem Homeoffice heraus wurde an den taktischen Fragestellungen weitergearbeitet. Wir haben spannende Erkenntnisse gewonnen.

DFB.de: Welche Praxisrelevanz haben die gewonnenen Erkenntnisse für Trainer und Mannschaften?

Bauer: Unser größter Erfolg war, dass viele Bundesliga-Klubs sowie Trainer und Analysten unserer Nationalmannschaften aktiv beteiligt waren und auch mit internationalen Experten zusammenarbeiteten. Unabhängig von den Ergebnissen war es uns wichtig, die "Praktiker" mit der aufkommenden "Datenthematik" zu konfrontieren - vielen Beteiligten wurden dadurch Chancen und Grenzen im Umgang mit Daten zur taktischen Spielanalyse verdeutlicht.

DFB.de: Welche Beispiele können Sie nennen?

Bauer: Die meisten Problemstellungen, an denen gearbeitet wurde, zielten darauf ab, den Spielanalysten ihre tägliche Arbeit zum Beispiel in der Gegneranalyse zu vereinfachen. Nehmen wir als Beispiel die Analyse von Eckbällen: Für unser bevorstehendes UEFA-Nations-League-Match in Stuttgart möchte unser Trainerteam wissen, mit welcher Strategie die Eckbälle der Spanier zu erwarten sind. Verteidigen sie im Raum oder mit fester Zuordnung? Werden Spieler an die Pfosten gestellt? Wie wird auf kurzgespielte Eckbälle reagiert? Dazu schaut man sich natürlich an, wie sie es die letzten Spiele praktiziert wurde, und zwar durch aufwändige Sichtung des Videomaterials. Auch wenn die qualitative Bewertung des Videomaterials durch unsere Trainer und Analysten weiterhin der wichtigste und am Ende entscheidende Bestandteil in der Gegnervorbereitung sein wird, können datengetriebene Ansätze hierbei zumindest unterstützen.

DFB.de: Inwiefern?

Bauer: Die benötigten Informationen sind per se in den Daten enthalten. Wenn diese Prozesse dann erstmal automatisiert sind, kann man sich per Knopfdruck mehrere 100.000 Eckbälle anschauen, auswerten und feste Strategien erkennen. Händisch wäre das logischerweise nicht mehr möglich beziehungsweise ein immenser Zeitaufwand. Es war beeindruckend, wie viel Fleiß und Detailliebe die einzelnen Hackathon-Teams in die unterschiedlichen taktischen Fragestellungen investiert haben. Wir sind wieder einen Schritt weitergekommen auf dem Weg, im Fußball aus Big Data zunehmend Smart Data zu machen.

DFB.de: Wagen wir zum Abschluss noch einen Ausblick: Was sind generell aktuelle Entwicklungen, die im Bereich "Data Science" und "Machine Learning" in der DFB-Akademie verfolgt werden?

Bauer: Derzeit liegt unser Fokus auf der Auswertung von Belastungsdaten unserer Nationalspieler*innen. Die Corona-Pandemie hat alle Spielpläne durcheinandergewirbelt und für unsere Athletiktrainer*innen ist es quasi unmöglich, im Detail zu wissen, in welchem Fitnesszustand unsere Spieler*innen im September zum DFB kommen. Auch hier stecken fast alle benötigten Informationen in vorhandenen Daten. Prinzipiell ist - bei Verein und Nationalmannschaft - jeder Lauf eines jeden Spielers in Training und Spiel erfasst. Dies geschieht beispielsweise über das Tragen von GPS-Sensoren. Da jeder Verein aber seine eigenen Sensoren verwendet und in Spielen in der Regel der Wettbewerbsveranstalter für die Erhebung von Daten zuständig ist, ist es unsere größte Herausforderung, alle Daten in ein einheitliches System zu bringen und vergleichbar zu machen. Ist das geschafft, können wir unseren Athletiktrainer*innen konkret aufbereiten, welcher Spieler und welche Spielerin innerhalb der vergangenen Wochen wie beansprucht wurde, wodurch sie sehr schnell einen ersten Überblick erhalten.

DFB.de: Was ist noch möglich?

Bauer: Auch Liveszenarien während eines Spiels sind denkbar. Angenommen, Joshua Kimmich sprintet ab der 70. Minute in gewissen Situationen um zwei, drei Kilometer pro Stunde langsamer als üblich, dann wäre das mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen. Aus den Daten könnten wir allerdings ein Warnsignal ableiten und an die Experten geben, die dann zumindest genauer hinschauen können. Auch das ist ein Beispiel, wie Daten die Entscheidungen eines Trainers unterstützen können – oder wie sie sogar helfen, mögliche Risiken frühzeitig zu erkennen.

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